Die Seifenblase von der Aktionärsdemokratie
Macht und Machtlosigkeit bei BAYER
von Axel Köhler-Schnura
Es ist die pure Nötigung. Die Berichterstattung über Aktienkurse ist ohne jeden Bezug zu den Alltagssorgen der breiten Bevölkerung, aber keine
Nachrichtensendung, in der nicht noch die kleinste Kursschwankung gewürdigt werden. Selbst die Tagesschau, Klassiker aller Fernsehnachrichten, mutiert zur Börsen-Sendung. Ungeachtet aller Gefahren durch Kriege,
Wirtschaftskrisen und Börsencrash werden so immer mehr Menschen gelockt und stecken ihre mühsam ersparten Euros in Aktien. Ganze Kegelclubs wandeln sich zu (Klein-) Aktionärsvereinigungen.
BAYER profitiert vom Börsenfieber Von dem derart losgetretenen Börsenfieber
profitiert auch die BAYER AG und ist mit ihrer Aktie breit in die Haushalte von Otto Normalverbraucher vorgedrungen. Zählte die Muttergesellschaft des BAYER-Konzerns im Jahr 1993 noch 295.000 AktionärInnen, so waren
es sechs Jahre später im Jahr 2001 fast doppelt so viele: 496.000 Personen, Firmen und Institutionen besitzen heute 730 Millionen BAYER-Aktien und stellen das Grundkapital des BAYER-Konzerns in Höhe von 1,9
Milliarden Euro. Jede der nennwertlosen BAYER-Aktien hat damit einen Wert von 2,56 Euro.
Den größten Anteil an den BAYER-AktionärInnen stellen mit ca. 93 Prozent die Privatpersonen. Sie halten jedoch lediglich 24,0 Prozent des Kapitals, also
gerade einmal 0,9 Milliarden Mark des Grundkapitals. Und von diesen 465.000 privaten AnteilseignerInnen haben wiederum 92 Prozent maximal 600 Aktien im Depot. 427.000 BAYER-AktionärInnen halten also Depots mit einem
Nennwert von maximal 1.536 Euro. Damit besteht die große Masse der BAYER-AktionärInnen aus Mini- und KleinstaktionärInnen.
Die Machtlosigkeit von Otto Normalaktionär In krassem Gegensatz zu dem hohen Anteil
der PrivataktionärInnen an der Gesamtzahl aller BesitzerInnen von BAYER-Aktien stehen deren Einflussmöglichkeiten. Sie gehen defacto gegen Null.
Konkret sieht es so aus, dass 465.000 PrivataktionärInnen zusammen gerade einmal 24 Prozent des Kapitals halten. Es ist jedoch noch zwischen GroßaktionärInnen
und KleinaktionärInnen zu unterscheiden. Werden die Groß- und GrößtaktionärInnen aussortiert, so muss davon ausgegangen werden, dass etwa 450.000 AnteilseignerInnen gerade einmal ca. 5 Prozent des Kapitals
repräsentieren, mithin also 95 Prozent des Kapitals bei ca. 10 Prozent aller AktionärInnen liegen. Hier ist übrigens auch Schluss mit der Informationsfreudigkeit des BAYER- Konzerns. Es gibt keine gesicherten
Informationen, die Angaben beruhen auf Schätzungen.
Der Einfluss der Klein- und KleinstaktionärInnen wird zusätzlich noch dadurch auf die 2-bis 3-Prozent-Grenze runtergedrückt, weil sie ihre Aktien in aller
Regel nicht selbst vertreten, sondern sich über die Bank vertreten lassen, bei der sie ihre Aktien im Depot halten. Damit schmälern sie ihre Macht weiter bzw. stärken die Macht der Banken.
Die Macht der GroßaktionärInnen 76 Prozent, also mehr als Dreiviertel des Kapitals,
befinden sich bei 31.000 Banken, Investmentgesellschaften und anderen institutionellen Anlegern. Hinzu kommen die bereits erwähnten privaten Groß- und GrößtaktionärInnen. Insbesondere jene, die zum erlauchten Kreis
der Multi-Milliardäre gehören, die die Wirtschaft der Welt regieren. Diese treten allerdings in aller Regel nicht offen in Erscheinung. Sie verstecken sich doppelt und dreifach getarnt im Bereich der
institutionellen AnlegerInnen.
Aufgrund eigenen Besitzes halten 2.276 Banken und Versicherungen bei BAYER 55 Prozent aller BAYER-Aktien. Zu ihrer Macht hinzu addieren sich die 12 Prozent,
die mehrere Tausend Investmentgesellschaften halten. Oftmals sind die Investmentgesellschaften direkte Töchter der Banken. Die 2,9 Prozent, die 6.853 Anleger aus Industrie und Handel halten bzw. die 5,5 Prozent, die
bei 14.537 nicht näher spezifizierten "Sonstigen" liegen, fallen da bereits kaum noch ins Gewicht.
Und hinzu kommt noch das Depotstimmrecht. Es sorgt dafür, dass alleine die DRESDNER BANK im Rahmen der Hauptversammlung 30 und mehr Prozent aller BAYER-Aktien
vertritt und die DEUTSCHE BANK z.B. weitere 17 Prozent. Damit vertreten diese beiden Banken fast 50 Prozent aller Aktien, wobei die DEUTSCHE BANK die meisten inländischen Aktion hält.
Wenn es also auf den ersten Blick so aussieht, als befände sich das BAYER-Kapital von 3,6 Milliarden Mark in breitem Streubesitz, so ist das nicht der Fall.
Viele Hunderttausend AktionärInnen besitzen so gut wie nichts, einige wenige GroßaktionärInnen und GrößtaktionäreInnen besitzen nahezu alles. Es kann davon ausgegangen werden, das eine Zahl von lediglich ca. 5.000
AktionärInnen 80 und mehr Prozent des Kapitals besitzen.
Immer mehr Stimmrechte an KritikerInnen Einziges Gegengewicht zur Macht der Banken
und Großaktionäre bilden die KleinaktionärInnen, die sich von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) und dem Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre vertreten lassen. Seit 1982 sammeln diese
beiden Organisationen die kritische Kleinaktionärsopposition und bieten Banken und BAYER-Management gleichermaßen die Stirn. Vor dem Hintergrund der Mehrheitsverhältnisse bringen sie auf den Hauptversammlungen zwar
lediglich verschwindende Prozente aller Stimmen auf, werden jedoch von erheblichen Teilen aller anwesenden Klein-AktionärInnen unterstützt. Bei der diesjährigen Hauptversammlung muss sogar bei ca. 3,0 Millionen
Gegenstimmen und weiteren ca. 0,8 Mio. Enthaltungen davon ausgegangen werden, dass die überwältigende Mehrheit aller anwesenden AktionärInnen mit den KritikerInnen stimmte. ein klares Votum der KleinaktionärInnen
für Umweltschutz, soziale Sicherung und Menschenrechte. Die CBG wird alles daran setzen, die Zahl der Gegenstimmen weiter zu erhöhen und bittet alle AktionärInnen, ihre Stimmrechte nicht den Banken zu überlassen,
sondern diese an die CIOORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zu übertragen. Dazu ist nicht viel zu erledigen. Ein Brief an die CBG reicht aus und alles Notwendige wird in die Wege geleitet.
von Dipl. Kfm. Axel Köhler-Schnura, Fon 0211 - 26 11 210, Fax 0211 - 26 11 220
Unanständig: 107 Prozent Gewinn Dividende, Nennwert und Börsenwert Mit einem
errechneten Nennwert von 2,56 Euro haben die eigentlich nennwertlosen BAYER-Aktien einen Gesamtwert von 1,9 Milliarden Euro. Dies ist der Betrag, der in der BAYER-Bilanz als Grundkapital ausgewiesen ist. Auf ihn
beziehen sich die realisierten und die ausgeschütteten Gewinne des Konzerns. Im Jahr 2004 waren dies 0,50 Cent ausgeschütteter Gewinn je Aktie, also satte ca. 20 Prozent Kapitalrendite.
BAYER-Aufsichtsratschef Dr. Manfred Schneider bekannte einmal: "Wir sind auf Profit aus, das ist unser Job!" Zwar sind die Gewinnzahlen in 2004 mit
ca. 350 Mio. Euro nicht so gigantisch wie in den Vorjahren, liegen aber immer noch bei 18,4 Prozent des Grundkapitals. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Konzern sich diesmal vorsätzlich arm gerechnet hat. Es
ging darum, das Verhältnis Grundkapital zu Bilanzsumme zu verbessern, um so den Kurswert der Aktie anzufeuern und den Konzern zugleich gegen feindliche Übernahmen zu stärken. Zusätzlicher Effekt natürlich sind
erhebliche Steuergewinne aufgrund der hohen Sonderabschreibungen.
An diesen Gewinnbewertungen ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kurswert der BAYER-Aktie bei ca. 26 Euro liegt. Vielfach wird die Dividende ins
Verhältnis zum Kurswert gesetzt, und da machen sich die 0,50 Euro natürlich nicht so glänzend. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese sogenannte Kursrendite ein falsches Bild vermittelt und hohe Kursrenditen
Ausdruck von Profitgier sind. Die Differenz zwischen Nenn- und Kurswert ergibt sich nämlich lediglich aufgrund des Handels der Aktie an der Börse und ist mithin also der Eintrittspreis in das Reich der
AktienspekulantInnen. Der Kurswert ist vom Nennwert völlig losgelöst und verschafft den AktionärInnen bei Kauf und Verkauf der Aktien zusätzliche Gewinn- und auch Verlustmöglichkeiten.
Kritische BAYER-AktionärInnen Als 1982 das erste Mal KritikerInnen auf der
Aktionärsversammlung des Chemie-Giganten aus Leverkusen das Wort ergriffen, hörten ihnen gerade einmal 1.200 verblüffte AktionärInnen zu. Was ihnen da, teilweise von weither angereisten Zeugen des tatsächlichen
Geschehens, zu Gehör gebracht wurde, sprengte ihr Vorstellungsvermögen. Da änderte es auch nichts, dass Vorstand und Aufsichtsrat alles in immer gleichlautender Formulierung als "ohne jede Grundlage" von
sich wiesen. Es ging um haarsträubende Fälle von Umweltverseuchung, Menschenrechtsverletzungen, Gefährdung menschlicher Gesundheit und Todesfälle aufgrund gefährlicher Produkte und Produktionen, Ausbeutung und
Sozialabbau - kurzum um die hässliche Kehrseite der Gewinn- und Umsatzmilliarden. "Wenn das alles stimmt, was hier vorgetragen wird, dann sitzen da nur lauter Gangster!" rief ein fassungsloser
Aktionärsvertreter und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die BAYER-Vorstandsriege.
In den folgenden Jahren erhöhte sich die Zuhörerschaft kontinuierlich. Bis schließlich weit mehr als 25.000 AktionärInnen nach Köln anreisten, um die bis
dahin noch nie dagewesene Schelte des BAYER- Managements live mitzuerleben. Ein einzigartiger Vorgang in der Geschichte deutscher Aktiengesellschaften. Der TAGESSPIEGEL / Berlin brachte es so auf den Punkt:
"Jahr für Jahr meldet sich auf der Hauptversammlung der Leverkusener BAYER AG die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN zu Wort. Die bestorganisierte Kritikergruppe liefert einen Alternativen
Geschäftsbericht."
BAYER reagierte. Zunächst versuchte sich der Konzern in Abschreckung. Er gründete die Initiative "Malocher gegen Schmarotzer" und ließ in propere
weiße Overalls gekleidete Werkschutzleute vor der Aktionärshauptversammlung agitieren. Das ging voll daneben, denn die anreisenden AktionärInnen erkannten nicht in den KritikerInnen die "Schmarotzer",
sondern fühlten sich selbst verunglimpft und feuerten den verkappten Malochern der BAYER-Propaganda-Abteilung die Flugblätter erbost vor die Füße. BAYER lernte, strich die "Schmarotzer", nannte seine
Abschreckungstruppe fürderhin "Die Malocher" und stellte ihr Werkschutzleute mit selbstgebastelten DKP-Fahnen zur Seite. Auf diese Weise sollte bei den AktionärInnen Sympathie für die BAYER- freundlichen
Blumen verteilenden "Malocher" und Antipathie gegenüber den "kommunistischen" KritikerInnen erzeugt werden. Doch auch diesmal blieben die gewünschten Effekte aus, die AktionärInnen begriffen
alles nur als weitere Belebung ansonsten stinklangweiliger Hauptversammlungsroutinen.
Also griff der Chemie-Gigant zu drastischeren Mitteln. Er kürzte die Versorgung der AktionärInnen, die immerhin einen ganzen langen Tag in der stickigen Luft
der Kölner Messehallen ausharren müssen, auf ein Minimum. Auf streng rationierte Marken gab es abstoßende in Plastik verpackte Papp-Sandwiches und Getränke. War es früher selbstverständlich, dass die AktionärInnen,
die ja immerhin das Geld für den Betrieb gaben, mit Filmen der BAYER-Tochter AGFA und mit Kosmetika aus eigener Produktion beschert wurden, so wurden jetzt diese Aktionärspräsente ersatzlos gestrichen. Und auch die
Eintrittskarten für die Hauptversammlung wurden am Rande der Legalität beschränkt. Stehen jedem Aktionär für jede seiner Aktien eine Eintrittskarte zu, so wurde jetzt nur noch eine Eintrittskarte je Depot
ausgegeben.
Insgesamt gelang es dem Konzern so, die Zahl der anreisenden AktionärInnen auf ca. 6.000 herunter zu drücken, doch dabei blieb es. Seit nunmehr18 Jahren muss
der Konzern es sich gefallen lassen, dass auf seiner Hauptversammlung die Hauptthemen nicht Gewinn und Dividende, sondern Umweltverbrechen, Produktionsgefahren, Menschenrechtsverletzungen und Sozialabbau sind.
BAYER befindet sich in deutscher Hand Ist BAYER ein multinationaler Konzern, so
befindet sich der Konzern doch überwiegend im Besitz deutscher AktionärInnen. Im Ausland werden lediglich 44 Prozent des Kapitals gehalten. Dabei führt Großbritannien mit 12 Prozent, gefolgt von den USA mit 9
Prozent, der Schweiz mit 8 Prozent, Luxemburg mit 4 Prozent und den Niederlanden mit 3 Prozent. Dabei sind die hohen Anteile der Schweiz und von Luxemburg sicherlich zu großen Teilen der Steuerflucht privater und
institutioneller Großaktionäre aus Deutschland geschuldet, was den deutschen Anteil weiter stärkt.
Die Bosse greifen in die Kasse Bei BAYER gibt es für Belegschaftsangehörige drei
Aktienerwerbs- Programme. Da ist zunächst für die einfachen Belegschaftsangehörigen (BAYER-Deutsch: "Tarifmitarbeiter und leitende Kräfte der unteren Ebenen") das "Aktienbeteiligungsprogramm".
Unter bestimmten Voraussetzungen können BAYER-MitarbeiterInnen zu vergünstigten Bedingungen oder im Ausgleich als Prämienleistung Aktien erwerben. Über diese Anteile können sie allerdings nicht frei verfügen, es
gelten sehr restriktive Bedingungen für den Verkauf dieser Papiere.
Anders bei den "oberen Führungskräften". Ihnen werden BAYER-Aktien im Rahmen eines "Aktien-Incentive-Programms" gratis und zur freien
Verfügung zugewiesen. "Sofern bestimmte Erfolgs- und Haltekriterien erfüllt werden", über die sich der Leiter des BAYER-Ressorts Corporate Investor Relations, Dr. Alexander Rosar, nicht weiter äußert.
Die BAYER-Bosse schließlich (BAYER-Deutsch: "Mitarbeitergruppe der höchsten Vertragsstufe") können sich ungehindert im Rahmen eines sogenannten
"Aktien-Options-Programms" bedienen. Hier weisen sich die Herren (Damen gibt es in der BAYER-Vorstandsriege nicht) z.B. im Rahmen von Neu-Emissionen ganze Kontingente "junger Aktien" zum weit
unter Börsenkurs liegenden Vorzugspreisen per Beschluss selbst zu. Dies kommt einem legalen Griff in die Kasse gleich.
Vor dem Hintergrund dieser Aktien-Programme für das Management wird deutlich, dass der "einfache" Belegschaftsaktionär mit Sicherheit erheblich
weniger Aktien im Depot hat, als die von BAYER gemeldeten durchschnittlich von 311 Aktien je Mitarbeiterdepot. Und der Vorstandsvorsitzende, Dr. Wenning, nennt mit Garantie ein Vielfaches dieses Durchschnitts sein
Eigen.
Die BelegschaftsaktionärInnen Zu dieser Gruppe der PrivataktionärInnen gehören auch
rd. 50.000 bundesdeutsche Beschäftigte von BAYER-Werken und Tochter- Unternehmen. Diese BelegschaftsaktionärInnen halten 2,1 Prozent des Gesamtkapitals. In jedem dieser Mitarbeiterdepots, die bei COMMERZBANK,
DEUTSCHE BANK und der SPARKASSE Leverkusen geführt werden, liegen durchschnittlich 311 Aktien im Wert von gerade einmal ca. 800 Euro. Damit finanzieren die Beschäftigten den Konzern zwar mit 39,9 Mio. Euro, gehören
aber grundsätzlich zu den Mini-AktionärInnen. Ausländischen MitarbeiterInnen werden laut dem Chef des BAYER-Ressorts Corporate Investor Relations, Dr. Alexander Rosar, grundsätzlich keine Belegschaftsaktien
angeboten.
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