SWB 02/2002 - Ticker

POLITIK & EINFLUSS

Schröder oberster Chemie-Lobbyist
Bundeskanzler Gerhard Schröder brachte in Brüssel das Kunststück fertig, das anti-europäische Vorbringen bundesdeutscher Partikular- Interessen in das Gewand der Sorge um anti-europäische Stimmungen zu kleiden. Das EU-Vorhaben, aus Gründen des vorsorgenden Gesundheitsschutzes 100.000 nie auf ihre Gefährlichkeit hin untersuchte Chemikalien künftig überprüfen zu lassen, führte er als Beispiel für eine den BürgerInnen unverständliche EU-Entscheidung an. Dabei ist dieser Plan wohl nur BAYER & Co. unverständlich, weshalb sie sich im Kanzleramt auch die Klinke in die Hand gaben. Nicht einmal Kohl hätte bundesdeutsche Industrie-Interessen vor der Europäischen Union so aggressiv vertreten, kommentierten BeobachterInnen. Das Verhalten Schröder will umso weniger einleuchten, als die in einem Weißbuch dargelegte Chemie-Politik der EU schon eine durch die Lobby-Arbeit von BAYER & Co. aufgeweichte Light-Fassung darstellt. Der EU- Kommissar für Unternehmenspolitik, Erkki Liikanen, erteilte dem bundesdeutschen Kanzler dann auch eine Abfuhr. Bei allen Entscheidungen und Gesetzes-Vorschlägen werde die Kommission auch künftig ein angemessenes Verhältnis zwischen den Interessen des Umweltschutzes, der Gesellschaft und der Wirtschaft wahren, sagte er laut Faz.

Schneider trifft Putin
Während seines Deutschland-Besuchs Ende September 2001 traf der russische Präsident Wladimir Putin auch den damaligen BAYER-Boss Manfred Schneider. Mit ihm und den Konzern-Spitzen von LUFTHANSA, RWE, OPEL und EON sprach er in Essen über die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Um die Konzern-Herren zu Investitionen zu verlocken, pries Putin die niedrigen Unternehmenssteuer-Sätze in seinem Land an, sicherte „Entbürokratisierungen“ zu, versprach verlässliche juristische Rahmenbedingungen und kündigte an, den Euro als Verrechnungseinheit in die einheimische Währung integrieren zu wollen.

BAYER will Menschenversuche
Nachdem die US-Behörden 1998 das Lebensmittelrecht verschärft haben, um Kleinkinder besser vor Pestizid-verseuchten Nahrungsmitteln zu schützen (siehe Ticker 4/98), befürchtete BAYER ein Verbot für mehrere Ackergifte. Um das zu verhindern, verfiel der Konzern auf die Strategie, die Grenzwert-Festlegungen wissenschaftlich anzuzweifeln. Dazu schreckte er nicht davor zurück, in Schottland Agrochemikalien an Menschen testen zu lassen, die teilweise in dem Glauben gelassen wurden, es handle sich um Medikamenten-Tests. Mit diesem hoch riskanten Unterfangen wollte der Leverkusener Chemie-Multi dann den Beweis antreten, dass Pestizide weit über die anhand von Tierversuchen festgelegten Höchstgrenzen hinaus gesundheitlich unbedenklich sind. Noch untersagen alle Staaten aus gutem Grund großflächige Menschenversuche mit Pestiziden. Das könnte sich aber bald ändern. Nach Informationen des US-Umweltverbandes NATURAL RESOURCE DEFENSE COUNCIL plant die staatliche Umweltbehörde EPA auf Druck von BAYER, das Verbot zu lockern. Damit dürfte dann auch bald eine neue Diskussion um Ackergift-Grenzwerte beginnen.

Clement will Chemie-Kooperationen
In den letzten Monaten mehren sich die Anzeichen für eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden ehemaligen IG FARBEN-Säulen BAYER und BASF. Sie planten gemeinsam den Einstieg beim Versicherungskonzern GERLING und stimmten sich bei der Chemie-Politik, bei Investitionen in China und bei laufenden Verfahren vor US-Gerichten ab. Jetzt trat auch NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement für eine verstärkte Kooperation der nordwesteuropäischen Chemie-Unternehmen ein. Dies sei notwendig, um im weltweiten Wettbewerb mit anderen Regionen, etwa dem Chemie-Standort Houston in Texas, bestehen zu können, sagte der Politiker laut dpa am 10. Dezember auf einer BAYER-Betriebsversammlung.

EU: schnellere Arznei-Zulassungen
Der Fall LIPOBAY hat nicht zu einer Kehrtwende in der Pharma-Politik geführt; die Deregulierungen gehen munter weiter. So will die EU die Dauer der Genehmigungsverfahren für Arzneimittel verkürzen. Zudem sollen Zulassungen künftig unbegrenzt und nicht mehr bloß für fünf Jahre gelten. Darüber hinaus hat Brüssel vor, Werbung in Zukunft auch für rezeptpflichtige Medikamente zu erlauben.

Fachtagung „Grüne Gentechnik“
Im April 2002 richtete das Bundeslandwirtschaftsministerium eine Fachtagung zum Thema „Grüne Gentechnik“ aus, an welcher auch Philipp Mimkes Geschäftsführer der COORDINATION GEGEN BAYER- GEFAHREN (CBG) teilnahm. 140 BefürworterInnen und KritikerInnen der Gentechnik waren versammelt: VertreterInnen von BAYER und anderen Konzernen, von Lobby-Verbänden wie der „Deutschen Initiative Biotechnologie“, von Nichtregierungsorganisationen wie GREENPEACE und dem BUND FÜR UMWELT UND NATURSCHUTZ DEUTSCHLAND (BUND) und von Kirchen. Auch der Vorsitzende der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ und BAYER-Aufsichtsrat Ernst-Ludwig Winnacker gab wieder mal den Experten. Die Veranstaltung war Teil einer Produkteinführungskampagne für die „Grüne Gentechnik“. Bundesregierung und Bio-Industrie wollen Gentech-GegnerInnen mit ins Boot holen, damit sie die Einführung der umstrittenden Risiko-Technologie kritisch begleiten und so den benötigten gesellschaftlichen Konsens herstellen.

Wenning will‘s wissen
Kaum im Amt, formuliert der neue BAYER-Chef Werner Wenning schon Ansprüche an die Politik. Die rot-grüne Bundesregierung habe zu wenig getan, um den Reform-Stau aufzulösen und die Belastungen deutscher Unternehmer nachhaltig (sic) zu senken, sagte er der Welt. Auch mit der Arbeit der Opposition ist er nicht zufrieden. „Seit Beginn dieses Jahres gewinnen CDU/CSU und die FDP jedoch nach meiner Ansicht an Profil“, räumte er gnädig ein, nicht ohne im selben Atemzug schon wieder seine Beunruhigung über die Pläne Stoibers, im Falle eines Wahl-Sieges die Steuer-Freiheit für Veräußerungsgewinne wieder abzuschaffen, auszudrücken.         

Bluthochdruck - made by BAYER
1999 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die Definition von Bluthochdruck verändert. Galt bis zu diesem Zeitpunkt ein/e PatientIn mit einem Wert ab 160/95 als behandlungsbedürftig, so sind es seither schon PatientInnen mit einem Wert ab 140/90. Damit ist in den Industrieländern jede/r Zweite über 60 Jahre krank - ein schöner neuer Markt für BAYERs Blutdruck-Präparat ADALAT. Der Leverkusener Chemie-Multi gehörte nach Angaben des Pharma-Briefes 1/02 dann auch zu den Pharma-Konzernen, die den größten Druck auf die UN-Behörde ausgeübt haben. Medizinische Gründe gibt es für das Vorgehen der WHO nicht, keine einzige Studie belegt niedrigere Sterblichkeits-, Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Raten bei einem Blutdruck von *140/90 gegenüber einem von *160/95.

BAYER kauft Pharma-Kritiker
Einem Bericht der Zeit über die Lobby-Politik der Arznei-Industrie zufolge hat BAYER mit einem ehemaligen Vertreter des „Verbandes der Ortskrankenkassen“ einen der schärfsten Kritiker der Pillen-Konzerne eingekauft - als Experten für Pharma-Politik.

BAYER, Clement & die Positiv-Liste
Ein Bericht der Zeit über die Lobby-Politik von BAYER & Co. (siehe oben) hat noch einmal präzise nachgezeichnet, woran die Einführung der Positiv-Liste für Arzneien unter dem ehemaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) gescheitert ist. Die Arznei-Industrie hatte sich vehement gegen diese Liste gewehrt, welche die Pillen-Flut eindämmen und nur noch für wirklich wirksame Medikamente die Kosten erstatten wollte. Dabei setzte sie darauf, das Gesetzes-Werk im Bundesrat zu Fall zu bringen und ging arbeitsteilig vor. BAYER setzte den NRW-Politiker Wolfgang Clement unter Druck, HOECHST den Hessen Hans Eichel und WELLCOME den damaligen niedersächsischen Ministerpräsident Gerhard Schröder. Alle drei stimmten schließlich gegen den Entwurf, was das Aus für die Positiv-Liste bedeutete.

Clement: BAYERs 12. Mann
Wie sehr NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement als 12. Mann des Leverkusener Chemie-Multis fungiert, machte indirekt eine Aussage des Werksleiters der Brunsbütteler BAYER-Niederlassung, Klaus Starke, deutlich. Während beispielsweise der nordrhein-westfälische Ministerpräsident sich mehrfach öffentlich für die chemische Industrie eingesetzt habe, vermisse man aus Kiel solche Äußerungen, klagte er über das fehlende „deutliche Bekenntnis“ der rot-grünen Landes-
regierung in Schleswig-Holstein zum Chemie-Standort Brunsbüttel.

Brüssel beugt sich bei Ökosteuer
Die Ökosteuer räumt den besonders energie-intensiven Branchen wie der Chemie-, Bergbau-, Stahl- und Eisen-Industrie großzügige Ausnahmeregelungen ein. Der EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti sah das als wettbewerbsverzerrende Subventionspolitik an und drohte, ihre Verlängerung zu verweigern. Daraufhin reiste Finanzminister Hans Eichel nach Brüssel. Bei einem Abendessen mit Monti konnte er eine Fortschreibung der Steuer-Vergünstigungen für BAYER & Co. bis 2012 durchsetzen.

CSUler bei HC STARCK
Zur Einweihung eines Produktions- und Forschungsgebäudes von HC STARCK CERAMICS in Selb kam viel Polit-Prominenz der CSU. Unter den Gästen waren der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Erwin Huber, der bayerische Landtagsabgeordnete Willi Müller, der Bundesminister a. D. Jürgen Warnke und der Selber Oberbürgermeister. Huber kündigte sogar schon weitere Besuche an: Bei jeder weiteren Inbetriebnahme eines Neubaus werde ein Mitglied der bayerischen Staatsregierung anwesend sein, versprach er.