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Nanotubes

LifeGen, 9. November 2011

Nanopartikel als potenzielle Umweltkiller ausgemacht

Für Konzerne wie Bayer zählen sie zu den Vertretern einer neuen Materialgeneration, doch nun rücken Schweizer Forscher die sogenannten Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNT) in eine unliebsame Ecke: Eine aktuelle Studie der Empa zeigt, dass CNT auf Grünalgen zwar nicht toxisch wirken, deren Wachstum aber hemmen, indem sie ihnen Licht und Platz nehmen. Die Schweizer Behörden raten dazu, ungebundene Nanotubes nicht in die Umwelt freizusetzen. Auch andere Studien deuten auf massive Risiken bei CNTs hin, politisch lassen sich die Forschungsergebnisse nicht mehr ignorieren. Steht die Technologie damit vor dem Aus? von Vlad Georgescu

CNTs sind bis zu 100.000 mal dünner als ein menschliches Haar und so leicht wie Plastik. Dennoch können sie zugfester sein als Stahl, härter als Diamant und leitfähiger als Kupfer. "Diese Eigenschaften machen sie zu einem Werkstoff mit Zukunft", schreibt die Empa, und: "Ihr Einsatz wird daher vielfältig erforscht, etwa für Solarzellen, Kunststoffe, Batterien, in der Medizin sowie zur Reinigung von Trinkwasser".

Allerdings: Mit zunehmender industrieller Produktion in der Grössenordnung von Hunderten von Tonnen jährlich steige auch die Menge an solchen Teilchen, die in die Umwelt gelangen kann. Einige Studien legen der Empa zufolge "den Verdacht nahe, dass bestimmte CNT in der Lunge ähnliche Schäden wie Asbestfasern auslösen können".

Wie sich CNT verhalten, wenn sie in Gewässer gelangen, hat jetzt ein interdisziplinäres Team der Forschungsinstitute Empa und Agroscope ART nun in einer vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Studie an Grünalgen untersucht. Dabei entwickelten die ForscherInnen ein Standardverfahren für Chemikalien weiter, um Wachstum und Photosynthese-Aktivität der Algen unter CNT-Belastung zu messen. Es zeigte sich, dass die Algen selbst bei hohen CNT-Konzentrationen ihre normale Photosynthese-Aktivität beibehielten - jedoch verlangsamte sich ihr Wachstum. Auffällig war auch, dass sich die Algensuspension durch Zugabe der CNT verdunkelte und dass die Algen mit den Nanoröhrchen verklumpten – obwohl nichts darauf hinwies, dass die Nanoröhrchen von den Algen aufgenommen werden. Die ForscherInnen vermuteten deshalb, dass die Algen langsamer wachsen, weil sie durch die CNT «zusammenkleben» und dadurch weniger Licht erhalten. Um genau das zu beweisen, entwickelten sie zwei weitere Tests, mit denen die Beschattung und das Zusammenkleben der Algen durch Nanopartikel quantitativ gemessen werden können.

Die Ergebnisse zeigen, "dass das verlangsamte Algenwachstum in der Tat hauptsächlich auf diese zwei Faktoren zurückzuführen ist". Fazit der staatlichen Empa: "CNT wirken nicht direkt toxisch auf Grünalgen, wie frühere Studien vermuten liessen. Die Algen haben in Gegenwart von CNT lediglich nicht die optimalen Wachstumsbedingungen, weil sie wie Landpflanzen genügend Platz und Licht zum Wachsen benötigen. Allerdings tritt die beobachtete Verklumpung und Beschattung erst bei höheren CNTKonzentrationen auf (über einem Milligramm pro Liter), wie sie in der Umwelt wahrscheinlich noch nicht vorkommen".

Bayer in der Zwickmühle
Für den Leverkusener Konzern wird die Lage ob solcher News allmählich brisant - und erste Anzeichen eines Umdenkens sind erkennbar. Péter Krüger, Leiter der Arbeitsgruppe Nanotechnologie in der Bayer MaterialScience AG und Vorsitzender hochrangiger Nano-Projektgruppen forderte beispielsweise bereits im Vorfeld der 4. NRW Nano-Konferenz Sicherheitsstandards im Umgang mit der neuen Technologie. Sein Credo: „Damit diese Welt Wirklichkeit wird, muss Nano sicher sein.“ Der Vorstoß ist bemerkenswert - aber auch mehr als reine PR?

Mit seiner Forderung stand Krüger hinter NRW-Innovationsministerin Svenja Schulze auf dem Programm der 4. NRW Nano-Konferenz am 17. und 18. Oktober 2011 im Kongresszentrum der Westfalenhallen Dortmund und stellte die Ergebnisse aus zehn Jahren Sicherheitsforschung zu Nanomaterialien vor. Dennoch sollen die von Bayer MaterialScience in einer eigenen Versuchsanlage produzierten Carbon Nanotubes (CNTs) in Lacken, beim Bau von Rotorblättern und in Sportartikeln wie Skiern oder Hockey-Schlägern eingesetzt werden. Das Gefährdungspotential der neuen Stoffe ist weitgehend unbekannt, wie die aktuelle Empa-Studie belegt. Und selbst Tierversuche zeigen, dass bestimmte CNTs die Entstehung von Krebs ähnlich wie Asbestfasern begünstigen können (1). DNA-Schäden der Aorta sind ebenso möglich wie eine Beeinträchtigung der Lungenfunktion (2). Zudem können Nanotubes vom Körper sowohl über die Atemwege als auch über die Haut aufgenommen werden.

Der Konzern sieht auf seiner eigenen Seite hingegen keine Probleme für die Bevölkerung und betont das wirtschaftliche Potenzial der CNTs. Aus Sicht der Umweltverbände hingegen scheint offensichtlich, dass eine Anlage dieser Größenordnung keine "Versuchsanlage" darstellt. Vor einer Genehmigung müsse der Betreiber darlegen, dass von der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen ausgehen, insbesondere welche Emissionen und Immissionen in welcher Höhe zu erwarten sind, welche Wirkungen auf Umwelt und Gesundheit damit verbunden sind, wie hoch die Belastung innerhalb der Anlage ist und welche Mengen dieses speziellen Feinstaubs bei einem Störfall austreten können.

Die nun am 4.November 2011 publizierten Schweizer Ergebnisse bringen auch die Politik in NRW in Zugzwang. "Unsere Studie zeigt, wie schwierig es ist, die Wirkungen von Nanomaterialien auf Organismen detailliert zu verstehen", betont Empa- und ART-Forscherin Fabienne Schwab. Bis umfassende Erkenntnisse auch für komplexere Organismen als Grünalgen sowie Langzeitstudien vorliegen, rät Empa-Forscher Bernd Nowack, "besonders ungebundene Nanopartikel nicht in die Umwelt freizusetzen".

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Literaturhinweise:

Are Carbon Nanotube Effects on Green Algae Caused by Shading and Agglomeration?
F. Schwab, T.D. Bucheli, L.P. Lukhele, A. Magrez, B. Nowack, L. Sigg, K. Knauer, Environmental Science & Technology,
DOI: 10.1021/es200506b

(1) Carbon nanotubes introduced into the abdominal cavity of mice show asbestos-like pathogenicity in a pilot study, Donaldson et al, 20. Mai 2008, "Nature Nanotechnology"

(2) A review of carbon nanotube toxicity and assessment of potential occupational and environmental health risks, Crit Rev Toxicol. 2006 Mar;36(3):189-217,