SWB 01/99

Liebe Leserinnen und Leser!

Geld regiert die Welt. Wir verwandeln unsere Wälder in Straßen, damit das Geld fließt, wir exportieren Giftmüll, Kernkraftwerke und Waffen, alles tun wir fürs Geld. Die multinationalen Konzerne sind maßgeblich daran beteiligt, dass sich der Wald in eine Wüste und das Wasser in Kloaken verwandelt.

Die Endlosigkeit der Geldvermehrung und des Wachstums ist das Prinzip unserer Wirtschaft, und sie ist eine gefährliche Illusion.

Von Realisten wird ein weltweiter Zusammenbruch der Geldwirtschaft befürchtet. Jede aufgeklärte Hausfrau führt heute bereits den Kampf gegen die Verseuchung der Lebensmittel durch das Geld: Viele Lebensmittel sind mit Giften belastet, sehen schön aus, halten lange, schmecken nach nichts oder nach Chemie. Skrupellos wird Gentech-
nologie und Radioaktivität bei Lebensmitteln eingesetzt, ohne dass die Folgen für die menschliche Gesundheit erforscht sind. Die Endlosigkeit der Geldvermehrung ist eine gefährliche Illusion. Das Ende ist absehbar.
Wenn das einzige Ziel von BAYER und anderen Unternehmen die Geldvermehrung ist, dann ist der Zustand, in dem wir uns befinden, nur konsequent. Er folgt aus dem sogenannten "freien Wettbewerb", in dem Frauen mit Kindern, alte Menschen oder Arbeitslose so wenig vorkommen wie die begrenzten Vorräte der Natur. Das Ende ist absehbar. Die am Wege liegenbleiben, die arbeitslosen Frauen und Männer, sind selbst schuld.

Die folgenreichste Veränderung seit den 80er Jahren ist die Entkoppelung der Finanzmärkte von den produktiven Investitionen. "Jobless growth", arbeitsloses Wachstum, nennt man dieses dem freien Spiel der Kräfte folgende System. Der monetäre Bereich löst sich vom realwirtschaftlichen ab. Die Finanz- und Kapitalmärkte werden "dereguliert", das heißt, sie können weder national noch international zur Rechenschaft gezogen werden.

Es gibt große und kleine Schritte, um aus der falschen Ökonomie von Geiz, Wucher, Liebe zum Geld und Zerstörung der Erde herauszu-
kommen. Nichts wäre falscher, als die großen weltwirtschaftlichen Notwendigkeiten und die kleinen im alltäglichen Konsum möglichen Veränderungen gegeneinander auszuspielen! Kleine Schritte und großes Bewusstsein für die notwendigen politischen Veränderungen gehören zusammen. Wie wir in der Friedensbewegung sowohl die falschen Spielzeuge der Kinder als auch die der Generäle entlarvt und bekämpft haben, so ist es auch heute, wo wir eine breite radikale, privat und öffentlich verpflichtende Bewegung für das Leben der Kinder und die Pensionierung der Generale und Großbanker brauchen. Das Wichtigste scheint mir, klar zu sehen, dass es Alternativen zu unserem Lebensstil gibt. Je mehr Menschen sich sichtbar und öffentlich abkoppeln - von den Äpfeln aus Australien, dem Inlandflug und dem überheizten Büro - desto berechtigter werden unsere noch oft als spinnig verlachten Forderungen an die Großen. Sagen wir uns los von den falschen Bedürfnissen, die unsere Wirtschaft weckt und schürt, lernen wir das deutliche Nein zu dem globalen Markt, der uns kaputtmacht.

Noch sind wir weit entfernt davon, Regeln für die soziale und ökologische Verantwortung transnationaler Konzerne aufzustellen. Aber der Ruf danach wird immer lauter.

(BU) Dorothee Sölle (geb. 1929) ist eine der bedeutendsten Theologinnen unserer Zeit. Von 1975 bis 1987 war sie Professorin am Union Theological Seminary in New York. Heute lebt sie als Schriftstellerin in Hamburg.