SWB 01/2004

Schmutzige Tricks gegen Chemikalien-Sicherheit

Ex-Agenten des CIA in BAYERs Diensten

Die US-amerikanische Chemie-Industrie plant eine Geheim-Kampagne, um Sicherheitstests für Chemikalien zu verhindern. Ein entsprechendes Strategie-Papier wurde der Umwelt-Organisation ENVIRONMENTAL WORKING GROUP zugespielt. Demnach beabsichtigt das "American Chemistry Council", das Vorsorge-Prinzip in der Öffentlichkeit zu "stigmatisieren". Sie will damit den "Informationskrieg" gegen die Umwelt-Bewegung gewinnen. Dem Verband gehören mehr als hundert Chemie-Konzerne an: aus den USA sind DOW, DUPONT, MONSANTO und EXXONMOBIL dabei, aus der Bundesrepublik BAYER, BASF, CELANESE und DEGUSSA.

Von Philipp Mimkes

Gefährliche Chemikalien haben sich global ausgebreitet: Ob in Fischen, Polar-Bären, in der Muttermilch, im Hausstaub oder in Alltagsgegenständen - giftige Stoffe aus industrieller Produktion sind überall nachweisbar. Zahlreiche Krankheiten werden mit der ständig steigenden Chemie-Fracht in Verbindung gebracht. Schätzungen zufolge könnte allein im deutschen Gesundheitswesen ein zweistelliger Milliarden-Betrag eingespart werden, wenn die Belastungen durch die Substanzen signifikant zurückgingen.

Trotzdem sind in den USA wie auch in Europa zehntausende Stoffe auf dem Markt, die nie auf ihre Gefahren hin untersucht wurden. Staatliche Stellen werden erst aktiv, wenn es zu gravierenden Umwelt-Einwirkungen kommt. UmweltschützerInnen treten daher dafür ein, alle Chemikalien zu verbieten, die sich in Mensch, Tier und Umwelt anreichern und die das Immunsystem angreifen können (befristete Ausnahmen dürften nur erteilt werden, sofern für einen Stoff noch keine sichere Alternative vorhanden ist, der gesellschaftliche Bedarf unabdingbar ist und geeignete Maßnahmen zur Risiko-Minimierung ergriffen werden). Zudem fordert die Umwelt-Bewegung seit langem die Veröffentlichung sämtlicher toxikologischen Daten aller Chemikalien sowie genaue Informationen darüber, welche Stoffe in Konsum-Gütern enthalten sind.

Zwar würde die Allgemeinheit von solchen Schritten profitieren - sowohl durch einen Rückgang Chemikalien-induzierter Erkrankungenals auch finanziell. Doch für die Chemie-Industrie geht es um Milliardenbeträge: Würde das Vorsorgeprinzip konsequent angewandt, müssten Tausende gefährlicher Chemikalien vom Markt genommen werden, die Zulassung neuer Stoffe würde erheblich erschwert. Grund genug, das Vorsorgeprinzip mit harten Bandagen zu bekämpfen. Bestrebungen der EU, die Gefahren durch Chemikalien zu verringern, wurden von der Industrie als "wettbewerbsfeindlich" und "Programm zur Vernichtung von Millionen Arbeitsplätzen" denunziert. In einer riesigen Lobby- Anstrengung gelang es den Chemie-Konzernen, dem ursprünglich ambitionierten Entwurf der EU-Kommission die Zähne zu ziehen (s. SWB 4/03). Tatkräftige Unterstützung erhielten die Unternehmen dabei vom "American Chemistry Council" (ACC), dem auch der BAYER-Konzern angehört. "Diese Anstrengungen halfen mit, weltweit eine aggressive Position aufzubauen und führten zu deutlichen Konzessionen in der jetzt vom Europäischen Parlament vergelegten Fassung", schreibt der ACC frank und frei in seinem Jahres-Bericht.

Daheim in den USA geht der Verband noch ein gutes Stück aggressiver vor. Das ACC ließ sich von der Werbe-Agentur NICHOLS-DEZENHALL eine Kampagne maßschneidern, um Forderungen der Umwelt- Bewegung schon im Vorfeld entgegenzutreten. NICHOLS-DEZENHALL mit Sitz in Washington ist besonders für seine Schmutz-Kampagnen bekannt: Die Firma beschäftigt eine Vielzahl ehemaliger FBI- und CIA-AgentInnen zur Ausspionierung von Umwelt-AktivistInnen und anderer kritischer Kräfte. Nick Nichols, Teilhaber der Firma, rechfertigt solche Maßnahmen mit der "Gefährlichkeit radikaler Umweltschützer", die er mit der von Terroristen vergleicht. So schreckten MitarbeiterInnen der Agentur in der Vergangenheit nicht einmal davor zurück, Materialien aus dem Abfall von UmweltschützerInnen heraus zu klauben.

Die schwerpunktmäßig in Kalifornien geplante Kampagne beinhaltet denn auch eine Reihe "ungewöhnlicher Maßnahmen":

  1. Sammeln persönlicher Daten von UmweltschützerInnen (mit Schwerpunkt auf AktivistInnen, die für das Vorsorge-Prinzip kämpfen),
  2. Anwerbung und finanzielle Hilfe "unkonventioneller Bündnispartner" (Vertreter von Minderheiten wie Schwarze oder Latinos, VerbraucherschützerInnen, wissenschaftliche Institute), da diese in der Öffentlichkeit glaubwürdiger auftreten könnten als die Unternehmen selbst,
  3. Gründung eines "unabhängigen" Instituts, welches Öffentlichkeitskampagnen gegen Chemikalien-Tests durchführt und auf negative Auswirkungen für die Wirtschaft hinweist (die Satzung soll so gestaltet werden, dass Spenden aus der Industrie steuerlich absetzbar sind),
  4. Unterstützung bei der Gründung von Pseudo-Bürgerinitiativen, die in Demonstrationen, Radio-Spots, Websites, Rundbriefen, Vorträgen und Presse-Konferenzen auf die negativen Auswirkungen vorsorgender Umweltschutz-Maßnahmen hinweisen sollen - möglichst dann, wenn Diskussionen oder Abstimmungen über relevante Gesetze anstehen,
  5. Veröffentlichung einer Studie, um die "zerstörerischen Auswirkungen" einer auf dem Vorsorge-Prinzip basierenden Gesetzgebung zu "dramatisieren",
  6. Hintergrund-Gespräche mit konservativen JournalistInnen und Talkshow-ModeratorInnen zur "Stimulierung" der Debatte,
  7. Präsentation "schockierender" Beispiele für angeblich übertriebenes Vorsorge-Denken (z. B. Verbreitung tödlicher Krankheiten wegen fehlender Pestizide),
  8. Verwendung "humoresker Elemente", die demonstrieren, dass ein extremes Vorsorge-Prinzip "zurück in die Steinzeit" führe; Verbreitung der Materialien über Poster, Anzeigen und Internet.
     

Kalifornien hatte in den letzten Jahren für einige besonders risiko-reiche Anwendungen (wie Flammschutzmittel) vorsorgende Untersuchungen vorgeschrieben und spielte in der Umweltgesetzgebung der USA stets eine Vorreiterrolle. In dem Strategie-Papier wird der Bundesstaat daher als "Leithammel" bezeichnet, dessen Entwicklung anderen Teilen der USA als Vorbild dient - weswegen eine verschärfte Umwelt- Gesetzgebung dort "besonders aggressiv" bekämpft werden müsse.

Die Kosten der Kampagne schätzt NICHOLS-DEZENHALL auf rund 15.000 Dollar monatlich, plus Spesen. Das eigentlich geheime Papier wurde der ENVIRONMENTAL WORKING GROUP zugespielt - der Umwelt-Verband erhielt das Konzept von einer der "unabhängigen Gruppen", die vom ACC als Bündnispartner gewonnen werden sollten. Bill Walker, Vize-Präsident der ENVIRONMENTAL WORKING GROUP: "Die Vorgehensweise der Chemie-Industrie ist vollkommen inakzeptabel: gefakete Bürger-Initiativen, bezahlte PR-Agenten, die sich als unabhängige Experten ausgeben, und Wühlarbeit im Privatleben von Umweltschützern." In einem Brief an das ACC fordert Walker, alle Personen und Organisationen offen zu legen, die im Rahmen der Kampagne bereits engagiert bzw. gegründet wurden. "Ich gehöre zu den kalifornischen Umwelt-Aktivisten, deren Müll Sie offenbar durchsuchen. Es ist für mich eine Farce, wenn sich das ACC in der Öffentlichkeit als ehrbarer Teil der Gesellschaft, der nichts zu verbergen hat, darstellt", schreibt Walker weiter.

Das "American Chemistry Council" ging in einer Stellungnahme nicht darauf ein, wie weit die Kampagne fortgeschritten ist, bezeichnete es aber als "selbstverständlich, dass wir den Kontakt zur Öffentlichkeit suchen". Erst kürzlich hatte der Verband seinen Mitgliedern empfohlen, in den nächsten 10 Jahren 250 Millionen Dollar für Werbe-Maßnahmen auszugeben, um das öffentliche Interesse von Sicherheitsfragen abzulenken. Ted Schettler, Direktor des SCIENCE AND ENVIRONMENTAL HEALTH NETWORK: "Die Mitglieder des ACC hatten, mit wenigen Ausnahmen, in den letzten 50 Jahren einen Freifahrtschein. Sie haben daher keinerlei Neigung, Informationen über die Risiken ihrer Produkte zu veröffentlichen, bevor sie diese in die Umwelt aussetzen."

Der Chemie-Professor Jürgen Rochlitz, Mitglied der deutschen Störfallkommission, ist empört: "Dieses Strategie-Papier bietet einen seltenen Einblick in die doppelzüngige Vorgehensweise der Chemie-Industrie. In Werbe-Kampagnen ist von "Responsible Care" und "intensiven Anstrengungen für den Umweltschutz" die Rede - gleichzeitig werden KritikerInnen bespitzelt und selbst elementarste Sicherheitsvorkehrungen mit allen Mitteln bekämpft. Der Schutz von Umwelt und VerbraucherInnen ist für die Industrie-VertreterInnen offenbar vollkommen nebensächlich." Prof. Rochlitz fordert BAYER, BASF und DEGUSSA auf, das ACC zu verlassen und sich deutlich von der Kampagne zu distanzieren.

Axel Köhler-Schnura von der COORDINATION GEGEN BAYER- GEFAHREN (CBG): "Man muss sich nur den Aufschrei vorstellen, wenn UmweltschützerInnen in solcher Weise VertreterInnen der Industrie ausspionieren oder unter falschem Namen auftreten würden. Man würde dies als "kriminell" und "terroristisch" bezeichnen und juristisch dagegen vorgehen. Es entspricht der Logik repressiver Konzern-Strukturen, mit Korruption und Gewalt zu arbeiten - die in den USA geplante Kampagne ist dafür nur eines von vielen Beispielen." Köhler-Schnura bezeichnet die Pläne der Industrie als "Einschüchterung von KritikerInnen" und "klaren Verstoß gegen demokratische Regeln".

Gegen andere Bemühungen, die von Chemikalien ausgehenden Gefahren einzudämmen, schritt der ACC ebenfalls schon erfolgreich ein. In seinem Jahresbericht rühmt er sich, in mehreren US-Bundesstaaten Abfall-Gesetze mit strengen Auflagen für Kunststoffe zu Fall gebracht zu haben. Zusätzlich gelang es ihm, ein Gesetz zum Ausschluss von Kunststoffen als Bau-Materialien in öffentlichen Gebäuden durch massive PR-Arbeit zu verhindern. Auch die von ihren Verbandsmitgliedern gekauften WissenschaftlerInnen hatten mit ihren "Expertisen" Erfolg. Eine Weichmacher-Studie verhinderte das Verbot von Phthalaten in Kinder-Spielzeug und eine über Kombinationswirkungen von Chemikalien bereitete strengen Test-Vorschriften ein politisches Ende.

Solche Praktiken sind "Business as usual" in der Chemie-Branche - und nicht nur dort. Der BAYER-Konzern hat eine lange Tradition unethischer Firmen-Politik. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts vermarktete das Unternehmen aggressiv das "Hustenmittel" Heroin, obwohl die drohende Heroin-Abhängigkeit längst bekannt war. Im ersten Weltkrieg erfand die Firma Chemische Kampstoffe und setzte sich vehement für deren Verwendung ein. Im Rahmen der IG FARBEN war BAYER tief in die Struktur des Dritten Reiches eingebunden und für Menschenversuche, den Tod tausender ZwangsarbeiterInnen und die Ausplünderung eroberter Gebiete mitverantwortlich. In den 80er Jahren wurden Tausende Bluter durch BAYER-Produkte mit HIV infiziert - der Konzern hatte trotz Kenntnis des Ansteckungsrisikos auf Test-Verfahren verzichtet und noch Jahre nach Auftreten der ersten Infektionen alte Chargen verkauft. Aktuelle Skandale umfassen die jahrelang bekannten Nebenwirkungen von LIPOBAY, denen mindestens 100 PatientInnen zum Opfer fielen, Preis-Absprachen mit Konkurrenten und den millionen-schweren Betrug des US-amerikanischen Arznei-Programms für sozial Schwache, Medicare.

KritikerInnen begegnet der Konzern mit Einschüchterungsversuchen. Die CBG wurde mehrfach verklagt und musste jahrelange Prozesse überstehen. Selbst VertreterInnen von Politik und Justiz behandelt der Chemie-Multi mit Arroganz. Staatsanwalt Erich Schöndorf nach einer Hausdurchsuchung bei BAYER: "Es drängte sich der Verdacht auf, dass man Teile des Konzerns für rechtsfreie Räume hält, in denen Staatsanwälte nichts zu suchen haben - selbst wenn sie mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss kommen."