SWB 02/2004

Kuhhandel mit Emissionen

BAYER & Co. setzen sich durch

Wer noch immer an eine Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie geglaubt hatte, den belehrten die Auseinandersetzungen um den Emissionshandel mit klima-schädigendem Kohlendioxid endgültig eines Besseren. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement erwies sich wieder einmal als ein zuverlässiger Sachwalter der Interessen von BAYER & Co. So haben nun die Konzerne weiterhin die Lizenz zum beinahe ungehinderten CO2-Ausstoß. "Nach uns die Sintflut", denken sie und treffen damit auch wirklich die Vorbereitung zu einer solchen Katastrophe, glaubt man einer jüngst veröffentlichten Studie des Pentagon.

Von Jan Pehrke

Neun Millionen Tonnen Kohlendioxid stoßen allein die bundesdeutschen BAYER-Werke jährlich aus. Die gesamte Industrie kommt hierzulande auf 505 Millionen Tonnen und nimmt damit in Europa den Spitzenplatz ein. Welche dramatischen Folgen das haben kann, hat eine jüngst veröffentlichte Studie des Pentagon dargelegt. Für sie stellt die Erd- Erwärmung den größten globalen Risiko-Faktor dar. In ihrem Gefolge nehmen Stürme und Flut-Katastrophen. Ganze Landstriche werden dadurch unbewohnbar und Ressourcen wie Wasser und Energie knapp. Das wiederum setzt Migrationsströme in Bewegung oder führt sogar zu kriegerischen Auseinandersetzungen um die lebenswichtigen Güter. Deshalb müssen die Klima-Veränderungen ein zentrales Thema der Politik werden, fordern die WissenschaftlerInnen.

Die Europäische Union hat dieses Sujet schon seit längerem auf ihrer Agenda - allerdings nicht gerade an zentraler Stelle. Um wirklich der drohenden Klima-Katastrophe Einhalt zu gebieten, müsste sie nämlich BAYER & Co. wehtun - und das will sie nicht. Stattdessen verfiel die EU auf ein vermeintlich Ökonomie und Ökologie versöhnendes politisches Instrument: den Emissionshandel. Demnach dürfen die Unternehmen nur bis zu einem bestimmten Oberwert CO2 ausstoßen, für darüber hinaus gehende Kontingente müssen sie Verschmutzungsrechte hinzukaufen. Dadurch erhofften die PolitikerInnen Anreize für Investitionen in umweltschonender Technologie geschaffen zu haben. "Ein wirtschaftliches Instrument, mit dem man Umweltziele erreichen will" - diesen Ansatz erklärte die konservative Faz zum "Lieblingskind der Ökonomen".

Obwohl ÖkologInnen darin eher einen Bastard sahen, war der Emissionshandel BAYER & Co. nicht ökonomisch genug. Von Anfang an opponierten sie gegen die im Jahr 2005 in Kraft tretende Regelung. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) startete eine Kampagne mit ganzseitigen Anzeigen, Werksleiter des Leverkusener Chemie- Multis gaben bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit kritische Kommentare zu dem Vorhaben ab und BAYER & Co. schrieben in der Sache sogar einen Brandbrief an Gerhard Schröder. Darin forderten sie, bundesdeutsche PolitikerInnen sollten bei der EU im Sinne der Chemie-Industrie tätig werden. Diese taten dann auch wie geheißen. Wolfgang Clement setzte in Brüssel das Jahr 1990 als Berechnungsgrundlage durch. Die Unternehmen konnten so die Deindustrialisierungs-Dividende aus der Stilllegung ostdeutsche Betriebe einstreichen. Damit fehlten ihnen nur noch zwei Prozent am in Kyoto vereinbarten CO2-Reduktionsziel von 21 Prozent. Auch ihre umweltschonenden "Vorleistungen", worin immer die auch bestanden haben mögen, erkennt die EU-Kommission nun an. Zudem sorgte die Bundesrepublik dafür, dass der Emissionshandel ein exklusiver Club blieb. "Deutschland spricht sich entschieden dagegen aus, weitere Branchen, wie zum Beispiel die Chemie-Industrie, in den Teilnehmer- Kreis mit einzubeziehen", bekannte Schröder im Jahr 2003 auf der Mitgliederversammlung des Europäischen Chemie-Verbandes CEFIC in Hamburg und erreichte das Ziel auch. So konnte einer der energie- intensivsten Industrie-Zweige mit seinen Produktionsanlagen draußen bleiben, und nur 60 Prozent seiner Emissionen - die der Kraftwerke - gingen in die Rechnung ein. Für BAYER eine vernachlässigenswerte Größe, da der Konzern immer weniger Kraftwerke in Eigenregie betreibt. Er hat stattdessen Verträge mit RWE oder anderen Stromanbieter abgeschlossen, die jetzt die CO2-Zeche zahlen müssen. Zudem sollte es den Konzerne im Zuge der Verhandlungen noch gelingen, einige in die Produktion integrierte Energie-erzeugende Feuerungsanlagen aus dem Handel auszunehmen. "Wenn jeder kleine Emissionsträger einbezogen würde, triebe das die Verwaltungskosten enorm in die Höhe, brächte aber wenig für den Umweltschutz", meinte ein BAYER-Sprecher dazu.

Für ihre Ergebenheit erhielt die rot-grüne Koalition dann auch ein dickes Lob von BAYER & Co. "Die jetzige Regierung hat uns sehr unterstützt", sagte VCI-Vorsitzende auf dem Jahres-Treffen des Lobby-Clubs.

Aber diese Dankbarkeit währte nicht lange. Als es daranging, die Verschmutzungsrechte auf nationaler Ebene mengenmäßig zu bestimmen, bezogen sie wieder ihre Lobby-Stellungen. Plötzlich betrachtete der VCI den Handel mit Verschmutzungsrechten nunmehr als "eine zusätzliche Steuer und wie eine Prämie für die Stilllegung von Produktionsanlagen". BAYER-Chef Werner Wenning tönte derweil:  "Ich befürchte, dass Umweltminister Trittin auf dem besten Wege ist, aus Deutschland eine weitgehend industrie-freie Zone zu machen". Dann zog er die Daumenschrauben an. BAYER prüfe, "ob weitere Aktivitäten hierzulande unter diesen Bedingungen wirtschaftlich noch zu vertreten sind", drohte der Vorstandsvorsitzende. BDI-Sprecher Michael "Rocky" Rogowski stimmte in den Kanon ein: "Die Arbeitslosigkeit, die so entsteht, hat eine Farbe: Sie ist grün". Also legte Clement sich nochmal ins Zeug. "Ich werde nichts mittragen, was wirtschaftlichen Rückschritt bedeutet", kündigte er an und begann an nochmaligen ökologischen Rückschritten zu arbeiten. Trittin hatte ursprünglich ein Reduktionsziel auf 488 Millionen Tonnen gefordert, aber Clement widersprach. Der ausgehandelte Kompromiss belief sich auf 499 Millionen. Aber selbst den ließ der Wirtschaftsminister schließlich platzen. Für seine Nibelungentreue zur Wirtschaft riskierte er sogar eine Zerreißprobe der Regierungskoalition. Zum Schluss sprach Kanzler Schröder ein Machtwort. Und das war eines "Genossen der Bosse" würdig: 503 Millionen. Also gerade mal zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid hatte die Industrie einzusparen. Wobei das Umweltbundesamt noch Zweifel daran hat, ob das von der Industrie angegebene Emissionsvolumen von 505 Millionen wirklich den Tatsachen entspricht und nicht zu niedrig angesetzt ist, um eine bessere Ausgangsposition für Reduktionen zu bekommen.

Die Chemie-Industrie muss ihre emissonshandel-wirksamen Ausstoß von 20 Millionen Tonnen um nicht mehr als 2,5 Prozent senken. Die zusätzlichen Kosten für die Branche bezifferte der VCI auf 20 Millionen Euro und zusätzlich noch ca. 10 Millionen wegen erwarteter Strompreis-Erhöhungen. Das kostet für Konzerne mit einem Umsatz von mehr als 28 Milliarden wie BAYER fast nichts und bringt für das Klima auch entsprechend wenig. "In dramatischem Umfang abgeschwächt" sahen die Umweltsachverständigen die Lenkungswirkung des Emissionshandels. "Ökologisch und ökonomisch unvertretbar", so ihr Gesamturteil. "Industrie und Energiewirtschaft haben sich aus ihrer Verantwortung für den Klimaschutz verabschiedet", kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler Axel Michaelowa.

Werner Wenning hat derweil schon eine andere Baustelle entdeckt. Es sollten auch bestehende Kostentreiber wie Ökosteuer, das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Kraft/Wärme-Koppelungsgesetz überprüft werden, zitiert ihn dpa. Bei Wolfgang Clement hört sich das so an: "Ich will eine Prüfung aller Elemente - Ökosteuer, Kraft/Wärme-Koppelung und Stromeinspeisungsgesetz."