SWB 01/01

Erkältungsmittel von Bayer erhöhen das Schlaganfall-Risiko

USA: "Dringender freiwilliger"
Alka- Seltzer-Rückruf

Von Udo Hörster

Scheinbar harmlose, freiverkäufliche Erkältungspräparate wie Bayers Alka-Seltzer bergen ebenso wie appetithemmende Pillen ein großes Gesundheitsrisiko. Der in ihnen enthaltene Pharmastoff Phenylpropanolamin (PPA) erhöht die Schlaganfall-Gefahr beträchtlich, fanden WissenschaftlerInnen der amerikanischen Yale-University heraus. Nach Bekanntwerden der Ergebnisse gab die US-Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration (FDA) eine "ungewöhnlich eindringliche" (ABC-News) Warnmeldung heraus und forderte die Hersteller zu einem freiwilligen Rückruf auf. Bayer kam dem nur unwillig und unvollständig nach.

Das Ergebnis der Forschungsarbeit war so brisant, dass die Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine die Öffentlichkeit schon Wochen vor dem geplanten Abdruck informierte. Wissenschaftle-
rInnen der Universität Yale sahen Frauen, die Alka-Seltzer, andere Erkältungsmittel oder appetitzügelnde Pillen einnehmen, einer besonderen Schlaganfall-Gefährdung ausgesetzt. Denn der in Alka-Seltzer und weiteren Husten- und Schnupfenmitteln enthaltene amphetamin-ähnliche Stoff Phenylpropanolamin (PPA) lässt das Risiko, einen so genannten hämorrhagischen Schlaganfall zu erleiden, um das Anderthalbfache steigen, nach einer erstmaligen Einnahme der Präparate sogar um das Dreifache. Beim Schlucken von Diät-Pillen nimmt die Gefahr noch stärker zu: um das Fünfzehnfache. Der Grund für diese alarmierenden Befunde dürfte in der blutdrucksteigernden und gefäßentzündungsfördernden Wirkung des PPA liegen.

Schon von 1969 an hatte die FDA Meldungen über 16 Todesfälle nach Einnahme von Appetitzüglern und sechs Todesfälle nach dem Schlucken von Alka-Seltzer & Co. erhalten. Parallel dazu publizierten Medizin- Zeitschriften seit 1979 30 Fallstudien über den Zusammenhang zwischen PPA und dem hämorrhagischen Schlaganfall. 1992 entschloss sich die Gesundheitsbehörde, eine groß angelegte Studie zu dem Pharmastoff in Auftrag zu geben. Acht Jahre, die das Leben von Menschen unnötig aufs Spiel setzten, meinte der Mediziner Sidney Wolfe auf einer FDA-Anhörung. Seiner Meinung nach hätte PPA schon sehr viel früher aus dem Verkehr gezogen werden können. "Mir ist nicht klar, warum die Studie gemacht werden musste. Ich denke, dass die zehn oder noch mehr Jahre zurückliegenden Veröffentlichungen klar genug waren."

Aber die Yale-Untersuchung ließ der FDA dann keine Wahl mehr. Sie handelte unverzüglich. "Es ist wichtig für Verbraucher, sich des Risikos dieses Bestandteils bewusst zu sein", warnte Behörden-Chef Charles Ganley und empfahl den Herstellern eine Rückruf-Aktion. Bei geschätz-
ten 200-500 Todesfällen durch die jährlich eingenommenen sechs Milliarden PPA-Dosen war keine Zeit mehr zu verlieren.

Einige Unternehmen teilten diese Einschätzung und ergriffen umgehend Maßnahmen. Bayer und andere Firmen hingegen lavierten herum, um möglichst viele der gefährdeten Umsatz-Millionen zu retten. Nach Bekanntwerden der alarmierenden Fakten aus den USA hieß es aus dem Mund der Leverkusener Bayer-Pharmazeutin Brigitte Havertz, in der Bundesrepublik gäbe es gar kein, in den USA lediglich ein PPA-haltiges Alka-Seltzer-Produkt. Dies sei vom Markt genommen worden. Der Wahrheit entsprach diese Angabe nicht, denn die FDA-Liste mit 400 Mitteln führte zehn Bayer-Produkte auf. Am 8. November bequemte sich der Chemie-Multi zu einem Rückruf der verschiedenen PPA-haltigen Alka-Seltzer-Zusammensetzungen, nicht jedoch von sechs Erkältungs-
mitteln, die ebenfalls PPA enthalten. Und selbst diese ungenügende Maßnahme erfolgte nur widerwillig. Der absurden Formulierung "Dringender freiwilliger Produkt-Rückruf" war der Groll ebenso anzu-
merken wie der Begründung: "Es ist bestimmt worden, dass es einen Zusammenhang zwischen Phenylpropanolamin und dem hämorrhagischen Schlaganfall gibt, und die FDA hat empfohlen, PPA nicht generell als sicher (...) zu betrachten." Bayer sah die Sache natürlich ganz anders. "Wir sind weiter von der Sicherheit unserer Mittel überzeugt!" tönte ein Konzern-Sprecher und wollte von den PPA- Todesfällen noch nie etwas gehört haben. Die großen Konzerne gingen sogar in die Offensive und zauberten routiniert einen "Experten" aus dem Hut, der die Yale-Studie in Zweifel zog und bedauerte, dass die Menschen an sie glaubten, "als ob sie ein Evangelium wäre". Die Pharma-Multis wären halt nicht die Pharma-Multis, wenn sie wegen 200-500 Schlaganfall-Toten pro Jahr durch PPA widerstandslos auf ihre Profite verzichteten.