DRUGS & PILLS
Eine Krankheit für jede Pille Die medizinische Fachzeitschrift British
Medical Journal hat in ihrer Ausgabe vom 13. April massive Kritik an der voranschreitenden Medikalisierung des Alltags geübt. Nach Ansicht des australischen Pharmakologen David Henry wird die Krankheit als soziales
Konstrukt momentan von der Krankheit als ökonomisches Konstrukt abgelöst. Ihm zufolge gehen die Pillen-Riesen im Verbund mit zweifelhaften ExpertInnen, Medien und VerbraucherInnen-Gruppen immer mehr dazu über,
leichte Störungen als ernste, weit verbreitete und behandelbare Krankheiten zu verkaufen. Bestes Beispiel ist BAYERs Öffentlichkeits- arbeit zum Thema „Potenzstörungen“, die zum Ziel hat, sich einen Markt für
das voraussichtlich ab 2003 erhältliche Mittel gegen erektile Dysfunktion NUVIVA zu schaffen (siehe auch SWB 3/02).
Hohe Kosten durch unwirksame Arzneien #1 ÄrztInnen verschreiben zu
viele, zu teure und oftmals auch noch in ihrer Wirkung umstrittene Medikamente, konstatiert der Arzneiverordnungs- report 2002. 4,2 Milliarden Euro könnten die Krankenkassen einsparen, wenn die MedizinerInnen
bei ihren Pillen-Verordnungen sorgfältiger wären, so die Autoren Ulrich Schwabe und Dieter Paffrath. Der AOK- Vorstandschef Hans Jürgen Ahrens schlug daraufhin die Einführung von Gesamt-Budgets für ÄrztInnen vor, in
dem die Posten für ihre Entlohnung und ihre Arznei-Ausgaben zusammengeführt wären, was sie dazu anregen soll, sich ihre Hand beim Ausstellen der Rezepte nicht länger von den Pharma-ReferentInnen BAYERs und der
anderer Pillen-Riesen führen zu lassen. Schwabe und Paffrath kritisierten zudem, es gebe „planloses Agieren der Gesundheitspolitik“, dass die Pharma-Industrie regelmäßig ausbremsen könne.
Hohe Kosten durch unwirksame Arzneien #2 BAYERs Antidiabetikum GLUCOBAY
gehört zu den Medikamenten, deren therapeutischen Nutzen ExpertInnen als gering einschätzen. Würden die Krankenkassen nicht länger für sie aufkommen, ergäbe sich ein großes Einspar-Potenzial. Nach einer Studie des
Pharmakologen Gerd Glaeske vom „Zentrum für Sozialpolitik“ der Universität Bremen kosteten GLUCOBAY & Co. allein die Gmündner Ersatzkasse im Jahr 2001 32 Millionen Euro.
GLUCOBAY auch zur Vorbeugung? Nach der bisher größten Feldstudie zur
Wirksamkeit von Medikamenten bei Altersdiabetes ist BAYERs GLUCOBAY völlig wirkungslos (Ticker 1/99). Ungeachtet dessen will der Pharma-Multi das Anwendungsgebiet des Präparats erweitern und es auch noch zur
Diabetes-Vorbeugung
anbieten. Er stützt sich dabei auf eine ominöse, höchstwahrscheinlich vom Konzern selbst in Auftrag gegebene Studie, die dem Medikament eine 25-prozentige Reduzierung des Krankheitsrisikos zugeschrieben hat.
BAYER boykottiert Spar-Bemühungen Die hohen Kosten für Medikamente haben
einen Haupt-Anteil an den immer weiter steigenden Krankenkassen-Beiträgen. Um die finanziellen Belastungen wenigstens etwas in Grenzen zu halten, informiert die „Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein“ (KVNo)
MedizinerInnen über preiswerte und wirksame Pillen-Alternativen. Das ist BAYER & Co. ein Dorn im Auge. Ihre Pharma-Drücker schwärmten in die Praxen aus und versuchten, ÄrztInnen von der Inanspruchnahme des
Service-Angebotes abzubringen. Deshalb forderte KVNo-Chef Leonhard Hansen die Pillen-Riesen auf, die Bemühungen um Kosten-Senkungen im Gesundheitswesen nicht länger mit „juristischen Winkelzügen“ und „fragwürdigem
Marketing“ zu sabotieren. „Setzen Sie ihre Referenten nicht dafür ein, unsere Informationspolitik zu hintertreiben“, ermahnte er die Pharma-Konzerne.
BAYER & Co. hintertreiben „Aut idem“ Ab Juli 2002 sind die
MedizinerInnen gehalten, nur noch Wirkstoffe, nicht aber bestimmte Präparate zu verordnen (Ticker 3/02). Anhand des Rezeptes sucht der/die ApothekerIn dann das preisgünstigste Produkt der entsprechenden
Medikamenten-Gruppe aus. Ausnahmen gestattet diese „Aut idem“-Regelung nur, wenn die Arznei dem unteren Preis- Drittel angehört. In diesem Fall kann sie der/die MedizinerIn direkt rezeptieren. Um diese
Kostendämpfungsmaßnahme zu hintertreiben, wenden BAYER & Co. einen Trick an. Sie erhöhen generell die Preise, was das durchschnittliche Kosten-Niveau erhöht und mehr Pillen ins untere Euro-Drittel fallen lässt.
„Skandalös“ nannte Leonhard Hansen von der „Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein“ diese Praxis.
BAYER & Co. dealen mit Apotheken Um Apotheker stärker an sich zu
binden, haben sich BAYER & Co. auf Deals mit ihnen eingelassen. Sie schenken ihnen Medikamente, welche die PharmazeutInnen dann bei den Krankenkassen abrechnen. Ca. 383 Millionen Euro Gewinn zu Lasten der
KassenbeitragszahlerInnen machen die Apotheken mit diesem kriminellen Geschäft nach ExpertInnen-Schätzung jährlich.
Kommt der Arzneimittel-Inspektor? Das Unterlaufen der „Aut
idem“-Regelung (s. o.), Deals mit Apotheken zu Lasten der Krankenkassen (s. o.) und doppelt so hohe Werbe- wie Forschungsetats - BAYER & Co. treiben es ziemlich bunt. Das Gesund- heitsministerium pant
deshalb, die Pharma-Konzerne stärker zu kontrollieren. Nach dem Vorbild Niederlande will sie einen Arzneimittel- Inspektoren berufen, der den Pillen-Riesen auf die Finger schauen und jährlich einen Bericht
verfassen soll. Darüber hinaus hat die Behörde vor, zwei unabhängige Institute zur Untersuchung des Nutzens von Therapien, Medikamenten und anderen Heilmitteln zu gründen.
Europäische Zulassung für Vardenafil Die Europäische
Arzneimittel-Zulassungsbehörde in London ist eine privat-wirtschaftlich betriebene Institution. Nicht zuletzt deshalb steht sie in dem Ruf, sich ihre Pharma-Kunden nicht durch allzu genaue Prüf- Verfahren vergraulen
zu wollen. Der LIPOBAY-Skandal hat diese Laxheit drastisch offenbart. Gelernt haben die EU-PrüferInnen daraus nicht. Der zuständige Arzneimittel-Ausschuss sprach nämlich eine Zulassungs- empfehlung für BAYERS
Potenzmittel-Wirkstoff Vardenafil (Produkt- name: LEVITRA) aus, während ihr US-amerikanisches Pendant FDA dem Pharma-Multi dagegen im August einstweilen die Genehmigung versagte. Ihr genügten die eingereichten
Unterlagen nicht, um die von Potenzmitteln möglicherweise ausgehenden Gesundheitsrisiken auszuschließen. Die Gesundheitsbehörde forderte BAYER zu weiteren Tests auf.
Viel Arznei hilft ins Grab PatientInnen, die täglich mehrere
unterschiedliche Pillen schlucken, bringen ihr Leben in Gefahr. Das Sterben infolge von Arzneimittel- Wirkungen zählt in der Bundesrepublik zu den häufigsten Todes- Ursachen. So sind auch unter den über 100 Opfern
des BAYER- Cholesterinsenkers LIPOBAY viele, die das Präparat gemeinsam mit GEMFIBROZIL, einem Mittel gegen Arteriosklerose, einnahmen. Wie es genau zu dem tödlichen Effekt kam, hat jetzt H. Kroebner von der
Universität Greifswald herausgefunden. LIPOBAY und GEMFIBROZIL waren im menschlichen Organismus auf das gleiche Transport- und Abbauprotein angewiesen. Deshalb kam es zu einem Rückstau, der die
Wirkstoff-Konzentrationen im Blut und im Gewebe bedenklich ansteigen ließ, was in einigen Fällen zum Tod der PatientInnen führte.
Statine schädigen Nerven Jetzt ist die nervenschädigende Wirkung von
LIPOBAY und anderen Cholesterinsenkern mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Statine auch wissenschaftlich belegt. Dänische ForscherInnen haben in Unter- suchungen herausgefunden, dass Statine Nervenzellen
angreifen und so Schmerzen verursachen sowie Taubheitsgefühle und Muskelschwäche auslösen können. Im Falle des BAYER-Präparats LIPOBAY mit der Wirksubstanz Cerivastatin hat diese Muskelschwäche (Rhabdomyolyse) zum
Tod von über 100 PatientInnen geführt.
Neues Schuppenflechten-Mittel? Eine Schuppenflechte entsteht, wenn weiße
Blutkörperchen an den Gefäßwänden kleben bleiben, sie durchdringen und so Entzündungs- prozesse auslösen. Dr. Michael Schön von der Universität Magdeburg fand jetzt gemeinsam mit dem BAYER-Forscher Dr. Thomas
Krahn einen Antihaft-Stoff, der das Andocken der Blutkörperchen verhindert. Bei dieser Substanz handelt es sich allerdings um ein Pilz-Gift. Ob Veränderungen seiner Molekular-Struktur Risiken und Nebenwirkungen bei
der Anwendung ausschließen, haben die Wissenschaftler allerdings noch nicht erprobt.
Co-Vermarktung von Telmisartan Der Umsatz BAYERs mit dem
Blutdruck-Senker ADALAT geht zurück, da das Präparat der zunehmenden Konkurrenz von Nachahmer- Produkten ausgesetzt ist. Ein neues Mittel hat der Pharma-Riese auch nicht auf Lager. Also entschloss er sich, mit
dem BOEHRINGER- Konzern einen Kooperationsvertrag über die gemeinsame Vermarktung von dessen blutdruck-senkendem Wirkstoff Telmisartan in der Bundesrepublik, in Skandinavien und der Schweiz abzuschließen.
FDA kontrolliert wieder schärfer Mängel in der Produktion von BAYERs
gentechnisch hergestelltem Blutplasma-Präparat KOGENATE (Ticker 2/01) sowie ähnliche Schlampereien bei den Konkurrenten ELI LILLY und SCHERING- PLOUGH haben die US-Aufsichtsbehörde FDA veranlasst, den
Pillen-Produzenten genauer auf die Finger zu schauen. Die Behörde will ein neues System zur Kontrolle von Arznei-Fertigungsstätten entwickeln und wieder mehr Betriebsinspektionen durchführen. Ihre Zahl war in der
Vergangenheit von 4.300 im Jahr 1980 auf 1.600 im Jahr 2001 gesunken.
Gen-Arzneien gegen Asthma und Krebs BAYER will auf der Basis von zwei
Antikörpern aus der Erbgut- Bibliothek des Biotech-Unternehmens MORPHOSYS Medikamente gegen Krebs bzw. Asthma entwickeln (siehe auch GENE & KLONE).
US-Zulassung für HIV-Test BAYER hat in den USA die Zulassung für ein in
Europa bereits vermarktetes Test-Verfahren auf Gentech-Basis erhalten, das bei AIDS-PatientInnen angeblich die Menge der HI-Viren im Körper bestimmt.
US-Zulassung für Hepatitis-Test Die US-Gesundheitsbehörde FDA hat BAYER
die Zulassung für den Vertrieb eines Hepatitis-C-Diagnoseverfahrens auf Gentech-Basis erteilt. Entwickelt hat den Test namens VERSANT HCV TMA die nordamerikanische Firma GEN-PROBE.
Immunglobulin-Zulassung beantragt BAYER hat in den USA die Zulassung für
das Immunglobulin- Pharmazeutikum GAMUNEX beantragt. Verwendung findet es bei primärer Immun-Störung, Knochenmark-Transplantationen, Gerinnungsstörungen und AIDS im Kindes-Alter. Es soll in der Produkt-Palette des
Konzerns das Vorgänger-Präparat GAMIMUNE ersetzen, desssen Patent demnächst abläuft. Der Pillen-Riese streitet allerdings ab, dass es sich bei GAMUNEX um einen alten Pharma-Stoff in neuen Spritzen handle, der nur
vermarktet werden soll, weil das GAMUMUNE-Patent demnächst ausläuft. BAYER hat nach eigenen Angaben beim Produktionsprozess die Methode der Reinigung des für GAMUNEX verwendeten Blut-Plasmas verbessert. Das war auch
bitter nötig, denn im Jahr 2000 hat die US-Aufsichtsbehörde bei einer Inspektion der Fertigung des Blut-Produkts KOGENATE eine Verunreinigung durch Bakterien entdeckt und die Produktion stillgelegt (Ticker 3/01).
ASPIRIN hilft jetzt auch bei ... Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Aufgrund des
Mangels an neu entwickelten Medikamenten versucht BAYER unermüdlich, ASPIRIN bisher unbekannte Anwendungsgebiete zu erschließen. Im September vermeldete der Konzern, nach einer Untersuchung der Universität von
Minnesota verringere der „Tausendsassa“-Wirkstoff Acetylsalicylsäure das Risiko, an Bauchspeicheldrüsen-Krebs zu erkranken, um 43 Prozent. Höchstwahrscheinlich hat der Pharma-Riese die Studie selbst in Auftrag
gegeben. Und nach einer Expertise der Fach-Zeitschrift New England Journal of Medicine kommen industrie-gesponsorte Test- Reihen immer zu weit positiveren Ergebnissen als unabhängig finanzierte.
England: ASPIRIN erst ab 16 Der ASPIRIN-Wirkstoff Acetylsalicylsäure
kann bei Kindern das Reye-Syndrom auslösen. Diese Leber- und Hirnkrankheit verläuft in einem Viertel der Fälle tödlich. Deshalb hat Großbritannien alle Acetylsalicylsäure-haltigen Medikamente für Jugendliche unter
16 Jahren verboten.
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