SWB 03/2003

Ein BAYER-Angestellter packte aus

"Auf Managern lastet ein enormer Druck,
ihre Anständigkeit aufzugeben"

Im April diesen Jahres bekannte sich BAYER vor einem US-Gericht schuldig, das staatliche Gesundheits-Programm "MedicAid" zur Versorgung sozial Schwacher durch gefälschte Abrechungen um rund 100 Millionen Dollar erleichtert zu haben. BAYER wurde sowohl zivil- als auch strafrechtlich belangt und zahlte 255,6 Millionen Dollar, die höchste bisher in einem Betrugsverfahren festgesetzte Strafsumme.
Die Ermittlungen in Gang gesetzt hatte der BAYER-Mitarbeiter George Couto, der die Machenschaften nicht mehr hatte mitverantworten wollen und gegenüber der Staatsanwaltschaft ausgepackt hatte. Das Justiz- System der Vereinigten Staaten fördert die Zivilcourage solcher "whistleblower" durch auf Unternehmenskriminalität spezialisierte Anwaltskanzleien, anderweitige Betreuungsangebote und eine am abgewendeten finanziellen Schaden bemessene Belohnung - die Bush-Administration plant jedoch Einschränkungen. Stichwort BAYER druckt ein Interview nach, das der Corporate Crime Reporter mit Neil Getnick, dem Anwalt von George Couto, über den Fall führte.

?: Wie kamen Sie zu dem Fall?
Getnick: Wir wurden von George Couto kontaktiert, der etwas über die Arbeit unserer Kanzlei gelesen hatte. Seine Geschichte ist typisch für die whistleblower, mit denen wir bisher zu tun hatten. Ihnen bereitet eine Praxis ihres Unternehmens Unbehagen, die ihnen gegen Gesetze zu verstoßen scheint. Zunächst versuchen sie, die Vorgänge intern zu klären. Erst wenn dies nicht gelingt, suchen sie anderweitig nach Lösungen.

?: Verließ er das Unternehmen, bevor er zu ihnen kam?
Getnick: Nein, er kündigte kurz nachdem er unsere Kanzlei aufgesucht hatte.

?: Was genau hatte er beobachtet?
Getnick: Das "Medicaid"-Programm zur Arznei-Versorgung der sozial Schwachen schreibt den Unternehmen vor, dem Staat Rabatte zu gewähren, die sich am günstigsten Großhandelspreis orientieren. BAYER betrieb beim Verkauf von CIPROBAY und ADALAT zu besten Konditionen an den Großkunden KAISER Etiketten-Schwindel. Der Konzern änderte die Aufschriften, so dass es schien, als ob KAISER Hersteller der Medikamente wäre, und so fielen die Präparate aus der Rabatt-Rechnung für "Medicaid" heraus.

?: Wieviel brachte das BAYER ein?
Getnick : Nach konzern-eigener Rechung an die 100 Millionen Dollar.

?: Was tat George Couto, als er dessen gewahr wurde?
Getnick: Im Frühjahr 1999 wurde George gebeten, an einem Ethik-Seminar teilzunehmen, das die BAYER CORPORATION für die Angestellten der Pharma-Abteilung in Connecticut anbot. Die Veranstaltung begann mit einem Video-Grußwort von Helge Wehmeier, dem damaligen Chef von BAYER/USA. Darin hieß es: "Von jedem wird erwartet, das Gesetz zu achten, nicht nur den Buchstaben des Gesetzes, sondern auch seinen Geist. Den hohen Standards der Gesetze gemäß handelnd, werden Sie niemals alleine stehen. Wenn ihnen danach zumute ist, sprechen sie ruhig mit einem Rechtsanwalt, oder rufen Sie mich an." Die Angestellten brachen in schallendes Gelächter aus.

?: Wusste George Couto da schon von den Umetikettierungen?
Getnick: Ja, zwei Tage nach der Veranstaltung ließ George seinem Chef ein Memo zukommen. Gemäß den dort diskutierten ethischen Maßstäben sollte BAYER nicht nur den Buchstaben, sondern auch den Geist des Gesetzes achten, schrieb er, und stellte in Frage, ob die Umetikettierungspraxis diesem Grundsatz entspricht.

?: Hätte Couto auch ohne die Ermutigung durch das Ethik-Seminar gehandelt?
Getnick: Das ist schwer zu sagen. Auf Managern lastet ein enormer Druck, ihre Anständigkeit aufzugeben.

?: Aber von dem Eindruck ihrer Gespräche mit George her ...
Getnick: Der unmittelbare Anstoß für George Coutos Verhalten war die interne BAYER-Studie, die den Gewinn durch die Umetikettierungen auf 97 Millionen Dollar bezifferte. Zusammen mit dem Besuch des Ethik-Seminars hat ihn das zum Handeln bewogen. 

?: Wie war die Reaktion auf das Memo?
Getnick: Es gab keine Reaktion.

?: Als George später einmal mit seinem Chef über die Sache sprach, scherzte dieser: "Die Gefängnis-Kleidung würde uns allen gut stehen".
Getnick: Ja, das war zur Zeit der Untersuchungen von seiten der Regierung. Auch ein anderer Kollege witzelte auf dem Rückflug von einer Geschäftsreise darüber, wie es wäre, ein Hemd mit Pin-Code zu tragen. Diese Art von Späßen gehörte zur Geschäftssprache der Angestellten, was zeigt, dass sie sich des problematischen Charakters der Vorgehensweise bewusst waren.

?: George Couto starb im November 2002.
Getnick: Im April 2002 stellten die Ärzte die Diagnose "Bauchspeicheldrüsen-Krebs". Sie gilt allgemein als Todesurteil. Nachdem es ihm gelang, seine Konstitution ein wenig zu stabilisieren, machte er klar, dass er den Fall bis zum Ende ausfechten wollte. Also leiteten wir als seine Anwälte, unterstützt von der US-Staatsanwaltschaft, das Nötige ein und trafen Vorbereitungen, seine Aussage auf Video aufzunehmen. Im August letzten Jahres machte er dann seine Aussage und stellte sich anschlließend vier zermürbende Tage lang dem Kreuzverhör der BAYER-Änwalte.

?: Wie ging BAYER bei der Vernehmung vor?
Getnick: Nach meiner Einschätzung war die Taktik, George als jemand erscheinen zu lassen, der illoyal gegenüber dem Unternehmen ist und geldgierig, und dessen Aussagen deshalb keine Glaubwürdigkeit zukommt. Das ist das typische Vorgehen bei den Kreuzverhören, die wir beobachten. Und es war nur schwer zu ertragen, jemand mit so einem angeschlagenen Gesundheitszustand einer solchen Prozedur ausgesetzt zu sehen. Aber das Kreuzverhör brachte nur noch mal an den Tag, um was für einen schwerwiegenden Fall es sich handelte - und was für ein bewundernswerter Mensch George war. Es war der klassische Fall von: "Die Wahrheit hält allen Anfechtungen stand". Ich kam - wie wohl alle anderen im Saal - zu dem Schluss, dass keine Kanzlei der Welt es wagen würde, dieses Video vor einem Gericht Geschworenen zu präsentieren.

?: George Couto erlebte den Ausgang des Verfahrens nicht mehr
Getnick: Nein, aber seine Aussagen wurden konserviert, und wenn BAYER sich doch noch entschlossen hätte, es auf einen Prozess ankommen zu lassen, wäre das Video den Geschworenen vorgespielt worden.

?: Glauben Sie, dass er nach seiner Aussage zuversichtlich war, dass der Fall in seinem Sinne abgeschlossen würde?
Getnick: Er wusste, dass er alles in seiner Macht stehende getan hatte, um einen erfolgreichen Ausgang zu ermöglichen.

?: Das Gericht sprach Coutos Hinterbliebenen eine Belohnung von 34 Millionen Dollar zu. Wie kam es dazu?
Getnick: In Fällen wie diesem haben die Aussagewilligen einen Anspruch auf 15 bis 25 Prozent der wiedereingetriebenen Schadenssumme. Und angesichts von Georges großartiger Mitarbeit, besonders in den letzten Monaten der juristischen Auseinandersetzung, erklärten sich die Regierungsstellen bereit, der Familie zusätzlich die 24 Prozent des staatlichen Anteils an der Rekompensation zukommen zu lassen. Damit schlossen wir zu dem höchsten Prozentsatz auf, den das Justiz-Department jemals freiwillig einer Partei in einem Verfahren zubilligte, in dem die Schadenssumme bei über 100 Millionen Dollar lag.

?: Wird diese gerichtliche Auseinandersetzung Konsequenzen haben?
Getnick: Ich hoffe, dieser Fall wird der Industrie eine Warnung sein, künftig von solchen Praktiken abzulassen. Ein wesentlicher Teil des Urteils geht über zivil- und strafrechtliche Konsequenzen hinaus. BAYER musste ein Integritätsabkommen unterzeichnen, nach dem staatliche Stellen bei dem Unternehmen von nun an permanent die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften überwachen.
 

(übersetzt, gekürzt und beabeitet von Jan Pehrke)