Briefwechsel âBAYER-Auschwitzâ bestritten
BAYER zensiert Schulbuch
Von Dr. Janis Schmelzer
âBezĂŒglich des Vorhabens von Experimenten mit einem neuen Schlafmittel wĂŒrden wir es begrĂŒĂen, wenn Sie uns eine Anzahl von Frauen zur VerfĂŒgung
stellen wĂŒrdenâ - so orderte BAYER wĂ€hrend der NS-Zeit vom KZ Auschwitz menschliche Versuchskaninchen fĂŒr Arznei-Tests. Der âVerlag an der Ruhrâ wollte diesen in der Forschung als âFrauen-Korrespondenzâ
bezeichneten Briefwechsel in einem Schulbuch veröffentlichen. Der Leverkusener Chemie-Multi zweifelt jedoch die AuthentizitĂ€t der barbarischen Briefe an und ĂŒbte deshalb Druck auf das Verlagshaus
aus.
Der âVerlag an der Ruhrâ verlegt seit einem Jahrzehnt in seiner Reihe âBĂŒcher fĂŒr die âpĂ€dagogische Praxisâ Ratgeber und Unterrichtsmaterial. Er
wurde 1994 fĂŒr seine Publikationen mit dem Gustav-Heinemann- Friedenspreis ausgezeichnet und erhielt vier Jahre spĂ€ter den Preis âDas politische Buch 1998â der Friedrich-Ebert-Stiftung. Im August 2001
veröffentlichte Michael Lamberty eine Literatur-Kartei zum Roman von Bernhard Schlink âDer Vorleserâ, ZĂŒrich 1997, fĂŒr die Sekundarstufen. âDer Vorleserâ ist ein Weltbestseller, der in 25 Sprachen
ĂŒbersetzt wurde und derzeit in den USA verfilmt wird. Lamberty will seine jugendlichen LeserInnen im Sinne Schlinks zur SelbstaufklĂ€rung anregen. Die Problematik âSchuld und Unschuldâ stellt er anhand von
AuszĂŒgen aus Arbeiten von Ralph Giordano und Martin Walser dar und von Dokumenten ĂŒber Verbrechen in den Konzentrationslagern. Unter dem Titel âIm Namen der Medizin â âmedizinischeâ Versuche in KZâsâ
berichtet er ĂŒber den Missbrauch menschlichen Lebens durch den Pharma- konzern BAYER und zitiert dazu Dokumente, die dem NĂŒrnberger Kriegsverbrechertribunal vorlagen. In diesem Abschnitt sollte der
âBriefwechsel IG FARBENâKZ Auschwitzâ erscheinen.
Einen Monat vor Erscheinen des Schulbuchs im âVerlag an der Ruhrâ hatte die BAYER AG Kenntnis von seinem Inhalt erhalten. Mit folgendem Text wandte sich
der Leiter von BAYER-Unternehmensgeschichte/ Archiv, Michael Pohlenz, an die Redakteurin Dorothee Karpinski: âDurch Zufall erfuhren wir von Ihrem Vorhaben, in einer geplanten Sammlung von Texten fĂŒr den
Schulunterricht einen Auszug aus einem angeblichen Briefwechsel der I.G. Farbenindustrie AG mit der Leitung des Konzentrationslagers Auschwitz zu zitieren.â Pohlenz empfahl der Redakteurin, vor einer
Veröffentlichung ihr Vorhaben âvor dem Hintergrund der historischen Fakten noch einmal zu ĂŒberdenkenâ. FĂŒr diesen Umdenkungsprozess fĂŒgte er den Leserbrief des Rechtsanwalts im IG-FARBEN-Prozess, Dr.
Otto Nelte, als Anlage bei. Verlagsleiter Stascheit bezeichnete diesen Eingriff des BAYER- Konzerns als einmaligen Vorfall in seiner Verlagsgeschichte.
Rechtsanwalt Nelte hatte zum Bericht der US-Zeitschrift Time vom 6. Februar 1948 âDie Kriegsverbrechen der IG FARBENâ ĂŒber die Korrespondenz âIG-FARBEN â KZ Auschwitzâ, die in der Schweizerischen Wochenzeitschrift Aufbau dokumentiert war, als Sachzeuge Stellung genommen. Es handelt sich um das Dokument NI-7184 der US-Anklagebehörde im NĂŒrnberger IG-FARBEN-Prozess. Darin werden SĂ€tze aus fĂŒnf Briefen zitiert, die ĂŒber Leben und Tod von 150 HĂ€ftlingsfrauen entschieden. Als Verteidiger von Generalfeldmarschall Keitel im NĂŒrnberger Hauptkriegsverbrecherprozess und des in Menschenversuchen an KZ-HĂ€ftlingen verstrickten, im NĂŒrnberger Ărzteprozess angeklagten und zu lebenslĂ€nglicher Haft verurteilten Chefs des WehrmachtssanitĂ€tswesens, Prof. Dr. med. Siegfried Handloser, gilt Nelte fĂŒr BAYER offenbar auch heute noch als sachkundig.
Dr. Nelte bestritt die AuthentizitÀt des von der US-Anklagebehörde eingereichten Dokuments NI-7184 keineswegs. Aber es gelang ihm, vor Gericht die Vorlage
der einzelnen fĂŒnf Briefe aus der zitierten Korrespondenz zu verlangen. Die Anklagebehörde konnte in dem kurzen Zeitraum eines Monats die Originale des Schriftwechsels zwischen der IG FARBEN und dem KZ Auschwitz
nicht einholen. Am 2. Dezember 1947 hatte RA Dr. Nelte erreicht, dass seinem Einspruch stattgegeben und das Affidavit (eidesstattliche Versicherung, Anm. SWB) als Beweismaterial nicht anerkannt wurde. Die
weiteren BemĂŒhungen um die Beschaffung der fĂŒnf Original-Briefe blieben bis zum letzten Tag des Beweisverfahrens erfolglos. Der âVerlag an der Ruhrâ hat sich an den Leiter des Auschwitz-Museums um Nachweis
dieser Dokumentation gewandt, in der Hoffnung, dass im Jahre 2001 auch die BAYER AG an der Existenz dieser Korrespondenz keinen Zweifel mehr Ă€uĂern kann.
Trotz des nicht verwerteten Beweismaterials stellte die US-Anklagebehörde fest:
â1. unstreitig sind verbrecherische Experimente von SS-Ărzten an Konzentrationslager-HĂ€ftlingen vorgenommen worden,
2. diese Experimente sind zu dem ausdrĂŒcklichen Zweck erfolgt, die Erzeugnisse der IG zu erproben,
3. manche dieser Experimente sind von Ărzten durchgefĂŒhrt worden, die die IG mit der Aufgabe betraut hatte, die Wirksamkeit ihrer Medikamente zu erproben,
4. aus den von diesen Ărzten erstatteten Berichten konnte entnommen werden, daĂ rechtswidrige Experimente vorgenommen worden waren,
5. Medikamente sind von der IG unmittelbar an Konzentrationslager in solchen Mengen versandt worden, dass schon hieraus die Verwendung dieser Medikamente zu
unzulĂ€ssigen Zwecken hĂ€tte gefolgert werden mĂŒssen.â
Das Urteil gegen die ausfĂŒhrenden Ărzte lautete âdeath by hangingâ â Tod durch ErhĂ€ngen. Die Freisprechung ihrer Auftraggeber, der
IG-FARBEN-Direktoren, erfolgte wahrscheinlich im Interesse der amerikanischen Politik zur Sicherung der Ergebnisse aus den medizinischen Versuchen des Chemie-Konzerns fĂŒr die eigene militĂ€rische Forschung.
Die Redakteure und der âVerlag an der Ruhrâ haben sich von den EinschĂŒchterungsversuchen der BAYER AG nicht beirren lassen. Sie haben zwar auf den
Abdruck des Fragments verzichtet, doch dafĂŒr anderes, auf âdie AuthentizitĂ€t dieser dramatischen Aussagenâ sorgfĂ€ltig geprĂŒftes Faktenmaterial veröffentlicht.
Das Dokument NI-7184:
âBezĂŒglich des Vorhabens von Experimenten mit einem neuen Schlafmittel wĂŒrden wir es begrĂŒĂen, wenn Sie uns eine Anzahl von Frauen zur VerfĂŒgung
stellen wĂŒrden (...)â
âWir erhielten Ihre Antwort; jedoch erscheint uns der Preis von RM 200.- pro Frau zu hoch. Wir schlagen vor, nicht mehr als RM 170,- pro Kopf zu zahlen.
Wenn Ihnen das annehmbar erscheint, werden wir Besitz von den Frauen ergreifen. Wir brauchen ungefĂ€hr 150 Frauen. (...)â
âWir bestĂ€tigen Ihr EinverstĂ€ndnis. Bereiten Sie fĂŒr uns 150 Frauen im bestmöglichsten Gesundheitszustand vor, und sobald Sie uns mitteilen, daĂ sie
soweit sind, werden wir diese ĂŒbernehmen (...)â
âErhielten den Auftrag fĂŒr 150 Frauen. Trotz ihres abgezehrten Zustandes wurden sie als zufriedenstellend befunden. Wir werden sie bezĂŒglich der
Entwicklung der Experimente auf dem Laufenden halten (...)â
âDie Versuche wurden gemacht. Alle Personen starben. Wir werden uns bezĂŒglich einer neuen Sendung bald mit Ihnen in Verbindung setzen.â
(Das Dokument aus der Korrespondenz der Firma BAYER mit dem Kommandanten des KZ Auschwitz, das der Anklagebehörde bei den NĂŒrnberger Prozessen vorlag,
veröffentlichte die Zentralkommission zur Untersuchung der Naziverbrechen in Polen. Jan Sehn: Konzentrationslager Oswiecim-Brzezinka - Auschwitz-Birkenau, Warszawa 1957, S. 89 f. Fn.2, NĂŒrnberger Dokumente NJ.
7184)
|