SWB 01/98

Geschichte eines "Hustensaftes"

100 Jahre Heroin von BAYER

(km/ho) 1898 startete der BAYER-Konzern die Produktion von Heroin. Seither hat die Droge in aller Welt große Schäden angerichtet. Die Geschichte des "Hustensaftes" ist ein Beispiel dafür, wie aus reinen Profitgründen ein zweifelhaftes "Medikament" ohne Rücksicht auf die gesundheitlichen Folgen auf den Markt gedrückt und gleichzeitig die traditionelle Hanfverarbeitung kriminalisiert wird.

Bevor die Droge Heroin in Deutschland am 6. April 1971 mit dem Betäubungsmittelgesetz endgültig verboten wurde, war Heroin schon über 70 Jahre lang als Arzneimittel in Medikamenten verwendet worden. Was kaum einer weiß: Den gefährlichen Suchtstoff entwickelte die Pharma-Firma BAYER. Schon 1898 ließ das Unternehmen den Namen der Substanz schützen. Fortan war das Opiat mit dem wissenschaft-
lichen Namen Diacetylmorphin als "Heroin" bekannt. Entdeckt hatte es der englische Chemiker C. R. Wright. BAYER war es als erster Firma gelungen, den Stoff - eine Mischung aus Morphin und Essigsäure - fabrikmäßig herzustellen. BAYER startete im Jahr 1900 einen bis dahin noch nie dagewesenen Werbefeldzug. Auf dem ganzen Globus lobten Anzeigen in zwölf Sprachen das Mittel in den höchsten Tönen. BAYER verschickte Tausende von Gratisproben an ÄrztInnen. "Die Nachbe-
stellungen", so hieß es wenig später, "übertrafen alle Erwartungen". Die Verkaufserfolge von Heroin legten den Grundstein für den Aufstieg der Elberfelder Farbenfabrik zu einem Weltkonzern. BAYER bewarb Heroin als Hustenmedizin für Kinder, der Stoff sei ungefährlich, erzeuge keinerlei Abhängigkeit und sogar bei Darmkoliken von Säuglingen wirksam. Heroin wurde schnell zum Kassenschlager.

Mit der Einführung des Heroins auf den pharmazeutischen Markt wurde auch die Rolle des Cannabis als Universalmedizin an den Rand gedrängt. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunders war Hanf - eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt - für die Herstellung von Kleidung und Papier sowie als Allheilmittel verwendet worden. Bis zu 80 Krankheits-
bilder, die bisher Domänen der Cannabismedizin gewesen waren, konnten fortan auch mit ASPIRIN und Heroin "geheilt" werden.

Heroin und ASPIRIN waren die ersten chemischen Arzneimittel der Geschichte. Es folgten die Entwicklung chemischer Fasern (NYLON) und synthetischer Stoffe zur Herstellung von Papier, die alle Anwendungs-
gebiete von Cannabis bzw. Hanf mehr schlecht als recht ersetzten und zur Kriminalisierung einer jahrhundertelang erfolgreich genutzten Kulturpflanze führte. Wie eminent wichtig die Kriminalisierung des ökologisch unbedenklichen Hanfes für die chemischen Konzerne war, verdeutlicht eine Einschätzung des US-Riesen DUPONT aus den dreißiger Jahren, die in dieser Form sicherlich auch auf BAYER und den IG FARBEN-Trust zutrifft: Wäre der Hanfanbau nicht verboten worden, hätte DUPONT 80 % seiner Geschäfte nicht gemacht.
Übrigens: Die IG-FARBEN waren über diverse Auslandstöchten mit DUPONT (und auch STANDARD OIL) verbunden.

1941 "gelang" den IG FARBEN-Forschern die Herstellung des vollständig synthetischen Methadons; das mit dem Naziregime eng verflochtene Chemiesyndikat meldete stolz an Hitler, man sei nun unabhängig von ausländischen Pflanzenrohstoffen, also sowohl von Mohn- als auch von Hanflieferungen, ein an den Haaren herbeigezo-
genes Argument, weil Hanf erfolgreich auch in Deutschland angebaut wurde. Der Lohn folgte unverzüglich: 1941 wurde die Hanf-Tinktur endgültig aus dem Deutschen Arzneimittelbuch gestrichen. Gleichzeitig wurde die "Haschisch-Sucht" endeckt und im Sinne der national-
sozialistischen Ideologie als "biologische Minderwertigkeit" definiert, die in der "Ausmerzung unwerten Lebens" schließlich ihre mörderische Konsequenz fand.1

Obwohl schon bald offensichtlich wurde, daß nicht Hasch, sondern das vielgepriesene Heroin in hohem Maße süchtig machte, stärker übrigens als natürliches Opium, wurde der gefährliche Stoff erst 1912 apotheken-
pflichtig, 1920 dann rezeptpflichtig. Mit der Unterzeichnung des Genfer Opiumabkommens durfte Heroin von 1929 an nur noch zur Heilung und zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden, nach und nach wurde die Heroinmenge in Medikamenten eingeschränkt. Erst 1958 war Heroin auf dem Pharmamarkt nicht mehr erhältlich, sehr zum Leidwesen des BAYER-Konzerns. Danach entwickelte sich die illegale Drogenszene, es kam zu ersten Opfern des illegalen Heroinkonsums. Die Firmen MERCK und HOECHST übrigens verkaufen sorg- und skrupellos den Rohstoff Acetanhydrid, der die Herstellung des (Schwarzmarkt-)Heroins erst ermöglicht.

Quellen:
Hans Georg Behr: Von Hanf ist die Rede, sowie Herber, Bröckers, KATALYSE: Hanf, beide bei Zweitausendeins
1 Behr, S. 274


O-Ton BAYER:
"... nicht mit dem Rauschgifthandel in Verbindung"
In einem Brief an einen Kritiker schreibt BAYER: "Diacetylmorphin wurde im Jahre 1898 unter dem Namen 'Heroin' in den Handel gebracht. Vor allem als Schmerzmittel und Hustenmittel wurde es von medizinischer Seite begrüßt und teilweise auch an Stelle von Morphium verordnet. Dieses Warenzeichen (Heroin) war der Actiengesellschaft Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Elberfeld, mit Datum vom 27. Juni 1898 als pharmazeutisches Produkt geschützt (unter der Nummer 31650 F 2456). Heroin ist im Laufe der Jahrzehnte von einem geschützten Warenzeichen ... zu einem Gattungsbegriff geworden ... Bayer hat sich bereits vor einem halben Jahrhundert immer wieder bemüht, gegen diesen Mißbrauch des Warenzeichens anzugehen, um nicht mit dem Rauschgifthandel in Verbindung gebracht zu werden - ohne Erfolg. Bayer hat sich strikt an die Bestimmungen des Völker-
bundes gehalten: Bekanntlich hatte Deutschland im Jahr 1921 das Haager Abkommen von 1912 ratifiziert, in dem Heroin zum Betäubungsmittel erklärt wurde. Von da an wurde es nur noch auf ausdrückliche ärztliche Verschreibung in Apotheken abgegeben. 1940 stellte Bayer die ohnedies nur noch geringe Heroin-Produktion ein; das Warenzeichen ist erloschen."

Fakten zum Thema "Heroin"

* Der Gießener Kriminologe Prof. Arthur Kreuzer hat errechnet, daß
45 % aller Autobrüche, 37 % der Wohnungseinbrüche und 20 % aller Raubüberfälle auf das Konto von Drogenabhängigen gehen. Die volkswirtschaftlichen Kosten zur Durchsetzung des Heroinverbots - polizeiliche Verfolgung, Beschaffungskriminalität, Justiz, Krankenkosten, Prävention etc. - belaufen sich nach Berechnungen der Bochumer Ökonomen Karl-Hans Hartwig und Ingo Pies auf mindestens 14 Mrd. Mark im Jahr. Die kontrollierte Abgabe von Drogen sei daher nicht nur ethisch sondern auch wirtschaftlich geboten. Wenn sich die Beschaf-
fungskriminalität um 25 % senken ließe, so Hartwig und Pies, könnten über 70.000 Drogenabhängige in teuren Therapiezentren nach Schweizer Vorbild behandelt werden.

* Das Heroin-Substituat METHADON von HOECHST ist kein Allheilmittel. Bundesweit schätzungsweise 70 bis 100tausend Süchtige wollen das Mittel nicht. METHADON bekämpft zwar den Entzug, löst aber nicht das Sucht-Problem. Außerdem kann METHADON in bestimmten Fällen psychotische Nebenwirkungen hervorrufen.

* ExpertInnen fordern die kostenlose Ausgabe von Heroin an Schwerstabhängige, wie in einem Schweizer Modell mustergültig praktizierten Versuch. Die durch das Betäubungsmittelgesetz verbotene Droge Heroin könnte für weniger als fünf Mark pro Tagesdosis hergestellt werden. Der Stoff wäre nicht nur billiger, sondern auch gesundheitlich verträglicher. Experten gehen davon aus, daß Heroin - exakt dosiert - keine irreversiblen körperlichen Schäden hinterläßt. Eine Untersuchung des Gesundheitsministeriums bestätigt, daß 72 % aller Todesfälle durch "unbeabsichtigte Dosierung", bedingt durch Qualitäts-
schwankungen auf dem Schwarzmarkt, verursacht werden. Lediglich 11 % der untersuchten Todesfälle waren auf den sprichwörtlichen suizidalen "Goldenen Schuß" zurückzuführen.

* Im Kampf gegen die Drogenmafia hat die Polizei bisher kläglich versagt. Statt die Hintermänner einzusperren, jagen die Beamten kleinen Dealern und Abhängigen hinterher. Der Bonner Polizeichef Dierk-Henning Schnitzler sagte dem SPIEGEL: "An die Hintermänner kommen wir nicht heran." Daher bringe es nichts, "die Repression hochzufahren." Das strikte Heroinverbot arbeitet den Drogenbossen direkt in die Hände, auch wenn offiziell das Gegenteil erreicht werden soll.

* Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Vereinten Nationen vorgeschlagen, über eine Gleichstellung von Tabak mit Heroin und Kokain unter der Internationalen Konvention zur Drogenkontrolle nachzudenken. Tabak wird von jedem dritten Erwachsenen (legal) konsumiert. Weltweit gibt es eine Milliarde Raucher, Tabak verursacht jährlich rund drei Millionen Todesfälle.

Kommentar:
Heroin freigeben, BAYER verbieten
Heroin hat seit seiner generalstabmäßigen Produktion durch BAYER vor 100 Jahren unzählige Menschen umgebracht oder süchtig gemacht. Doch jene, die heute unter dem Teufelszeug leiden, brauchen nicht Strafe sondern Hilfe. Heroin muß, das fordern alle ExpertInnen, die sich ernsthaft mit dem Thema befaßt haben, an Schwerstabhängige unter Kontrolle abgegeben werden. Das verringert die Beschaffungskrimi-
nalität mit allen volkswirtschaftlichen Konsequenzen und bekämpft zugleich die Drogenmafia.

Die Geschichte des Heroins ist eine Mahnung, ein Gesundheitswesen zu schaffen, das am Wohl der Menschen und nicht am Profit von BAYER und anderen Konzernen orientiert ist. Noch immer werden zweifelhafte, nicht selten todbringende Substanzen in Umlauf gebracht:
Faktor-VIII-Präparate, ASPIRIN für Kinder, BAYER TONIC, ein obskures Stärkungsmittel ... und viele, viele mehr. Die Konzerne sind die eigentliche Drogenbarone von heute. Sie produzieren den Tod und nutzen das jeweilige staatliche Gesundheitssystem als Dealer. Die Krankenkassen fungieren dabei unfreiwillig als Geldwaschanlagen, die all den zweifelhaften Schrott, den die Konzerne herstellen, finanzieren müssen.

Wie vor 100 Jahren, so drückt auch heute der Gesetzgeber beide Augen zu, wenn es darum geht, unsinnige Medikamente, die diese Bezeichnung längst nicht mehr verdienen, in Verkehr zu bringen. Heute gilt mehr denn je: Gefährliche Pillen verbieten und Heroin für Drogenkranke freigeben!

Hubert Ostendorf

Forderungen
* Kostenlose, kontrollierte Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige
* Einrichtung eines Fonds durch BAYER zur Finanzierung von
   Therapieplätzen
* Verbot unsinniger, nicht rationaler Arzneimittel