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Patente auf Menschen-, Tier- und Pflanzen-Gene
BAYERs Griff nach dem Leben
Von Jan Pehrke und Ruth Tippe (Recherche)
Die privatwirtschaftliche Aneignung der Erbanlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen schreitet unaufhaltsam voran. Von 10.636 beim Europäischen Patentamt in
München beantragten Patenten auf Leben im Jahr 1995 stieg die Zahl bis 2001 auf 29.783. BAYER brachte es allein im vergangenen Jahr auf 52 Anmeldungen
Die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus zwingen die Konzerne zu unablässiger Expansion. Auf der ganzen Erde gibt es kaum noch einen Fleck, den sich der
Markt nicht untertan gemacht hätte. Geografisch ist dieses Modell des Wirtschaften damit an Grenzen gestoßen. Nur die Intensivierung des Zugriffs auf die Menschen und Dinge in seinem "Hoheitsgebiet"
erlaubt ein weiteres Wachstum. Ein wichtiges Instrument dazu stellt die Gentechnik dar. Sie erschließt BAYER & Co. Menschen, Tieren und Pflanzen als neue Rohstoffe zur Herstellung von Produkten. "Frühere
Stadien der industriellen Revolution führten maschinen- gefertigte Konsumgüter und später maschinen-gefertigte Maschinen ein, doch heute stehen wir vor maschinen-gefertigten Rohstoffen und Nahrungsmitteln - kurz
maschinen-gefertigter Natur und Kultur", schreiben Antonio Negri und Michael Hardt in ihrem Buch "Empire".
Damit die Menschen und die Natur das Zeug zu Markenartikeln haben, reklamieren die Konzerne geistiges Eigentum auf sie, Patente. So haben sie keine Konkurrenz
mehr zu fürchten und freie Hand bei der Preis-Gestaltung. Ursprünglich schlossen sowohl das Straßburger Patent-Übereinkommen von 1963 wie auch das 1977 beschlossene Europäische Patent-Übereinkommen
Eigentumsansprüche auf "im Wesentlichen biologischen Verfahren" aus. Züchtungen von Tieren oder Pflanzen bzw. ganzen Tierarten und Pflanzen-Sorten galten nicht als schützenswerte Erfindungen, weil
Lebensprozesse nicht zur Handels- ware verkommen sollten. Nach dieser Lage der Dinge hätte aus der Gentechnik kaum ein lukrativer Wirtschaftszweig werden können. Also setzten die Lobby-Verbände von BAYER &
Co. nach dem Motto "Was nicht passt, wird passend gemacht" mittels akrobatischer juristischer Winkelzüge alles daran, die Paragrafen so auszulegen oder zu verändern, dass sie ihnen "geniale
Geschäfte" ermöglichten.
Das Bakterien-Patent Der Durchbruch gelang ihnen 1980, als ein US-Patentamt ein
Bakterium urheberrechtlich schützte. Ein Bakterium ist einer unbelebten chemischen Verbindung weit ähnlicher als Pferden, Bienen oder Himbeeren, argumentierte die Behörde. Danach ging es zügig weiter - bis zur Krone
der Schöpfung.
1988 gelang es der Harvard University, sich die so genannte Krebs- Maus als geistiges Eigentum deklarieren zu lassen und schloss sogleich einen Lizenz-Vertrag
mit DUPONT. Gen-ForscherInnen hatten einem Nagetier Tumor-Zellen in sein Erbgut geschleust, um an dem "Tier- Modell" Therapie-Formen auszuprobieren. Die Verantwortlichen hatten keine Bedenken, ein Patent
auf Säugetiere auszustellen; eines auf ganze Tier-Arten schlossen sie aber nach wie vor aus. Das Schlimme gegen das ganz Schlimme auszuspielen und es jeweils als absolute Grenze des ethisch noch Vertretbaren zu
bezeichnen - mit dieser Strategie hangelt sich das Gen-Komplott von Tabu-Bruch zu Tabu-Bruch. Auch in der Stammzellen-Diskussion kam sie wieder zur Anwendung, in der die Industrie auf die Möglichkeit zur
Patentierung von menschlichem Leben, z. B. Embryonen, drängt. Die am 24. Juli vom Europäischen Patentamt verkündete Ablehnung eines Patentes auf einen mensch- lichen Embryo wird deshalb vermutlich nicht das
letzte richterliche Wort gewesen sein. Bei dieser Entscheidung führte die Prüfungskammer sogar ethische Bedenken an, kombinierte sie aber mit Einwänden technischer Art. Sie zweifelte an der Übertragbarkeit der
Mäuse- Versuche auf den Menschen und sah die "Nacharbeitbarkeit" als nicht gegeben an.
Im Prinzip aber haben die "animals of invention", wie die Formulierung in einem Patent-Antrag der Harvard-Universität lautet, den Weg zum
Rohstofflager "Mensch" längst eröffnet. Der Gen-Industrie und ihrem juristischen Appendix ist der homo sapiens nämlich nichts als ein besonders hoch entwickeltes Säugetier. Taucht in einer Patent-
Anmeldung wie der von BAYER für eine Darmkrebs-Zelle die Bezeichnung "animal" auf, sind Versuche am Menschen immer mitgemeint. Wollen sich die Dr. Frankensteins dagegen wirklich nur an Maus & Co. zu
schaffen machen, spezifizieren sie "Non-human mammalian animal" (mammalian animal = Säugetier). Im Rekurs auf ihren Bakterien-Sündenfall betrachten die Patent-PrüferInnen ein menschliches Gen als eine
chemische Verbindung, wofern sie Bestandteil eines technischen Verfahrens ist.
Diese Willfährigkeit hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Behörden an jedem Patent-Antrag verdienen. So konnten Patente ohne viel Widerstand ein
"Instrument zur Akkumulation von Monopolen" werden, wie es Christoph Then von GREENPEACE ausdrückte. Ein Instrument, das selbst nur Monopolisten wie BAYER offen steht. Einzelne WissenschaftlerInnen oder
kleinere Firmen vermögen die Kosten für die aufwändigen Prozeduren nicht zu tragen. Nur eine kleine kosmetische Operation fehlte BAYER & Co. dann noch zu ihrem Gen-Glück. Menschen, Tiere und Pflanzen waren ja
nun schon einmal erfunden und der Natur das "Copyright" dafür streitig zu machen, überstieg selbst ihre Kräfte. Also schmuggelten sie einfach den schwammigen Begriff "Entdeckung" in das
Patentrecht ein und erreichten, dass Entdeckungen mit Erfindungen gleichgestellt und damit auch patentierbar wurden
Rezeptor "Made by BAYER" Zu diesen "Entdeckungen/Erfindungen"
zählt ein von BAYER zum Patent angemeldeter Rezeptor, der beim Menschen eine wichtige Rolle im Stoffwechsel-Prozess des G-Proteins spielt. Verlangen die Vorschriften nun schon keinen Erfinder mehr, so war für den
Protein-Rezeptoren nicht einmal ein Entdecker nötig - jedenfalls kein menschlicher. Beim Lever- kusener Chemie-Multi erledigen Automaten diesen Job. Sie sequen- zieren täglich die Gen-Abschitte von bis zu
200.000 Substanzen. "In vielen Fällen bedeutet heute das Abfassen der Patent-Schrift über Gen-Sequenzen einen größeren zeitlichen Aufwand als das Sequen- zierungsverfahren selbst", schreibt der
Gen-ethische Informationsdienst (GID) in Heft Nr. 143 über solche Fließband-Entdeckungen. Selbst VertreterInnen der Bio-Branche selber ist das nicht ganz geheuer. "Sequenzieren, die Technik, mit der man ein Gen
erkennen und "lesen" und dann patentieren kann, ist allerdings mittlerweile ein automatisierter Vorgang. Roboter können - sollte man meinen - keine Erfindungen machen und deshalb sollte man Gene nicht
patentieren dürfen", meint Claas Junghans von der MOLOGEN AG (zit. n. GID 143).
Das gilt umso mehr, als die Unternehmen vielfach selber gar nicht wissen, warum der Roboter jeweils "Heurika" gerufen hat. Der BAYER- Konzern
schreibt beispielsweise zur Begründung im Patent-Antrag: "Reagenzien, die den menschlichen G-Protein-Rezeptor regulieren, können eine Rolle dabei spielen, Dysfunktionen und Krankheiten wie Infektionen (...),
Krebs, Appetitlosigkeit, Bulimie, Asthma und andere Allergien, Krankheiten des Nervensystems wie Parkinson, Herz- Krankheiten, Bluthochdruck und niedriger Blutdruck, Osteoporose, Diabetes
(...) zu verhindern oder zu behandeln". Mit anderen Worten: Zu irgendwas wird das Zeug schon gut sein. Das Europäische Patentamt dürfte sich mit diesen vagen Angaben eigentlich nicht zufrieden geben. Für
eine Genehmigung reicht ihm laut Vorschrift die Isolation eines bestimmten Gen-Abschnitts nicht aus, seine Bestimmungen verlangen darüber hinaus auch präzise Ausführungen zur späteren Anwendung - aber Papier ist ja
geduldig.
In krassem Gegensatz zur nebulös beschriebenen Funktion der "Entdeckung/Erfindung" steht das Ausmaß des verlangten Patent-Schutzes. Er soll für die
DNA des Rezeptors ebenso gelten wie für die von ihm ausgehenden Stoffwechsel-Produkte, die Screening- Methode zum Aufspüren der an den Rezeptor andockenden Substanzen, für Arzneien auf Basis des Rezeptors, für
mögliche Anwendungsgebiete wie Krebs, Asthma etc. sowie für 66 weitere von BAYER abgesteckte "claims". Und das alles für 111 Länder!
2001: 52 Patent-Anmeldungen Die Patent-Anmeldung PCT/EP01/10929 ist nur eine von 52
im Jahr 2001. In allen Bereichen, die Bestandteile von menschlichem, tierischem oder pflanzlichem Erbgut betreffen, entfaltet der Leverkusener Chemie- Multi Aktivitäten. So hat er den Schutz geistigen Eigentums für
ein Weizen-Molekül beantragt, das zur Produktion von gentechnisch veränderter Stärke vorgesehen ist - selbstverständlich inklusive der transgenen Pflanzen-Zellen und aller mit dem Weizen-Gen bestückten
Nutz-Pflanzen. Herkömmliche Stärke variiert in ihren Eigenschaften, da sie aus zwei unterschiedlichen Stärke-Arten besteht, was ihre Verarbeitung erschwert. BAYERs Gen-Stärke will nun diesen Pfusch der Natur beheben
und der Industrie mehr Planungssicherheit geben. Die Stärke könnte zwar auch nachträglich "veredelt" werden, aber das wäre zeitaufwändig und teuer, schreiben die BAYER-ForscherInnen in ihrer
Antragsbegründung. Sie machen damit wieder einmal klar, dass die Gentechnik eine reine Rationalisierungstechnik ist, die nichts qualitativ Neues bietet.
Auch im Pestizid-Bereich setzt der Global Player auf die Gentechnik. Der Konzern hat beispielsweise einen Rezeptor zum Patent angemeldet, der den Stoffwechsel
von Insekten reguliert. An ihm sollen später einmal Insektizide ansetzen, um Blattlaus & Co. zu töten.
Patente: Risiken und Nebenwirkungen Mittels dieser Patente betreibt BAYER eine
Privatisierung von Wissen, das die Gesellschaft - Eltern, Schulen, Universitäten, Bibliotheken - produziert haben. Zudem behindert die Monopol-Bildung die Freiheit der Forschung und sorgt für Engpässe und eine
Kosten-Explosion in der gesundheitlichen Versorgung. Der Patent-Streit um einen HIV-Test der Firma HOFFMANN-LAROCHE
(GID Nr. 142) illustriert dies in erschreckender Weise. Der Konzern vertreibt mit dem AIDS-Test AMPLICOR HIV ein Gerät, das den Virus direkt nachweist. Im Gegen- satz zu anderen Diagnostika reagiert es nicht
erst, wenn sich Antikörper gebildet haben und vermeidet so die Grauzone eines "diagnostischen Fensters". Deshalb wird er vielfach auch zur Untersuchung von Blut-
spenden benutzt. Nun sind aber mehrere Gen-Sequenzen der Virus- Variante HIV I geistiges Eigentum des US-Unternehmens CHIRON. Da der Pharma-Multi sich mögliche Anwendungen der Erbgut-Abschnitte genauso
umfangreich hat schützen lassen wie BAYER sein Patent auf den G-Protein-Rezeptor, hat es HOFFMANN-LAROCHE wegen Patent- Verletzung verklagt. Erstinstanzlich bekam CHIRON vor dem Düssel-
dorfer Landgericht Recht. Die unterlegene Partei weigert sich, Lizenz- Gebühren an den Patent-Halter zu zahlen und droht nun, den Test vom Markt zu nehmen. Der Leiter der Blutbank an der Düsseldorfer Uni-Klinik
Rüdiger Scharf sieht dem mit Grauen entgegen. "Wir garantieren dem Empfänger damit Sicherheit gegen alle Rest-Risiken. Wenn der Test vom Markt genommen wird, haben wir ein Problem", sagt der Mediziner.
BAYER hätte dann ein Problem weniger. Der Leverkusener Chemie- Multi hat nämlich 1998 bis auf die Patente die gesamte Diagnostika-
Sparte von CHIRON übernommen und ist auch im Besitz von HIV-Lizen- zen. Er hofft nun, als lachender Dritter mit einem eigenen AIDS-Test von dem Patent-Streit profitieren zu können. Für die Kliniken wäre diese
Umstellung mit großen finanziellen Belastungen verbunden. Das CHIRON- Patent lähmt aber nicht nur die Arbeit an HIV-Tests, sondern auch die gesamte AIDS-Forschung. Kein Pharma-Unternehmen investiert nämlich viel
Geld in die Untersuchung des Virus und mögliche Arznei-Entwicklungen auf seiner Basis, wenn im Falle eines möglichen Durchbruchs dann hohe Lizenz-Gebühren an CHIRON fällig sind.
Auch bei den schon auf dem Markt befindlichen AIDS-Medikamenten haben Patente eine unheilvolle Rolle gespielt. Da sie noch patent- geschützt sind, kosten
die Mittel so viel, dass die ärmeren Länder sich diese nicht leisten können. Südafrika, ein Land mit ca. 4,3 Millionen HIV-Infizierten, entschloss sich deshalb, die Patent-Vorschriften zu umgehen und die Produktion
von billigen Nachahmer-Präparaten in Auftrag zu geben. BAYER und 41 weitere Pharma-Unternehmen zogen deshalb gegen den Staat vor Gericht. Nur internationaler Protest bewog sie dazu, die Klage wieder fallen zu
lassen. Makabrerweise entstammen die pharmazeutischen Grundstoffe dieser Mittel oftmals der reichhaltigen Pflanzen- und Tierwelt der "Entwicklungsländer". Laut Angaben des Leiters von BAYERs
Naturstoff-Forschung, Thomas Henkel, bilden Naturstoffe die Basis für 35 Prozent der umsatzkräftigsten Pharma- zeutika. Deshalb jagen seine Bio-Piraten auf der ganzen Welt nach Beute. In einem Gespräch mit der
Zeit rühmte er sich damit, seine Späher bis nach China zu schicken. Und diese Schnäppchen-Jagd in den Urwäldern, Bergtälern oder Fluss-Ebenen verbietet kein Patent- Gesetz.
Über Kooperationsverträge hat BAYER zudem noch Zugang zu weiteren "Patenten auf Leben":
PPL Therapeutics (Schottland) führt Auftragsarbeiten für BAYER durch. INCYTE (USA): Vertrag über Nutzung der Gen-Datenbank. MILLENIUM (USA): BAYER besitzt 14-prozentigen Anteil. Im Bereich der
Landwirtschaft arbeitet EXELIXIS PHARMACEUTICALS INC im Auftrag von BAYER an der Entschlüsselung des Erbguts von Schadinsekten, um auf dieser Grundlage neue Pestizide zu entwickeln. Mit dem britischen
Biotech-Unternehmen PHARMAGENE PCL hat BAYER einen Vertrag über die Zusammenarbeit auf den Gebieten Atemwegs- und Krebs-Erkrankungen geschlossen. PHARMAGENE will für BAYER eine Gewebe-Datenbank erstellen, die
Aufschluss über bestimmte Gene geben soll, die als Zielpunkte von Medikamenten gegen Atemwegs-Erkrankungen dienen könnten. Mit dem US-amerikanischen Biotech-Unternehmen CURAGEN hat BAYER einen 1,3 Mrd. Dollar
schweren Vertrag über die gemeinsame Erforschung, Entwicklung und Vermarktung von Wirkstoffen gegen Fettsucht und Altersdiabetes geschlossen. Im Management der Biotechnologie-Firmen PEPTOR GmbH und der CARDION AG
sitzt Joachim Bender, ein langjähriger BAYER-Mitarbeiter.
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