Pestizidtests an Menschen
"Unethisch und Unnötig"
BAYER hat in Schottland erstmals seit dem 2. Weltkrieg Pestizide direkt an Menschen getestet. In den USA hat der Konzern eine generelle
Zulassung solcher Versuche beantragt, womit der seit 50 Jahren geltende "Nürnberger Kodex" ausgehebelt würde. Ziel des Unternehmens ist die Lockerung der Grenzwerte für Pestizide.
von Philipp Mimkes
Bruce Turnbull aus Edinburgh/Schottland dachte, er würde an einem Pharmatest teilnehmen: "Die Krankenschwestern sprachen immer von einem
Medikament. Vor dem Test erhielt ich zwar Informationsmaterial, aber die Fachausdrücke darin habe ich nicht verstanden." Turnbull war 1998 eine von 50 Testpersonen gewesen, die für einen Lohn von 700 Pfund
(rund 1000 Euro) im Inveresk Research Laboratory eine Pille mit Azinphos-Methyl schluckten und daraufhin sieben Tage lang beobachtet wurden. "Wer vor Ablauf der Woche nach Hause ging, musste eine Strafe zahlen.
Danach habe ich nie wieder von dem Forschungsinstitut gehört, weitere ärztliche Untersuchungen wurden nicht angestellt." Auch der Auftraggeber der Testreihe wurde den Probanden nicht mitgeteilt.
Erst drei Jahre später wurde Turnbull von Journalisten auf die Hinter- gründe der Versuche hingewiesen: Azinphos-Methyl ist kein Medika-
ment, sondern ein Pestizid, das von der Weltgesundheitsorganisation als "hoch gefährlich" bezeichnet wird. Hinter der Untersuchung steckte der Leverkusener Konzern BAYER, der die seit dem Dritten Reich
geächteten Menschentests mit Pestiziden wieder einführen möchte.
"... keine Bedrohung" Eigentümlicherweise stand für BAYER
schon vor den Tests die Ungefährlichkeit des hochtoxischen Wirkstoffs fest: "Die Ergebnisse dieser Studie werden bestätigen, dass der Einsatz von Azinphos-Methyl keine Bedrohung für Arbeiter oder Konsumenten
darstellt", hieß es in einem Schreiben an die Probanden. Turnbull fühlt sich betrogen: "Ich hatte damals den Eindruck, ich würde der Wissenschaft helfen. Stattdessen benutzt eine große Firma die Tests,
um mehr Pestizide zu verkaufen, die am Ende auch noch in unserer Nahrung landen." Der 51-jährige Schotte hat Gesundheitsprobleme, die seiner Meinung nach mit den Tests zusammenhängen. Bislang ist er die
einzige Versuchsperson, die sich öffentlich geäußert hat. Ob die übrigen Probanden wussten, dass sie ein Pestizid zu sich nahmen, ist unbekannt.
Azinphos-Methyl ist in mehr als 30 Ländern zugelassen und gehört zu den meistverkauften Agrogiften von BAYER. Der Konzern ist weltweit größter
Hersteller des Wirkstoffs, der besonders im Apfel-Anbau eingesetzt wird, und auch auf Kirschen, Birnen, Blaubeeren und Pfirsiche gesprüht wird. Im Sommer diesen Jahres hatten die US-Behörden wegen zu hoher Belastung
der Nahrung ein Auslaufen der Zulassung von Azinphos-Methyl bis zum Jahr 2005 verfügt. In der Vergangenheit führte die Anwendung des Pestizids bereits häufig zu Vergiftungen und Umweltschäden: Im US-Bundesstaat
Louisiana verseuchte Azinphos- Methyl mehrere Flüsse und tötete Fische, Schildkröten, Vögel und Alligatoren. Vor wenigen Wochen führte die hohe Belastung des Wilmot River in Kanada zu einem Fischsterben.
Unethische Versuche am Menschen Im August 2001 stellte BAYER einen
Antrag bei der amerikanischen Environmental Protection Agency (EPA), in dem der Konzern die generelle Zulassung solcher Tests zur Risikoanalyse von Pestiziden prüfen lassen wollte. Die EPA lehnte den Antrag zunächst
ab und verwies auf den "Ban on Use of Human Pesticide Studies" aus dem Jahre 1988. Damals hatte der Präsident der EPA, Lee Thomas, ein generelles Verbot von Pestizidversuchen mit Menschen verhängt.
Sie seien "unethisch und unnötig".
Anfang diesen Jahres stellte der Konzern einen neuen Antrag. Auf Druck der unternehmerfreundlichen US-Regierung konnte die EPA den Antrag diesmal
nicht rundweg ablehnen, sondern musste gemeinsam mit der National Academy of Sciences (NSA) eine Kommission zur Bewertung solcher Tests bilden. Die Kommission kam am 16./17. Dezember erstmals zusammen und wird
Anfang 2003 eine Empfehlung aussprechen, auf deren Basis die Regierung entscheidet.
Hintergrund der Bemühungen von BAYER sind die nach Meinung der Pestizid-Industrie zu scharfen Grenzwerte. Bislang werden die Risiken von Pestiziden
im Tierversuch ermittelt, zur Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Mensch und Tier werden dann Sicherheits- faktoren eingeführt. Üblicherweise wird ein Zehntel des Schwellenwertes, ab dem im Tierversuch
eine Schädigung festgestellt wird, als Grenzwert für den Menschen festgelegt. Durch direkte Versuche am Menschen versucht BAYER nun die Abschaffung dieser Sicherheitsfaktoren und die Einführung lascherer Grenzwerte.
Entsetzt darüber zeigt sich Carina Weber, Geschäftsführerin des PESTIZID AKTIONS-NETZWERK (PAN): "Lebensmitteluntersuchungen zeigen, dass in
Europa schon heute 39% der Lebensmittel Pestizid- Rückstände enthalten. Es ist völlig unakzeptabel, dass zukünftig regelmäßig Menschen auch noch als Versuchspersonen Pestizide schlucken, zumal mit dem Ökolandbau ein
Produktionssystem zur Verfügung steht, in dem chemisch-synthetische Pestizide überhaupt nicht benötigt werden."
Nürnberger Kodex ausgehebelt Neben höheren Grenzwerten würde eine Neubewertung von Menschen-
tests durch die Environmental Protection Agency den bislang weltweit respektierten Nürnberger Kodex von 1947 zu Fall bringen. Dieser resultierte aus dem Nürnberger Ärzteprozesse und legte zum ersten Mal den
Rahmen für Forschungen am Menschen fest. Neben "Freiwilligkeit" und "umfassender Information der Versuchspersonen" verlangt der Kodex ein Verbot von Versuchen mit Giftstoffen. Der Nürnberger
Kodex ist zwar kein rechtlich bindendes Gesetz, er wurde jedoch bislang von den westlichen Staaten als Maßgabe akzeptiert. Deutschland hält sich relativ eng an diese Bestimmungen, sodass eine Zulassung der von BAYER
gewünschten Tests hierzulande sehr unwahrscheinlich wäre. Die Bundesregierung hat auch das europäische Abkommen zur Biomedizin, mit dem die Genehmigung solcher Versuche erleichtert werden soll, bislang nicht
unterzeichnet.
Axel Köhler-Schnura von der COORDINATION GEGEN BAYER- GEFAHREN: "Es sind stets materiell benachteiligte Menschen, die ihre Gesundheit bei
solchen Tests aufs Spiel setzen. Das Unternehmen BAYER hat wohl verdrängt, dass Menschenversuche seit den grauen- vollen Experimenten im Dritten Reich geächtet sind - Auftraggeber war im übrigen schon damals die
BAYER-Gruppe innerhalb der IG Farben." Köhler-Schnura befürchtet durch die Zulassung solcher Untersuchungen höhere Grenzwerte von Pestiziden in der Nahrung und im Wasser. Dr. Richard Dixon, Forschungsleiter
des internationalen Umweltverbands FRIENDS OF THE EARTH, ergänzt: "Es ist inakzeptabel, dass ein Chemie-Gigant wie BAYER hochgefährliche Pestizide an Menschen ausprobiert. Schlimmer noch aber ist der Versuch
des Konzerns, das internationale Verbot solcher Tests auszuhebeln."
"großer Druck der Pestizid-Hersteller" Auch das NATURAL
RESOURCES DEFENCE COUNCIL (NRDC), das zu den größten amerikanischen Umweltverbänden zählt, verurteilt das Ansinnen von BAYER. Erik Olson, Anwalt und Sprecher des NRDC, kritisiert: "Es verwundert nicht, dass bei
den Testpersonen keine Spätfolgen entdeckt wurden - schließlich gab es keinerlei Langzeit- untersuchungen, die solche Schäden hätten feststellen können. Zudem gibt es starke Anhaltspunkte dafür, dass die
Probanden nicht vollständig über Ziele und Risiken der Versuche informiert waren." Olsen befürchtet, dass die EPA dem Druck von BAYER nachgeben könnte: "Die EPA ist auf lange Sicht nicht stark genug, den
Lobbyisten von BAYER zu widerstehen." Nach Angaben der NRDC drohen langfristig auch Menschentests mit genetisch modifizierte Organismen - schließlich ist BAYER seit der Übernahme der AVENTIS CROPSCIENCE auch
größter europäischer Anbieter von genmanipuliertem Saatgut.
Die EPA, die als gründlichste und einflussreichste Aufsichtsbehörde der Welt gilt und deren Vorgaben von vielen Ländern direkt übernommen werden,
bleibt zunächst bei ihrer ablehnenden Haltung: "Für die Risikoanalyse von Pestizide akzeptieren wir keine Ergebnisse von Menschenversuchen. Keine Krankheit ließe sich mit den Ergebnissen solcher Tests besser
behandeln. Wir stehen allerdings unter großem Druck seitens der Pestizid-Industrie", äußerte ein Sprecher gegenüber der schottischen Zeitung "Sunday Herald".
Um eine rasche Entscheidung zu erzwingen, hat BAYER bereits eine Klage gegen die amerikanischen Aufsichtsbehörden eingereicht. Der enge Draht
zur US-Regierung (die Pharmaindustrie gehört zu den wichtigsten Unterstützern der jetzigen Regierung, auch BAYER spendete für George Bushs Wahlkampf) lässt befürchten, dass sich die Administration mit einer
Lockerung der Pestizid-Regulierung revanchiert.
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