SWB 01/01

Konzern-Produkte sind Risiko-behaftet:

BAYER & BSE

Von Jan Pehrke

Die Ursache des Rinderwahnsinns steht noch nicht zweifelsfrei fest. Die gängige Theorie, nach der die Verfütterung von Tierkadaver-Mehl, das unter anderem aus an der Traberkrankheit (Scrapie) verendeten Schafen produziert wurde, bei Rindern BSE hervorgerufen hat, ziehen nicht wenige ForscherInnen in Zweifel. Unstrittig ist jedoch inzwischen, dass der BSE-Erreger bei Menschen die Creutzfeldt-Jacob-Krankheit (CJK) auslösen kann. Mit bis zu 250.000 CJK-Todesfällen rechnen ExpertInnen in den nächsten Jahren.

Neben Fleisch stellen auch Pharma-Produkte einen Risiko-Faktor dar. Das geriet schon Mitte der 80er Jahre schlagartig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, als in Frankreich 40 Kinder nach der Injektion eines Wachstumshormons starben, das mit dem CJK-Erreger infiziert war. In Wachstumshormonen und anderen Impfstoffen befinden sich Talg, Wollwachs, Klauenöl und Gelatine vom Rind. Gelatine ist zudem in jeder Arznei mit Kapsel-Umhüllung enthalten. Der Milchzucker Lactose dient in Medikamenten als Trägerstoff, und tierische Fette verwenden die Pillen-KocherInnen als Bindemittel. Rinder-Bestandteile lassen sich in 70 % aller Pharma-Erzeugnisse nachweisen. Das "Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte" schließt für keines von ihnen eine BSE-Kontamination mit absoluter Sicherheit aus.

Der Pharma-Kritiker Peter Eckert, der von 1989 bis 1996 bei BAYER für die Arzneimittelsicherheit zuständig war, hält die vom Leverkusener Chemie-Multi eingeleiteten Vorsichtsmaßnahmen hingegen für ausreichend. Speziell entwickelte Tests, mehrstufige Reinigungs-
prozeduren und der Verzicht auf Hilfsstoffe tierischen Ursprungs schließen ein BSE-Risiko aus, so Eckert in seinem Buch "Das Pharmakartell". Da spricht der Autor sicherlich auch in eigener Sache, denn höchstwahrscheinlich war er an der Einführung dieser Sicherheitsverfahren beteiligt. Sollte seine optimistische Einschätzung trotzdem zutreffen, so hat sie doch nur einen begrenzten Aussagewert, denn sie trifft  bestenfalls auf BAYERs bundesdeutsche Produktion zu und gilt nur für Medikamente, nicht jedoch für Blut- und Gene-Pharming- Produkte.

BSE-Risiko Blut- und Gen-Produkte
Gerade Blutplasma-Präparate sind mit hohen Risiken behaftet. In der Vergangenheit hat das der AIDS-Skandal gezeigt. Mit dem HI-Virus kontamierte BAYER-Plasma-Präparate haben Tausende von Blutern das Leben gekostet. Heutzutage stellt die Übertragung des Creutzfeldt- Jacob-Erregers via Blutprodukte die größte Gefahr dar. Hat nur ein/e BlutspenderIn die durch BSE-verseuchtes Fleisch ausgelöste CJK, so gefährdet sein/ihr Plasma an die 10.000 PatientInnen. In der Produktion kommt nämlich das Blutplasma von bis zu 400.000 SpenderInnen zusammen in einen Pool und verteilt sich entsprechend auf die Endprodukte. 1994 forderte die US-Gesundheitsbehörde "Food and Drug Administration" (FDA) die BAYER-Tochter MILES sowie die Pharma-Unternehmen BAXTER und SANDOZ zu einem Rückruf von Blut-Produkten auf, da sie mit dem CJK-Erreger kontaminiert waren. 1997 musste der Leverkusener Multi mit PROLASTIN erneut ein Plasma-Präparat vom Markt nehmen: ÄrztInnen hatten bei einem Spender CJK diagnostiziert.

Aber trotz dieser beängstigenden Entwicklung lässt sich die Industrie nicht davon abhalten, Tiere in großem Maßstab zu Produktionsmitteln herabzuwürdigen. Im Gegenteil, mit der Gentechnik erreicht diese erbarmungslose "Vernutzung" eine neue Dimension. BAYER hat Schafen in Kooperation mit der schottischen Biotech-Firma PPL THERAPEUTICS ein Fremdgen eingeschleust. Es produziert im Euter der Tiere ein Pharma-Protein, das anschließend aus der Milch extrahiert wird. Dieses "Doing drugs the milky way", wie BAYER die Umfunktionierung von Schafen zu Arznei-Fabriken auf vier Beinen beschönigend umschreibt, birgt ein großes BSE-Risiko. Denn nicht nur halten einige WissenschaftlerInnen die Schafskrankheit Scrapie für die Ursache von BSE, die Schafe können auch selbst an der Rinderseuche erkranken. Deshalb hat die Ex-Gesundheitsministerin Andrea Fischer auch ein Import-Verbot über Schafe aus Großbritannien verhängt.

BSE? - "kann nicht sein"
Die Pharma-Industrie hat das Auftreten der ersten BSE-Fälle völlig kalt gelassen. 1989 antworteten BAYER & Co. auf eine Frage nach der Gefahr einer Übertragung durch Pharma-Produkte unisono "kann nicht sein". Die acht Jahre später als Empfehlungen vorgelegten strengeren Richtlinien des Europäischen Veterinärausschusses kanzelten sie als "unmässige(n) und wissenschaftlich nicht haltbare(n)" Einschränkungen ab. Dank offensiver Lobby-Arbeit fanden sie willfährigste Unterstützung im Bundesministerium für Gesundheit. Ein hoher Beamter des Ministe-
riums sah in der Richtlinie "eine einseitige Maßnahme zu Lasten von Arzneimitteln" und warnte vor gesundheitsbedrohlichen Versorgungs-
engpässen, falls auf Rinder-Materialien in Medikamenten verzichtet würde. Die staatliche Hilfsbereitschaft führte auch dazu, BAYER & Co. selbst mit der Kontrolle in Sachen Rinderseuche zu beauftragen. Natürlich haben die Pharma-Multis bei sich bis heute nichts Besorgnis erregendes gefunden. Nicht weniger überraschend ist es, dass sie keinerlei Anstrengungen unternehmen, Therapeutika gegen CJK zu entwickeln. Da "der Markt sehr klein sei", also nicht genug Menschen daran erkranken, als das daran etwas zu verdienen wäre, wollen sich die im von BAYER gegründeten "Verband der Forschenden Arzneimittel-
hersteller" organisierten Pillen-Unternehmen vorerst nicht mit dieser heimtückischen Krankheit befassen.

Pestizide als BSE-Förderer?
In der Massentierhaltung verwendete Veterinär-Produkte spielen bei der Entstehung bzw. Ausbreitung des Rinderwahnsinns möglicherweise eine größere Rolle als bislang angenommen. Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer hält Wachstumshormone für den Auslöser der BSE-Krankheit. Peter Eckert verdächtigt sie in seinem Buch ebenso wie die von BAYER massenhaft hergestellten Antibiotika, zumindest an der Ausbreitung der Rinderseuche beteiligt zu sein. Diese Erklärungsversuche erlangen eine zunehmende Bedeutung, da es WissenschaftlerInnen in Fütterungsver-
suchen bis zum heutigen Zeitpunkt nicht gelungen ist, Tierkadaver-Mehl als BSE-Ursache auszumachen. Der britische Biobauer Mark Purdey gab seinen Rindern ebenfalls Kadaver-Mehl zu fressen, hatte im Gegensatz zu den LandwirtInnen der Nachbarschaft aber lange keine BSE-Fälle zu beklagen. Zugleich war er der einzige Bauer, der sich trotz einer staatlichen Vorschrift weigerte, seine Kühe mit dem gegen die Dasselfliege wirkenden Insektizid PHOSMET zu behandeln. Deshalb vermutete Purdey einen Zusammenhang zwischen der Pestizid- Ausbringung und der Entstehung der Tierseuche. Auf eigene Faust verglich er das Hirngewebe BSE-infizierter Rinder mit dem Hirngewebe Pestizid-vergifteter Labortiere und stellte übereinstimmende krankhafte Veränderungen fest.

Er veröffentlichte seinen Befund in einer Fachzeitschrift und stieß auf einhellige Ablehnung. Die Pestizid-Industrie fürchtete um ihre Profite, und ihre Lobby-Organisation "National Office of Animal Health" (NOAH) ging sogleich in die Offensive. Das NOAH, dessen Mitglieder-Register sich nach Ansicht der Publikation Corporate Watch wie die "Einladungsliste einer White House Dinner Party" liest und neben BAYER auch die üblichen Verdächtigen MONSANTO, INTERVET, NOVARTIS, PFIZER in seinen Reihen führt, präsentierte mit Dr. David Ray umgehend einen sie entlastenden "unabhängigen" Experten. Leider war Ray alles andere als unabhängig. BAYER und der ASTRA-Konzern, der später mit dem PHOSMET-Hersteller ZENECA fusionierte, haben dem Wissenschaftler nämlich sein Forschungslabor co-finanziert. Das habe ihn aber keinesfalls in seinem Urteil beeinflusst, behauptete Ray scheinheilig. Dass ASTRA-ZENECA PHOSMET produziert, habe er gar nicht gewusst. Zur Belohnung für seine Dienste darf der Forscher seine "Unabhängigkeit" jetzt auch in dem staatlichen "Veterinary Products Committee" (VPC) demonstrieren.

Aber die Chemie-Multis ließen den Biobauern nicht nur schein- wissenschaftlich, sondern auch physisch attackieren. Unbekannte brannten sein Haus nieder, zerstörten seine wissenschaftliche Bibliothek und kappten die Telefonleitung. Seine Frau wurde massiv bedroht. Schließlich starb der Tierarzt, der Purdey bei den Untersuchungen immer unterstützt hatte, unter mysteriösen Umständen bei einem Verkehrsunfall.
Trotzdem setzte der Landwirt seinen Weg unbeirrt fort. Er wandte sich an den Neurologen Stephen Whatley vom Londoner Institut für Psychiatrie und bat ihn, die Pestizid-Hypothese in seinem besser ausgestatteten Labor zu überprüfen. Und tatsächlich fand Whatley Hinweise dafür, dass Agrochemikalien das BSE-Krankheitsgeschehen beeinflussen könnten.

Die Rinderseuche wird durch Eiweiße ausgelöst, die keine eigene DNA haben, so genannte Prionen. Diese wandeln gesunde Prionen in krankhafte, vom Stoffwechsel nicht mehr abbaubare um. Pestizide nun, so fand der Neurologe heraus, greifen in den Eiweiß-Stoffwechsel des Körpers ein. Sie sorgen für eine vermehrte Prionen-Bildung und stören an der Zellmembran die Prionen-Aufspaltung durch Enzyme.
Der Wissenschaftler betrachtet die Chemikalien deshalb als einen Faktor, der die Empfänglichkeit für BSE erhöht und forderte vermehrte Forschungsarbeiten in diese Richtung. Dieser Einschätzung folgte dann auch die staatliche britische BSE-Kommission.

Ganz gleich, was die Forschung in den nächsten Jahre noch über die Seuche herausfinden wird, die Produktionsbedingungen unter dem Regime der industrialisierten Landwirtschaft stehen als strukturelle Ursache längst fest. BAYER ist in doppelter Weise an den agro- industriellen Komplex angeschlossen: als Lieferant von Pestiziden, Antibiotika und anderen Veterinär-Produkten sowie als Bezieher von Risiko-Materialien zur pharmazeutischen Weiterverarbeitung. Und der Konzern schickt sich sogar an, als Züchter von Schafen, die als gentechnisch manipulierte Pharma-Produzenten dienen sollen, ein ganz neues Kapitel in der Horror-Show "Das Land, das Tier und der Tod" aufzuschlagen.