SWB 02/98

Richter in weißen Kitteln

Zwielichtige Sachverständige
im Auftrag von BAYER & Co

(ho) Gutachter gelten als unabhängig und unparteiisch. Ihr Urteil entscheidet bei Gericht über die Anerkennung von Ansprüchen durch Gifte am Arbeitsplatz und im Haushalt. Kein Wunder, daß BAYER und andere Großkonzerne alles daran setzen, unternehmerfreundliche "Expertisen" zu erhalten. So lassen sich Milliarden sparen. Doch die Opfer gefährlicher Industriestoffe gehen leer aus, bleiben auf der Strecke.

1960 wurden 24 % aller Krankheiten als berufsbedingt anerkannt und entsprechende Rentenzahlungen bewilligt. 30 Jahre später sinkt die Quote auf 7,5 %. Der Grund für diese Entwicklung: Gefälligkeitsgutachten, die helfen, Milliardenansprüche an die Industrie abzuwehren. Wie die ZDF-Reportage "Gesucht wird ..." (7.1.98) berichtet, sind die Auffassungen der Sachverständigen zu bestimmten Themen den Versicherungen, Chemiekonzernen und Berufsgenossen-
schaften bereits vor der Beauftragung hinlänglich bekannt, die Ergeb-
nisse der Gutachten vorhersehbar. So konnte etwa die "Vereinte Versicherung" in einem Begutachtungsfall zum Thema "Amalgam" mit gutem Grund davon ausgehen, daß der hinzu gezogene Experte Prof. T. Zilker vom Klinikum rechts der Isar/München alle Ansprüche der Geschädigten abwehren würde. Der Kieler Toxikologe Prof. Otmar Wassermann,  aufgrund seiner kritischen Expertenmeinung immer wieder unter Beschuß des BAYER-Konzerns geraten und bei Gericht wegen angeblicher Parteilichkeit schlecht gelitten, ereifert sich: "Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft steht auf dem Spiel." Viele Kollegen, so Wassermann, "maßen sich die Macht an, Richter in weißen Kitteln zu sein." Für Angela Vogel, Geschäftsführerin des Verbandes "Arbeits- und berufsbedingt Erkrankter" in Altenkirch hat die industriefreundliche Gutachtertätigkeit Methode. Viele Sachverständige seien nachweislich Stammgutachter der Unfallversicherungsträger (UVT) und Berufsgenos-
senschaften. Aufgrund lukrativer Aufträge durch die Träger, vornehmlich Großkonzerne, fertigten sie zumeist schlampige Gutachten an, die alle darauf hinaus liefen, daß die Opfer leer ausgingen. Angela Vogel wörtlich: "Solche Gutachter können nicht als unabhängig gelten."

Einer der Gefürchtetsten seiner Zunft ist der Heidelberger Arbeitsmedi-
ziner Prof. Gerhard Triebich. Er soll laut Anklage der Staatsanwaltschaft in mehreren Fällen "unrichtige Gutachten" erstellt haben. Auch ein Gericht in Gelsenkirchen äußerte "erhebliche Zweifel" an Triebichs Unabhängigkeit und warf ihm vor, Stellungnahmen "im Fließbandver-
fahren" anzufertigen. Innerhalb eines einzigen Jahres hat Triebich 259 Gutachten verfaßt. Dazu Otmar Wassermann: "Das kann keine Qualität mehr sein, das ist fabrikmäßige Produktion von Gefälligkeitsgutchten."

ÄrztInnen, die es genauer nehmen, stehen als Gutachter nicht gerade hoch im Kurs, wie etwa der Trierer Nervenarzt Dr. Peter Binz, der sich wiederholt den Zorn von BAYER zugezogen hat, weil er Nervenschäden von Weinbauern und Winzern auf das Uralt-Super-Gift E 605 zurück-
führte, das in großem Maßstab von Hubschraubern auf die Felder und die umliegenden Höfe ausgebracht wird. Selbst die Ärztekammer wurde gegen Binz aufgebracht. Sie urteilte, daß es sich bei von Binz festge-
stellten berufsbedingten Schäden in einer Schuhfabrik um Irrtümer und Falschdarstellungen handele. Obwohl sämtliche Überprüfungen die Richtigkeit der Diagnosen von Binz bestätigt haben, macht sich die eigene Standesorganisation zum Handlanger von Industrieinteressen. Die Berufsgenossenschaften haben Peter Binz über die Ärztekammer ein Verfahren wegen "mangelnder Auskunftswilligkeit" an den Hals gehängt und versucht, ihm die Zulassung absprechen zu lassen.
So wollte man einen unbequemen Arzt und Gutachter loswerden. Doch Dr. Binz konnte nachweisen, daß der ihm zugrunde gelegte Vorwurf, er habe den Kollegen Prof. Dr. Triebich beleidigt, nicht zutreffend war. Binz unterstellte lediglich, was auch die Staatsanwaltschaft beschäftigte, nämlich die Erstellung von Falschgutachten durch Triebich. Diesmal war Dr. Binz noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Das Standesverfahren wurde gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Doch die Stoßrichtung der Berufsgenossenschaften und der hinter ihnen stehenden Unternehmen ist klar: Wer das industriefreundliche Gutachterwesen entlarvt, soll mundtot gemacht werden.

Die Kaderschmiede der deutschen Gefälligkeits-Halbgötter ist das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universität Erlangen, von der auch Prof. Triebig kommt. Bei allen wichtigen Gerichtsverfahren werden Wissenschaftler dieser Schule hinzugezogen. Der Rechtsanwalt Dr. Hans Joachim Dohmeier sieht sich einem Komplott ausgeliefert. Die herrschende Meinung in der Arbeitsmedizin werde durch gezielte Besetzung von Lehrstühlen mit Erlanger Absoventen organisiert. Drahtzieher sei der Direktor des Institutes, Prof. Gerhard Lehnert. Als er für die Berufsgenossenschaft der DEUTSCHEN BAHN diverse Gutachten über die Kontamination mit dem krebserregenden Stoff PCP anfertigte, leugnete er einen Zusammenhang zwischen dem Industriegift und schweren Erkrankungen jedes Mal mit den gleichen Standardformu-
lierungen. Lediglich die Namen der Geschädigten wurden notdürftig ausgetauscht. Wie schlampig Lehnert die Untersuchungen durchgeführt hat, wird allein schon daran deutlich, daß einem Patienten in ein und demselben Gutachten drei verschiedene Namenskürzel zugeteilt wurden. Lehnert (bzw. seine Sekretärin) hatte schlichtweg versäumt, die Namen der zuvor mit nahezu identischem Wortlaut Begutachteten konsequent auszutauschen. Aufgrund dieser obskuren Expertisen verweigerte die Berufsgenossenschaft die Anerkennung von Entschädigungszahlungen.

Dabei hielt ein Gericht es für zulässig, Prof. Lehnert einen Experten für "Unbedenklichkeiten" zu titulieren. Der Wissenschaftler pflegt enge Beziehungen zur (chemischen) Industrie und ist, wie die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wiederholt nachgewiesen hat, alles andere als unabhängig. Im Holzgiftprozeß, dem größten Umweltverfahren in der Nachkriegsgeschichte, wurde Prof. Lehnert von BAYER-DESOWAG engagiert, um die Harmlosigkeit von PCP und LINDAN zu belegen. Lehnert erbot sich zusätzlich, "in seinem Bereich" Ausschau nach Wissenschaftlern zu halten, die kritische Gutachten von Wassermann und anderen entkräften könnten. Auch das mittlerweile aufgelöste Bundesgesundheitsamt wurde zum Zweck der Verharmlosung von Holzgiften in Dienst genommen.

BAYER-DESOWAG hat einem internen "streng vertraulichen" Papier zufolge Anfang der neunziger Jahre 420.000 Mark für eine Studie gezahlt, die unter einem Tarntitel in Auftrag gegeben wurde, weil, so die Firmennotiz, "die politische Brisanz einer solchen Studie durch die Industrie" sehr hoch sei. Ein derartiges Vorgehen habe, wie im Fall einer nachgewiesenermaßen falschen Lehnert-Studie, die angeblich belegt, daß PCP bzw. Dioxin kein Krebs erzeugt, "weltweit Abscheu" hervorgerufen, urteilt Prof. Wassermannn.

Selbst dem Frankfurter Staatsanwalt Erich Schöndorf konnte seinerzeit nicht entgehen, daß die Industrie versucht hat, Gutachter für den Holzgiftprozeß "in rigoroser Weise zum eigenen Vorteil zu beeinflussen". Warum, das erläutert der mittlerweile aus Protest gegen die Aufhebung des von ihm erwirkten Urteiles gegen zwei Manager der DESOWAG durch den Bundesgerichtshof (BGH) zurückgetretene Ankläger anhand des Ausmaßes der Schäden: "Da kommen allein Gebäudeschäden in Höhe von 360 Milliarden D-Mark zusammen. Dies kann selbst ein Großkonzern nicht bezahlen." Um die finanzielle Katastrophe abzuwen-
den, sollten gewogene Gutachter die entsprechenden Expertisen verfassen. Schöndorf heute: "Die Konzerne hatten Listen mit den entsprechenden Gutachtern und Vermerken, wer genehm und wer nicht genehm ist." Schließlich: "Man wußte genau, wen man mit Erfolg durchbringen mußte, um letzten Endes die Prozesse zu gewinnen." Doch Erich Schöndorf sammelte höchstpersönlich tonnenweise Aktenmaterial bei unzähligen der insgesamt abertausenden Betroffenen und entlarvte die Befangenheit der BAYER-Gutachter. Die Holzgift-Manager wurden zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt, ein in der Nachkriegsge-
schichte einmaliger Vorgang. Doch der Bundesgerichtshof kassierte den Frankfurter Richterspruch, weil ein einziger Gutachter angeblich die Position der Staatsanwaltschaft zu vehement vertreten habe (SWB berichtete mehrfach zum Holzgiftprozeß).

Die Umstände der BGH- Entscheidung sind pikant: Kurz vor der Aufhebung des Frankfurter Urteils traf sich der damit beim BGH befaßte Richter Martin Niemöller auf einem Seminar mit Dr. Siegfried Rixen, Top-Manager der neuen DESOWAG-Mutter SOLVAY. Der BAYER- Konzern hatte rechtzeitig vor dem Frankfurter Urteil seine Anteile an der DESOWAG abgestoßen.

Auch zwischen BAYER und dem BGH gab es persönliche Kontakte. Der Firmensyndikus und Leiter der Rechtsabteilung, Dr. Michael Strucksberg, ist am 13. März 1997 anläßlich einer Fachtagung über praktische und rechtliche Aspekte bei der Durchführung von Hauptversammlungen mit dem Vorsitzenden Richter Volker Röhricht zusammen getroffen.

Die Kontakte waren offenkundig äußerst hilfreich. Obwohl die Giftigkeit von PCP heute eindeutig feststeht und der Stoff seit Jahren verboten ist, gehen die Opfer der Holzgifte leer aus. Und schon steht ein neuer Skandal ins Haus: Die wiederum von BAYER entwickelten synthetischen Pyrethroide, Nachfolger des PCP's, stehen ebenfalls im Verdacht, schwere Gesundheitsschäden, darunter Krebs, zu verursachen. Dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinär- medizin (BgVV), Nachfolgeeinrichtung des aufgelösten Bundesgesund-
heitsamtes, liegen bereits über 60 dokumentierte Fälle von schweren Schädigungen durch Pyrethroide vor. Wieder wurde ein Gutachter eingeschaltet: Prof. Dr. Holger Altenkirch aus Berlin.

Das Urteil seiner in Kollegenkreisen und selbst beim BgVV aufgrund zweifelhafter Methodik und Auswahlverfahren der Testpersonen gerügten Arbeit: Bei nur sechs von 23 PatientInnen sei eine Schädigung durch Pyrethroide nicht ganz ausgeschlossen, ein für BAYER äußerst günstiger Befund, weil das BgVV nun nicht gegen diese von Betroffenen als äußerst bedenklich eingestuften Stoffe vorgehen muß. Altenkirch wörtlich: "Kein Hinweis auf chronische Pyrethroidvergiftung." Wieder einmal hat also ein Gutachter durch seine Tätigkeit die Ansprüche von Opfern abgewehrt und der ungehinderten Vermarktung einer giftigen Substanzgruppe Vorschub geleistet. Und wieder einmal scheint es eine unheilige Allianz zwischen Sachverständigen und Kontrollbehörden zu geben. Immerhin: Das BgVV hat die Pyrethroide vor ihrer Zulassung geprüft und weitestgehend für unbedenklich gehalten. Ein gegenteiliges Urteil von Prof. Altenkirch wäre nicht nur peinlich, sondern auch politisch hoch brisant. Doch Altenkirch wie BgVV-Leiter Prof. Wolfgang Lingk weisen jede Beeinflussung entschieden zurück. Dabei ist die materielle Abhängigkeit Altenkirchs vom BGVV offensichtlich: Auch bei der Bestzung des Leiters für die zweite vom BgVV in Auftrag gegebene Studie fiel die Wahl erneut wieder auf Prof. Altenkirch. Die zweite Untersuchung soll die methodischen Mängel der ersten quasi wettmachen. Diesmal solle auch nach Soffwechselprodukten von Pyrethroiden im Urin gesucht werden, wohl wissend, daß kleinere Mengen im Blut nicht nachweisbar sind. Und weil dies so ist, konnte die erste Studie, die lediglich das Serum der Betroffenen untersuchte, auch keinen Hinweis auf chronische Vergiftungen feststellen. So schließt sich der Kreis.