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In Sachen „Agent Orange“

Klage gegen BAYER-Tochter MONSANTO

Ende Januar 2021 begann in Frankreich der Prozess gegen die BAYER-Tochter MONSANTO und dreizehn andere Firmen, die während des Vietnam-Krieges das Pestizid Agent Orange an die US-Armee geliefert hatten. Die Klägerin Tran To Nga verlangt von den Konzernen Schadensersatz für die gesundheitlichen Schäden, die sie durch den Einsatz des Mittels als Chemie-Waffe erlitten hat.

Von Jan Pehrke

„Sie versprühten so viel Agent Orange, dass man am Ende ganz nass war“, erinnert sich Tran To Nga an den Tag im Dezember 1966, an dem sie zum ersten Mal mit dem Herbizid in Berührung kam. Transportmaschinen des Typs Fairchild C-123 hatten sich im Tiefflug genähert und ein weißes Pulver herabrieseln lassen. „Das Puder verwandelte sich in eine klebrige Flüssigkeit, die meinen Körper umschloss. Ich musste husten und hatte das Gefühl zu ersticken“, so die 78-Jährige. Noch zwei weitere Male sollte sie im Verlauf des Vietnam-Krieges zu den Opfern solcher Einsätze zählen. Die Folgen spürt die Frau bis heute. Sie leidet unter der Blutkrankheit Alpha-Thalassämie, unter Chlorakne und einer Herzfehlbildung, die sie ihrer ersten Tochter weitervererbte. Schon nach 17 Monaten starb das Kind daran. Auch die anderen beiden Töchter Trans sind gezeichnet. Bei einer von ihnen diagnostizierten die ÄrztInnen wie bei ihrer Mutter Alpha-Thalassämie, bei der anderen Asthma.

Eine Entschädigung dafür hat Tran To Nga, die heute in Frankreich lebt, bisher so wenig erhalten wie die anderen vietnamesischen Geschädigten. Darum entschloss sie sich im Jahr 2014 zu einem Prozess gegen die Produzenten des Herbizids. Ursprünglich richtete sich die Klage gegen 26 Firmen, übrig blieben schließlich 14, darunter die jetzige BAYER-Tochter MONSANTO (zur Rolle BAYERs im Vietnam-Krieg siehe S. 26 ff.). „Ich kämpfe nicht für mich selbst, sondern für meine Kinder und die Millionen von Opfern“, sagt Tran über ihre Motivation. Um das zu ermöglichen, hat sie eine Vergleichslösung bereits abgelehnt. Die Frau will einen Präzedenz-Fall schaffen und strebt deshalb eine eindeutige Verurteilung der Konzerne an.

Die AnwältInnen der Unternehmen setzten derweil auf eine biologische Lösung und spielten von Beginn an auf Zeit. Aber Ende Januar 2021 wurde dann nach sechs Jahren doch der erste Gerichtstermin anberaumt. Die WinkeladvokatInnen plädierten bei der Anhörung in Evry nahe Paris erwartungsgemäß auf „nicht schuldig“. Agent Orange sei „unter der alleinigen Verantwortung der amerikanischen Regierung für rein militärische Zwecke hergestellt worden“, erklärte der Leverkusener Multi laut FAZ, es sei die US-Administration gewesen, die „bestimmte, wann, wo und wie das Mittel vor sechs Jahrzehnten verwendet wurde“. Schon die Zuständigkeit des Gerichts zog BAYERs Rechtsvertreter Jean-Daniel Bretzner in Zweifel. Er bestritt diesem das Recht, über die Verteidigungspolitik eines souveränen ausländischen Staates in Kriegszeiten zu richten. „Das widerspricht grundsätzlich dem positiven Recht“, so Bretzner. „Sie können sagen, was sie wollen: Geben denn Kriminelle immer zu, dass sie Kriminelle sind“, sagt Tran To Nga zu solchen Einlassungen.

Und die Beweise für die aktive Rolle, die MONSANTO im „Herbicidal warfare“ spielte, liegen dann auch auf dem Tisch. Bereits seit 1950 befand sich das Unternehmen im regen Austausch mit der Chemiewaffen-Abteilung des Militärs über die Kriegsverwendungsfähigkeit des Wirkstoffs 2,4,5-T. Die entsprechende Akte ist 597 Seiten stark und zu großen Teilen immer noch als „geheim“ deklariert. Überdies wusste das Unternehmen schon früh um die Gefährlichkeit des Stoffes. Aber bei einem Treffen mit weiteren Herstellern des Produkts zur Erörterung der Gesundheitsgefahren übte MONSANTO Druck auf die VertreterInnen anderer Firmen aus, der Regierung der Vereinigten Staaten diese Risiken zu verheimlichen. „Ein kausaler Zusammenhang zwischen Agent Orange und chronischen Krankheiten beim Menschen konnte nicht nachgewiesen werden“, behauptete die Aktiengesellschaft stets in der Öffentlichkeit.

Nicht weniger als 46 Millionen Liter Agent Orange und dazu noch einmal 34 Millionen Liter anderer Pestizide gingen im Zuge der „Operation Hades“, die später unter dem Namen „Operation Ranch Hand“ firmierte, auf den südostasiatischen Staat nieder. Die Nachfrage des „U. S. Chemical Corps“ war so groß, dass die Firmen mit der Produktion gar nicht mehr nachkamen und bei der Fertigung Fehler machten. Sie verunreinigten das 2,4,5-T mit Dioxin. 400 Kilogramm dieser Verbindung gelangte auf diese Weise nach Vietnam. Zum Vergleich: Nach einer von Marie-Monique Robin in ihrem Buch „Mit Gift und Genen“ zitierten Studie reichen 80 Gramm der Substanz im Trinkwasser-Netz einer Stadt aus, um acht Millionen EinwohnerInnen zu töten. Durch diese Extra-Ladung Dioxin potenzierte sich die fatale Wirkung des Agent Orange noch, die ohnehin schon immens war. Die Konzentration der Inhaltsstoffe überstieg nämlich diejenige, die sich in dem für „zivile“ Zwecke genutzten Agent Orange findet, um das 50-Fache.
Die US-Armee nutzte den Stoff als Entlaubungsmittel, um die sich im Dschungel verborgen haltenden Vietcong besser vor die Zielfernrohre zu bekommen. Überdies diente er dem Kriegsziel, die Ernten des Gegners zu vernichten und so eine Nahrungsmittel-Krise auszulösen. Eine Fläche von 3,3 Millionen Hektar geriet ins Visier der Sprüh-Flugzeuge, was einem Viertel des Staates entspricht. Über 3.000 Dörfer flogen die PilotInnen an.

Mehr als 4,8 Millionen VietnamesInnen waren so den zu Chemiewaffen umgerüsteten Pestiziden ausgesetzt. Drei Millionen von ihnen leiden noch heute darunter. Krankheiten wie Leukämie, Lungen-, Brust- und Leberkrebs, Diabetes, Tuberkulose und chronische Kopfschmerzen lösten die Mittel aus. Über 100.000 Kinder kamen mit Fehlbildungen auf die Welt.

Auch viele GIs erlitten durch Agent Orange Gesundheitsstörungen und führten so MONSANTOs patriotischer Beteuerung, der Einsatz des Mittels sei erfolgt, „um das Leben der US-Soldaten und ihrer Verbündeter zu schützen und zu retten“, ad absurdum. Die Armee-Angehörigen zogen vor Gericht, um die Konzerne zur Rechenschaft zu ziehen. 180 Millionen Dollar musste MONSANTO ihnen 1984 gemeinsam mit anderen Chemie-Riesen im Rahmen eines Vergleichs zahlen und fast die Hälfte der Summe selbst aufbringen, da sein Agent Orange den höchsten Dioxingehalt aufwies.

VietnamesInnen haben dagegen überhaupt noch kein Geld von den Produzenten der Pestizide erhalten. Eine entsprechende Klage wies der Oberste Gerichtshof der USA im Jahr 2009 ab. „Der Krieg bleibt bis hin zum Umgang mit den Opfern asymmetrisch“, konstatiert die französische Zeitung Libération.
Das zeigte sich auch beim Prozess von Tran To Nga. Mit 30 hochbezahlten AnwältInnen in Diensten von BAYER & Co. müssen es ihre drei AnwältInnen, die ehrenamtlich arbeiten, aufnehmen. Aber die Frau wusste, worauf sie sich einlässt: „Kein Kampf ist leicht und schon gar nicht ein Kampf gegen so mächtige Kriminelle, die niemals bereit sind, ihre Verbrechen und ihre Missetaten anzuerkennen.“ Und dabei sieht die Geschädigte sogar noch über den Fall „Agent Orange“ hinaus. „[W]-ir wollen mit unserem Kampf in bescheidener Weise auch zu dem Kampf unseren Beitrag leisten, den viele Bürger auf der ganzen Welt heute gegen MONSANTO und die anderen Chemiefirmen führen, denn diese sind auch heute wieder für oft schwere Krankheiten verantwortlich, die auch schon viele Todesopfer gefordert haben, und die ausgelöst werden durch neue Pestizide, von denen Agent Orange ein Vorfahr war“, bekennt Tran To Nga. Zahlreiche Organisationen haben inzwischen den Unterstützungsaufruf für Tran To Nga unterzeichnet. Auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) zählt dazu. „Jetzt holt BAYER sowohl die eigene Vergangenheit als auch die MONSANTOs wieder ein. Der Konzern muss sich dem stellen und die Verantwortung dafür übernehmen“, forderte die Coordination in ihrer Presseerklärung zum Prozess-Auftakt. Das Urteil wird für den 10. Mai erwartet.