SWB 04/99

Internationaler Druck auf Bayer AG

Offener Brief fordert Entschädigung für Zwangsarbeiter und
Opfer von Menschenversuchen

Von Philipp Mimkes

Hans Frankenthal gehört zu den wenigen Überlebenden des Programms Vernichtung durch Arbeit. Er sah seine Eltern zuletzt im Februar 1943 - auf der Rampe von Auschwitz. Bei der Selektion gab er sein Alter falsch an und wurde in das von der IG Farben geführte KZ Auschwitz-Monowitz überstellt. Als Vorstandsmitglied des Auschwitz Komitees wehrt sich Frankenthal heute gegen das Vergessen und setzt sich für eine Entschädigung von Zwangsarbeitern und ihren Hinterbliebenen ein.

Auf Einladung jüdischer Gemeinden reiste der 73jährige im November nach Pittsburgh/USA. Die Stadt im Bundesstaat Pennsylvania ist Stammsitz der amerikanischen Bayer Corporation, Bayer gehört neben BASF und Hoechst zu den Nachfolgern der IG Farben. Frankenthal, Mitglied im Zentralrat der Juden, wurde vom Geschäftsführer der Coordination gegen BAYER-Gefahren begleitet. Der Düsseldorfer Verein arbeitet seit Jahren die Geschichte der Chemischen Industrie im Dritten Reich auf.

Auf einer Pressekonferenz mit Vertretern der jüdischen Gemeinde von Pittsburgh wurde die jahrzehntelange Blockadehaltung des Unternehmens kritisiert. Hans Frankenthal: "Die Opfer können auf eine Entschädigung nicht länger warten. Der Bayer-Konzern trägt die Verantwortung für grausame "medizinische" Experimente und die Ausbeutung von mehr als 300.000 Zwangsarbeitern, das Unternehmen muß die Betroffenen sofort entschädigen und eine Entschuldigung aussprechen." In einem Offenen Brief an den Bayer-Vorstand fordern amerikanische und deutsche Initiativen neben der Entschädigung auch die Öffnung der Werksarchive, um eine unabhängige Bewertung der Konzerngeschichte vornehmen zu können.

Die jüdische Organisation B´nai B´rith, die den Bayer-Konzern kürzlich mit ganzseitigen Anzeigen in der New York Times attackierte, unterstützt die Aktion. Auch der Stadtrat von Pittsburgh stellte sich hinter die Forderungen und erklärte den Tag des Besuchs zum Hans Frankenthal Day. Mehr als 200 Teilnehmer einer Veranstaltung zum Thema unterzeichneten den Offenen Brief - darunter zahlreiche jüdische Emigranten und Überlebende des Holocaust. Da Fernsehen und Zeitungen breit über die Initiative berichteten, sah sich die Bayer-Niederlassung zu einer Stellungnahme genötigt: man trage keinerlei Verantwortung für die Geschehnisse in Auschwitz, werde sich aber aus "moralischen Gründen" an einem Entschädigungsfonds beteiligen.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren bringt das Thema "Entschädigung von Zwangsarbeitern" seit Jahren auf den Hauptversammlungen des Konzerns zur Sprache. Noch im April diesen Jahres hatte Bayer-Chef Manfred Schneider eine Entschuldigung des Unternehmens abgelehnt: "Das heutige Management kann sich nicht für etwas entschuldigen, für das es weder persönlich noch durch seine Funktion im Unternehmen verantwortlich ist."

In den USA klagt seit dem letzten Jahr Eva Mozes Kor, Überlebende der grausamen Versuche von Dr. Joseph Mengele, gegen Bayer. Die Experimente an Frau Kor waren im Auftrag des Leverkusener Unternehmens durchgeführt worden. Der Fall wird in den USA mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Aus Angst vor negativer Publicity entschloss sich das Unternehmen daraufhin, eine moralische Verantwortung einzugestehen und einer Beteiligung an dem Fonds zuzustimmen - zuvor war das Thema jahrzehntelang ignoriert worden. Der Bayer Konzern macht heute 30% seiner Umsätze in den USA, weit mehr als in Deutschland.

Die nächsten Gespräche zwischen deutschen Konzernen und den Anwälten der Betroffenen sind für den 8. Dezember angesetzt. Ob der Termin zustande kommt, ist jedoch unklar: die Anwälte weigern sich, an weiteren Verhandlungen teilzunehmen, wenn nicht zuvor das Minimalangebot von 10 Mrd DM vorgelegt wird. Hierzu Hans Frankenthal: "Die Summe, die die deutschen Unternehmen in die Stiftung einlegen möchten, ist beschämend. Den ehemaligen Sklavenarbeitern und ihren Hinterbliebenen steht zumindest der bis heute nicht ausbezahlte Arbeitslohn zu."