SWB 03/01

Pestizide machen bolivianische Bauern krank

BAYERs Gift-Cocktails
für den schleichenden Tod

Von Amanda Davila

Die bolivianische Chemikerin Tania Santivañez betreibt eine unermüdliche Aufklärungsarbeit, um Bauern und Bäuerinnen vor den oft tödlichen Gefahren im Umgang mit Pestiziden zu warnen. Im April diesen Jahres war sie in der Höhle des Löwen. Eingeladen von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG), berichtete sie auf der Hauptversammlung von BAYER, einem der größten Pestizid-Anbieter in Bolivien, über die katastrophalen Folgen des Ackergift-Einsatzes in ihrem Land. Ein zuerst in der Zeitschrift Pulso erschienener Artikel vermittelt ein anschauliches Bild von ihrer aufreibenden Tätigkeit und von der Situation vor Ort.

 Teodorico Piérola probiert die Mischung: "So stimmt's", sagt er, indem er die weißliche Flüssigkeit auf der Zunge zergehen lässt. Wie ein Weinkenner, nur, dass es sich nicht um Wein, sondern einen Pestizid-Cocktail handelt, der imstande ist, ein menschliches Herz in seine roten Bestandteile zu zerlegen. "So rot wie die Tomaten, die er anbaut", denkt Tania Santivañez, Chemikern der privaten Universität Nuestra Señora de La Paz, die seit längerer Zeit schon die ländlichen Regionen Boliviens bereist, um die Folgen des Ackergift-Gebrauchs zu untersuchen.

Die Zahl der Vergiftungen durch Agrochemikalien, die zwar auch in Bolivien verboten sind, aber dennoch weiter verkauft werden, hat in den letzten 30 Jahren dramatisch zugenommen. Leukämien und Anämien (Blutarmut) in Tarija, Fehlgeburten und Missbildungen in Cochabamba oder Vergiftungen der Muttermilch hat Tania Santivañez in verschiedenen Regionen des Landes nachgewiesen. Akute Todesfälle, Herzleiden, Neuralgien sind weitere Folgen des Chemiegebrauchs.

"Zwei Esslöffel FOLIDOL, zwei ANTRACOL, drei ULTRAZUL..."
Tania Santivañez notiert das Rezept des Bauern Teodorico Piérola aus der Gemeinde Juzgado, Omereque in der Provinz Campero von Cochabamba, der stolz darauf ist, damit das Allheilmittel zum Schutz seiner Tomaten gefunden zu haben. Omereque ist das Hauptanbau-
gebiet für Tomaten in Cochabamba und auch die Region, in der am meisten Pestizid-Cocktails gemischt werden.

Diese Cocktails, (deren Bestandteile FOLIDOL und ANTRACOL BAYER-Produkte sind, Anm. SWB) landen aber nicht nur auf den Tomaten, sondern auch auf anderen Produkten und werden oft aus Mischungen zusammengemixt, die selbst schon vom Händler in Geschäften oder an Straßenständen manipuliert worden sind.
Neu verpackt, in kleineren Portionen, die billiger zu erstehen sind als das Originalprodukt. "Die Schädlingsbekämpfungscocktails werden hier ohne Rücksicht auf die empfohlene Dosierung und ohne Vorsichtsmaßnahmen zusammengemischt", sagt Tania Santivañez, "und die Behälter nachher achtlos in Bäche oder die Landschaft geworfen."
 

Zu Einsamkeit verurteilt?

Die Agro-Industrie, kaum mehr als sechs Konzerne, setzt 21 Milliarden Dollar im Jahr um. Drei Millionen Tonnen Pestizide werden pro Jahr produziert, und ein Viertel davon landet in Lateinamerika. Gegen diese Macht zu kämpfen, verurteilt zu Einsamkeit. "Wir haben mit den Umweltschützern nichts am Hut", hatte eine Agrartechnikerin aus Tarija zu Tania gesagt. "Unsere Aufgabe ist es, den Bauern zu zeigen, wie sie mit den Schädlingsbekämpfungsmitteln besser produzieren können." Und aufgrund ihrer Indifferenz und ihres fehlenden Umweltbewusstseins empfehlen zahlreiche AgronomInnen in der Provinz Méndez in Tarija sogar verbotene Agrarchemikalien. "Das FOLIDOL ist für heute und morgen und tötet die Schädlinge sehr schnell", versichert ein Bauer der Region. "Das TAMARON braucht etwas länger, bis es die Schädlinge tötet." Aber es schädigt und tötet auch die Kleinbauern und -bäuerinnen innerhalb von wenigen Tagen. Einlieferungen von Bauern mit FOLIDOL- oder TAMARON-Vergiftungen (beides BAYER-Produkte, Anm. SWB) sind im Krankenhaus von Iscayachi keine Ausnahme. Aber das Schlimmste sind die Leukämie-Fälle unter Kleinbauern und -bäuerinnen im Krankenhaus der Departementshauptstadt Tarija , die zuvor Agrarchemikalien eingesetzt hatten. In einem halben Jahr wurden vier solcher Falle eingeliefert. Und 58% der PatientInnen des Krankenhauses leiden unter Anämie. Blumen, Missbildungen, Fehlgeburten

Tiquipaya ist ein 13.000 EinwohnerInnen zählender Ort im Einzugsgebiet von Cochabamba. Es ist eines der Hauptanbaugebiete für Blumen in Bolivien. Für den nationalen Markt ebenso wie für den Export. Hier kommen unter anderem die Pestizid-Wirkstoffe Azociclorin, Amitrax, Captan, Tebuconazole (in zahlreichen BAYER-Pestiziden enthalten, Anm. SWB) Iprodione, Benomyl, Antracol und Zineb intensiv zum Einsatz. Ebenso intensiv wie die Frauen, die nur die Hälfte dessen verdienen, was Männer für diese Arbeit bekommen. Jedes Zwanzigste der 1996 im Krankenhaus von Tiqipaya geborenen Kinder von Kleinbauern hatte mehrfache Missbildungen. 8,7 Prozent der PatientInnen des Krankenhauses waren wegen Fehlgeburten eingeliefert worden. Im Jahr 2000 lag der Anteil der missgebildeten Neugeborenen noch bei 3,8 Prozent. Deshalb fördert die Universität Nuestra Señora La Paz in der Region den Einsatz natürlichen Düngers und biologischer Schädlingsbekämpfungsmethoden.
 

Der Krieg im Chapare ist auch ein chemischer Krieg

Und welche Ergebnisse haben die Bananen dem Chapare, der früheren Haupt-Kokaanbauregion Boliviens gebracht? Zahlreiche gute Ergebnisse und ein sehr gefährliches: Das Auftreten des so genannten Cigatoca Negra, eines Pilzes, der die intensive Verwendung der Ackergift-Wirkstoffe Benomyl, Tridimemoph, Propiconazole, Mancozeb nach sich gezogen hat, um die Plantagen zu retten. Einige dieser Chemikalien sind nachweisbar krebserregend oder schädigen die Gene. Eine andere bei traditionellen Anbauprodukten verwendete Chemikalie ist Paraquat, das in den Kokafeldern zusammen mit Carbaryl, Monocrotophos, Methamidaphos (enthalten in den BAYER-Produkten LIZETAN, MESUROL und PROVADO, Anm. SWB) und Ethyl-Parathion (ebenfalls Wirkstoff von BAYER-Pestiziden, Anm. SWB) eingesetzt wurde. Für Paraquat wird auf großen Plakaten entlang der Überlandstrasse durch den Chapare geworben.

Die Spirale der Gewalt im Chapare hat auch chemische Komponenten. Am 31. Juli 1997 beschützten zwei Hubschrauber der US-amerikanischen Antidrogenbehörde DEA ein kleines weißes Flugzeug, das zwei Stunden lang in nicht mehr als 15 Meter Höhe über die Kokafelder flog - eine Woche später wurden die Pflanzen braun und vertrockneten. Folgen all dieser Chemie-Einsätze sind Fehlgeburten, Anämien und Missbildungen bei Neugeborenen in den Krankenhäusern der Region.
 

Der Gestank von Los Negros

Für Tania Santivañez hat der Gestank auf den Tomaten-Feldern in Los Negros in der Provinz Florida im Tiefland bei Santa Cruz nichts Überraschendes mehr. Und die KonsumentInnen scheint er nicht zu interessieren. Es sind die typischen Gerüche eines unverantwortlichen Einsatzes von Schädlingsbekämpfungsmittel in dieser Region, in der 80 Prozent des Gemüses für Santa Cruz, der größten Stadt des Landes, produziert werden. 87 Prozent der Bauern und Bäuerinnen arbeiten hier bereits seit mindestens zehn Jahren mit Ackergiften. Nach einer 1986 durchgeführten Studie über die Auswirkungen der Agrochemikalien litten 29,7 Prozent der Bauern und Bäuerinnen unter Vergiftungssymptomen. Weil keine Gelder mehr dafür zur Verfügung gestellt werden, wurden diese Untersuchungen nicht weitergeführt.

Wenn Tania Santivañez Bauern wie Teodorico Piérola sieht, denkt sie, dass es Zeit ist, dass die Tomaten frei von Pestiziden aufwachsen und vor allem frei von dem so resistenten Gift des Desinteresses.
 

Übersetzt und bearbeitet von Peter Strack, Mitarbeiter des Anden-Büros von TERRES DES HOMMES, das die Stiftung der Universität Nuestra Señora de La Paz bei dem Projekt der Reduzierung des Pestizid-Einsatzes in der Blumenproduktion von Tiquipaya sowie beim Aufbau von Mechanismen des Umweltmanagments in der Region unterstützt. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von ila, der Zeitschrift der Informationsstelle Lateinamerika.