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Auch die Umstellung der Chlorproduktion vom Amalgamverfahren auf das Energie sparende Membranverfahren leistet einen Beitrag zur Energiereduktion; doch
dieser Beitrag ist zwangsläufig. Die Umstellung war längst überfällig aus ökologischen Gründen zur Reduktion der Quecksilber-Emissionen in die Gewässer. Das langjährige Hinnehmen derart gefährlicher Abwässer war
schon skandalös; jetzt setzt der Bayerkonzern dennoch die Mißachtung der Ökologie fort, indem weiter an einer gigantischen Produktion von Chlor festgehalten wird. Dessen Gesamtmenge wie auch seine Weiterverwendung
bis hin zu Chlorverbindungen in offener Anwendung ist weit entfernt von einem Einklang von Ökonomie und Ökologie, wie sie Schneider anzustreben trachtet. Hier überwiegen die Risiken für Arbeitnehmer, Anwohner,
Verbraucher und Umwelt.
Unter dem vielsagenden Titel "Aus Schaden klug werden" finden einige Berichte zu Fragen der Sicherheit Platz. Nur wird erneut mit einem Titel mehr suggeriert, als tatsächlich
von "Betriebsstörungen", die tatsächlich Störfälle im Sinne des Gesetzes waren,
gelernt wurde. So sehen wir großformatig die wiederhergestellte Anlage, aus der 1997 12 Tonnen Toluylendiamin (TDA) freigesetzt wurden, versehen mit "weiter verbesserten Sicherheitseinrichtungen". Hier bleibt völlig unbegreiflich, wie man eine Anlage aus der ein derart problematischer Stoff austreten kann, ohne zusätzliche Ummantelungen beläßt, zumal seine Folgereaktion auch besser mit einem Sicherheitscontainment versehen werden müßte. Wieder einmal wird die Problematik eines Stoffs heruntergespielt, wenn davon die Rede ist, daß TDA an der Luft "sehr schnell zu festen, polymeren Reaktionsprodukten" umgesetzt werde. Trotz leichter Oxidierbarkeit verbleiben immer Restmengen an TDA.
Auch der Bericht zum Explosionsstörfall in Wuppertal-Elberfeld vom Juni 1999 ist sehr dünn und dürftig ausgefallen. Er ist ein Paradebeispiel dafür, wie wenig
in der Chemie von früheren Störfällen gelernt wird. Umgesetzt wurde ein Chlor-nitrobenzol, analog zum spektakulären Störfall bei der Hoechst-AG 1993. Unabhängig davon, ob und wieso die rätselhafte Verwechslung von
pulverförmiger Pottasche und Ätzkali-Schuppen oder -Plätzchen stattgefunden hatte, mußte allen Verantwortlichen längstens seit Hoechst-93 bekannt sein, wie stürmisch Chlornitrobenzole mit Alkalien - ganz gleich
welcher Art - reagieren können. Und mindestens seit Seveso 1976 ist allgemein bekannt, daß aromatische Chlorverbindungen bei der Umsetzung mit Alkalien extremes Verhalten zeigen können. Wo blieb die nötige Vorsorge
bei diesem Ansatz, bei diesem Verfahren ? Wann endlich wird man aus Schaden klug ? Und wann wird von Bayer die folgende eigene Aussage im Bericht unter "Wir stellen uns der Verantwortung" beherzigt:
" Sollten wider Erwarten dennoch einmal von einem unserer Produkte
unerwartete Risiken für Mensch und Umwelt ausgehen, werden wir - ungeachtet wirtschaftlicher Interessen - die Produktion einstellen."
Doch gemach - das hieße ja Vorrang von Ökologie vor Ökonomie -, deswegen schiebt der zuständige Vorstandssprecher noch schnell den Satz nach:
"Deshalb ist eine objektive Überprüfung dieser Risiken ein wesentliches Element der Produktsicherheit."
Solange die "objektive Überprüfung" eher Bayer-intern, ohne kritischen externen Sachverstand abläuft, wird es weiterhin beim Vorrang der
wirtschaftlichen Interessen bleiben. Der Vorsorgeaspekt, im Zweifel auf Produkte und Produktionen zu verzichten, wird dann nie erwogen. So bleibt die Devise Vorsorge statt Nachsorge für den integrierten Umweltschutz
halbherzig, das Herz schlägt für die Ökonomie.
Dies zeigt sich beispielhaft bei der Position zu den gesundheitlichen Risiken von Umweltöstrogenen und bei den Zielsetzungen für die Emissionen in Luft und
Wasser. "Die Hypothese von der Verminderung der Fortpflanzungsfähigkeit des Menschen durch hormonartig wirkende Industriechemikalien wird aufgrund der experimentellen Daten unwahrscheinlicher. Damit besteht für
die Gesundheit des Menschen kein akuter Anlass zur Sorge." Wird Prof. Hulpke zitiert. Ein kühner Satz, eine noch kühnere Entwarnung, insoweit "akut" zu reagieren wäre. Die chronischen Anlässe zur
Sorge verbleiben. Schließlich werden mit diesem Satz vielfältige tierexperimentelle Befunde, toxikologische Untersuchungen im Reagenzglas, aber auch Befunde an Arbeitnehmern bei vielen Industrie-chemikalien als
nicht relevant erklärt, dies ist unerhört. Skandalös ist es, wenn man erfährt, daß auch das beim Dormagener Störfall ausgetretene TDA im Verdacht stehen muß, beim Menschen reproduktionstoxisch zu wirken. Und wenn
man erfährt, daß die Unbedenklichkeitserklärung für Bisphenol-A allenfalls für die Einhaltung des MAK-Wertes von 5 Milligramm pro Kubikmeter Luft gelten kann. Die im Reagenzglas wie auch im Tierversuch
nachgewie- sene östrogene Wirksamkeit kann, solange nicht epidemiologische Langzeitstudien etwas anderes belegen, auch beim Menschen auftreten. Solange die Vielfalt der Industriechemikalien nicht auf ihre
Wirkungen alleine und in Kombination untersucht sind - eine Aufgabe von Jahren - lassen sich solche Aussagen überhaupt nicht treffen.
Diese skandalösen Unbedenklichkeitserklärungen müssen schließlich als Frechheit empfunden werden, wenn man sich erinnert: Schon im März 1999 hat der VCI auf
einer Pressekonferenz die gleichen Behauptungen aufgestellt, woraufhin das Umweltbundesamt (UBA) richtig stellen mußte. In einer Pressemitteilung des UBA heißt es: "Es kann noch kein genereller Schlußstrich
unter die Debatte über die hormonellen Wirkungen von Chemikalien auf den Menschen gezogen werden." und
"Vorsicht ist vor allzu schnellen Schlußfolgerungen bei den hormonellen Wirkungen von Chemikalien auf den Menschen geboten, zumal neue Studien zeigen, daß auch in Deutschland die Spermien-
qualität des Menschen abnimmt."
Würde Bayer tatsächlich Vorsorge, mehr Verantwortung für Umwelt und die Zukunft zeigen, müßten die extrem kurzfristig - lediglich für 2000 -
formulierten Emissionsziele nicht nur für, sagen wir, 2010 angegeben werden, sondern dann auch noch deutlich reduziert werden, damit endlich in diesem angebrochenen Jahrhundert die von der Internationalen
Nordseekonferenz geforderte Nullemission erreicht werden kann. So aber sind die Ziele für 2000 nur eine Dokumentation des Endes der Fahnenstange für den Umweltschutz - ganz gleich ob additiv oder integrativ - das
schon seit geraumer Zeit von der Chemischen Industrie gefordert wurde.
Der "Irresponsible Care - Bericht"
von Bayer für 1999 weist also wieder das alte Verhaltensmuster der Chemie-Industrie auf: Schöne Reden und Gestaltungen für die Lobby und die Ökooptimisten, skandalöse Verharmlosungen und Relativierungen im Wesentlichen, ansonsten dominieren die ökonomischen Interessen jede weitergehende Verantwortung.
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