SWB 04/00

Liebe Leserinnen und Leser,

am 8. Juni 1999 explodierte bei BAYER in Wuppertal ein Reaktor.
2,7 Tonnen chemische Gifte, darunter krebserregende Stoffe, wurden in die Luft geschleudert. Eineinhalb Jahre später wurde dieser Chemie-Gau mit der Verurteilung eines Arbeiters zu einer Geldstrafe von lächerlichen 5.000 Mark rechtskräftig abgeschlossen - ein Skandal ohnegleichen.

Nachdem am 22. Februar 1993 ein gelber Giftregen die Umgebung des HOECHSTer Werkes in Frankfurt-Grießheim verseuchte, wurde der Vorstandsvorsitzende geschasst. Eine derartig angemessene Konsequenz wollte man bei BAYER offensichtlich vermeiden, ein Bauernopfer auf unterster Ebene musste her. Anstatt sich mit systemimmanenten Sicherheitsmängeln und bis aufs Extremste gesteigertem Arbeitsstress zu beschäftigen, wurde - wie einfach - "menschliches Versagen" ins Feld geführt.

Ansonsten wurde vertuscht, verheimlicht und bagatellisiert. Noch Tage nach der Katastrophe hieß es, dass ernsthafte Gefährdungen ausgeschlossen seien. Bis heute, eineinhalb Jahre später, gibt es keine systematischen Untersuchungen über die Folgen der Explosion für die Bevölkerung. Schließlich steht das Wuppertaler Chemie-Werk mitten in einem dicht besiedelten Wohngebiet; sogar die Schwebebahn führt über BAYER-Gelände. Bis heute weiß eigentlich niemand außer BAYER exakt, was an dem Abend des 8. Juni 1999 passiert ist. Die Mär von den versehentlich vertauschten Substanzen durch einen angeblich nicht ganz zurechnungsfähigen Arbeiter kann keinen Experten überzeugen.

Auch die offiziellen Gerichtsakten lassen vieles im Dunkeln. Hier fehlen etwa die Vernehmungsprotokolle eines leitenden Mitarbeiters. Außerdem gibt es einen internen Hinweis darauf, dass die dem Anwalt der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) überstellten drei Akten ehemals einmal sechs Ordner füllten.

Allein der juristische Umgang mit unserer Kritik ist eine Unverschämtheit und hätte bei einer rechtlichen Überprüfung vermutlich keinen Bestand. Am 14. Juni 1999 erstattete die CBG Strafanzeige gegen Vorstand und Aufsichtsrat (!) des BAYER-Konzerns wegen des Verdachtes der Luft-, Boden- und Gewässerverunreinigung, des unerlaubten Betreibens von Anlagen, des unerlaubten Umganges mit gefährlichen Stoffen, der schweren Gefährdung durch Freisetzung von Giften und der Körperverletzung. Am 20. Oktober und erneut am 29. November 1999, zuletzt mit der Androhung von Dienstaufsichtsbeschwerde, wurde Akteneinsicht beantragt. Daraufhin teilte die Staatsanwaltschaft in Wuppertal am 2. Februar 2000 lediglich das Aktenzeichen mit. Am 29. Juni 2000 wurde die Vollmacht eines Verletzten eingereicht und auf dessen Berechtigung als Nebenkläger hingewiesen. Nach erneuter Androhung von Dienstaufsichtsbeschwerde und Fristsetzung wurde am 10. August 2000 endlich Akteneinsicht gewährt und besagtes Paket aus drei Ordnern übersandt. Zu unserem Erstaunen mussten wir allerdings feststellen, dass das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde, obwohl etwa der Nebenkläger zu keiner Zeit darin einbezogen war. Ein unglaubliches juristischer Vorgehen, dass den Verdacht der Komplizenschaft des Gerichtes mit dem BAYER-Konzern nahelegt.

Der "Störfall" bei BAYER zeigt zudem deutlich, dass wir eine neue Produkt- und Produktionshaftung brauchen. Es kann nicht angehen, dass ein Arbeiter, der die Befehle der Unternehmensleitung ausführt, vorgeschoben wird, wenn es knallt. Vielmehr müssen der Konzern selbst und der Vorstandsvorsitzende Verantwortung übernehmen und, bei Einführung der Beweislastumkehr, alle Schäden umfassend regulieren, notfalls durch Gewinnabschöpfung. BAYER-Chef Schneider muss seinen Hut nehmen.

Prof. Dr. Jürgen Rochlitz
Chemie-Professor, ehem. Bundestagsabgeordneter