SWB 04/99

Häftlinge als BAYER-Versuchskaninchen

Ein KZ-Opfer klagt an

Von Udo Hörster

Der Name "BAYER", das "Markenzeichen" der IG FARBEN-Pharma-
zeutika, wie die Firmen-Chronik "Meilensteine" stolz vermerkt, prangte auch auf zahlreichen Arzneistoffen, die Josef Mengele und andere Nazi-Mediziner für den Konzern an wehrlosen KZ-Gefangenen testeten. Nur wenige überlebten diese Menschenversuche. Eine von ihnen, Eva Mozes Kor, hat BAYER jetzt in den USA gemeinsam mit 111 weiteren Opfern auf Entschädigung verklagt.

Zusätzlich zur Häftlingsnummer bekamen die 10-Jährige Eva Mozes Kor und ihre Schwester Miriam bei ihrer Ankunft in Ausschwitz ein "ZW" für Zwilling in die Haut tätowiert. Das ersparte ihnen den Tod in der Gaskammer, setzte sie aber einem anderen Martyrium aus: Als Zwillingspaar gehörten die beiden zum bevorzugten Studienobjekt des gefürchteten KZ-Arztes Dr. Josef Mengele. Selbst an seinen freien Tagen stand er manchmal mit der Reitgerte spielend an der Rampe von Auschwitz und selektierte geeignete Versuchsobjekte und "anderes noch verwendungsfähiges Menschen-Material" aus der Schar der neu eingetroffenen Gefangenen heraus. Ein knappes "Links" oder "Rechts" aus seinem Mund entschied dabei über Leben und Tod Tausender.

Wie fast alle Rassisten war Mengele besessen von der Vererbungs-
lehre. Schon seine Doktorarbeit am Frankfurter Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene hatte er "Sippen-Untersuchungen" gewidmet. Und in Auschwitz bot sich dem NS-Genforscher die einmalige Gelegenheit, an einer großen Gruppe leibhaftiger Geschwister mit identischem Erbgut herum zu experimentieren. Am Ende seiner Forschungen sollte die Schöpfung einer ganz neuen "Rasse" stehen. Zwischenstationen auf diesem Weg waren Versuche, die "Durchseuchung der Deutschen mit genetischen Gebrechen" zu unterbinden und Frauen zu reinen Gebärmaschinen umzuwandeln.

Mengele, der heute in der Öffentlichkeit als Bestie erscheint, dessen Tun alle menschliche Vorstellungskraft übersteigt, hatte zur Zeit seines Wirkens mächtige Fürsprecher, ohne die seine grausamen Experimente auch gar nicht möglich gewesen wären. Wilhelm Mann, den Leiter von BAYERs Wissenschaftlicher Abteilung, konnte Josef Mengele im Hause seines Mentors Prof. Otmar Freiherr von Verschuer persönlich für seine sadistischen Pläne begeistern. Kurz nach dieser Begegnung schrieb Mann sichtlich aufgewühlt an Verschuer: "Seien Sie versichert, dass ich (...) bei mir im Hause die Finanzierung besprechen werde. Einen ersten Scheck lege ich schon mal bei. Die Versuchsreihen von Dr. Mengele sollten, wie ich mit Ihnen übereinstimme, auf jeden Fall forciert werden."

BAYER unterstützte aber nicht nur die genetische Grundlagenforschung des NS-Mediziners, das Unternehmen versprach sich von Tests neu entwickelter Präparate an Zwillingen auch selber profitable Erkenntnisse. Und für diese Erkenntnisse mussten die Labor-Menschen Höllen-Qualen erleiden. Wie einer der Versuche ablief, berichtete Eva Kor einem Journalisten des amerikanischen TV-Magazins 20/20. Zunächst gab Mengele ihr eine Injektion in den rechten Arm und nahm anschließend aus dem linken Arm Blut ab. Unmittelbar danach begann sie am ganzen Körper zu zittern und hohes Fieber zu bekommen, auf der Haut bildete sich ein roter Ausschlag - der KZ-Arzt hatte sie mit dem Fleckfieber-
Erreger infiziert. Wenig später erhielt das junge Mädchen wieder eine Spritze, diesmal mit dem zu erprobenden Gegenmittel aus dem BAYER-Labor.

Der Bekämpfung des Fleckfiebers kam zwischen 1942 und 1945 eine kriegswichtige Bedeutung zu. Aufgrund der katastrophalen Zustände in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten Ost-Europas begannen sich Seuchen auszubreiten und das Fleckfieber drohte auf die deutschen Truppen über zu greifen. Hektisch machten sich BAYER, HOECHST und die anderen zur IG FARBEN gehörenden Pharma-Firmen daran, einen geeigneten Impfstoff zu entwickeln, der die Mörderbanden ihr Kriegshandwerk unbeschadet fortsetzen lassen würde und obendrein lukrative Einnahmen versprach. Schon halbgare Labor-Früchte wurden an KZ-Häftlingen ausprobiert. Die Folge: Mehr als die Hälfte der menschlichen Versuchskaninchen in den Lagern starb nach Tests mit B 1038, Methylblau, Akridin oder Rutenol. Dr. Karl König, der Leiter von BAYERs Prüfungsabteilung für neue Produkte, war nach Aussage von Eva Kor bei diesen grausamen Experimenten oft dabei. Das Massen-
sterben rührte weder ihn noch die anderen Konzern-Verantwortlichen. "Alle Personen sind (an den) Experimenten gestorben" - "In Kürze werden wir uns mit Ihnen über weitere Lieferungen in Verbindung setzen", schrieb BAYER lapidar an Rudolf Höß, den Lager-Komman-
danten von Auschwitz. Das Unternehmen besaß sogar noch die Dreistigkeit, mit dem Himmler-Orden um den Preis für die Menschen-
leben zu feilschen. Die NS-Organisation verlangte 200 Reichsmark pro Häftling, BAYER aber wollte wegen "ihres schlechten Zustandes" nur 170 Reichsmark zahlen.

Auch Eva Kor hatte Mengele dem Tod geweiht. Und er empfand eine sadistische Lust dabei, es ihr offen mitzuteilen: "Schade, schade, sie ist noch so jung und hat nur noch zwei Wochen zu leben", sprach er einmal an ihrem Krankenbett. Aber das Zwillingspaar Kor überlebte - schwer gezeichnet. Ihre Körper waren von den fünf Spritzen dreimal wöchentlich und den ständigen Blutabnahmen dauerhaft geschwächt. Eva musste eine schwere Tuberkulose überstehen, und bei Miriam verkümmerte eine Niere. Sie starb schließlich frühzeitig an Krebs, wie auch ihr Sohn.

Für die Menschenversuche mit den Impfstoffen gegen Fleckfieber, Malaria, Ruhr und Tuberkulose sowie mit Giftgas wurde kein BAYER-Mann zur Rechenschaft gezogen. Sofern sie sich überhaupt vor dem Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal verantworten mussten, erwirkten sie Freisprüche. Wie selbstverständlich konnten sie, wenn sie wollten, nach 1945 ihre Laufbahn bei BAYER fortsetzen. Der Konzern konnte die Sadisten-Riege sogar noch mit Wolfgang Wirth, der als Chef-Toxikologe der Wehrmacht für die Giftgas-Versuche an Lager- Insassen zuständig gewesen war, verstärken.

Zu einem Schuld-Eingeständnis ist der Leverkusener Chemie-Multi auch 1999 nicht bereit. Von holländischen und amerikanischen JournalistInnen zum Fall Eva Mozes Kor befragt, spulte BAYER-Pressesprecher Thomas Reinert nur automatisch die offizielle Konzern-Sprachregelung ab: "Es gibt keine Verbindung zwischen BAYER und Auschwitz. BAYER wurde 1951 neu gegründet." Das hatte er schon einmal anders gesehen, 1988, im Vorwort der "Meilensteine": "Und was ist mit den IG FARBEN? Da gab es von Anfang an keine Meinungsverschiedenheiten. Da kam niemand auf den allzu bequemen Ausweg zu sagen, dass es BAYER als selbständiges Unternehmen von 1925 bis 1951 nicht gegeben habe, also die IG-Zeit nicht zur Unternehmensgeschichte gehöre. Kein Unternehmen kann sich aus dem deutschen Schicksal herausstehlen." Aber damals kostete ein solches Bekenntnis halt auch noch nichts.