SWB 03/00

Sturmtrupps gegen Kräuterhändler

BAYER & Co wollen den
Vitaminmarkt beherrschen

Unter dem Druck von BAYER & Co sollen Vitamine und andere Naturstoffe "medizinisiert" oder gar verboten werden. In den USA werden neuerdings Großrazzien bei Kräuterhändlern durchgeführt, alternative Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln kriminalisiert. Die juristische Grundlage dafür schafft der "Codex Alimentarius", ein politisches Instrument der Pharmaindustrie zur Beherrschung des Vitaminmarktes. (Gekürzter) Essay von Gary Null, USA

Codex Alimentarius, der lateinische Ausdruck für "Lebensmittelkodex", ist die Bezeichnung einer Kommission der Vereinten Nationen, die als Teil der Weltgesundheitsorganisation operiert. Das Mandat der Codex Alimentarius Kommission ist es, internationale Normen für den Handel mit allen Arten von Lebensmittelprodukten aufzustellen. Dies betrifft Normen für rohe und verarbeitete Lebensmittel, Pestizid- und andere Schadstoffspiegel, den Nährstoffgehalt und die Kennzeichnung von Lebensmitteln. Codex kümmert sich zudem um weltweite Handelsre-
gelungen für Gesundheitssupplemente und gerade das, was die Kommission auf diesem Gebiet tun will, ist furchterregend.

Zunächst einmal möchte die Codex-Alimentarius-Kommission eine weltweit gültige Richtlinie aufstellen, die besagt, dass kein Ernährungs-
supplement für Vorsorge- oder therapeutische Zwecke verkauft werden darf. Zum zweiten will sie den rezeptfreien Verkauf von diätetischen Supplementen auf solche mit niedrigen oder empfohlenen Tagesdosen begrenzen, die zwar Mangelkrankheiten aber nicht chronische Krank- heiten wie Krebs verhüten. Ernährungssupplemente mit höherer Wirksamkeit und Dosierungsmengen, die zur Stärkung des Immunsystems und zur Verhinderung von Alterserscheinungen und chronischen Krankheiten beitragen, würden dann zu Medikamenten erklärt. Sie könnten diese Mittel nur noch von einem Apotheker erhalten.

Gegenwärtig wird keinem der neueren beliebten Supplemente wie zu Beispiel solchen, die wegen ihrer Stärkung des Abwehrsystems genommen werden, eine empfohlene Tagesdosis (RDA) zugewiesen. Diese RDA-losen Substanzen wie Bioflavonoid (Vitamin P), Selen, Chrom und Koenzym Q10 würden laut Codex-Plan ebenfalls als Arzneimittel eingestuft, was bedeutet, dass Sie für all diese Substanzen ein Rezept benötigen würden. (Gleichzeitig drücken die Pharmamultis immer mehr rezeptfreie Chemiekeulen, nicht zuletzt ASPIRIN, auf den Markt. SWB)

Und die Codex-Kommission plant noch mehr. Die Gruppe will, dass alle neuen Nahrungszusätze von der Kommission vor Markteinführung genehmigt werden müssen. Ohne eine solche Genehmigung wären die Supplemente nirgendwo auf der Welt legal verkäuflich. Regierungen sollen ihre Regelungen "aufeinander abstimmen", sodass jedes Land auf der ganzen Welt sich an dieselben Normen hält. Eine solche "Abstimmung" wäre vielleicht ein schönes Konzept, wenn es darum ginge, dass überall in der Welt bei der Demokratie, der annehmbaren Bezahlung und den Menschenrechten die gleichen Mindeststandards angelegt werden. Leider bedeutet aber in diesem Fall ein solches Abstimmen nichts anderes als den Verlust unserer Fähigkeit, für unseren eigenen Körper auf Arten und Weisen zu sorgen, die wir als die besten erachten. Wir könnten nicht länger uns selbst darüber informieren, wie unsere Gesundheit verbessert werden kann, und die daraus gewon-
nenen Erkenntnisse auch befolgen. Nur die Medizin und besonders die großen Pharmaunternehmen würden aus einer solchen Lage einen Vorteil ziehen können. Es läuft also darauf hinaus, dass ein medizini- sches Monopol die Kontrolle sogar über unsere ureigene Körperchemie hätte.

Die Kommission kommt alle zwei Jahre in Rom oder Genf zusammen und hält zwischenzeitlich an verschiedenen Orten der Welt kleinere Treffen ab. Und obwohl es ihr um den Schutz der Gesundheit von Verbrauchern geht, ist sie jedoch auch eine Handelsgruppe, und mehr als neunzig Prozent der internationalen Organisationen, die Delegierte zu Codex schicken, repräsentieren große multinationale Konzerne. Die konzernkritische "Life Extension Foundation" konstatiert: "Als eine internationale Organisation unternimmt die Codex-Alimentarius- Kommission wenig oder keine Vorkehrungen zum Erfüllen der Mindestanforderungen repräsentativer Regierungsform. (...) Das Codex-Verfahren enthält kein sinnvolles Rechenschafts-System oder irgendwelche Mechanismen für die Begrenzung oder die Prüfung der beträchtlichen Macht, welche Nationen in einer Vorstandsposition ausüben."

Die Life Extension Foundation stellt auch heraus, dass eine sinnvolle Repräsentation der Verbraucher bei Codex praktisch nicht gegeben ist: "Innerhalb der Delegation der Vereinigten Staaten erhält der Delegierte mit Stimmrecht Unterstützung von einer Gruppe von nicht-stimmbe-
rechtigten Delegierten, die entweder vom Landwirtschaftsministerium und/oder der 'Food and Drug Administration (FDA) in einem schlecht definierten und unregulierten System ausgewählt werden, in welchem die Behörden offen geschäftliche Interessen oder Interessen von Unternehmen vertreten, die nur minimal als Verbrauchergruppen getarnt sind, wobei es keiner Vorschrift gibt, dass echte Verbraucherschützer vertreten sind."

Die Codex-Geschichte wird noch interessanter, wenn man herausfindet, wer hinter den geplanten neuen Regelungen steckt. Die Pläne wurden der Kommission ursprünglich von der deutschen Delegation unterbreitet, ein Gremium, das von drei riesigen Pharmaunternehmen, HOECHST, BAYER und BASF gesponsert wird. Dabei handelt es sich um niemand anderen als die Tochtergesellschaften, die nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurden, als das berüchtigte IG FARBEN-Kartell aufgelöst wurde. Wie die Life Extension Foundation herausstellt, sind es ausgerechnet diese Firmen, die nun den stärksten Druck ausüben, um einen drastischen Einschnitt in unsere Freiheiten in der Gesundheits-
fürsorge durchzusetzen. (Im letzten Jahr haben sich die BASF und das Schweizer Pharmaunternehmen LA ROCHE der größten Kartell-
verschwörung zur Preisabsprache für schuldig erklärt, die bis heute je ans Licht gekommen ist. Die Unternehmen haben sich bereit erklärt, die Strafe von $ 500 Millionen bzw. $ 225 Millionen für die Anhebung und die Absprache von Vitaminpreisen und für die Zuteilung von Verkaufs-
volumen und Marktanteilen zu zahlen. "Jeden Tag," so sagte die Generalbundesanwältin Janet Reno, "wurde Verbrauchern in die Tasche gegriffen, damit diese Verschwörer hunderte von Millionen Dollar an zusätzlichen Einnahmen erlangen konnten.")

Es ist lehrreich, sich einmal den Vitamin-Markt im heutigen Deutschland anzusehen; hier kann man einen Eindruck davon gewinnen, wie die Dinge liegen würden, wenn die Pläne von Codex angenommen werden. Bis 1996 konnte man in Deutschland rezeptfrei 500-mg Vitamin C- Tabletten kaufen, wie man es in den USA auch kann. Jetzt beträgt die höchste Dosierung, die in Deutschland allgemein erhältlich ist, 200 mg; jegliche höheren Dosierungen werden nur in Apotheken verkauft  zu extrem hohen Preisen. Genauso gehen auch Vitamin E-Kapseln nur bis zu 45 IE und B1 ist auf 2,4 mg begrenzt.

Auch andere Länder gewähren uns eine Vorschau darauf, was möglicherweise auch die Vereinigten Staaten erwartet. In Norwegen werden alle Supplemente, die die RDA übersteigen, als Arzneimittel eingestuft. Viele natürlichen Substanzen sind in Norwegen, wenn überhaupt, nur zu sehr hohen Preisen und auf Rezept erhältlich. Es hat sich bereits ein Schwarzmarkt für Vitamin-Supplemente entwickelt. Und für Europa als Ganzes hat die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gesagt, dass Kräuter mit medizinischer Wirkung oder mit jedweden Auswirkungen auf physiologische Funktionen Arzneimittel sind und als solche verkauft werden sollten.

Die Medizinierung, die Einstufung als Arzneimittel von Nährstoffzusätzen, wäre vielleicht gar nicht einmal so schlecht, wenn die Medizin- und Pharmaunternehmen die Angewohnheit hätten, im besten Interesse der Öffentlichkeit zu handeln. Aber wer glaubt, dass dies der Fall ist, ist naiv.
Ein Beispiel für eine definitiv nicht lustige Situation betrifft Folsäure. Der US-amerikanische öffentliche Gesundheitsdienst hatte gebärfähige Frauen geradezu händeringend darum ersucht, Folsäure einzunehmen, um Geburtsdefekte zu verhindern, und dies zwei Jahre, bevor die FDA schließlich eine derartige Kennzeichnung genehmigte. Eine Einnahme von Folsäure vor und während der Schwangerschaft verhindert erwiesenermaßen, dass Babys mit Spina bifida geboren werden, einem Leiden, welches teilweise bis vollständige Lähmung, permanente Missbildung und eine verkürzte Lebensdauer verursacht. Schätzungen besagen, dass in den zwei Jahren, die die FDA sich Zeit gelassen hat, bevor sie eine diesbezügliche Substanzkennzeichnung genehmigte, mehr als 3.500 Kinder mit Spina bifida geboren wurden  eine Tragödie, die hätte verhindert werden können, wenn deren Mütter Folsäure eingenommen hätten. Ein anderes Thema: Heutzutage versuchen viele Menschen, ihren Cholesterinspiegel zu senken, und man sollte meinen, dass eine sichere Methode, dies zu erreichen, von der FDA willkommen geheißen würde. Aber eines der rezeptfrei erhältlichen Kräuterprodukte, welche die FDA zu Arzneimitteln und für  illegal erklären lassen will, ist Cholestin, was aus einer chinesischen Reisart gemacht ist, die mit Hefe gegärt und als Cholesterin-senkendes Mittel verwendet wird. Die FDA hat kürzlich zehn Tonnen dieses Hefereises beschlagnahmt, aber ein Gericht entschied, dass der Hersteller während des laufenden Verfahrens auch weiterhin Cholestin herstellen kann. Cholestin ist ein natürliches Supplement auf der Grundlage eines zweitausend Jahre alten chinesischen Produkts. Das Problem scheint darin zu liegen, dass es den teureren und gefährlicheren rezeptpflichtigen Cholesterinsenkungsmitteln Konkurrenz macht.

Den schlechten Nachrichten über FDA-Vorgehensweisen und über gefährliche neue Medikamente steht eine Lawine guter Neuigkeiten über die Heilkraft von natürlichen Supplementen gegenüber:

Linxian ist eine Gegend in China. Die Versuche dort wurden in Gemeinschaftsarbeit des U.S. National Cancer Institute und der chinesischen Academy of Medical Sciences durchgeführt um festzustellen, ob eine tägliche Einnahme von Vitamin-/Mineralien- Supplementen das Auftreten von Krebs und die Sterberate senken würde. Die Ergebnisse der Experimente, an denen über 30.000 Menschen beteiligt waren, zeigten, dass eine Betakarotin-/Vitamin E- /Selen-Kombination einen signifikanten Verhütungseffekt auf Magen- und Ösophaguskrebs und auch auf Schlaganfälle hatte.

Eine andere Studie in einem anderen Bereich betraf Multivitaminsupplemente und HIV-Infizierte Frauen. Ein Bericht in der britischen Medizinzeitschrift The Lancet im Jahr 1998 besagte, dass die Studie aufgezeigt hatte, dass Multivitamine den Schwangerschafts-
ausgang für diese Frauen verbesserten und die Todgeburtsraten sowohl das Auftreten geringen Geburtsgewichts und andere Probleme für die Babys signifikant reduzierten. Und was noch besser ist, die preiswerten Vitamine verbesserten auch die T-Zellenzahl, ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem dieser Frauen ebenfalls von den Vitaminen profitiert hatte.

Für die menschliche Gesundheit ist dies eine Zeit der Chancen und der Herausforderung. Informationen über die Vorzüge von Vitaminen, Mineralien, Heilkräutern und anderen natürlichen Supplementen werden täglich zahlreicher. Wir haben hier eine Gelegenheit, unser Leben gesünder zu machen und zu verlängern, indem wir dieses neue Wissen anwenden.

Gary Null ist Journalist und Radiomoderator (www.garynull.com)