SWB 03/97

Gewinnsteigerung durch Kinderarbeit?

Indonesische Initiative erhebt Vorwürfe gegen BAYER

Südostasien lockt die Multis mit starkem Wachstum und hohen Gewinnen. Expandierende Märkte und niedrige Steuern steigern die Einnahmen, lasche Umweltstandards und fehlende Gewerkschaften halten die Kosten niedrig. Die Leidtragenden des Booms sind Fabrik-
arbeiterInnen (häufig Kinder und junge Frauen), die für niedrigste Löhne an gefährlichen Arbeitsplätzen schuften; immer wieder kommt es zu tödlichen Unfällen und schweren Gesundheitsschäden. Doch ob in China, Thailand oder Indonesien, überall mischt auch der BAYER- Konzern mit - trotz repressiver Regierungen und fehlender Demokratie. Und um ein reibungsloses Wirtschaften zu befördern, werden selbst Diktatoren hofiert. Die Kinderschutzorganisation KOMPAK klagt BAYER nun an, in seiner indonesischen Pestizidproduktion mangelhafte Sicherheitsmaßstäbe anzulegen und in der Vergangenheit sogar Kinder beschäftigt zu haben.

Von Philipp Mimkes

4. April 1995: Fünf Hubschrauber schweben in Leverkusen ein, der indonesische Staatspräsident Suharto besucht das BAYER-Haupt-
quartier und wird vom Vorstand empfangen. Suharto, dessen Familienclan alle politischen Instanzen und die Ökonomie des riesigen Landes kontrolliert, ist seit langem mit den BAYER-Führungskräften persönlich bekannt und soll auch bei der indonesischen BAYER-Tochter beteiligt sein. Die von amnesty international in Indonesien dokumen-
tierten Menschenrechtsverletzungen (Folter, Hinrichtungen, "Verschwin-
denlassen" von Gefangenen, gerichtliche Schnellverfahren) sind kein Hindernis für den Schulterschluß zwischen BAYER und Suharto - der Kontakt zahlt sich schließlich für beide Seiten aus. Anschaulich dokumentiert das Treffen das gute Einvernehmen der Konzernlenker mit Diktatoren in aller Welt.

Zur selben Zeit wendet sich die indonesische Kinderschutzorganisation KOMPAK hilfesuchend an deutsche Initiativen. KOMPAK meldet aus Zulieferbetrieben von BAYER Verstöße selbst gegen die laschen indonesischen Sicherheitsbestimmungen. Auch Altersangaben von jugendlichen Arbeitern sollen gefälscht worden sein. Daraufhin haben sich Vertreter von KOMPAK in den Betrieben anwerben lassen, um die Verhältnisse vor Ort kennenzulernen, zusätzlich werden die betroffenen ArbeiterInnen außerhalb des Werks über ihre Arbeitsbedingungen befragt. Die Resultate wurden von Soziologen zu einer Studie zusam-
mengefaßt, die der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN vorliegt. Die wichtigsten Resultate hieraus:

BAYER ist seit 1957 in Indonesien, der jährliche Umsatz beträgt rund 350 Mio DM. Die Aktiengesellschaft PT BAYER INDONESIA gehört zu 60% der deutschen Mutter und zu 40% indonesischen Aktionären. Auf allen größeren indonesischen Inseln gibt es BAYER-Niederlassungen (etwa 25), einige davon beliefern ganz Südostasien und Afrika. Verschiedene Produkte stellt BAYER nicht selbst her, sondern läßt sie von Lizenznehmern produzieren. Auch diese Fabrikate tragen das BAYER-Markenzeichen, der Konzern ist daher verpflichtet, sowohl die Produkte als auch die Fabrikationsstätten regelmäßig zu kontrollieren. KOMPAK hat zwei dieser Subkontraktoren untersucht, die indonesi-
schen Firmen PT SINAR PLATACO in Bogor und PT GLOBINA KARYA in Cicadas. Sie stellen die BAYER-Insektizide BAYGON und AUTAN nach Originalrezeptur von BAYER her. Folgende Mißstände wurden dokumentiert:

- Aus der Fabrik PT SINAR PLATACO gibt es Berichte, daß die Arbeiter giftigen Dämpfen ausgesetzt sind und Hitze, Lärm und Luftfeuchtigkeit unerträglich seien. In allen Produktionsbereichen klagen die Arbeiter über Gesundheitsbeeinträchtigungen (Husten, Kopfschmerzen [95% aller Arbeiter], Augenschmerzen [30%], Asthma, Lungenprobleme, Hautprobleme [66%]). Bei einer Befragung gaben 90% der Arbeiter an, daß die Arbeitssicherheit unzureichend sei.
- Die meisten Arbeiter erhalten keinerlei Sicherheitshinweise, auch nicht, wenn sie direkt mit Chemikalien in Kontakt kommen. Teilweise werden Masken ausgeteilt, diese sind aber nur aus Stoff und daher nicht in der Lage, giftige Dämpfe zu filtern.
- Vielen Arbeitern wird der Status als "permanent worker" vorenthalten. 50% der Arbeiter, die länger als ein Jahr angestellt sind, sind Tage-
löhner, d.h. sie können ohne Entschädigung täglich entlassen werden, haben keinen Anspruch auf Krankengeld, Schwangerschaftsfortzahlung, etc.
- In dem Werk PT SINAR PLATACO arbeiteten zum Zeitpunkt der Untersuchung offenbar 14- bis 16-jährige Arbeitskräfte, obwohl offiziell ein Mindestalter von 18 Jahren gilt.
- Bei der Anwerbung von Arbeitskräften werden die Altersangaben der neuen Arbeitskräfte nicht kontrolliert. Die Einzustellenden müssen nur angeben, sie seien volljährig; es scheint eine stillschweigende Übereinkunft zu geben, daß Kinderarbeit toleriert wird.
?Jugendliche Arbeiter werden in allen Bereichen eingesetzt, also auch in gefährlichen Abteilungen.
- Bei hoher Auftragslage werden Schichten von bis zu 16 Stunden verlangt.
- Die bei der Herstellung von BAYGON und AUTAN verwendeten Chemikalien Propoxur, Dichlorvos und Diethyltoluamid bewirken Hautveränderungen, Sehschwäche, Nervenschäden und Kopfschmerzen.
- Besonders gefährlich ist Dichlorvos (Gefahrenstufe Ib = hochgefährlich der Weltgesundheitsorganisation). Nach Packungsaufdruck ist Dichlorvos in BAYGON nicht mehr enthalten, chemische Analysen eines unabhängigen Instituts haben aber ergeben, daß BAYGON 4% Dichlorvos enthält. Entweder wurden Reste "verwertet" oder Dichlorvos wurde weiterverwendet und nur der Packungsaufdruck verändert.

Es stellt sich also die dringende Frage, inwieweit BAYER als Lizenzgeber seiner Pflicht nachkommt, Produkte und Produktionsstätten regelmäßig auf die geltenden Sicherheitsstandards hin zu kontrollieren. Kritische AktionärInnen brachten das Thema auf die diesjährige BAYER-Hauptversammlung im Frühjahr. Der Vorstandsvorsitzende Manfred Schneider stritt alle Vorwürfe kategorisch ab, insbesondere der Vorwurf der Kinderarbeit wurde scharf zurückgewiesen. Es scheint wahrscheinlich, daß dem Konzern die Untersuchungen von KOMPAK bekannt waren und daß schon im letzten Jahr auf die wichtigsten Anschuldigungen reagiert wurde. Besonders imageschädigend ist der Vorwurf der Kinderarbeit, offenbar hat BAYER bei seinem Lizenznehmer darauf gedrungen, die Jugendlichen zu versetzen oder zu entlassen. Auf welchem Stand sich die Sicherheitsbedingungen befinden, läßt sich momentan von Deutschland aus nicht ermessen.

Unabhängig von den konkreten Vorwürfen wird BAYER aufgefordert, nicht mehr in Ländern wie Indonesien und China zu investieren, in denen fundamentale Menschenrechte mit Füßen getreten werden und in denen keine freien Gewerkschaften existieren. Diese Geschäfte sind unter ethischen und moralischen Gesichtspunkten nicht vertretbar. Zumindest sollten Multis wie BAYER, die heute weltweit den größten Machtfaktor darstellen, in allen Ländern auf Demokratisierung und Einhaltung der Menschenrechte drängen. Dann würden sie eher der gesellschaftlichen Verantwortung, die sie in allen Ländern ihres Engagements tragen, gerecht werden!