SWB 02/01

Hintergründe zum Prozess gegen
die südafrikanische Regierung:

Patente, Profite & Proteste

Jan Pehrke

"Am schockierensten ist, dass die Pharma-Konzerne die Welt beherrschen." (John le Carré)

Vier Fünftel aller medizinischen Leistungen kommt nur einem Fünftel der Menschheit zugute - dem Teil, der in den reichen Ländern lebt. Der Rest der Welt besitzt schlicht nicht die finanziellen Mittel zum Erwerb von dringend benötigten Arznei-Produkten. Aus diesem Grund sehen sich die Pharma-Riesen auch nicht veranlasst, Therapeutika gegen in den "Drittweltstaaten" häufig auftretenden Krankheiten wie Malaria oder das Schwarze Fieber zu entwickeln. Auf diese Problematik angesprochen, antwortete der BAYER-Pharmaforschungschef Wolfgang Hartwig: "Das ist eher ein gesellschaftspolitisches Problem. Wir können als einzelne Firma nicht die Welt retten. Wir müssen profitabel sein, damit wir auch in Zukunft unsere Mitarbeiter bezahlen können." Und als wären die "Entwicklungsländer" durch diese Verantwortungslosigkeit nicht schon genug gestraft, verlangen die Arznei-Konzerne dort für ihre Standard- Medikamente oft auch noch höhere Preise als in den reichen Staaten. So ist BAYERs Herz-Präparat ADALAT in Südafrika mit 85 Dollar 41 Dollar teurer als in der Bundesrepublik.

Da zudem die Auflagen von Währungsfonds und Weltbank zur Reduktion der Staatsausgaben die Schaffung eines effizienten Gesundheitssystem nicht zulassen, wählten Länder wie Indien, Brasilien oder Thailand einen anderen Weg. Sie bauten eine einheimische Pharma-Industrie auf, die mittels der Herstellung von Nachahmer-Präparaten die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten sicherstellt. Diese Generika-Produktion war bis zum 1994 geschlossenen TRIPS-Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums eine ganz legale Sache. Ab dann war sie allen der WTO angehörenden Ländern nach Ablauf einer Übergangszeit untersagt. Über die gravierenden Folgen des Abkommens für die "Dritte Welt" waren sich die Erfüllungsgehilfen der großen Konzerne in der EU-Kommission völlig im Klaren. In einer von Le Monde diplomatique zitierten Mitteilung vom 24.2.99 heißt es: "Die Entwicklungsländer werden gegen die Aufnahme substanzieller Verhandlungen über den rechtlichen Schutz geistigen Eigentums Widerstand leisten. Unter Umständen werden sie eine Diskussion über die Folgen des TRIPS-Abkommens für den Wettbewerb, für die Umwelt sowie für Gesundheit und Wohlstand fordern. Diesem Ansinnen ist im Interesse aller Parteien zu widerstehen."

Zu der betreffenden Diskussion ist es durch den politischen Mut Südafrikas nun doch gekommen. Das Land berief sich auf einen durch die Intervention Spaniens und Portugals ins TRIPS-Regelwerk aufgenommenen Paragrafen, wonach es im Falle eines medizinischen Notfalles gestattet ist, Generika selbst herzustellen oder einzuführen. Die Regierung wollte den AIDS-Kranken damit Zugang zu einer Kombina-
tionstherapie ermöglichen, wie sie etwa das indische Pharma-Unter-
nehmen CIPLA für 600 Dollar pro Patienten und Jahr anbietet, während "Big Pharma" (John le Carré) dafür 11.000 Dollar verlangt. Bei BAYER & Co. schrillten die Alarmglocken. Sie sahen ihre Preise und Märkte wegbrechen, engagierten die teuersten Rechtsanwälte Südafrikas und verklagten die Regierung.

Mit dem Entrüstungssturm, der daraufhin losbrach, hatten die Pillen-
Multis allerdings nicht gerechnet. Nicht nur in Südafrika, überall auf der Welt gab es Proteste. Am 5. März, dem "International Action Day", bündelte er sich. Zu diesem Tag hatte die AIDS-AktivistInnengruppe ACT UP auch zu einer Besetzung der BAYER-Niederlassung im US-amerikanischen Berkeley aufgerufen. "Stoppt die medizinische Apartheid", skandierten die 200 DemonstrantInnen auf dem Firmen-
Gelände und Maudelle M. Shirek, die Vize-Bürgermeisterin der Stadt, beendete ihre Kundgebungsrede mit dem flammenden Appell:
"Die profitwütigen Pharma-Konzerne müssen ihr Verhalten ändern und zwar schnell!" Einer entsprechenden Forderung der Hilfsorganisation ÄRZTE OHNE GRENZEN schlossen sich 250.000 Menschen mit ihrer Unterschrift an.

Durch die globale Gegenwehr drohte die Gerichtsverhandlung für "Big Pharma" zu einem PR-Desaster zu werden. Darüber hinaus erkannten die RichterInnen in Pretoria die TREATMENT ACTION CAMPAIGN (TAC) als Sachverständige an. Umgehend verlangte die Gruppe von BAYER & Co. Informationen über ihre Preis-Gestaltung, ebenso umgehend beantragten deren Anwälte eine viermonatige Prozess- Pause. So lange sollte es angeblich dauern, die nötigen Unterlagen beizubringen. Aber die Pillen-Dealer ließen sich dann doch lieber nicht in die Karten schauen. Ihre Rechtsvertreter stimmten einer außergericht-
lichen Einigung zu. Um ihre Lizenz zum Gelddrucken - das Patent-
Regime - nicht aufs Spiel zu setzen, erklärten die Unternehmen sich zu einer moderateren Preis-Politik bereit. Als diese Entscheidung verkündet wurde, jubelte das Publikum im Gerichtssaal und feierte das Ergebnis als Erfolg ihres Widerstands gegen das Pharma-Kartell. Und es bereitete den Top-Managern wirklich einige Kopfschmerzen. "Das Risiko für die Margen nimmt zu", so lautete das Fazit der Auseinan-
dersetzungen aus dem Munde des BAYER-Chefs Manfred Schneider auf der AktionärInnen-Versammlung am 27.4.01 in Köln. Darum geben die Konzerne auch nicht auf: Brasilien hat sich als nächstes Land vor Gericht dafür zu verantworten, dass es PatientInnen mit bezahlbaren AIDS-Präparaten versorgte.

Und mit der Ankündigung der Weltbank, einen milliarden-schweren Fonds zur Behandlung von AIDS, Malaria und Tuberkulose aufzulegen sowie der Bitte um finanzielle Unterstützung, die der von BAYER gegründete "Verband der Forschenden Arzneimittel-Hersteller" in derselbe Sache an die Bundesregierung richtete, zeichnet sich schon ab, dass nicht "Big Pharma", sondern die Allgemeinheit die Hauptlast des Gesundheitsprogramms tragen dürfte.

Zudem gingen die rigiden Patent-Bestimmungen unbeschadet aus der Auseinandersetzung hervor. So sehr die Öffentlichkeit dringenden Handlungsbedarf angezeigt sah, um die südafrikanischen AIDS-
PatientInnen mit Medikamenten zu versorgen, so sehr teilte sie die Argumentation von BAYER & Co., die für die Kranken so wichtige, aber kostspielige Pharma-Forschung amortisiere sich nur über die Patentschutz-Regelungen. Einer genaueren Überprüfung hält diese Begründung aber nicht stand. Zum einen sind in den Kosten zu einem nicht geringen Teil Werbe-Aufwändungen enthalten, zum anderen hält sich der Gebrauchswert der industriellen Pharma-Entdeckungen in Grenzen. Nach einer Untersuchung des "Massachusetts Institute of Technology" (MIT) kamen 11 der 14 viel versprechensten Arzneien der letzten 25 Jahre aus staatlichen Labors und nicht aus denen der Konzerne. Unter den 223 Medikamenten, die diese in letzter Zeit auf den Markt warfen, fand die medizinische Fachzeitschrift Prescrire nur neun wirklich neue. Bei dem Rest haben die Hersteller einfach nur die Rezeptur geringfügig verändert oder eine andere Darreichungs- oder Dosierungsform entwickelt. BAYER beherrscht dieses "Aus alt mach neu"-Spiel meisterhaft. So ergatterte der Leverkusener Chemie-Multi für sein Antibiotikum CIPROBAY eine Patent-Verlängerung, weil er die erforderliche Dosis von zwei Pillen auf nur noch eine CIPROBAY pro Tag herabsetzte. Solche Tricksereien machen deutlich, dass die Regularien zum "Schutz des geistigen Eigentums" wirklich innovative Forschungen eher behindern als fördern.

Die zunehmende "Patentomanie" hat rein ökonomische Gründe. Die Unternehmen der postindustrielle Wissensgesellschaft entdeckten den kostbaren Rohstoff "Information". Die Patent-Bestimmungen wurden immer mehr ausgeweitet; als schützenswert galten bald nicht mehr nur Erfindungen, sondern auch Entdeckungen. Deshalb stieg bei "Weltorganisation für geistiges Eigentum" die Zahl der Patent- Anmeldung von einigen tausend anno 1987 auf 50.000 im Jahr 1997. Gleichzeitig taten BAYER & Co. alles, um den Zugang zum Wissen exklusiv zu halten, wie das TRIPS-Abkommen von 1994 zeigt.

Alles, was nicht niet- und nagelfest war, geriet unter die Fittiche der Pharma-Multis - Pflanzen, Heilkräuter, Bäume, Meerestiere - , wenn es nur eine Aussicht auf Verwertbarkeit gab. Besonders ertragreich verlie-
fen ihre Raubzüge in den Ländern, denen sie jetzt eine angemessene Arznei-Versorgung vorenthalten wollten. Und natürlich zahlten sie für ihr Beutegut entweder gar nichts oder nur einen Bruchteil der erwarteten Gewinne. Nicht einmal das menschliche und tierische Erbgut ist vor ihnen sicher. Eine besonders perfiden Antrag reichte BAYER schon 1991 beim Münchner Patentamt ein. Der Konzern ließ sich eine gen-
manipulierte Maus als Studienobjekt für die Alzheimer-Krankheit rechtlich schützen. So gerät ein immer größerer Teil der Artenvielfalt, des kulturellen Erbes der Menschheit und des Gemeinguts zu Erwerbs-
zwecken in private Hände.

Und was bringt die außergerichtliche Einigung den südafrikanischen AIDS-PatientInnen? Sicherlich werden sie leichter an dringend benötigte Medikamente kommen. Aber die eigentliche Ursache der Krankheits-
verbreitung bleibt unangetastet. "Unser Problem ist in erster Linie die Armut mit all ihren Begleiterscheinungen wie Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen, Schmuggel, zu frühe sexuelle Beziehungen etc.", zitiert Le Monde diplomatique Bongiwe Mhlauli, Leiterin eines Netzwerks zur Basisgesundheitsversorge im südafrikanischen Mount Frere. Und dass dieses Problem fortdauert, dafür sorgt die bestehende Weltwirtschafts-
ordnung mit BAYER und all ihren anderen Protagonisten.