SWB 01/98

IG Farben und kein Ende

Von Philipp Mimkes

Noch immer träumt die IG Farben in Abwicklung von ihren ehemaligen Besitztümern im Osten und weigert sich, einen Schlußstrich unter ihre unselige Existenz zu ziehen und die überlebenden Zwangsarbeiter finanziell zu entschädigen. Gleichzeitig erreichten die Proteste von NS-Opfern, Kritischen Aktionären und Antifaschisten, daß die diesjährige Hauptversammlung der Liquidationsgesellschaft nicht rechtzeitig einberufen werden konnte und daß sich nun sogar Gerichte in die Auseinandersetzung eingeschaltet haben.

Die IG Farben i.A. wurde Anfang der 50er Jahre gegründet, um Ansprüche von Gläubigern zu befriedigen, (womit insbesondere auch ehemalige Zwangsarbeiter gemeint waren) und um die Nachfolgekonzerne BASF, Bayer und Hoechst von ihrer NS-Geschichte reinzuwaschen. Die großen Drei der deutschen (und europäischen) Chemie haben seitdem formal nichts mit dem "Blutkonzern" IG Farben zu tun und weisen daher sämtliche Forderungen von IG Farben-Opfern brüsk zurück. Die Abwicklungsgesellschaft hingegen versteht es seit Jahrzehnten meisterhaft, die Ansprüche der Betroffenen abzuwehren und ihr Kapital an die alten und neuen Aktionäre auszuschütten. Mehrere hundert Millionen Mark wurden auf diese Weise durchgebracht, so daß sich die heutigen Rücklagen der AG nur noch auf rund 30 Mio DM belaufen. Diesem Betrag stehen 300.000 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern entgegen, die von den IG Farben ausgebeutet wurden, am grausamsten im Buna-Werk in Auschwitz. Nach Schätzungen des Auschwitz-Komitees leben allein in Osteuropa noch mehrere Tausend ehemalige Sklavenarbeiter, die bis heute keinerlei Entschädigung erhalten haben.

Angesichts dieser Zahlen beschränkt sich die Auseinandersetzung nicht auf die (wirtschaftlich gesehen bedeutungslose) IG Farben i.A., sondern bezieht die großen und reichen Nachfolgekonzerne mit ein. Diese schalten allerdings auf stur: während selbst VW, Allianz und BMW eine Schuld eingestanden und Zahlungen angekündigt haben, ziehen sich Sprecher von Bayer und Hoechst auf die formaljuristische Position zurück, ihre Firmen wären erst nach dem Krieg gegründet worden. Angesichts der Tatsache, daß der größte Teil des Stammkapitals, der Werke und der Verantwortlichen der IG Farben von ihnen übernommen wurde, stellt dies eine Verhöhnung der Opfer bis zum heutigen Tag dar!

Gleichzeitig werden die Proteste gegen die IG Farben von Jahr zu Jahr lauter. Im Vorjahr mußte die AG ihre Hauptversammlung zunächst absagen, da ihr weder Hotels noch öffentliche Träger Räume vermieten wollten. In diesem Jahr setzte die Gesellschaft bislang keinen Termin an, obwohl laut Aktiengesetz die Hauptversammlung bis Ende August hätte stattfinden müssen. Daraufhin schaltete sich das Amtsgericht Frankfurt mit der Androhung eines Zwangsgeldes ein.

Mehr als 1500 Personen und Organisationen - von Auschwitz-Komitee und VVN bis zu der Aktion Sühnezeichen und Kritischen Aktionären - unterstützen den Aufruf der Kampagne "Nie wieder!". Die Kampagne fordert die sofortige Auflösung der IG Farben i.A., eine angemessene Entschädiung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter und ihrer Hinterbliebenen durch die Nachfolgefirmen Bayer, BASF und Hoechst sowie freien Zugang zu den Firmenarchiven. Die diesjährige Hauptversammlung, so sie denn noch einberufen wird, soll durch Demonstrationen und Blockaden undurchführbar gemacht werden; schon in den letzten Jahren war die Zahl der Protestierenden größer gewesen als die Zahl der Aktionäre. Auch die Politik, die das Problem 50 Jahre lang ignoriert hat, wird durch die Kampagne weiter unter Druck gesetzt. Einem von der Bundesregierung aufgelegten Fonds für Zwangsarbeiter wird sich auch die Chemische Industrie nicht verweigern können.