SWB 04/01

Schnellere Ermittlungen im Bestechungsskandal

Portugal: BAYER-Gate und kein Ende

Von Henrietta Bilawer

Der Fall BAYER-Gate ist in Portugal immer noch nicht zu einem Abschluss gelangt (SWB 4/97). Jahrelang haben die Behörden das Verfahren verschleppt, dass der ehemalige BAYER- Pressesprecher Alfredo Pequito in Gang gebracht hatte. Er warf seinem ehemaligen Arbeitgeber Bestechung und andere unlautere Geschäftsmethoden vor. Ein lebensgefährliches Unterfangen: Bereits zwei mal wurden auf ihn Attentate verübt. Die Wellen, die der LIPOBAY-Skandal bis nach Portugal geschlagen hat, veranlassen die Staatsanwaltschaft jetzt aber endlich, die Ermittlungsverfahren zu beschleunigen.

Reisen im Orient-Express für ÄrztInnen, die das BAYER-Präparat LIPOBAY Konzerns verschrieben, hunderte von Mark für jede “Beobachtungsstudie”, die ein Mediziner für ein paar zu Papier gebrachte Worte über die Reaktion eines Patienten auf eine bestimmte Arznei erhielt, eine mehrtägige Luxus-Reise mit Aufenthalt im 5-Sterne-
Hotel in Nizza mitsamt der Frau Gemahlin fĂĽr eine Teilnahme an einer dreistĂĽndigen Werbe-Veranstaltung fĂĽr ein Rheumamittel - diese und viele andere Bonbons haben Ă„rztInnen in der Bundesrepublik erhalten, wenn sie sich kooperativ im Einsatz von Heilmitteln des Leverkusener Pharmariesen zeigten.

Einer, der eben jene Praktiken bereits 1998 angeprangert hat, ist der ehemalige Pressesprecher von BAYER Portugal, Alfredo Pequito. Pequito, ein unaufdringlicher, bescheidener und sympathischer Mann - verheirateter Vater zweier heranwachsender Töchter - zeigt auf die vor ihm liegende Ausgabe der englischsprachigen und international erscheinenden Monatszeitschrift Fortune, die auf zehn Seiten ausführlich über einen gnadenlosen Konkurrenzkampf zwischen europäischen und lateinamerikanischen Arzneimittelproduzenten berichtet:

“Dieser Artikel macht jedem klar, daß in der Branche nicht mit Samthandschuhen gearbeitet wird.” Fortune berichtet über zwei BAYER-Mitarbeiter, die als Sondereinsatzgruppe Piratenherstellern auf der Spur war - ausgerüstet mit allerlei James Bond-Utensilien, die nötig sind, wenn man zu nächtlicher Stunde in stacheldraht-bewehrte und scharf bewachte Fabrikationsanlagen rein muss, um Beweise für Produkt-Piraterie ranzuschaffen. Beim letzten Versuch dieser Art, von welchem die beteiligten BAYER-Leute in dem Bericht Zeugnis ablegen, dauerte der nächtliche Ausflug sieben Monate - er endete in einer schäbigen Gefängniszelle auf Zypern. Die Rede ist, so Fortune, von einem “schmutzigen Krieg ohne Regeln und ohne Konventionen.”

Ähnliches beobachtet Alfredo Pequito, einst mit rund 500.000 Escudos pro Monat gut bezahlter Funktionär der BAYER-Dependance in Portugal, auch in seinem Heimatland. Natürlich gehe es um Geld und Umsatz, schließlich liegen Gewinnspannen beim Mixen und Verkauf gängiger und in der Herstellung billiger Arzneipulver über denen, die etwa mit Kokain erzielt werden. Solche Geschäftsfelder überlässt man nicht ohne Not einfach anderen.

In Portugal, so Pequitos zentraler Vorwurf, hätte der Arzneimittelkonzern systematisch und fast flächendeckend durch eine von der Ärzte- Standesorganisation protegierte sowie vom Gesundheitsministerium tolerierte Geschenk- beziehungsweise Bestechungspraxis nachgeholfen, sich eine markt-beherrschende Position zu sichern. Ebenso wichtig wie hohe Umsätze dürfte für den Konzern das bisher fast durchgängig positive Unternehmensimage sein. Das positive Helfer-Image sieht Alfredo Pequito, sollte denn die Justiz einen wirklichen Aufklärungswillen besitzen und ihn auch durchsetzen können, als gefährdet an.

Der Ex-BAYER-Mitarbeiter spannt, ohne sich zu erregen und eher traurig, einen Bogen von den unsäglichen “medizinischen” Experimenten im Dritten Reich zu einer heutigen Haltung, die sich in nur verfeinerter Form über berechtigte Interessen von PatientInnen hinwegsetzt und die eine materielle Verkaufsphilosophie letztlich über die Gesundheit des Menschen stellt. Familienvater Pequito sieht hierfür eine Bestätigung in den Berichten, die fast zwanzig, in europäischen Ländern tätige Product and Medical Manager von BAYER für ihren Arbeitgeber anfertigen mussten: Auswertungen der medizinischen Erfahrungen über die Wirkungen des vor einigen Jahren entwickelten und mittlerweile von BAYER patentierten Antibiotikums CIPROFLOXACIN, dessen therapeutische Wirkung auf Kinder portugiesische Ärzte in Zusammenarbeit mit dem Chemiemulti ausprobierten.
Pequito: “Dieses Antibiotikum soll wegen seiner unerwünschten Nebenwirkungen noch im Wachstum befindlichen Kindern und Heranwachsenden nicht verabreicht werden - ja, aber meinen Sie denn, dass eine entsprechende Aufklärung der Eltern stattgefunden hat beziehungsweise ihr schriftliches Einverständnis eingeholt worden ist?”

“Die deutsche Konzernzentrale”, so Pequito weiter, “agiert hierzulande mit einer Mentalität, mit welcher sonst nur in Ländern der Dritten Welt gearbeitet wird - aber das ist hier Portugal, das zur Europäischen Union gehört. Für die Zentrale in Leverkusen sind wir hier jedoch scheinbar so weit weg, dass sie meinen, sich alles mit uns erlauben zu können.”

Pequito ist in Besitz von sieben Namenslisten, aus denen hervorgeht, dass rund zweieinhalbtausend MedizinerInnen in den Jahren 1994 bis 1997 von BAYER Reisen geschenkt bekommen haben. Eine Filiale der Fluggesellschaft CONDOR befindet sich denn auch im Gebäude des Konzerns in Carnaxide. Die Reiseveranstalter erklärten gegenüber der Tageszeitung Público, diese Praxis sei normal, da das Unternehmen “jedes Jahr eine sehr hohe Zahl von Dienstreisen” zu organisieren habe, weshalb die CONDOR im Hause BAYER auch keinen Reisenden bedient, der nicht zum Konzern gehört - Ausnahme, entsprechend der Behauptung Pequitos: eben jene ÄrztInnen, die für Wunschreisen gegebenenfalls nichts bezahlen mussten.

Diese MedizinerInnen finden sich denn auch, säuberlich aufgelistet, auf den in Pequitos Besitz befindlichen Listen. Gehaltslisten ähnlich, sind hierin eine erdrückende Anzahl portugiesischer ÄrztInnen aufgelistet. Den Namen zugeordnet: Geldbeträge, die sich beispielsweise in einem Dreimonats-Zeitraum zwischen 30.000 und 60.000 Escudos bewegen. Entsprechend der Übereinkunft zwischen den MedizinerInnen - zahlenmäßig möglicherweise mehr als ein Zehntel der gesamten portugiesischen Ärzteschaft - und den sie betreuenden Product and Medical Managers des Chemiekonzerns variierten die in der Liste aufgeführten Beträge entsprechend den Umsatzzahlen der ÄrztInnen - Umsatz der BAYER-Produkte, versteht sich.

Alfredo Pequito: “Man stelle sich die Hauptklientel dieser ÄrztInnen vor, Kleinst- bis Mittelverdiener, deren Einkommen als RentnerInnen oder abhängig Beschäftigte etwa zwischen 30.000 und 90.000 Escudos pro Monat liegt. Ihr Hausarzt, dem sie fast gläubig vertrauen und von dem sie ein Rezept erhalten, für deren Produkte sie in der Apotheke voll bezahlen müssen, verschreibt ihnen ein BAYER-Produkt im Wert von 5.000 bis 6.000 Escudos, obgleich Konkurrenzprodukte mit identischer Inhalts-
zusammensetzung nur etwa 3.000 Escudos kosten. Diese Menschen vertrauen ihrem Arzt und kaufen in der Apotheke dankbar die ihnen verschriebenen BAYER-Medikamente - was die Verkaufsstatistik des Arztes im Sinne der BAYER-Product-Manager in die Höhe treibt.”

Seit Alfredo Pequitos Gang an die Ă–ffentlichkeit, der hinsichtlich BAYERs bisher besonders in Portugal positivem Heiler-Image praktisch einem Sprengsatz gleichkommt, wurde allerdings erst ein einziger Prozess begonnen, aufgrund dessen im September zwanzig angeklagte MedizinerInnen, PharmareferentInnen und leitende Angestellte verschiedener Pharma-Unternehmen in Figueira da Foz zur Voruntersuchung vor Gericht erscheinen mussten.

Die restliche Bilanz ist eher niederschmetternd: 139 Fälle wurden bereits zu den Akten gelegt, weitere 308 befinden sich noch in der Untersuchungsphase; ob weitere Klagen erhoben werden, ist völlig unklar. Die BürgerInnen, als potentielle PatientInnen direkt betroffen, haben hingegen schon unmittelbar nach Pequitos ersten Erklärungen im November 1997 ihre eigenen Schlüsse gezogen.

Im Januar 1998 schrieb die Wochenzeitschrift Expresso: “Der Fall BAYER führt zum Rückgang des Medikamentenkonsums”. “Perplex” waren angesichts dieser Entwicklung die PharmazeutInnen, die noch drei bis vier Monate zuvor eine Zunahme der Einkäufe in Apotheken von bis zu vierzehn Prozent verzeichnet hatten

Bereits seit Oktober 1999 wird der Fall vor dem Arbeitsgericht in Lissabon untersucht. Die Justizbehörde hat sich aber kurz nach Prozess-Beginn zur Beratung zurückgezogen: Es gilt, Dutzende von Angeklagten zu vernehmen - ÄrztInnen, Pharma-ManagerInnen und ArzneimittelvertreterInnen - und eine Flut von Zeugenaussagen zu ordnen. Dazu kommen hunderte von neuen Verhörakten aus ganz Portugal; allein 1998 sammelten sich 519 neue an.

Einige schwarze Schafe im weißen Kittel wurden bereits verurteilt, jedoch nur in dreißig von achtzig dieser Fälle müssen die schuldig Gesprochenen tatsächlich die Konsequenzen tragen. Die Übrigen wurden durch die alljährliche Amnestie zur Feier der Nelkenrevolution vom 25. April von ihrer Strafe befreit.

Beim portugiesischen Ärztebund sind weitere 180 standesrechtliche Untersuchungen anhängig. Unterdessen fühlt sich Alfredo Paquito in seinem Vorhaben bestärkt, internationale Gerichte anzurufen und wegen Verletzung der Menschenrechte sowie der Beschränkung seines Rechtes auf Arbeit zu klagen, denn in Portugal fehlt es seiner Ansicht nach den Gerichten an Courage, das heiße Eisen entschlossen anzupacken. Der BAYER-Konzern ging in sonst nicht üblicher Entschlossenheit dazu über, seinerseits den Nestbeschmutzer Pequito anzuklagen. Normalerweise ignoriere der Multi Diffamierungen, hieß es vor einigen Monaten in der Firmenleitung.

Da Pequitos Beschuldigungen jedoch den Schluss zuließen, es gäbe unter den von BAYER Bestochenen auch KinderärztInnen, die durch die Anwendung noch nicht vollständig entwickelter Medikamente aus dem Hause des Konzerns praktisch Experimente mit Kindern durchführten, bezeichnete der Generaldirektor von BAYER-Pharmazeutika, Jörn Oldiggs, Pequitos Vorwürfe als den “Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte”. Die Firma wolle nicht “ihren guten Ruf ruinieren lassen”. Tatsächlich geht es um weit mehr als um Missbrauch von Firmengeldern. Pequitos Aussagen bedeuten, dass PatientInnen in beträchtlichem Rahmen die Leidtragenden sind, wenn an ihnen Medikamente erprobt wurden, die noch in der Erforschungsphase und damit nicht zugelassen sind.

Pequitos Einlassungen zufolge - die er mit zahlreichen, (dem damaligen) Generalstaatsanwalt Cunha Rodrigues ausgehändigte Daten konkretisiert hat - wurden Kranke bis zu siebenmal länger mit einem Medikament des Konzerns behandelt, als verträglich sei. In einem Punkt scheinen die Verantwortlichen Pequitos Äußerungen allerdings indirekt zu bestätigen. In einer ersten Reaktion wurde zwischen dem portugiesischen Ärztebund und Apifarma, dem Verband der portugisischen Pharmazeutischen Industrie vereinbart, den Wert eines Geschenkes an einen Arzt auf siebentausend Escudos zu begrenzen. Bei den beliebten Kongress-Reisen der MedizinerInnen müssen diese nun zumindest für ihre Begleitung zahlen.

Wie gefährlich es ist, es als Einzelner mit einem Welt-Konzern aufzunehmen, hat der “Nestbeschmutzer schmerzlich am eigenen Leib erfahren müssen. Im Juni 2000 wurde Pequito im Garten seines Hauses in Olivais bei Lissabon hinterrücks überfallen und mit tiefen Messerstichen im Gesicht verletzt. Der ehemalige BAYER-Funktionär hatte bereits mehrfach Drohungen gegen sich und seine Angehörigen erhalten, seit er seine Anschuldigungen zum ersten Male öffentlich gemacht hatte. Aufgrund dieser Drohungen, eines versuchten Auto- sowie eines weiteren, jedoch folgenlos gebliebenen Schußwaffen-
attentates werden Pequito, seine als Kindergärtnerin arbeitende Ehefrau und ihre beiden zehn- und siebzehnjährigen Töchter seit zwei Jahren rund um die Uhr von Angehörigen der Brigada Anticrime der PSP Évora bewacht.

Anonyme Drohungen hat auch sein Lissaboner Anwalt Garcia Pereira bereits erhalten. Der Polizeischutz hört allerdings an der Grenze von Pequitos PrivatgrundstĂĽckes auf. Dort kam es nun zu dem Anschlag. Nachdem seine Bodyguards ihn daheim allein gelassen hatten, und ihre RĂĽckkehr fĂĽr den folgenden Morgen besprochen war, ging Pequito gegen halb neun Uhr abends in seinen Garten, um aufzuräumen, als ihn seinen Angaben zufolge von hinten ein jĂĽngerer Mann anfiel und versuchte, ihm Messerstiche im Halsbereich zuzufĂĽgen. Die Klinge drang durch die linke Wange tief in Pequitos Gesicht, die Wunde musste mit fĂĽnfzehn Stichen genäht werden. Nach Angaben eines Mediziners fehlten nur einige Millimeter und die Halsschlagader wäre getroffen worden.

Pequitos Anwalt Carlos Pereira fordert nun verstärkten Polizeischutz auch im Bereich von Haus und Garten, da offenbar auch die Familie des ehemaligen BAYER-Mitarbeiters nicht mehr sicher sei. Die Vorwürfe seines Mandanten seien zweifelsfrei sehr ernst zu nehmen, wie der Anschlag beweise. Pequito selbst sprach von einem Zeugnis, das “die Mafia allen ausstellt, die sich gegen die Macht der Industrie stellen”. Auch Vertreter der Gewerkschaft SINQUIFA, in welcher die Pharma- ReferentInnen zusammengeschlossen sind, zeigten sich bestürzt über dieses “Gangstertum” und forderten uneingeschränkte Aufklärung des Attentats. Genützt haben aber auch die noch einmal verstärkten Sicherheitsvorkehrungen nichts. Im November 2000 wurde Pequito erneut angegriffen und durch diverse Messerstiche beinahe umgebracht. Trotzdem lässt er sich nicht von seinem Weg abbringen. Und er hat zumindest einen Teil-Erfolg errungen: Wie immer, wenn dem Leverkusener Chemie-Multi eine Sache zu heiß wird und alle andere Formen des Krisen-Managements versagen - wie z. B. im Holzschutzmittel-Skandal -, trennt er sich von dem entsprechenden Konzern-Teil. Nach einer Meldung des portugiesischen Wochen- Magazins Visão verkaufte er seine Landes-Niederlassung an eine Unternehmer-Gruppe.

(Wir drucken diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung der portugiesischen Zeitung “Xtrablatt”)