SWB 03/97

Gift-Regen in Dormagen

"Referenzanlage" für Taiwan explodiert

BAYER-Werk Dormagen, Montag, 30. Juni, 21 Uhr: Ein unter Druck stehendes Rohr platzt, minutenlang spritzt eine Fontäne mit heißer Flüssigkeit heraus und geht in einem Umkreis von 100 Metern zu Boden. Eine harzige Kruste überzieht die Anlage, eine öffentliche Straße und einen Parkplatz. Auch zwei Mitarbeiter und ein vorbeifahrender Zug der Bundesbahn werden getroffen, nur der späten Stunde ist es zu verdanken, daß weitere Mitarbeiter des drittgrößten BAYER-Werks nicht zu Schaden kommen.

Von Philipp Mimkes

An dem lecken Rohr entsteht Feuer, giftige Wolken steigen auf. Erst nachdem die Werksfeuerwehr den Brand gelöscht hat, kann das Loch geschlossen werden, über 12 Tonnen krebserregendes Toluylendiamin (TDA) sind mittlerweile ausgetreten. Spezialtrupps reinigen die Umgebung so gut es geht, unter anderem müssen 160 Autos "dekontaminiert" und größtenteils neu lackiert werden, so ätzend ist das ausgetretene Gift. Der direkte Schaden beträgt mehrere hunderttausend Mark, außerdem kommt es zu Produktionsausfällen. Der S-Bahn Zug wird von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und auf Rückstände untersucht. Die Kriminalpolizei ermittelt zusammen mit Umweltämtern, ob der Störfall strafrechtliche Folgen haben könnte, der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) stellt Strafanzeige wegen Boden- und Luftverunreinigung.

Sofort nach dem Unfall beginnen die propagandistischen Aufräum-
arbeiten: die Werksleitung behauptet reflexartig, es bestünde keinerlei Gefahr für AnwohnerInnen und Umwelt. Im juristischen Sinn läge auch gar kein Störfall vor, sondern lediglich ein "Produktaustritt". Doch in Wirklichkeit bleiben die Folgen für die Umgebung unklar. Niemand kann sagen, welche Brandgase entstanden (Kohlenmonoxid und Stickoxide sind wahrscheinlich) und wohin die Gase getrieben sind. Ebenfalls ungeklärt bleibt, ob weitere Stoffe aus der Anlage ausgetreten sind. Die beiden betroffenen Mitarbeiter und die Feuerwehrleute zeigen zwar keine unmittelbaren Symptome, aber Folgen des Kontakts mit dem stark gesundheitsschädigenden TDA können auch nach Jahren noch auftreten.

Toluylendiamin wird in Dormagen zur Herstellung von Polyurethan- Schaumstoffen (PUR) verwendet. Der Massenkunststoff PUR steht seit Jahren im Kreuzfeuer der Kritik, da für seine Herstellung hochgiftige Stoffe wie Phosgen (Kampfgas im 1. Weltkrieg) und TDA verwendet werden. Regelmäßig heulen im Werk Dormagen die Sirenen wegen Phosgenalarm - nicht auszudenken wären die Folgen, wenn die Explosion auch die benachbarte Phosgenleitung beschädigt hätte.

Gerne sprechen die Chemie-Verbände von dem Bekenntnis der Konzerne zu "Responsible Care", also dem verantwortungsvollen und sicheren Umgang mit Chemikalien und Anlagen. Wie nach jedem Unfall stellt sich aber die Frage, wann die Chemie-Multis endlich in eine wirklich vorsorgende Sicherheit investieren. Dies würde zunächst bedeuten, daß die gefährlichsten Produkte vom Markt genommen werden und risikoreiche Herstellungsverfahren auf Alternativen hin untersucht werden. Auch für die PUR-Produktion gibt es zum Beispiel einen risikoarmen Weg, der zwar seit langem bekannt ist, aber nicht zur Serienreife entwickelt wird.

Zum anderen müssen endlich die alten Forderungen erfüllt werden, risikoreiche Betriebe nicht in der Nähe von Wohngebieten zu betreiben und alle Anlagen mit einer doppelten Hülle zu sichern. Denn obwohl Leckagen in druckführenden Rohren zu den häufigsten Ursachen von Störfällen gehören, hat BAYER bis heute keine Vorkehrungen getroffen, diesen Unfällen vorzubeugen - eine Ummantelung von Anlagen und Leitungen bleibt die Ausnahme. Viele der heute betriebenen Anlagen sind 25 Jahre und älter, was die Gefahren in Zukunft noch erhöhen wird. Gefordert sind also statt gnadenloser Erhöhung des Shareholder Value verstärkte Investitionen in die Arbeitssicherheit und in den Umweltschutz. Hierfür ist unbedingt auch wieder eine höhere Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nötig.

Trotzdem sinken die Investitionen für Umweltschutzanlagen seit vielen Jahren drastisch. Ironie der Geschichte: nur wenige Stunden vor dem Unfall legte BAYER seinen neuesten "Umweltbericht" vor. Vorstandsmitglied Udo Oels räumte ein, daß der Konzern trotz Rekordumsatz weniger in diesen Bereich investiere, da das öffentliche Interesse an Umweltschutz gesunken sei. Seit 1990 habe das Unternehmen seine Investitionen auf dem Sektor etwa halbiert, was aber nicht zu Lasten von Umwelt und Sicherheit gehe...

Ein neues Licht wirft der Unfall auch auf die umstrittene BAYER- Investition in Taiwan wo ebenfalls eine PUR-Fabrikation geplant ist (siehe auch Bericht in diesem Heft). Wie berichtet hatte BAYER für die dortige Genehmigung ausgerechnet die Produktion in Dormagen als Referenzanlage angegeben und Videos von dieser "Musteranlage" verteilt. Auf Bedenken von taiwanesischen UmweltschützerInnen hatten die Verantwortlichen geantwortet, BAYER baue die sichersten Anlagen der Welt und es habe bei BAYER noch nie (!) einen Störfall gegeben. Daher ist es nicht verwunderlich, daß die Nachricht vom Dormagener Unfall in Taiwan buchstäblich wie eine Bombe einschlug und alle Medien über diesen Vorfall berichteten. Eine weitere Verzögerung des Baus, der schon vor 12 Monaten beginnen sollte, scheint unumgänglich, sogar ein Stop der Planungen ist möglich.