SWB 01/97

Kommentar zum Ausgang des
Holzgiftprozesses und zu den
Einschätzungen der Fachleute

Von Axel Köhler-Schnura

Ganze vier Seiten schenkten die Verantwortlichen der VerbraucherInnen- Initiative dem Ausgang des Holzgiftprozesses in ihrem Verbraucher- Telegramm. Dazu gehörten ein chronologischer Abriß des Verfahrens sowie je eine Entschuldigung der verantwortlichen Rechtsanwälte und eines Vorstandsmitglieds der Interessensgemeinschaft der Holzschutz-
mittelgeschädigten (IHG). Das war's, das bittere Ende eines über zehnjährigen Streites.

War's das wirklich? Die Analyse des Versagens braucht Raum. Wenn Verbraucher-Initiative und IHG (??) diesen - weshalb auch immer? - nicht haben, dann doch wenigstens die COORDINATION GEGEN BAYER- GEFAHREN (CBG). Immerhin, wenn auch nicht federführend, war die CBG ebenfalls in das "Jahrhundert-Verfahren" verwickelt. War es doch das BAYER-Kreuz, das auf den Holzgiften XYLAMON und XYLADECOR prangte und das für Viele, zu Viele, zum Kreuz des Siechtums und schließlich auch zum Grabkreuz wurde. An dem Hersteller der Gifte, BAYER-DESOWAG, war der Leverkusener Chemie-Konzern finanziell beteiligt. Als der Prozeß in die Schlagzeilen geriet, wurde die Holzgift-
firma an den Partner SOLVAY verscherbelt, ein taktisch kluger Schachzug.

Die Ergebnisse in der Übersicht: Die beiden Beschuldigten, Dr. Kurt Steinberg und Fritz Hagedorn von SOLVAY, zahlen je 100.000 Mark an die Staatskasse und tragen die Kosten der Nebenkläger. BAYER AG und SOLVAY AG stiften zusammen 4.000.000 Mark an das Land Hessen zur Einrichtung eines Stiftungslehrstuhls der Universität Giessen, der sich mit toxikologischen Fragestellungen beschäftigt. Diesem Lehrstuhl steht ein Beirat zur Seite bestehend aus einem Vertreter des hessischen Wissenschaftsministeriums, einem Vertreter des hessischen Umweltministeriums, einem Mitglied der Verbraucher Initiative und einem Mitglied des Verbandes der Chemischen Industrie (!). Die Opfer gehen politisch, moralisch, medizinisch und materiell komplett leer aus!

Das Ergebnis ist ein Skandal. Wenngleich auch einer, der kaum als solcher gewürdigt wurde. War es doch der Bundesgerichtshof (BGH), die höchste juristische Instanz unseres Landes, der die Weichen für dieses skandalös ungerechte Urteil gestellt hat, indem er die Urteile des Oberlandesgerichts (OLG) mit nicht nachvollziehbaren Begründungen aufhob. Angeblich sei ein Gutachter befangen gewesen, der sich für die Opfer in einem - so der BGH - übertriebenen Maß eingesetzt habe.

Bei BAYER muß man den Ausgang des Verfahrens wohl vorhergesehen haben. Bereits Monate vor dem Spruch des BGH sah BAYER-Chef Manfred Schneider trotz der damals noch im Raum stehenden vernichtenden OLG-Urteile auf der Hauptversammlung 1995 dem BGH-Spruch "mit Gelassenheit entgegen". Worauf seine "Gelassenheit" baute, blieb aufmerksamen Beobachtern nicht verborgen: Es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen den BGH-Richtern und den Konzernen BAYER, SOLVAY & Co. Sie geht so weit, daß die "Unparteiischen" auf Industrie-Tagungen gut dotiert u. a. über den Ablauf von Hauptversamm-
lungen, bei dem die KritikerInnen systematisch mundtod gemacht werden sollen, dozieren. Wes' Brot ich eß, des' Lied ich sing ...

Der im Strafprozeß gegen die Chemie-Manager leitende Staatsanwalt Schöndorf hat aus Verzweiflung sein Amt niedergelegt. Vor laufender Kamera fragte er öffentlich, "wo eigentlich die Macht im Staate liegt - in Bonn, oder in Leverkusen". Nicht die Justiz, sondern der BAYER- Konzern, habe in Frankfurt die Fäden gezogen und den Prozeß zum Schauprozeß degeneriert.

Schauprozeß? Ja, denn hier wurde der breiten Öffentlichkeit demonstriert, was Opfer chemischer Vergiftungen zu erwarten haben. Nicht Gerechtigkeit, nicht angemessene Entschädigung, nicht einmal Genugtuung! Sie werden höchstrichterlich in ihr individuelles Elend zurückgestoßen und jeglicher Möglichkeit kollektiver Gegenwehr beraubt.

Allerdings, und das muß ebenfalls festgestellt werden, haben dazu nicht nur die Richter und die Konzerne beigetragen. Die Opfer haben es mit sich auch machen lassen. Um falschen Interpretationen vorzubeugen: Die Hauptschuld trifft zweifellos BAYER, DESOWAG und das BGH. Aber auch die Opfer hätten offensiver auftreten können und müssen. Schon sehr früh hätte Ihren Vertretern klar werden müssen, daß es in diesem Prozeß um mehr ging, als um die bloße Verteidigung von Geschädigten. Daß es um die Auseinandersetzung zwischen den berechtigten Interessen Betroffener und den Profitinteressen von Konzernen ging; daß es um die Mobilisierung von Gegenmacht und Öffentlichkeit und die Einschränkung von Machtmißbrauch und Diskriminierung ging. Neben der juristischen und fachlichen Auseinandersetzung hätte die politische geführt werden müssen.

Bereit 1990 wurde offensichtlich, daß es den Prozeß garnicht geben sollte. Das Verfahren wurde am 17.07.90 abgewiesen. Das Frankfurter Landgericht wollte noch nicht einmal die Klage zulassen. Das war vor dem Hintergrund, daß der Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt bereits 2.135 Anzeigen vorlagen, mehr als skandalös. Erst nach einer Beschwerde hob das Oberlandesgericht Frankfurt den damaligen Beschluß auf und ließ das Verfahren zu.

Selbstverständlich suchten die Opfer im ganzen Land nach einer Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen, medizinischen und juristischen Rat zu bekommen und das tausendfache Leid zu teilen. Die IHG hat bis heute dazu beigetragen und wird hoffentlich noch lange dieser Aufgabe gerecht werden können. Sie hat sich jedoch zu ausschließlich an diesem Bedürfnis der Betroffenen ausgerichtet und die politische Auseinandersetzung um das Verfahren und die Chemikalien- Vergiftungen zu sehr vernachlässigt. So wurde bei den alljährlichen Treffen der Opfer fachkundig referiert, diskutiert und analysiert. Die besten Mediziner der Republik wurden geladen, der Chemiker und selbst Betroffene Gerd Schneider engagierte sich als Vorstandsmitglied. Auch fehlten nicht die Juristen, allen voraus Dieter Kublitz, Rechtsanwalt aus Köln, Vertreter der Nebenkläger und Vorstandsmitglied der Verbraucher-Initiative.

Doch es fehlte die politische Diskussion. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, erfahrener und international tätiger Organisator politischer Aktion seit großen Störfällen in BAYER-Werken im Jahr 1978, wurde z. B. nicht ein einziges Mal auf eine Jahrestagung eingeladen. Obwohl der Gegener BAYER hieß! Bis zum Ende konnte sich die IHG nicht dazu durchringen, die Gifte konsquent und durch-
gängig als "Holzgifte" zu denunzieren, sondern folgte dem Industrie- Duktus "Holzschutzmittel". Diskussion über politische Auseinander-
setzungen, über Aktionen, Strategien und Taktiken fanden - wenn überhaupt - nur im Vorstand und in kleinen Zirkeln statt. Im Ergebnis zumeist mit Ausgrenzung politischer Forderungen.

So wurde denn auch keine politische Front gegen die Vergifter von Holz und Mensch eröffnet, keine breite Solidarität mobilisiert, keine massenhafter Druck auf die Konzerne BAYER und SOLVAY organisiert - ja nicht einmal die angebotene Solidarität von z. B. der CBG wurde in vollem Umfang in Anspruch genommen. Die IHG verlegte sich konsequent auf die juristische Auseinandersetzung. Wobei sogar das Endergebnis verblüffend realistisch vorweggenommen wurde. In einem Interview mit STICHWORT BAYER im Jahr 1994 skizzierte Holzgift- Opfer-Rechtsanwalt Kublitz das Ziel des Frankfurter Verfahrens: Er träumte von einem Fonds für die Geschädigten, in den alle beteiligten Unternehmen einzahlen sollten. Offensichtlich ahnte er schon damals, daß es nicht zu einer Verurteilung kommen würde.

Nicht ohne Grund. Kublitz kannte sich mit Gerichtsverfahren gegen Chemieunternehmen aus. Und auch BAYER und der lange juristische Arm des Konzerns waren ihm bestens vertraut. Vertrat er doch 1989 bis 1992 die CBG und deren Vorstandsmitglied Axel Köhler-Schnura in Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln und dem Bundesverfas-
sungsgericht. Zwar hatte das Thema des einen kaum etwas mit dem Thema des anderen Prozesses zu tun, aber trotzdem gab es bedeut-
same Übereinstimmungen: Auch im Verfahren gegen die CBG fiel das Urrteil des Oberlandesgerichtes Köln entgegen aller juristischen Erwartungen absolut den BAYER-Vorstellungen entsprechend aus. Jedem Beobachter, und den beteiligten Anwälten, darunter Kublitz zuvorderst, war klar: Gegen Multis wie BAYER ist kein juristisches Kraut gewachsen. BAYER & Co. üben Macht auch im hintersten Winkel aus. Oft ist es vorauseilender Gehorsam, die Konzerne müssen nicht einmal explizit um ein bestimmtes Verhalten oder eine Entscheidung in ihrem Sinn bitten.

Helga Zapke, die Mutter der IHG und SPD-Politikerin, hatte sehr wohl den Stellenwert öffentlicher Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner erkannt und trat 1985 in der BAYER-Hauptversammlung auf. Sie stellte BAYER an den Pranger und forderte, daß BAYER sich den Anschuldigung stellen und die Konsequenzen tragen muß. Allerdings blieb es dabei, bis heute ist kein Verantwortlicher der IHG oder der Verbraucher-Initiative mehr auf einer BAYER-Hauptversammlung aufgetaucht. Statt dessen konzentrierten diese sich auf die Marionetten des Holzgiftskandals, die subordinierten Wasserträger des BAYER- Vorstands, die "Chemie-Manager" Steinberg und Hagedorn. Nicht daß die Beiden keine Schuld träfe, aber sie waren eben immer nur die Mittelsmänner, die Befehle von SOLVAY- und vor allem BAYER- Managern ausführten.

Derweil trieb die Verbraucher-Initiative mit ihrem Vorsitzenden, Rechtsanwalt Dieter Kublitz, Beziehungen zur Drogeriekette DM voran und brachte einen Sponsoring-Vertrag unter Dach und Fach. Daß bei DM auch BAYER-Chemie zuhauf verkauft wird, störte die Verbraucher-
schützerInnen anscheinend nicht. Und daß DM einen solchen Kooperationspartner annahm, obwohl dieser gerade in einer heftigen Auseinandersetzung mit drei Chemiekonzernen stand, muß ebenfalls einigermaßen erstaunen. Wie leise muß politische Arbeit sein, daß sie niemand wahrnimmt?

Und die Reihen fest geschlossen!
Offizielle Kontakte zwischen BAYER und dem Bundesgerichtshof

Der BAYER-Syndikus und Leiter der Rechtsabteilung, Dr. Michael Strucksberg, hat am 13. März 1997 auf einer Fachtagung des "FORUM - Institut für Management" in Frankfurt a. M. zusammen mit je einem Abgesandten von PREUSSAG AG und der DEUTSCHEN BANK sowie dem Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof, Volker Röhricht, über praktische und rechtliche Durchführungen von Hauptversammlungen referiert. Dies ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert:

Erstens hat gerade BAYER-Rechtsexperte Strucksberg Erfahrung und Diskussionsbedarf. Dominieren doch KritikerInnen nunmehr seit über als 10 Jahren (!!) den Ablauf der BAYER-Hauptversammlungen. Entsprechend ging es auf der Tagung auch um so brisante Punkte wie "Vielzahl von Fragen, Fensterreden, unpräzise Fragen und Verwirklichung des Rederechts", also genau um die Probleme, die die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN und andere KritikerInnen dem Chemie-Multi aus Leverkusen immer bereiten.

Zweitens entlarvt die hochkarätige Besetzung die engen und offenbar herzlichen Verbindungen zwischen BAYER und der Industrie einerseits und dem angeblich unparteiischen Bundesgerichtshof andererseits. BGH-Richter debattieren mit BAYER und Co. juristische Strategie und Taktik gegen KritikerInnen. Unter Ausschluß derselben wie die Ausladung von Henry Matthews, Geschäftsführer beim Dachverband der Kritischen AktionärInnen sowie Mitglied der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, zeigt: Den Umstand, daß die hohen Herren aus Industrie und Justiz gerne unter sich waren, begründete für den Seminarveranstalter FORUM-Geschäftsführer Dr. Ulrich Zeitel damit, "daß sich (nur so) eine offene Diskussion entwickeln kann." Aus diesem Grunde, so Zeitel, "haben wir ... die Regelung eingeführt, daß nur bestimmte Personenkreise ... zugelassen werden können".

Die Kontakte zwischen Industrie und Justiz sind allem Anschein nach auch im "Jahrhundert-Prozess" der Holzgiftopfer sehr dienlich gewesen. Wie es der Zufall wollte traf kurz vor der Aufhebung der Urteile gegen die Industrie-Manager durch den BGH im März 1996, der Bundesgerichtshof-Richter Martin Niemöller auf einem FORUM-Seminar seinen Koreferenten Dr. Siegfried Rixen, hochkarätiger Manager der im Prozess angeklagten SOLVAY.


Staatsanwalt quittiert den Dienst

(swb/monitor) Im Frankfurter "Holzschutzmittelprozeß" hat der leitende Staatsanwalt, Prof. Erich Schöndorf, nach 12jährigen Ermittlungen resigniert den Dienst quittiert. Schöndorf: "Die Justiz tut sich leicht mit Mördern, mit Räubern und Dealern, aber mit Chemiemanagern hat sie ihr Problem. Die verfolgt man nicht so gerne." Wie Schöndorf dem WDR-Magazin Monitor mitteilte, war im Zuge der Ermittlungen gegen BAYER, SOLVAY und andere Chemie-Konzerne bereits früher der Wunsch an ihn herangetragen worden, "das Verfahren einzustellen". Auch in der vorgesetzten Behörde habe es Widerstände gegen seine Arbeit gegeben. Der Staatsanwalt weitete die Ermittlungen jedoch aus, und durchsuchte mit zwei dutzend Beamten des BKA auch die Räume des BAYER-Konzerns in Leverkusen nach belastendem Material (SWB berichtete). Schöndorf: "Wir wurden dort sehr unfreundlich empfangen und beschimpft. Mir wurde angedeutet, daß ich schon am nächsten Tag kein Staatsanwalt mehr sei, weil man in Bonn intervenieren wolle. Schließlich wurde der bewaffnete Werkschutz von einem führenden BAYER-Manager geholt. Ich habe mich im Anschluß an diese Aktion gefragt, wo eigentlich die Macht im Staate liegt - in Bonn, oder in Leverkusen."

Seinen Angaben zufolge ist auch der Beschluß des BGH, das Urteil gegen die zwei angeklagten DESOWAG-Manager zu kippen, auf Einflußnahme der Chemieindustrie zurückzuführen: "Das Urteil fällt in eine Zeit, in der recht intensiv die Standort-Deutschland-Frage diskutiert wurde. Wenn das Urteil Bestand gehabt hätte, wäre die Haftungsgrenze für die Unternehmen der chemischen Industrie doch scharf angezogen. Vielleicht wollte man das den Unternehmen nicht zumuten." Schöndorf weiter: "Wer ein solches Urteil kippen will, der findet nach einjähriger Verhandlungsdauer immer einen Grund."


Hintergrund-Info
Holzgiftprozeß eingestellt

Nach mehr als zwölf Jahren endete Anfang November 1996 das längste Umweltstrafverfahren in Deutschland mit einem außergerichtlichen Vergleich. Die Umweltstrafkammer am Landgericht in Frankfurt hat danach den sogenannten Holzschutzmittelprozeß nach § 153a der Strafprozeßordnung (StPO) mit Auflagen für die Beschuldigten eingestellt. Dieser Beschluß ist nicht mehr anfechtbar.

Je 100.000 Mark müssen die angeklagten Manager der Firma DESOWAG (XYLADECOR und XYLAMON), Kurt Steinberg und Fritz Hagedorn, an eine gemeinnützige Umweltstiftung zahlen. DESOWAG und die früheren Anteilseigner BAYER und SOLVAY müssen insgesamt vier Millionen Mark für die Erforschung der Auswirkungen von Wohngiften auf die menschliche Gesundheit zu zahlen. Das Geld geht in eine Stiftungsprofessur an der Universität Gießen.

Die durch die PCP- und LINDAN-haltigen Holzgifte gesundheitlich schwer geschädigten NebenklägerInnen gehen leer aus. Die Geschädigten müssen nun versuchen, ihre Schadenersatzansprüche individuell bei den Zivilgerichten einzuklagen. ExpertInnen schätzen allein die Sanierungskosten für belastete Häuser auf über 300 Mrd Mark.