SWB 01/01

BAYER & Co. bringen Schröder auf neuen Gentech-Kurs:

Der Gen-Genosse der Bosse

Von Jan Pehrke

Ein Großteil der Öffentlichkeit reagierte mit Überraschung auf den Kurswechsel der Regierung in Sachen Gentechnik nach der Kabinetts-
umbildung im Januar 2001. Doch Schröder hatte diesen Coup von langer Hand vorbereitet. Ausgangspunkt der Planungen:
Die Leverkusener BAYER-Zentrale. Am 3.2.00 sprach dort der Bundeskanzler mit Konzernchef Schneider sowie der gesamten Führungsriege des "Verbandes der Chemischen Industrie" (VCI) unter Ausschluss der Presse über das künftige Vorgehen in der Gentechnik- Politik.

Zuvor hatte im Sommer 2000 beim obersten Biotechnologen der Nation, Ernst-Ludwig Winnacker, BAYER-Aufsichtsrat und Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), das Telefon geklingelt. Am anderen Ende der Leitung: Gerhard Schröder. Der Bundeskanzler wollte wissen, "was da so wichtig ist" auf dem Felde der Gentechnik, erzählte Winnacker der "Zeit". Der Wissenschaftler ergriff die willkommene Gelegenheit zur Politik-Beratung und schrieb Schröder "ein paar Gedanken" auf. Dessen Büro strickte daraus einen Artikel, der das Signal zum Kurswechsel in der Gentech-Politik gab. Lange angekündigt und schließlich kurz vor Weihnachten in der "Woche", der Zeitung des Schröder-Intimus Manfred Bissinger, veröffentlicht, liest sich der Beitrag dann auch tatsächlich wie die Abschrift des Wunschzettels von BAYER & Co. Forschungspolitik gerät in dieser "Regierungserklärung" vollends zur Standortpolitik: "Und gerade weil bei diesem Thema (...) Wissen buchstäblich Macht ist, muss dieses Wissen weiterentwickelt, verfügbar gehalten und allen zugänglich gemacht werden". Damit es seine ganze (Wirtschafts)Macht entfalten kann, muss den Konzernen dann auch die privatwirtschaftliche Aneignung von wissenschaftlichen Erkenntnissen gestattet sein, sprich die Patent-Erhebung auf Pflanzen, Tiere und menschliche Proteine. Sich gegen diesen kapitalistischen Zugriff auf das Vitale unter dem Banner "Kein Patent auf Leben" zur Wehr zu setzen, kanzelt der Kanzler kurz und knapp als polemische Reduktion des Sachverhaltes ab. Nichts steht der unbeschränkten Entfaltung der Wissensmacht so sehr entgegen wie "ideologische Scheuklappen" und "grundsätzliche Verbote". Deshalb tritt Schröder dafür ein, die Präimplantationsdiagnostik (PID) zuzulassen, mittels derer im Reagenzglas gezeugte Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter einem selektionistischen Gen-Check unterzogen werden können.

Einmal nimmt der Ghostwriter Winnacker in dem Text als Repräsentant der DFG sogar leibhaftig Gestalt an: Schröder stimmt "mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft überein", dass die Biotechnolo-
gInnen erst dann an embryonalen Stammzellen forschen dürfen sollen, wenn das "therapeutische Klonen" von erwachsenen Stammzellen sich als undurchführbar erwiesen hat.

Eingekleidet ist der nüchterne Wirtschaftsjournalismus des Kanzlers in eine naiv-überbordende Forschungseuphorie im Stile der "Was ist was"-Kinderbücher. Die Entschlüsselung des Genoms vergleicht er mit der Landung auf dem Mond und wundert sich nur, dass der neuerlicher "riesige Sprung für die Menschheit" von dieser "eher verhalten" aufgenommen wurde. Das hält den SPD-Politiker aber keinesfalls davon ab, sich zu noch gewagteren Analogien aufzuschwingen, fühlt er sich doch bei den die Grenzen des Machbaren immerfort weiter verschie-
benden Gen-WerkerInnen an Galileo Galilei erinnert, dessen Forscher-
drang auch "keine Macht der Welt" Einhalt gebieten konnte.

Vorausgegangen war dem Setzen des Marksteins auf dem Weg zu einer von allen Bedenken losgelösten neuen Gentech-Strategie und dem sommerlichen Winnacker-Telefonat ein Treffen zum Thema Gentechnik- Politik bei BAYER mit der gesamten Führungsriege des Verbandes der Chemischen Industrie. Neben Konzern-Chef Manfred Schneider als Gastgeber waren der BASF-Vorstandsvorsitzende Jürgen Struwe, der DEGUSSA-HÜLS-Boss Ernst-Uwe Bufe und der VCI-Geschäftsführer Wilfried Sahm anwesend. Über den Verlauf des Gesprächs haben die Herren der Presse gegenüber Stillschweigen vereinbart. Vermutlich haben Wirtschaft und Politik aber schon dort eine konzertierte Aktion zum Sorgenkind "Grüne Gentechnik" ausgeheckt, mit dem zum Kummer der Konzern-Eltern bislang keiner so recht spielen will. Vielleicht gab auch Winnacker den entscheidenden Anstoß. Im Juni 2000 jedenfalls regte der Bundeskanzler so etwas wie einen regierungsamtlichen, auf drei Jahre befristeten Freisetzungsversuch an. Danach sollte dann endgültig grünes Licht für die "grüne Gentechnik" gegeben werden. Als flankiernde Maßnahme kam es dann ab Herbst des Jahres zu drei offiziellen Zusammenkünften von RegierungsvertreterInnen und Repräsentanten der momentan vom NOVARTIS-Mann Dr. Wissler geleiteten "Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie", dessen Vorsitzender 1998 BAYERs Forschungschef Pol Bamelis war. Dort verabredeten sie unter anderem die Erstellung eines "Verständigungs-
papiers". BSE sei Dank bekam der Kanzler aber kalte Füße, kurz bevor es Ende Januar 2001 der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte - in Zeiten des erstarkten Verbraucherschutzes erschien es ihm nicht opportun, mit dem Start in die "grüne Gentechnik" ein neues Risiko-
technologie-Fass aufzumachen.

Aber die BSE-Krise hatte auch ihr Gutes. Sie lieferte Schröder den Vorwand, die ohnehin geplante Kabinettsumbildung vorzuziehen und das zur Umsetzung der neuen Gentech-Politik so wichtige Gesundheits-
ministerium unter seine Fittiche zu bekommen. Die Grünen hatten nicht groß etwas dagegen und so konnte das Aufräumen beginnen. Wenige Tage nach dem Rücktritt Andrea Fischers bekamen ihre Staatssekre-
tärInnen die Entlassungsurkunde und wurde das streng reglementie-
rende PID-Gesetz aufs Eis gelegt - vermutlich für immer. Der neue SPD-Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen kündigte einen "Klimawechsel" an und griff diejenigen KritikerInnen an, die "von vornherein unterschiedliche Moral-Vorstellungen zur Nicht-Moral" erklären. Sein Chef Schröder hatte diese einige Tage vorher beim Jahresempfang der Evangelischen Akademie als "Ethik-Oligarchie" denunziert.

Dieses Vorpreschen ging sogar einigen Konservativen zu weit. Der CDU-Abgeordnete Hubert Hüppe sah nur noch die Philosophie "Ökonomie statt Moral" am Werk. Und die katholische "Rheinische Post" aus Düsseldorf wollte gar die Grünen zu einem "Wehret den Anfängen" bewegen wider einen Schröder, der "die Herausforderungen der Gentechnik vorrangig als Standortfaktor für Wachstumsbranchen betrachtet". Bundespräsident Johannes Rau nutzte schließlich den Holocaust-Gedenktag, um seinem Parteifreund ins Gewissen zu reden. Aus gegebenem Anlass musste er bei ForscherInnen, die gegen gängige Konventionen verstießen, nicht so sehr an Galileo Galilei denken, sondern an die grausamen KZ-Ärzte, die Menschenversuche mit Gefangenen unternahmen. Dieses Kontinuum einer Wissenschaft, die sich um Moral wenig schert, ist im BAYER-Konzern wie in keinem anderen bundesdeutschen Unternehmen präsent. In der Nazi-Zeit probierten BAYER-Ärzte neue Medikamente an KZ-Insassen aus, und heute lassen ihre Nachfolger Schafe klonen, um sie zu Arznei-Fabriken auf vier Beinen zu machen. Respekt vor dem Leben rechnet sie heute halt ebenso wenig wie früher.