SWB 02/2003

Dank BAYERs Brieffreundschaften:

Pestizid Aldicarb weiter im Handel

Die EU wollte den hoch gefährlichen Pestizd-Wirkstoff Aldicarb aus dem Handel ziehen. BAYER reichte einen Brief an den Superminister Wolfgang Clement, um diese Verbraucherschutz- Pläne zu durchkreuzen.

Von Andreas Schlumberger

Dr. Jochen Wulff, Vorstandsvorsitzender der BAYER CROPSCIENCE AG, hat ein wichtiges Anliegen: Er möchte gerne eine hoch giftige Substanz namens Aldicarb verkaufen - nicht unter dem Ladentisch, sondern öffentlich und möglichst weltweit. Und er hat ein Problem:
Die EU droht seinem Geschäft einen Riegel vorzuschieben. Bis zum Juli nämlich soll die EU-Kommission, wie in der Pflanzenschutzrichtlinie 91/414 vorgesehen, über das europa-weite Schicksal von zunächst 90 Pestiziden befinden, und für den BAYER-Wirkstoff Aldicarb sieht es nicht gut aus. Der Agrarministerrat, das wichtigste Gremium in diesem Harmonisierungs-Prozess, kann sich nicht zu einer Zulassung durchringen. Unter anderen Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), will Aldicarb vom gemeinsamen Markt verbannt sehen. Eigentlich keine Überraschung, denn hierzulande ist Aldicarb schon seit zehn Jahren verboten.

Von Künasts Ministerium abgewiesen, greift Wulff Anfang Februar zur Feder. Er schreibt einem, der ihn besser versteht: Georg-Wilhelm Adamowitsch, ehemaliger Chef der Staatskanzlei NRW und seit letztem November Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Adamowitsch gilt als einer der wenigen Vertrauten des Superministers Clement und als sein engster strategischer Berater, z.B. in Sachen Industrie-Politik.

In seinem Brief erläutert Wulff, dass Aldicarb für BAYER “zu den weltweit wichtigsten Wirkstoffen mit einem Umsatz von ca. 150 Mio. Euro” jährlich gehöre und damit an die “20 Mio. Euro Kosten der hauptsächlich in Deutschland ansässigen Forschungs- und Entwicklungseinheiten” trage. Die Arbeitslosen-Misere andeutend, kommt Wulff zum entscheidenden Punkt: Im gespaltenen Ministerrat sei eine qualifizierte Mehrheit für Aldicarb in Reichweite, wenn Deutschland, anstatt gegen das Mittel zu votieren, “eine neutrale Haltung einnimmt”.

Adamowitschs Ministerialdirektor Andreas Schuseil erkennt die Brücke, die ihm Jochen Wulff da baut, und schlägt in einem Schreiben an das BMVEL “zur ‘Gesichtswahrung' (!) vor, dass sich die Bundesrepublik in der Frage Aldicarb der Stimme enthält.” Schließlich erfordere “die hohe Arbeitslosigkeit dringliche Maßnahmen zur Abhilfe. Insofern finden Vorschläge, die in ihrer Folge eine Verringerung des Wirtschafts-
wachstums mit letztlich negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt bewirken,” im Wirtschaftsministerium “keine Unterstützung”.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt das Organophosphat Aldicarb unter der höchsten Gefahrenklasse, 1a, als “extremely hazardous”. In der Tierwelt richtet das Nervengift, das an grundlegenden Mechanismen der Reizfortleitung angreift, verheerende Schäden an - besonders für Vögel bedeuten schon geringste Mengen den Tod. Es ist gut löslich und wird somit leicht ins Grundwasser gespült, wo es eine Halbwertzeit von einigen Monaten besitzt. Im Tierversuch genügt bereits eine Konzentration von weniger als 1 mg je kg Körper-Gewicht, um eine Ratte binnen Minuten zu töten. Die schlimmstmöglichen Auswirkungen der reinen Substanz auf den Menschen zeigte 1983 der Chemie-Unfall in Bhopal: Ein Leck in den Leitungen der UNION CARBIDE kostete 3000 MitarbeiterInnen und AnwohnerInnen das Leben, Tausende litten fortan unter Krankheiten des Atmungssystems.

All dies hatte Wulff seinem Brieffreund nicht verraten, ist für Schuseil aber nicht wirklich ein Problem, denn, so schließt er sein Fax an die Kollegen, “da der Wirkstoff seit 1992 in D nicht mehr zugelassen ist, sind direkte Auswirkungen auf den deutschen Verbraucher auch eher unwahrscheinlich”.

Im BMVEL reagierte man empört auf das Ansinnen aus dem Wirtschaftministerium. Am 13 März beschloss das Haus auf Weisung der Ministerin Renate Künast, auf der Folgesitzung des Ministerrats nächste Woche wegen der schädlichen Auswirkungen des Wirkstoffs auf Grundwasser, Vögel und Boden-Lebewesen bei seiner ablehnenden Haltung zu bleiben. Auch auf den inzwischen von der EU-Kommission vorgelegten Kompromiss-Vorschlag,

Aldicarb eine Übergangsfrist bis Juni 2007 zu gewähren, werde Deutschland nicht eingehen. Solch lange Fristen verschleppten unnötig das Ziel der dringend nötigen Harmonisierung im Pflanzenschutzrecht. Aber Künast & Co. konnten sich gegen den Superminister nicht durchsetzen. Die EU verlängerte Mitte März die Aldicarb-Zulassung.