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Kinderarbeit

Neues Deutschland, 14. Oktober 2004

Kinderarbeit in Indien

Interview Philipp Mimkes, Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V.

In Indien lassen große Firmen wie Bayer, Monsanto und Unilever Baumwoll-Saatgut von Saatgut-Bauern herstellen - und die lassen zehntausende Kinder schuften: Schon Sieben- bis Achtjährige müssen über zehn Stunden auf die Felder, die wenigsten gehen zur Schule. Sehr viele Kinder werden in Schuldknechtschaft gehalten, viele erkranken oder sterben, weil giftige Pestizide eingesetzt werden. Nach einer Untersuchung vor einem Jahr hatte auch die Bayer AG versprochen, ihre Tochterfirma "Pro Agro Seeds" auf die Einhaltung des Kinderschutzes bei den Zulieferern zu verpflichten.

ND: Wie ist die Situation heute?

Mimkes:
Die Situation hat sich minimal verbessert. Nachdem wir vor einem Jahr festgestellt haben, dass mindestens 2000 Kinder für Bauern arbeiten, die an die Bayer-Tochter Pro Agro liefern, gehen wir jetzt davon aus, dass es noch mindestens 1500 Kinder unter 15 Jahren sind. Und nach wie vor arbeiten alleine in dem Bundesstaat Andhra Pradesh rund 50.000 Kinder für die großen Multis.

ND: Tun sie das freiwillig?

Mimkes:
Nein, die Eltern erhalten meist einen Kredit, den die Kinder anschließend, oft jahrelang, abarbeiten müssen. Das ist die klassische Schuldknechtschaft, es geht dabei um Beträge von etwa 50 Euro.

ND: Bayer streitet die Kinderarbeit ab

Mimkes:
Niemand behauptet, dass die Kinder direkt bei Bayer arbeiten oder bei Pro Agro. Aber Pro Agro weiß, dass die Auftragsproduzenten, die Bauern, Kinder beschäftigen. Dazu sind sie nämlich schon wegen der geringen Preise gezwungen, die für das Saatgut bezahlt werden. Würde Bayer faire Preise zahlen, könnten die Kinder zur Schule gehen und stattdessen Erwachsene arbeiten. Trotz einiger begrüßenswerter Aktivitäten auch von Pro Agro ist wenig passiert: Firmen wie Bayer kontrollieren das Saatgut und seine Herstellung lückenlos, beispielsweise die Düngung, das Ausbringen von Pestiziden und die Bewässerung. Sie kontrollieren aber nicht die Einhaltung des Verbotes der Kinderarbeit, selbst wenn wir neuerdings von Fällen wissen, in denen in den Lieferverträgen ein Verbot der Kinderarbeit enthalten ist.

ND:
Ist Kinderarbeit in Indien nicht verboten?

Mimkes:
Doch, aber angesichts der Armut der Menschen ist dieses Verbot oft schwer durchzusetzen. Und natürlich ist Kinderarbeit in Indien schon lange ein Thema: Solange damit Geld verdient werden kann, wird es auch eines bleiben.

ND:
Bayer hat in einer Pressemitteilung genau den Wissenschaftler als Zeugen für Verbesserungen herangezogen, den sie für die weiter kritische Lage zitieren. Wie kommt das?

Mimkes:
Manchmal agiert Bayer einfach ungeschickt: Dr. Davaluri hat in seiner neuesten Untersuchung geringfügige Verbesserungen, vor allem ein geringes Sinken der Betroffenenzahlen festgestellt. Daraus nun zu konstruieren, er halte das Verhalten von Pro Agro und Bayer und anderer für richtig, ist eine Verdrehung. Vielmehr hat Dr. Davaluri in mehreren Zeitungsartikeln auch in jüngster Zeit darauf hingewiesen, dass das Problem nach wie vor groß ist. Bayer nennt die positiven Ergebnisse, verschweigt aber die negativen...

ND: ...weil Kinder auf den Feldern sogar sterben?

Mimkes:
In den örtlichen Krankenhäusern sind die Sympthome von Pestizidvergiftungen - an deren Verkauf die Multis übrigens nochmals verdienen und die teilweise in Europa längst verboten sind - hinlänglich bekannt. In leider nicht so seltenen Extremfällen sterben die Kinder daran, regelmässig aber erleiden sie schwere Gesundheitsschäden.

ND: Was können Verbraucher tun, um Kinderarbeit nicht mit dem Kauf von T-Shirts zu unterstützen?

Mimkes:
Es gibt Gütesiegel, die neben der Schadstoff- und Pestizidfreiheit auch soziale Kriterien berücksichtigen: Die Labels "Naturtextil" und "ecoproof" sind solche Prüfsiegel, damit ausgezeichnete Produkte sind kaum teurer als der Standard.

Das Gespräch mit Philipp Mimkes von der "Coordination gegen Bayer-Gefahren" führte Jochen Bülow