SWB 03/97

Nervengift gegen Motten und Menschen

BAYER-Pyrethroide töten Insekten
und machen Menschen krank

Über 130 Tonnen pyrethroidhaltiger Insektizide werden Jahr für Jahr in heimischen Stuben ausgebracht. Die vermeintlich harmlosen Mittel werden zur "Ungeziefer-Bekämpfung" in Büros, Schlafzimmern und Flugzeugkabinen versprüht. Der Leverkusener BAYER-Konzern ist weltweit einer der führenden Produzenten von Pyrethroiden. BAYER- Vorstandschef Schneider erklärte, diese Mittel könnten "umweltverträg-
lich eingesetzt werden". Doch mittlerweile mehren sich die Stimmen, die ein totales Verbot von Pyrethroiden fordern. Denn diese Stoffe haben sich als hochtoxische Nervengifte entpuppt - lebensgefährlich nicht nur für Mücken und Motten, sondern auch für Menschen.

Von Volker Rekittke

Nachdem DDT gegen die massive Propaganda von BAYER (DDT rettet Leben, weil es Malaria übertragende Mücken tötet) verboten wurde, setzt der Konzern seit Mitte der achtziger Jahre massiv auf Pyrethroide. Das sind synthetische Nachbauten eines natürlichen Wirkstoffs, der aus der Blüte der Chrysantheme gewonnen wird. Schon in der Antike war die insektizide Wirksamkeit dieses Mittels bekannt. Allerdings sind die künstlich in Chemielabors hergestellten Nervengifte von einem anderen Kaliber als der pflanzliche Blütenextrakt, der unter Sonnenlicht rasch seine giftige Wirkung verliert. Das langlebige synthetische Nervengift Permethrin etwa zählt in den USA zu den 50 giftigsten Stoffen und gilt als krebserzeugend. Und während sich WissenschaftlerInnen in der Bundesrepublik noch über die Langzeitwirkungen des Gifts auf Organe und Nervensystem streiten, werden immer mehr Fälle von Pyrethroid-Geschädigten bekannt.

Gudrun Plank aus Worpswede klagt inzwischen gegen die Herstellerfirma eines Anti-Floh-Mittels sowie die Tierärzte, die ihr das Spray verkauft hatten. "Völlig ungefährlich" sei das Insektizid, wurde ihr gesagt. Und so versprühte Plank drei Liter des Giftes über mehrere Wochen nach Anweisung in ihrer Wohnung - so lange, bis alle Katzen-
flöhe tot waren. Nach nur vier Wochen traten die ersten Vergiftungser-
scheinungen bei der 55-jährigen Malerin auf. Ärzte bescheinigten ihr "Nerven- und Muskelschäden, Gleichgewichtsstörungen sowie erhebliche Leistungsveränderungen durch toxische Stoffe". Ihr Anwalt ist optimistisch, daß seine Mandantin vor Gericht Erfolg hat: "Obwohl das Bundesgesundheitsamt schon Ende der achtziger Jahre vor Langzeit-
pyrethroiden in Innenräumen gewarnt hatte, haben hier weder Tierärzte noch Hersteller ausreichend über die Anwendung des Mittels und seine Folgen informiert." Im Gegenteil: Die Gebrauchshinweise seien geradezu "verharmlosend und irreführend".

Bereits seit einem Jahr ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft in einem Großverfahren gegen mehrere Unternehmen, darunter eine Sparkasse und die LUFTHANSA. Die Kabinen und Cockpits von Flugzeugen wurden bislang alle 100 Tage mit einem permethrinhaltigen Mittel ausgegast. Die Konzentrationen in der Wischprobe erreichen leicht 690 Milligramm pro Quadratmeter, eine geradezu atemberau-
bende Menge. Außerdem verlangen weltweit 36 Länder, darunter Australien, Indien und Argentinien, daß vor jeder Landung in der Kabine ein Insektizid versprüht wird. Seit die Frankfurter Ermittlungen im vergangenen Herbst bekannt wurden, haben sich bei der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation bereits mehr als 80 Stewardessen und Stewards gemeldet, die über die typischen Symptome einer Pyrethroidvergiftung klagen. Ein medizinischer Gutachter bestätigte den Ermittlern, daß die Erkrankungen auf eine chronische Erkrankung mit Pyrethroiden zurückzuführen seien.

Doch das alles ist möglicherweise nur die Spitze eines gigantischen Eisberges - oder korrekter: Giftberges. Jährlich werden die Insektenkiller tonnenweise in bundesdeutschen Haushalten und Betrieben versprüht. Bundesweit sind allein 180 Millionen Elektroverdunster von BAYER & Co in Betrieb, die kontinuierlich Pyrethroide an die Raumluft abgeben. In mehr als 50 Prozent aller Haushalte, so ergab eine repräsentative Studie, die der niedersächsische Sozialministers Wolf Weber (SPD) in Auftrag gegeben hatte, werden "Schädlingsbekämpfungsmittel" benutzt. In nur 2 von 379 Wohnungen fanden die beauftragten Chemiker keine Rückstände der allesamt frei verkäuflichen Gifte. An erster Stelle rangieren langlebige Pyrethroide. Die Studie spricht von einer "fast vollständigen" Verpestung der untersuchten Haushalte. Der Münchener Wissenschaftler Prof. Dr. Helmuth Müller-Mohnssen von der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) schätzt die Zahl derer, die an den Folgen von Mückensprays, Schabenvertilgern und anderen Giften leiden, auf mindestens 10.000. Als "toxikologischen Großversuch" geißelt er den Vertrieb jener Killerstoffe, die die chemische Industrie gerne als "sanfte Mittel" bezeichnet. Sein Kollege Dr. Armin Tippe zählt die Pyrethroide zu den "stärksten Nervengiften, die wir kennen".

Auch neue Erkenntnisse aus den USA alarmieren die Fachleute. Rund 30.000 amerikanische GolfkriegsveteranInnen klagen über ähnliche Beschwerden (vgl. SWB 2/97). Bei der Suche nach den Ursachen des sogenannten Golfkriegsyndroms ist WissenschaftlerInnen der Universität Texas in Dallas jetzt ein Durchbruch gelungen. Sie stießen auf einen tückischen Chemie-Cocktail: PB, ein Stoff, der die Soldaten vor Giftgasangriffen der Iraker schützen sollte, das Mückenmittel DEET (AUTAN) sowie Permethrin, mit dem die Uniformen der GIs imprägniert wurden. Der Chemie-Mix ist vermutlich Verursacher für die Gehirn-, Rückenmark- und Nervenschäden der SoldatInnen. Der hunderttausend-
fache "Menschenversuch" am Golf wirft nach Meinung von Olaf Hostrup von der Universität Oldenburg ein ganz neues Licht auf die Bewertung von Pyrethroiden. "Es gibt viele Insektizide, die mehrere Wirkstoffe enthalten. In diesen Kombi-Präparaten werden die Stoffe, die den Abbau der Pyrethroide hemmen oder verhindern, häufig gleich mitgeliefert."

Derweil boomt der Markt für das Teufelszeug: Allein für den häuslichen Gebrauch schätzte der Branchendienst Agrow Reports 1994 den weltweiten Umsatz von Pyrethroiden auf eine Milliarde US-Dollar. Auch BAYER, als einer der größten Hersteller des gefährlichen Wirkstoffs, verdient gut an Haushaltsgiften wie BAYGON, MUSCATOX, BLATTANEX oder MAFU. Das BAYER-Mottenschutzmittel EULAN wird zur Ausrüstung von "Polsterstoffen, Deko-Materialien" und "Bettwaren" eingesetzt, um sie gegen "Insektenfraß" zu schützen, wie der BAYER-Pressechef Heiner Springer in einem Brief an eine Kritische Aktionärin mitteilte.

Während pyrethroidhaltige Pestizide in der Landwirtschaft gewissen Kontrollen unterliegen, klafft für den Markt der chemischen Haushalts-
keulen eine rechtliche Lücke. Da die europäische Biozidrichtlinie weiter auf sich warten läßt, arbeitet das Bundesgesundheitsministerium auf Drängen von Grünen und SPD zur Zeit an einer Verordnung zum Schutz der VerbraucherInnen. Bereits 1994 hieß es, die Regelung sei "fertig". Mit ihr sollten Pyrethroide sogar vom Markt verschwinden (siehe auch SWB 3/94). Mittlerweile aber läuft Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) - zusammen mit BAYER und den anderen großen Pyrethroid- Herstellern - sogar gegen die ohnehin lasche Seehofer-Verordnung Sturm. Mit Erfolg: Nach einem Entwurf aus dem Gesundheitsministerium dürfen zwar Insektenkiller für den Hausgebrauch nur noch Wirkstoffe enthalten, die in einer sogenannten Positivliste empfohlen werden. Von einer geregelten Zulassung ist aber genausowenig die Rede wie von einem Verbot der Pyrethroide. Noch 1994 gingen Experten des Bundesintituts für Verbraucherschutz (ehemals: Bundesgesundheitsamt) übrigens davon aus, daß der damalige Entwurf die gesetzlichen Hürden in absehbarer Zeit nehmen würde, weil auch die Hersteller gut mit ihm leben könnten.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert als ersten Schritt die Aufnahme pyrethroidhaltiger Mittel in die Gefahrenstoffver-
ordnung mit ihren über 1.600 Substanzen, die gesetzliche Verpflichtung, Warnhinweise deutlich auf die Verpackung zu schreiben, ein Verbot der Anwendung in Kinder- und Schlafzimmern sowie mittelfristig die gänzliche Verbannung von Pyrethroiden und anderer Pestizide. Außerdem muß die Beweislast bei Pyrethroid-Vergiftungen endlich umgekehrt werden: Nicht die Opfer müssen glaubhaft machen, daß sie geschädigt wurden, sondern BAYER und andere Hersteller von pyrethroid-haltigen Insektenvernichtungsmitteln müssen beweisen, daß die Opfer nicht geschädigt wurden.

Menschliche Versuchskaninchen gesucht
(swb) Wer plant, umfangreichere Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen mit pyrethroidhaltigen Insektenvernichtungsmitteln bei sich zu Hause oder am Arbeitsplatz durchzuführen, kann sich jetzt beim Hygiene-Institut der Universität Düsseldorf melden. Dort werden nämlich dringend 100 Personen für eine Studie, die über einen Zeitraum von drei Jahren angelegt ist, gesucht. Die VersuchskandidatInnen werden vor, während und nach der Behandlung mit Insektiziden einem "Check-up" unterzogen. Auftraggeber der kruden Studie mit dem Titel "Pyrethroidexposition in Innenräumen: Bio-, Effekt- und Innenraum-Monitoring" ist übrigens das Bundesgesundheitsministerium. Das Seehofer-Haus geht zwar davon aus, daß Pyrethroide "bei sachgemäßer Anwendung" ungefährlich seien. Dennoch, so ist Presseberichten zu entnehmen, seien "letzte Zweifel" Anlaß genug gewesen, die Studie in Auftrag zu geben.

Pestizideinsatz erhöht das Krebsrisiko
(vr) Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft und im Haushalt erhöht vor allem bei Kindern das Krebsrisiko stärker als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt der belgische Krebsforscher Eric Pluygers in einem Bericht an den Deutschen Naturschutzring. Viele Pestizide seien schon in extrem niedrigen Dosen biologisch aktiv. Außerdem verstärke sich ihre krankmachende Wirkung durch andere Schadstoffe. Daher müßten die Grenzwerte für vermeintlich unschädliche Dosen in Frage gestellt werden. Anhand der belgischen Krebsstatistik hat Pluygers errechnet, daß mindestens 5,6 Prozent der untersuchten Krebsfälle auf Pestizide zurückzuführen seien.

Giftige "Flohschutzbänder"
BAYER ist einer der größten Hersteller von sog. Flohschutzbändern (Marke BOLFO), die das giftige Insektizid Propoxur enthalten. Obwohl auf der Packung steht, daß Nebenwirkungen und Gegenanzeigen "nicht bekannt" sind, gibt ein einschlägiges Toxikologiehandbuch eine tödliche Dosis mit 83 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht an. Ein BOLFO-Halsband enthält 1.175 Milligramm Propoxur. Kritische TiermedizinerInnen glauben, daß BOLFO bei den behandelten Hunden oder Katzen Irritationen und Störungen des zentralen und peripheren Nervensystems auslösen kann. Wenn Kinder mit dem Flohhalsband in Kontakt geraten - was über das Streicheln des geliebten Haustieres sicherlich häufig vorkommt - sind ähnliche Auswirkungen zu befürchten.