SWB 03/97

Keine Entschädigung für "Hölle auf Erden"?

BAYER interveniert in Bonn

Der ehemalige KZ-Häftling David Fishel aus den USA klagt gegen seine einstigen Peiniger, darunter der BAYER-Konzern, auf Entschädigung für geleistete Zwangsarbeit. Der Leverkusener Chemie-Multi interveniert daraufhin in Bonn und erreicht dort tatsächlich, daß die Bundesregierung sich in den Fall einklinkt. Das Ziel: die Klage von Fishel niederzuschla-
gen. Ein ungeheuerlicher, aber nicht einmaliger Vorgang. Bereits 1995 hat BAYER in einem anderen Fall erreichen können, daß es nicht zum Prozeß gegen das Unternehmen kam.

Mehr als acht Millionen Menschen haben während des Zweiten Weltkriegs für die NS-Rüstungswirtschaft Sklavenarbeit geleistet - doch um eine Enschädigung drückt sich die Bundesregierung ebenso wie die Mehrzahl der großen Konzerne, die damals die Nutznießer waren. Der ehemalige Zwangsarbeiter Henry David Fishel klagt: "Wenn Du nicht so gearbeitet hast, wie die sich das vorstellten, dann schlugen sie Dich zusammen und schleppten Dich zur SS. Und dann wurde alles noch viel schlimmer. Die Hölle auf Erden war dieses Lager."

David Fishel war KZ-Häftling. Während des zweiten Weltkrieges mußte er für deutsche Firmen Zwangsarbeit leisten; zuletzt im Lager Langenstein-Zwieberge im Harz. Als die US-Armee im April 1945 das Lager befreite, lebten nur noch wenige der Menschen, die in den nahegelegenen Rüstungsbetrieben Sklavenarbeit leisten mußten. Hunderte dieser Zwangsarbeiter starben noch nach der Befreiung. An den Folgen der unmenschlichen Arbeit, der Unterernährung und der Mißhandlungen. David Fishel ist einer der wenigen, die dieses Lager überlebt haben. Für die jahrelange Zwangsarbeit hat der heutige US-Bürger bisher keinerlei Entschädigung bekommen. Fishel erinnert sich: "Ich war Arbeitssklave. Ich arbeitete für nichts und sie schulden mir den Lohn. Sie ließen Tausende und Abertausende für sich arbeiten. Und wenn jemand für sie arbeiten muß, dann müssen sie ihn auch bezahlen. Ich habe einen Anspruch darauf, denn sie wurden reich an meinem Blut."

Fishel ist im US-Bundesstaat Iowa vor Gericht gezogen. Beim Bundes-
gericht in der Stadt Des Moines klagt er für sich und eine Gruppe anderer ehemaliger Zwangsarbeiter des NS-Regimes auf Entschädi-
gung. Fishels Klage richtet sich gegen die Creme der deutschen Industrie, gegen BASF, HOECHST, BAYER, DAIMLER-BENZ und KRUPP, Unternehmen, die er für die Nutznießer seiner Zwangsarbeit hält. Beim NS-Chemie-Giganten IG FARBEN, aus dem nach dem Krieg BAYER, HOECHST und BASF hervorgingen, begannen die Leiden des polnischen Juden David Fishel, der mit 13 Jahren zur Zwangsarbeit nahe Auschwitz verschleppt wurde. Fishel erzählt mit brüchiger Stimme: "Manchmal mußten wir die Kohlesäcke, manchmal Zementsäcke entladen. Ich hatte damals ein Körpergewicht von vielleicht 75/80 Pfund und ich mußte 50-Kilo-Säcke schleppen. Sie waren größer als ich und wenn man etwas fallen ließ, wurde man geschlagen. Sie standen immer mit dem Knüppel da, um Dich zu schlagen."

1944 führte Fishels Leidensweg in den Harz. Hier mußten die Zwangsarbeiter Stollen in die Thekenberge treiben. NS-Rüstungsfa-
briken wie JUNKERS und MESSERSCHMIDT sollten so sicher vor Bombenangriffen der Alliierten weiterproduzieren. Tausende Zwangs-
arbeiter und KZ-Häftlinge starben bei der Arbeit im Stollen. Fishel: "Wir schliefen auf dem Boden, die Leute starben wie die Fliegen, und sie holten sie raus und steckten sie in Massengräber."

David Fishel hat mit seiner Klage die Konzerne aufgeschreckt. Gegen drohende Entschädigungszahlungen suchten sie Beistand bei der Bundesregierung in Bonn.

Seit September '96 gab es dort mehrere vertrauliche Treffen mit hochrangigen Beamten des Außenministeriums. Am 18. Dezember wurde Fishels Klage in noch größerer Runde besprochen. Am Tisch saßen nun Herren aus dem Bonner Finanzministerium, dem Außenmini-
sterium und dem Justizministerium. Sie berieten mit dem Vertreter der BAYER AG, was zu tun sei. Das Ergebnis: Grundsätzlich sei die Bundesregierung zu einem Versuch bereit, das Verfahren in den USA für die beklagten deutschen Unternehmen mit einem "amicus curiae- Brief" zu beeinflussen. Dabei handelt es sich nach Auskunft von Dietmar Baetge, Experte für Internationales Recht am Max-Planck-Institut, um "einen Schriftsatz, den ein Dritter, also jemand, der weder als Kläger noch als Beklagter an dem Prozeß beteiligt ist, dem Gericht einreicht, um seinen Standpunkt deutlich zu machen und damit Einfluß auf den Ausgang des Prozesses zu nehmen". Die Bundesregierung schlage sich, so Baetge, mit ihrem amicus curiae-Brief, auf die Seite der beklagten Unternehmen. Sie versuche zu erreichen, daß die Klage von Fishel abgewiesen wird. Denn falls die Klage von Fishel Erfolg habe, sei, so Baetge, damit zu rechnen, daß weitere Zwangsarbeiter Klagen auf Entschädigung gegen deutsche Unternehmen einreichten. Das versuche die Bundesregierung offensichtlich zu verhindern.

Tatsächlich zeigt ein ausdrücklich als vertraulich gekennzeichnetes Schreiben der BAYER AG, das an die übrigen beklagten Konzerne gerichtet ist, auf welcher Seite die Bundesregierung steht. Darin heißt es: "Das Auswärtige Amt versicherte, weiterhin bereit zu sein, die Unternehmen prozessual zu unterstützen." Unterzeichnet wurde das Schreiben von einem Herrn Tiemann aus der BAYER-Rechtsabteilung.

Angesichts derart massiver Einflußnahme verwundert es nicht, daß im Unterausschuß Wiedergutmachung des Bundestages eine gerechte Lösung für die Zwangsarbeiter bislang nicht durchzusetzen war. Wolfgang Lüder, von 1986 bis 1994 für die FDP im Bundestag: "Es war deprimierend, was sich dort abgespielt hat. Wir waren uns über alle Fraktionsgrenzen hinweg einig, daß wir einen Appell an die Wirtschaft durch die Bundesregierung brauchen, um Geld für die Opfer zur Verfügung zu stellen, die ja noch heute darunter leiden, was ihnen zugefügt wurde. Die Bundesregierung hat sich, was ich total enttäu-
schend finde und was ich auch nicht der historischen Verantwortung der Bundesregierung angemessen ansehe, nicht bereiterklärt, dem Wunsch aller Fraktionen zu entsprechen, die Wirtschaft wenigstens bittend anzusprechen, Geld zur Verfügung zu stellen."

Der Fall Princz
Weil er besonders hartnäckig war, erhielt der ehemalige Zwangsarbeiter Hugo Princz (USA) im Rahmen einer übergreifenden Lösung eine geringe Entschädigung. Wie berichtet, hat die Bundesrepublik Deutschland nach jahrelanger Auseinandersetzung den Fall an sich gezogen, nachdem sie zuvor, wie im Fall Fishel, versucht hat, BAYER und die anderen Konzerne aus dem Prozeßgeschehen auszugliedern. Der Bundeskanzler selbst soll sich für BAYER & Co stark gemacht haben. Helmut Kohl habe verlangt, daß die Klage nicht gegen die Konzerne sondern gegen den Staat Deutschland zu führen sei (vgl. SWB 2/95). Dies, obwohl das Washingtoner Appellationsgericht diese Möglichkeit ausdrücklich verworfen hatte. Der heute 74jährige Princz hatte vor amerikanischen Gerichten eine Millionenklage gegen deutsche Firmen angestrengt.

Die Klage gegen BAYER & Co wurde schließlich ganz fallen gelassen, nachdem die Bundesregierung sich bereit erklärte, für Princz sowie 10 andere US-Bürger einen Fonds von 3 Mio. Dollar zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Vertrag wurde am 19. September 1995 nach monatelangen Verhandlungen zwischen beiden Ländern unterzeichnet. Der Fonds gilt für Menschen, die zum Zeitpunkt ihrer NS-Verfolgung US-Staatsbürger waren und bisher keine Entschädigung erhalten haben. Die Bereitschaft der deutschen Regierung, Zahlungen für Princz zu leisten, hat offensichtlich den IG FARBEN-Nachfolgern den Prozeß erspart.

Der heute im Bundesstaat New Jersey lebende Princz war 1942 einige Wochen nach Kriegseintritt der USA zusammen mit seiner achtköpfigen amerikanisch-jüdischen Familie, die seit Jahrzehnten in der Slowakei lebte, verhaftet worden. Er leistete u. a. in Auschwitz Zwangsarbeit für die IG FARBEN und überlebte als einziger der Familie. Die Bundes-
regierung hat Princz zuerst eine einmalige Summe von 4.500 Dollar und eine monatliche Pension von 400 Dollar angeboten. Dies lehnte Princz als ungenügend ab. Nachdem sich US-Präsident Bill Clinton und der Kongreß vehement für Princz eingesetzt hatten, wurde von Bonn nach jahrzehntelanger Verschleppungstaktik eine übergreifende Lösung des Falles angestrebt.

Was die Höhe der Entschädigungsleistungen anbetrifft, verpflichteten die IG FARBEN-Nachfolger BASF, BAYER und HOECHST sowie der MESSERSCHMIDT-Nachfolger DAIMLER-BENZ den Kläger Hugo Princz zu Vertraulichkeit. Er hatte ursprünglich 200 Mio. Dollar verlangt.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN sowie die von ihr mit initiierte Kampagne "Nie wieder!" fordern, daß für Kompensations-
zahlungen neben der Bundesregierung auch die damals profitierenden Konzerne in die Pflicht genommen werden. Die von der Bundesregie-
rung zugesagten 3 Mio. DM müssen von den Konzernen um mindestens weitere 300 Mio. DM aufgestockt werden!

NIE WIEDER-Kampagne
(Reuters World Service) Deutsche Gruppen, die ehemalige Sklaven-
arbeiter ... des Chemiegiganten IG FARBEN vertreten, fordern Entschädigungszahlungen und eine endgültige Auflösung der Nachfolgefirma. "Die Mörderfirma IG FARBEN, deren Aktien mit dem Blut Zehntausender getränkt sind, muß sofort aufgelöst und die Opfer entschädigt werden", sagte Axel Koehler-Schnura, Sprecher der Kampagne "Nie Wieder", zu Journalisten in Bonn.

Die IG FARBEN waren der weltweit viertgrößte Konzern bis zum Ende des zweiten Weltkrieges und kauften bei den Nazis KZ-Gefangene zur Arbeit in Zwangsarbeiterlagern, das größte davon war Teil des KZ-Komplexes in Auschwitz.

Koehler-Schnura, dessen Gruppe Überlebende und Angehörige von Opfern des Nazi-Regimes vertritt, sagte, es sei skandalös, daß die IG FARBEN (in Liquidation), die das ZYKLON B für die Todescamps der Nazis produzierte, immer noch existiert. "Es ist ein Skandal, daß Aktionäre immer noch Dividende erhalten, während Überlebende leer ausgehen", sagte Koehler-Schnura. ...

Peter Gingold, Sprecher der Opfer des Nazi-Regimes, der selbst die meisten seiner Familienangehörigen in Konzentrationslagern verloren hat, sagte, die finanzielle Entschädigung sei nicht das Hauptziel: "Viele Überlebende im früheren Ost-Europa sind krank, alt und arm. Sie wollen nicht nur Geld, sondern vor allem die Anerkennung, daß sie Arbeitssklaven waren", sagte Gingold.

Übersetzung: Hubert Ostendorf