SWB 01/2004

BAYER baut um

Verstärkte Ausrichtung auf Profit

Von Chr. Le Maan

Mitte November 2003 gab BAYER den Umbau des Konzerns bekannt. Das Unternehmen will sich vom Chemie- und Teilen des Kunststoff- Geschäfts trennen.

Mit dem Umbau vollzieht BAYER, was der Großteil der Branche längst hinter sich hat. Für viele BeobachterInnen handelt die Konzern-Leitung verspätet. Als Grund werden unterschiedliche Strategie-Vorstellungen des alten Vorstandsvorsitzenden Dr. Manfred Schneider und des neuen Mannes an der Spitze des Konzerns, Werner Wenning, genannt. Doch dies widerspricht der Tradition bei BAYER, nach der die Entwicklung der Geschäftspolitik nicht von einzelnen Personen abhängt, sondern seit der Ära Duisberg in den 20er Jahren stets dadurch gekennzeichnet war, dass alle Entscheidungen konsequent dem personen-übergreifenden Konzern-Interesse folgten, also auf breiter Basis getroffen und keinesfalls als einsame Entscheidungen durchgesetzt wurden. Es ist also anzunehmen, dass auch die derzeit zu beobachtende Entwicklung durchaus den gemeinsamen Vorgaben der alten und neuen Vorstände folgt.

Damit stellt sich die Frage nach den tatsächlichen Gründen für das scheinbar verspätete Handeln. Ein Grund mag vielleicht darin liegen, dass der Konzern neben seinen ausgewiesenen Geschäftsfeldern auch noch in einem Bereich aktiv ist, über den es so gut wie keine Informationen gibt: den Geschäftsbereich chemischer und biotechnischer Kampfstoffe. Traditionell ist der Konzern auf diesem Gebiet führend. Er hat dieses "Marktsegment" im Ersten Weltkrieg überhaupt erst kreiert und war bis zur Entwicklung der aktuellen VX-Kampfstoff-Generation stets mit seinen Patenten maßgeblich daran beteiligt. Da ist es durchaus denkbar, dass bei Umstrukturierungen Rücksichten genommen werden müssen, die für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar sind. Und da sich mittlerweile im Bereich der Kampfstoff-Entwicklungen ebenfalls der Wechsel von traditionellen Chemiewaffen hin zu Nano- und Biowaffen vollzieht, mag vielleicht deshalb gerade jetzt der Zeitpunkt gekommen sein, das Unternehmen in der zu beobachtenden Weise umzubauen und neu auszurichten. Immerhin spielen beide Bereiche - sowohl die Bio- als auch die Nanotechnologie - beim Umbau Wenning zufolge eine bedeutsame Rolle.

Das Medien-Spektakel jedenfalls ist nichts als Vernebelung, Ablenkung, Beschwichtigung. Und vor allem dient es der Einschüchterung der Gewerkschaften, um sie zum Stillhalten zu zwingen. So heißt es beispielsweise, BAYER schreibe "tiefrote Zahlen" (Handelsblatt). Unfug! In der Tat hat der Konzern im dritten Quartal 2003 ca. 123 Mio. Euro Verlust gemacht - der Abschluss des vierten Quartals fehlt noch. Doch steht nicht zu erwarten, dass dort weitere oder gar höhere Verluste eintreten werden, die den bisherigen Gewinn für das gesamte Jahr 2003 von bis dato noch immer satten 600 Mio. Euro auffressen werden. Das entspricht einer Kapital-Rendite von knapp 13 %, ein Vielfaches eines jeden Sparbuch-Zinses, und auch deutlich mehr, als beispielsweise die Banken an Bau-Krediten verdienen.

Doch 13 % Rendite, das sind heutzutage den Damen und Herren Groß- Kapital-BesitzerInnen - wirtschaftswissenschaftlich präzise: KapitalistInnen - zu wenig. Bei solch "niedrigen" Renditen drohen sie, die sie über Multi-Milliarden-Vermögen verfügen und diese in eigenen Fonds verwalten lassen, mit Kapital-Abzug, setzen dem Vorstand die Daumen-Schrauben an und erzwingen profit-steigernde Maßnahmen - wie eben die Zerschlagung gewachsener Betriebsstrukturen zur Beschränkung auf das höchstprofitable "Kerngeschäft" unter Vernichtung Tausender und Abertausender von Arbeitsplätzen. Klar, dass sich solche Analysen nicht in der allgemeinen Wirtschaftspresse finden.

Zu Beginn der 90er Jahre hat BAYER offiziell eine "Kapitalrendite von 25 %" vorgegeben, nach Steuern versteht sich. Inzwischen mussten diese Ziele auf 14 % reduziert werden (Bilanzpressekonferenz Frühjahr 2003). Um diese noch immer unverschämten Profit-Margen zu sichern, wurde ein Kontroll-System errichtet, dass jeden einzelnen Arbeitsplatz einschließt und exakt die Prozent-Quote ermittelt. Entsprechend nur logisch, dass genau die Arbeitsplätze, die die angepeilten Ziele auf Dauer nicht erreichen werden und keine Aussicht auf Steigerung bieten, ausgegliedert und der Vernichtung preisgegeben werden.

Was die Medien auch nicht berichten: Die Verluste bzw. die Gewinn-Einbrüche sind bei BAYER hausgemacht. In aller Welt muss der Konzern seit mehreren Jahren regelmäßig Strafen in Höhe von Hunderten von Millionen zahlen, die sich leicht zu Milliarden und Abermilliarden addieren. Wegen Verbrechen aller Art. Beispielsweise musste der Konzern Unsummen von Entschädigungen zahlen aufgrund tödlicher und/oder gesundheitsschädigender Medikamente wie LIPOBAY und Bluter-Präparaten. Er hatte Strafen und Vergleichszahlungen in Höhen von Hunderten von Millionen Euro zu leisten wegen krimineller Machenschaften wie verbotener Kartell- und Preis-Absprachen. Wobei die Verantwortlichen im Konzern das Problem natürlich immer darin sehen, dass sie ertappt worden sind und nicht darin, dass sie kriminell handeln. Und selbst wenn die Entschädigungen zu großen Teilen von den Versicherungen getragen werden, so steigen dennoch die Kosten für diese Vorsorge dramatisch an und mindern entsprechend die Gewinne.

Wie es mit NewCo weitergehen wird, ist noch offen. Selbst der Name, unter dem bereits ein US-amerikanischer Stahlkonzern firmiert, verweist darauf, dass es sich um eine kurzfristige Übergangsmaßnahme handelt. Es könnte also sein, dass NewCo entweder als neuer Chemiekonzern (mit neuem Namen) plaziert oder das NewCo in Kürze von einem anderen Chemie-Riesen aufgekauft wird. BAYER hält sich (noch) alle Optionen offen. Die neue Gesellschaft hat als Chemie-Hersteller traditionellen Zuschnitts durchaus Chancen auf Zuwachs und könnte entgegen aller derzeitigen Konzern-Aussagen innerhalb der Holding - die ja zunächst das Kapital oder zumindest Teile des Kapitals hält - doch wieder eine strategische Rolle übernehmen. Das schimmert auch in BAYER-Chef Wennings Aussagen durch, wenn er davon spricht, dass "NewCo als reiner Chemie-Konzern in einer "ganz anderen Liga" spielt und sich "in diesem Umfeld - da bin ich ganz sicher - ... gut positionieren" wird.

Aber egal wie die mittel- und langfristige weitere Entwicklung aussehen wird, für die Profite des BAYER-Konzerns hat die Ausgliederung gleich mehrere Vorteile, für die Beschäftigten entsprechend Nachteile:

  • 15.000 Arbeitsplätze sollen bei BAYER vernichtet werden, das ist das erklärte Ziel. Mit dem Verkauf von NewCo ließe sich diese      Zahl sogar noch weit übertreffen. Für Tausende von Beschäftigten,  wenn nicht auch mittel- und langfristig für die Mehrheit der       momentanen NewCo-Beschäftigten, bedeutet das den Abstieg in prekäre Beschäftigung oder gar Arbeitslosigkeit. Allerdings fällt in vielen Fällen die Arbeit nicht weg, sondern die verbleibenden Beschäftigten müssen diese miterledigen. Der heute schon unerträglich hohe Arbeitsdruck auf die Belegschaften steigt weiter an.
  • Die Lohnkosten werden reduziert, die Spirale des Lohn-Dumping wird weiter nach unten gedreht. Auch wenn den Gewerkschaften als Zuckerstückchen das Zugeständnis gemacht wurde, die Haus- Tarife beizubehalten, werden doch mit der Ausgliederung in die neue Gesellschaft alle bisher geltenden Tarife neu geregelt. Es wird mit Sicherheit ein deutlich niedrigeres Niveau herauskommen.  Wahrscheinlich sogar mit neuen, verlängerten Arbeitszeiten. Die      traditionellen Haus-Tarife bei BAYER werden elegant ausgehebelt.
  • Die Schulden-Übertragung auf die neue Gesellschaft wird als      Nebeneffekt eine Refinanzierung über die Staatskasse bringen. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür hat sich BAYER selbst     geschaffen, indem der Konzern den inzwischen verstorbenen      Finanzexperten Zitzelsberger ins Eichel-Ministerium delegierte.      Die Sanierung wird - zumindest teilweise - über die öffentlichen     Haushalte finanziert werden. Zahlen muss die Allgemeinheit.
     

Doch nicht alle Rechnungen gehen auf. So hat BAYER gehofft, die aufgrund von LIPOBAY und anderen Problemen angeschlagene Attraktivität der BAYER-Aktie durch die Umstrukturierung unmittelbar weiter zu erhöhen, damit neues Kapital anzulocken und den Kapitalwert (Rekapialisierungswert) der Gesellschaft (wieder) zu steigern. Doch Börse und AnalystInnen zeigen sich vom Getöse der Konzern-Herren unbeeindruckt. Nachdem der Kurs aufgrund der LIPOBAY-Prozesse im Vorjahr von ca. 40 auf weit unter 20 Euro abstürzte, hat die BAYER-Aktie durch die Maßnahmen nur wenig zugelegt, dümpelt jetzt bei ca. 22 Euro und hat keinerlei Sensationen zu bieten.

Dies müssen wir als deutliches Signal werten, dass die Angriffe zugunsten der Profite und zu Lasten der Belegschaften weitergehen werden. Denn wie bereits festgestellt, das Kapital wird erst wohlgesonnen reagieren, wenn die Profit-Quote wieder deutlich steigt. Und das ist eben auch mit diesen Maßnahmen noch nicht hinreichend der Fall. Weder bei NEWCO noch beim BAYER-Stammkonzern.

Vor solchem Hintergrund ist es besonders schamlos und infam, die Schuld für die Vernichtung von Tausenden von Arbeitsplätzen den Beschäftigten, die "zu teuer" seien, oder dem "Luxus-Standort Deutschland" zuzuweisen. Die kriminelle Konzern-Leitung und die BAYER-KapitalistInnen, die den Hals nicht voll bekommen, sind zu teuer. Sie sind es, welche die Verantwortung für die Vernichtung Tausender Arbeitsplätze und die ins Unerträgliche steigende Arbeitsbelastung tragen; die nicht zufrieden zu stellen sind und immer weitere gegen die Rechte und den Besitzstand der Beschäftigten gerichtete Maßnahmen fordern.

Umso problematischer, wenn BetriebsrätInnen und Gewerkschaften sich einschüchtern lassen, den Willkür-Maßnahmen der Kapital-Seite zustimmen und von ihrem eigenen Ast erneut ein gutes Stück absägen. Bei BAYER sitzen mit Schmoldt von der IG BCE und Schulte vom DGB gleich zwei Top-Gewerkschaftler im Aufsichtsrat. Beide haben, ebenso wie der von Gipperich vertretene Gesamtbetriebsrat, zugestimmt, anstatt den Kampf gegen die rein profit-gesteuerten Vernichtungspläne aufzunehmen. Sie haben sich abspeisen lassen mit der Zusage, dass 1.000 Arbeitsplätze weniger vernichten werden als vorgesehen. Ein übles Spiel mit der Existenz der Beschäftigten.

Die Umbau-Maßnahmen bringen keinerlei Vorteil für Mensch und Umwelt. So begrüßen wir die Demonstrationen und Protest-Aktionen der Belegschaften, rufen zu entschlossenem Widerstand auf und werden alle Bemühungen, die auf den Erhalt der Arbeitsplätze abzielen, unterstützen.