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STICHWORT BAYER 4/2006

BAYERs LL601 ist überall

Reis mit Scheiß

Wenn es noch eines Beweises für die Unbeherrschbarkeit der Gentechnologie bedurfte, dann hat ihn der Leverkusener Multi jüngst erbracht: In 33 von 162 Lebensmittelproben fanden sich Spuren von seinem nicht zum Verzehr zugelassenen Genreis LL601. Wie er dort hineingelangt ist, konnte Konzern-Chef Werner Wenning zwar nicht sagen, aber eines wusste er genau: „Wichtig ist festzustellen, dass die US-Behörden bestätigt haben, dass es hier für die Gesundheit und für die Umwelt keinerlei Belastungen gibt“. Darum will das Unternehmen aus dem Schaden auch nicht klug werden und kündigte stattdessen unmittelbar nach dem Gen-GAU an, das Geschäft mit Reis und anderen Saaten noch ausbauen zu wollen.

Von Jan Pehrke

Nach dem Gammelfleisch-Skandal kam der Genreis-GAU. In 33 von 162 Reispackungen auf bundesdeutschen Supermarkt-Regalen fanden sich Rückstände von BAYERs gentechnisch gegen das Antiunkrautmittel LIBERTY LINK immun gemachter Sorte LL601. Dort hätte die nirgendwo auf der Welt zum Verzehr zugelassene BAYER-Kreation vermutlich auch noch sehr lange gestanden, wenn nicht eine zufällige Entdeckung auf die BAYER-Spur geführt hätte, denn die Staatliche Lebensmittelaufsicht hätte UNCLE BEN das Leben nie schwer gemacht.
Im Januar 2006 bemerkte ein Reis-Verarbeiter eine gentechnische Verunreinigung seiner Ware. Er wandte sich umgehend an den Exporteur, das US-Unternehmen RICELAND FOODS. Der Konzern schaltet ein Labor ein, das in dem Reis auch ein LIBERTYLINK-resistentes Protein nachweist. Die WissenschaftlerInnen vermuten zunächst, LL-Baumwolle oder LL-Soja made by BAYER hätten sich unter die Ernte gemischt, denn der Genreis des Multis besitzt gar keine Zulassung. Erst im Mai ergeben Untersuchungen eine flächendeckende Verunreinigung der US-amerikanischen Reis-Ernte mit LL601. Und dann nehmen die Dinge ihren Lauf. RICELAND FOODS kontaktiert BAYER CROPSCIENCE. Der Konzern informiert die US-Behörden, die wiederum die Europäische Union in Brüssel über den Vorfall in Kenntnis setzen. Am 23. August erlässt diese ein Importverbot für US-amerikanischen Langkorn-Reis. Nur noch negativ auf LL601 getesteter Reis darf die Grenzen passieren. Die Kosten von rund 200 € pro Prüfverfahren haben die Reismühlen als Importeure zu tragen, ordnet die Kommission an.

LL601 ist überall
Nach dem Glauben der Euro-BürokratInnen hatte sich die Festung Europa damit mal wieder als wehrhaft erwiesen. Aber GREENPEACE zweifelte daran. Die Initiative ließ Reis aus bundesdeutschen Supermärkten auf LL601-Rückstände analysieren und wurde bei ALDI fündig. Das Unternehmen wies die Vorwürfe umgehend zurück. „Laut unseren Untersuchungen gibt es bei ALDI NORD bislang keine Befunde auf Genreis“, so eine Sprecherin. Auch BAYER zweifelte das Ergebnis an: „Wir wissen nicht, ob GREENPEACE die Funde mit von der EU zertifizierten Testmethoden entdeckt hat“. Dass GREENPEACE das gar nicht konnte, wusste der Konzern allerdings ganz genau. Der Multi weigerte sich nämlich zunächst, der Umweltschutzorganisation originale LL601-Proben als Referenzmaterial zur Verfügung zu stellen. Bald aber bestätigte der „Europäische Verband der Reismühlen“ die Arbeit von GREENPEACE. Sie fand den BAYER-Reis in 20 Prozent des untersuchten Materials. Daraufhin reagierte ALDI, ohne jedoch eine Verunreinigung zuzugeben. „Wir haben die Reissorte vorsorglich aus den Regalen genommen, obwohl die von uns veranlassten Tests bislang keine Belastung mit gentechnisch verändertem Reis ergeben haben“, vermeldete die Zentrale. 10.000 Tonnen der Körner verschwanden daraufhin aus den Supermärkten von ALDI & Co., die deshalb einen Verlust von 10 Millionen Euro in ihre Bücher schreiben konnten.

Das Imperium schlägt zurück
Das Kind war also in den Brunnen gefallen. Plötzlich sollte es aber ein ganz liebes Kind sein. Die US-Behörden stellten LL601 innerhalb weniger Wochen einen Persilschein aus, den BAYER umgehend einlöste. „Wichtig ist festzustellen, dass die US-Behörden bestätigt haben, dass es hier für die Gesundheit und für die Umwelt keinerlei Belastungen gibt“, sprach BAYER-Chef Werner Wenning. Die EU schloss sich ihm an. Obwohl die für Lebensmittelsicherheit zuständige Behörde selber einräumte, keine ausreichenden Daten für eine Risikoanalyse zu haben, gab sie vorsorglich Entwarnung. „Besonders dringliche Sicherheitsbedenken“ bestehen ihrer Meinung nach nicht. „Im Klartext: Es wird nicht erwartet, dass jemand tot umfällt, und über alles andere lässt sich keine Aussage machen“, kommentierte der Gen-Ethische Informationsdienst (GID) sarkastisch.
Um die Sicherheitsbedenken weiter zu zerstreuen, lief BAYERs Krisenmanagement auf Hochtouren. Der Konzern tischte zur Hochzeit des Gen-GAUs in der Bild-Zeitung das bekannte Ammenmärchen von der Gentechnik als Lösung des Welthungerproblems auf. Der ehemalige BAYER CROPSCIENCE-Chef Bernward Garthoff spielte in seiner jetzigen Position als Vorstandsvorsitzender der „Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie“ die Gefahren herunter und trat unverdrossen weiter für vereinfachte Anbauregelungen ein. Aber das Unternehmen konnte auch ganz grob werden. Als GREENPEACE eine Online-Aktion gegen den Genreis startete, ließ BAYER kurzerhand die Webseite sperren.

LandwirtInnen klagen
Auch gegenüber den massiv von Einkommensverlusten betroffenen LandwirtInnen schlug BAYER eine harte Gangart ein. In den USA sanken die Reispreise nach dem Gen-GAU um 10 Prozent. Zudem brachen wichtige Absatzmärkte in Japan und Europa ein - allein an den bundesdeutschen Importen hatte US-amerikanischer Reis bislang einen Anteil von 25 Prozent. Deshalb reichten Reisbauern und -bäuerinnen aus allen Regionen Nordamerikas Klage gegen BAYER ein. Das Unternehmen hatte das kommen sehen und vorsorglich eine nachträgliche LL601-Zulassung beantragt, um die möglichen Schadensersatzansprüche zu minimieren. „Ein Unternehmen, das sich aus der Verantwortung stiehlt, indem es im Nachhinein eine Vermarktungsgenehmigung für die USA erwirken will, zeigt blanken Zynismus gegenüber den Landwirten, die geschädigt wurden“, wetterte der Grüne Politiker Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, der stellvertretende Vorsitzende des Agrarausschusses des EU-Parlamentes.
In den Prozessen, den hunderte US-FarmerInnen dann auch wirklich per Sammelklagen angestrengt haben, setzt sich der Zynismus des Agroriesen fort. Er gibt allen die Schuld am Gen-GAU - Gott, dem Schicksal und den LandwirtInnen selber - bloss sich selbst nicht. In seiner 30-seitigen Antwort auf die Vorwürfe der Bauern und Bäuerinnen spricht BAYER von „unvermeidbaren Umständen, die niemand hätte verhindern können“, einem „Akt Gottes“ und einer angeblichen „Nachlässigkeit“ der FarmerInnen. „Es ist bedauernswert, dass BAYER, anstatt die Verantwortung zu übernehmen, versucht, den Reisbauern die Schuld zuzuschieben, den Menschen, die am meisten von der Unternehmenspolitik betroffen sind“, sagt der Klägeranwalt Adam Levitt.

Von Louisiana in die ganze Welt?
Die Spuren des Skandals führen indes nicht in den Himmel, sondern nach Louisiana, obwohl hinter dem eigentlichen Tathergang noch viele Fragezeichen stehen. Am 31. August tritt die Louisiana State University mit der Erklärung an die Öffentlichkeit, auf ihrer Reisforschungsstation hätte sich der LIBERTYLINK-Reis 2003 in eine konventionelle Sorte eingekreuzt. Die Universität hatte von 1999 bis 2001 für das Unternehmen AVENTIS CROPSCIENCE, das BAYER im Jahr 2002 übernahm, die Sorten LL601 und LL62 getestet. Obwohl die ForscherInnen die Abstandregelungen eingehalten hatten und Einkreuzungen durch Pollenflug auszuschließen sind, da Reis sich selbst bestäubt, kontamierten die Genpflanzen die Sorte „Cheniere“. Am wahrscheinlichsten erscheint die Hypothese, dass bei der Genreis-Ernte einige Körner am Boden verblieben waren, die dann in später gepflanzten Ackerfrüchten aufblühten. Was auch immer die genaue Ursache gewesen sein mag, der Vorfall zeigt einmal mehr, wie unkontrollierbar die Gentechnik ist. Die industrialisierte Landwirtschaft mit ihren Monokulturen tat dann ein Übriges. Die Hochschule kreierte nämlich eine Hochleistungssorte, die professionellen ZüchterInnen als Basissaatgut diente und so die Pflanzsaison 2005 dominierte.

Gen-Gau, Teil 2
Auch die andere von den WissenschaftlerInnen getestete Sorte sollte aus US-amerikanischen Landen frisch auf dem Tisch der europäischen VerbraucherInnen landen. Im Oktober wiesen französische Behörden Rückstände von LL62 in Ladungen aus den USA nach und informierten die EU-Kommission. Ein noch brisanterer Fund, denn für diesen, ebenfalls gegen den Herbizid-Wirkstoff Glufosinat resistenten Reis hatte BAYER in Brüssel vor drei Jahren einen Antrag auf eine Importgenehmigung gestellt, der kurz vor einer Bewilligung stand. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hatte die EU bereits im September aufgefordert, Konsequenzen aus dem Fall „LL601“ zu ziehen und LL62 keine Importzulassung zu erteilen. „Der Fall bestätigt alle Befürchtungen: eine gentechnisch veränderte Reissorte landet im Handel, ohne dass die gesundheitlichen Risiken bekannt wären oder eine Genehmigung erteilt wäre. Dies muss Konsequenzen für die Zulassung von Genreis in der EU haben“, hieß es in dem Schreiben. Die Nachricht aus Frankreich zeigte dann die Dringlichkeit der CBG-Forderung.

Politik kapituliert
Aber eine Antwort der EU-Lebensmittelaufsicht EFSA blieb bisher aus. Anderen Laborpflanzen aus dem Hause BAYER, Genraps der Sorten Ms8, Rf3 und Ms8xRf3, hatte sie bereits die Unbedenklichkeit bescheinigt, weshalb der Brüsseler Agrarrat sich auch von dem LL601-Skandal nicht abhalten ließ, für eine Genehmigung zu stimmen. 13 Mitgliedsländer votierten dagegen, brachten aber gegen Verbraucherschutzminister Horst Seehofer und andere keine qualifizierte Mehrheit zustande, weshalb das OK der Kommission nur noch Formsache sein dürfte. „Denn auch, wenn Politiker gerne viel von Verbraucherschutz reden: Handeln tun sie letztlich im Sinne des Geldes“, kommentierte die neue bildpost die Entscheidung treffend.
Seehofer sorgte sogar dafür, dass BAYER künftig vor den finanziellen Folgen von Pleiten, Pech & Pannen aus der Zukunftswerkstatt gefeit ist. In Zukunft haben WissenschaftlerInnen nicht mehr dafür zu haften, wenn sich ihre Testpflanzen unbemerkt ausbreiten und ihre Gentech-Versuche nicht mehr auf den Feldern, sondern bei ALDI stattfinden. Nur noch LandwirtInnen in unmittelbarer Nähe des Versuchsgeländes können jetzt noch Ansprüche geltend machen, nicht aber andere Geschädigte, so sieht es ein am 24. November vorgestelltes Eckpunkte-Papier aus dem Hause Seehofer vor. Das passte den Agromultis natürlich gut ins Konzept. Kein Wunder, denn sie haben es selber passend gemacht. Die Eckpunkte der Eckpunkte zur geplanten „Reform“ des Gentechnikgesetzes lieferte nach einem GREENPEACE zugespielten Papier nämlich die „Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie“. Darin heißt es in einem Ton, der unmissverständlich deutlich macht, wer hierzulande in Sachen „VerbraucherInnenschutz“ das letzte Wort hat: „Die Definition des Inverkehrbringens (§ 3 Nr. 6, § 14) ist dahingehend klarzustellen, dass die Abgabe von Produkten mit Spuren von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) aus genehmigten Freisetzungsversuchen kein Inverkehrbringen darstellt“. Verkehrte Welt, die am selben Tag noch ein wenig verkehrter wurde. Punktgenau am 24. fruchtete nämlich auch BAYERs „Legalize-it“-Kampagne. Die US-Behörden erteilten LL601 nachträglich das Plazet, ohne freilich eine Verträglichkeitsprüfung angestellt zu haben. So schnell kann ein Gen-GAU zu einem beschleunigten Zulassungsverfahren mutieren!

BAYER macht weiter
Damit stärkten die US-amerikanischen BeamtInnen die Verhandlungsposition BAYERs bei den Sammelklagen ungemein. Der Gen-Gigant sieht dann auch gar keinen Grund, eine Kurskorrektur bei der Agro-Gentechnik vorzunehmen. Er hat sogar die Chupze, einen Ausbau des Bereiches anzukündigen. „Auf Basis der guten Ausgangsposition in unseren vier Kernkulturen Gemüse, Reis, Baumwolle und Canola (Raps, Anm. SWB) wollen wir in Zukunft im Saatgutbereich weiter wachsen. Darüber hinaus denken wir über die Erweiterung dieser Aktivitäten um neue Kulturen nach“, sagte BAYER-Vorstand Wolfgang Plitschke am 31. Oktober 2006 auf einem Presseforum zur „BAYER Innovationsperspektive 2006“. Da der Leverkusener Multi dem gid zufolge heute schon die Lizenz zu dem Großteil der 251 bis dato behördlich genehmigten Genreis-Experimente hat, können sich die VerbraucherInnen also noch auf so einiges gefasst machen.