SWB 03/97

Eine Sache der Ehre

Eine BAYER-Angestellte wehrt sich gegen sexulle Belästigung. In der Folge bekommt sie die ganze Härte eines männlich geführten Konzerns zu spüren und verliert schließlich ihren Job.

M.R. (Name der Red. bekannt) (26) ist das, was mann (!) eine typische Karrierefrau nennt. Jung, "zielstrebig, eloquent und risikofreudig", wie ein ehemaliger Vorgesetzter schwärmerisch konstatiert. Der Peruanerin stand daher bei BAYER eine große Karriere bevor. Bis zu dem Tag im Juli 1994, als sie mit ihrem Vorgesetzten und einigen anderen KollegInnen auf eine Dienstreise nach Chicago flog. Dort, im noblen Westin-Hotel, sei, so M.R., ihr Vorgesetzter Peter V. ihr zu nahe getreten, um es einmal gelinde auszudrücken. "Bei uns in Peru nennen wir das einen Überfall", sagt M.R. einem großen deutschen Nachrichtenmagazin. Peter V. sei ihr eines nachts gegen 12 Uhr von der Bar aus gefolgt und habe seinen Arm um ihre Taille gelegt. M.R. wollte ihm entkommen, doch V. habe sie eingeholt, ihren Kopf zwischen seine Hände genommen und ihr einen Kuß auf den Mund gepreßt. Im Fahrstuhl habe V. sie mit Gewalt gegen die Kabinenwand gedrückt und nach ihrem Busen gegriffen. M.R.: "Ich habe versucht, seinem feuchten Mund auszuweichen." Im zehnten Stock habe V. sie aus dem Lift gezerrt und gestöhnt: "Komm schon. Ich werde Dir nicht weh tun." M.R. sei es schließlich gelungen, ihn fortzustoßen und mit dem Aufzug zu fliehen.

Zunächst wollte  M.R. den Gewaltakt gegen sie nicht an die große Glocke hängen. Doch als ihr Vorgesetzter begann, ihr beruflich das Wasser abzugraben und sie aufs Abstellgleis zu stellen, wendet sich die Bedrängte an die Spitze des Chemiemultis. Bei Vorstandsmitglied Walter Wenninger hofft sie auf Verständnis. Immerhin heißt es in einem Betriebsrats-Info, daß sexuelle Übergriffe bei Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhätnisses sowie bei Androhung beruflicher Nachteile besonders perfide sind. Nachdem Weninger anfangs "den Vorfall für sehr gravierend" hielt, wie M.R. notierte, heißt es heute in einer offiziellen BAYER-Erklärung: "Frau R. hat Behauptungen aufgestellt, die Herr V. bestritten hat. Es steht Aussage gegen Aussage."

Nun ist der berufliche Abstieg von M.R. nicht mehr aufzuhalten. Im Juli 1995 erhält die engagierte Contollerin eine Abmahnung, weil sie mitunter ein paar Minuten zu spät gekommen war. Ein Vorwand. In einem Dankesschreiben der Unternehmensleitung hieß es zuvor noch, M.R. habe "unter Verzicht auf Urlaub und Freizeit ... eine der größten Aquisitioen in der Geschichte des BAYER-Konzerns vorbereitet". "Wer sich sexuell nicht belästigen läßt, muß pünktlich sein", folgert M.R.- Anwalt Hans-Joachim Radisch, der beim Solinger Amtsgericht eine Rücknahme der Abmahnung erwirkt. Anfang 1996 verkauft BAYER die Marken NATREEN und DELIAL, mit denen Frau M.R. beruflich befaßt war und versucht auf diese Weise, die nunmehr lästige Frau gleich mit loszuwerden. M.R. klagt, gewinnt erneut und erreicht, daß BAYER sich verpflichtet, sie als "Produktions-Controllerin zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen". Doch M.R. erhält keine faire Chance mehr. Aus purer Schikane wird sie zur Ost-Niederlassung nach Bitterfeld versetzt. Sie lehnt ab und wird fristlos gekündigt. Wieder entscheidet das Solinger Amtsgericht zugunsten M.R.s. Die fristlose Kündigung sei nicht gerechtfertigt, heißt es in einem Urteil vom 17. Dezember 1996. Ob der Frau fristgemäß gekündigt werden durfte, muß juristisch noch geklärt werden. Das Düsseldorfer Landesarbeitsgericht entschied inzwischen, daß ein "ursächlicher Zusammenhang" zwischen Kündigung und der Tatsache, daß M.R. "nicht mit dem (inzwischen frühpensionierten) Kerl in die Kiste gestiegen ist", wie sie es ausdrückt, nicht nachgewiesen werden kann. Doch M.R. will nicht aufgeben: "Das ist eine Sache der Ehre", sagt sie. Ihr Anwalt hat den Fall bis vors Bundesarbeitsgericht gebracht. Ob hier jemals über M.R.s Erniedrigung bei BAYER verhandelt werden kann, wird derzeit noch geprüft. Es steht zu befürchten, daß BAYER - wie in anderen Fällen zuvor schon - alle Hebel in Bewegung setzen wird, eine höchstrichterliche Verurteilung zu verhindern.