deutsch
english
francais
espanol
italiano
Spenden
Photo
Giftmüllimporte

Neuss Grevenbroicher Zeitung, 17. Januar 2007

Protest gegen Giftmüll nimmt zu

Gegen die Pläne von Bayer Industry Services (BIS), ab Mitte des Jahres rund 4500 Tonnen der giftigen Chemikalie Hexachlorbenzol (HCB) aus Australien ins Rheinland zu importieren und in den Verbrennungsanlagen der Chemieparks in Dormagen und Leverkusen zu entsorgen, regt sich jetzt auch heftiger Widerstand der Umweltverbände.

Der nordrhein-westfälische Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat sich mit dem Verein "Coordination gegen Bayer-Gefahren" in Verbindung gesetzt und eine gemeinsame Stellungnahme erarbeitet.
Das Ergebnis: Beide fordern, dass die Vereinbarung mit dem australischen Unternehmen Orica südlich von Sydney rückgängig gemacht wird und haben einen Brief an NRW-Umweltminister Eckhard Uhlenberg verfasst. Gleichzeitig haben sie Kontakt zu den australischen Behörden aufgenommen
Es sei nicht hinnehmbar, dass eine dicht besiedelte Region wie NRW zum Ziel internationaler Giftmülltransporte werde, so der BUND. Die wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Unternehmen müssten hinter dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung zurücktreten.
Insgesamt sollen rund 11 000 Tonnen HCB in Herten, Leverkusen und Dormagen verbrannt werden. Mit dem Transport nach Herten beschäftigt sich inzwischen sogar das NRW-Innenministerium.
"Im Falle eines Störfalls in den betroffenen Anlage drohen den Anwohnern unkalkulierbare gesundheitliche Risiken", warnt Claudia Baitinger, die beim BUND für das Thema Abfall zuständig ist.
"Wir bezweifeln, dass die drei Sondermüllverbrennungsanlagen der aktuellen EG-Verbrennungsrichtlinie unterworfen sind und sich für die Verbrennung großer Mengen hoch chlorhaltiger Abfälle eignen." Erforderlich sei eine Temperatur von 1200 Grad.
Werde diese nicht erreicht, befürchten die Umweltschützen den Ausstoß Krebs erregender Stoffe. Von Uhlenberg erwarten BUND und CBG, dass er die beiden zuständigen Bezirksregierungen anweist, die Verbrennung zu verbieten. NRW dürfe nicht zum "Müllklo" der Nation und des gesamten Globus werden.
Als Vertreter der Dormagener Ortsgruppe des NABU ist auch Wilfried Nöller gegen die Verbrennung von HCB im Chemiepark - auch aus einem weiteren Grund. "Die Schlacke, die bei der Verbrennung entsteht, wird hier endgelagert", sagt er.
Außerdem sieht er den Transport "einmal um den Globus" äußerst kritisch. "Dieser Vorgang ist mehr als fragwürdig", sagt er. Die Dormagener Grünen betonen unterdessen, das National Toxics Network in Australien habe Einspruch gegen die Exportgenehmigung von HCB nach Deutschland eingelegt. Der Protest von Umweltverbänden aus Australien sei massiv.
Christian Zöller, Sprecher von Bayer Industry Services, betont erneut, es gebe keine Gefahren für die Bevölkerung. "Wir verbrennen HCB bei einer Temperatur von bis zu 1150 Grad - da bleiben keine Rückstände", sagt er. Auch im Falle eine Störung seien die Dormagener nicht gefährdet. "Die Anlage schaltet sich dann einfach ab, ohne das Stoffe austreten", sagt er.

17. Januar 07, Kölner Stadt-Anzeiger

Warnung vor Giftmüll Import

Der Import von 22 000 Tonnen Abfall, die mit dem hochgiftigen Hexachlorbenzol (HCB) belastet sind, schlägt landesweit Wellen. Gestern forderte der nordrhein-westfälische Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) einen Stopp des Müllgeschäfts, das von den Bezirksregierungen in Köln, Düsseldorf und Münster genehmigt werden muss. Der australische Chemiekonzern Orica will den Sondermüll nach Deutschland verschiffen und verbrennen lassen. Gut die Hälfte soll in Brunsbüttel verbrannt werden; die restlichen knapp 10 000 Tonnen in den Sondermüllverbrennungsanlagen von Bayer in Leverkusen und Dormagen sowie im Hertener Rohstoff-Rückgewinnungszentrum. BUND und die "Coordination gegen Bayer-Gefahren" warnen in einem Brief an Landesumweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) vor den ökologischen und gesundheitlichen Folgen. Es sei nicht hinnehmbar, dass eine dicht besiedelte und ohnehin mit Umweltproblemen konfrontierte Region wie NRW zum Ziel internationaler Giftmülltransporte wird. Auch der Landtagsabgeordnete Johannes Remmel (Grüne) sieht das Geschäft kritisch und hat daher für heute eine aktuelle Viertelstunde im Ausschuss für Umwelt und Naturschutz beantragt.
HCB gehört zum "dirty dozen" gefährlicher Stoffe, die durch die Stockholmer Konvention weltweit verboten worden sind. In Deutschland ist es seit 1981 als Pflanzenschutzmittel nicht mehr zugelassen; früher wurde es vielfältig eingesetzt: in der Arzneimittel- und Düngemittelproduktion, als Pflanzenschutz- und Desinfektionsmittel. Der Chemiekonzern Orica hat den Export seiner teils seit Jahrzehnten gelagerten HCB-belasteten Abfälle nach Deutschland beantragt, weil es in Australien keine geeigneten Verbrennungsanlagen gibt. Bemühungen, in der Heimat eine Anlage zu errichten, waren am Widerstand der Bevölkerung gescheitert.
Nach den derzeitigen Plänen sollen die 10 000 Tonnen Giftmüll, die nicht am deutschen Zielhafen Brunsbüttel verbrannt werden können, per Bahn ins Leverkusener Bayerwerk gebracht und dann mit Lastwagen auf die Anlagen in Herten, Dormagen und Leverkusen-Bürrig verteilt werden. Letztere soll nach Angaben eines Unternehmenssprechers ab Mitte des Jahres das meiste des Bayer-Anteils von 4500 Tonnen verarbeiten. Nach Berechnungen des Betreibers dauert es rund zwei Jahre, bis der Giftmüll-Import in Rauch aufgegangen ist. VON THOMAS KÄDING

taz NRW; 17.1.2007

Dirty Dozen aus Down Under

5.000 Tonnen hochgiftiges Hexachlorbenzol sollen in der Müllverbrennungsanlage Herten entsorgt werden. Nicht alle halten das für logisch, denn der Abfall kommt aus Australien

Wenn Werbetexter Müll anpreisen, klingt das so: "Sie sind Feuer und Flamme für Herten. Wir sind heiß auf ihre Gewerbeabfälle." Mit diesem Zweizeiler wirbt die Entsorgungsfirma AGR für ihren Müllverbrennungsstandort Herten. Nun ist das Buhlen der Tochterfirma des Regionalverbands Ruhrgebiet (RVR) erhört worden - im fernen Australien. Von dort aus will der Sprengstoffhersteller Orical in den kommenden zwei Jahren 5.000 Tonnen Sondermüll an den nördlichen Rand des Reviers verfrachten, um ihn dort zu verbrennen.
Bei der umstrittenen Fracht handelt es sich um hochgiftiges Hexachlorbenzol (HCB). In Europa ist die Chemikalie seit 1981 verboten, in den australischen Orical-Werken liegen jedoch noch belastete Holz- und Betonreste herum. Die sollen jetzt per Schiff und Bahn nach Herten geschafft werden. "Wir können damit umgehen. Uns ist egal, ob der Müll aus Herne oder sonst woher kommt", sagt AGR-Sprecher Heinz Struszczynski. Die Australier zahlen gut, und in Herten sind Kapazitäten frei.
Bürgerinitiativen und Umweltschützer fürchten dagegen Belastungen für die Anwohner. "HCB gehört zum dreckigen Dutzend der Ultra-Gifte", sagt Dirk Jansen, Sprecher des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) in NRW. Bei der Verbrennung würden giftige Dioxine freigesetzt. Dies passiere vor allem dann, wenn nicht genügend Hitze erzeugt werde. Die Hertener Anlage kommt nur auf gut 950 Grad, normalerweise wird HCB bei über 1.100 Grad verbrannt. "Es ist skandalös, dass Nordrhein-Westfalen zum Klo für den weltweiten Sondermüll wird", sagt Jansen. Sein Verband prüft bereits Klagen für den Fall, dass der Transport erlaubt wird.
Die 16.000 Kilometer lange Reise ist deshalb ein Politikum, zumal die AGR als Tochterfirma des RVR umstritten ist. Gegründet als Stadtwerke-Ersatz für den Zusammenschluss der Ruhrkommunen, sollte sie sich ursprünglich um den Müll der Bevölkerung vor Ort kümmern. Aber weil das Geschäft mit dem Müll lukrativ ist, spielt die Firma seit Jahren auf dem internationalen Abfallmarkt mit. Nun wird wieder der Vorwurf laut, das Unternehmen denke nur ans schnelle Geld und vernachlässige Risiken.
Aus Sicht der AGR ist die Entsorgung des australischen Mülls bloß Tagesgeschäft. "Unsere Anlage ist für solche Stoffe ausgelegt", sagt Sprecher Struszczynski. Tatsächlich gelten deutsche Müllverbrennungsanlagen als weltweit führend, weshalb auch Kritiker des Mülltourismus in einem Dilemma stecken. "Es ist besser, wir entsorgen den Giftmüll bei uns, als dass er von irgendwelchen Mafiosi in Afrika oder auf dem Atlantik verklappt wird", sagt der Chef der Grünen in der RVR-Verbandsversammlung, Martin Toennes. Dennoch sieht er in dem Australien-Geschäft einen schweren Imageschaden für die AGR und auch für die Ruhrkommunen. "Man kann gar nicht genug Geld verdienen, um das wieder gutzumachen", sagt er.
Heute soll der Umweltausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags über den Transport debattieren. Viel Unterstützung vom zuständigen Minister Eckhardt Uhlenberg (CDU) können die Müllverbrenner dort nicht erwarten. Der Minister bekam gestern einen Brief vom BUND und der Coordination gegen Bayer-Gefahren, in dem die Organisationen ein Verbot des Giftmüllimports fordern. In den Abfallverbrennungsanlagen der Bayer AG in Leverkusen und Dormagen sollen nämlich weitere 6.000 Tonnen des australischen Mülls entsorgt werden. Es sei jedoch nicht hinnehmbar, dass eine dicht besiedelte Region wie NRW zum Ziel internationaler Giftmülltransporte werde, so die Umweltschützer. "Wir verstehen die Bedenken", sagt eine Ministeriumssprecherin. Verhindern könne man den Transport aber nicht. Dies sei Sache der Bezirksregierungen.
In Münster wartet man dort nur noch auf letzte Unterlagen aus Australien. "Wenn die da sind, werden wir sehr wahrscheinlich eine Genehmigung erteilen", sagt Jost Brintrup vom zuständigen Abfalldezernat. Wenn die Landespolitik nicht interveniert, könnte der Mülltransport nach Herten also schon im Februar anlaufen. Dem dortigen Bürgermeister Uli Paetzel (SPD) scheinen die abfälligen Geschichten über die AGR langsam peinlich zu sein. Er verstehe seine Bürger, könne sich in der Angelegenheit aber noch nicht positionieren, teilte er mit. Echte Müll-Werbetexter hätten sicher schönere Worte für einen der größten Arbeitgeber der Stadt gefunden.
taz NRW vom 17.1.2007, S. 2, 153 Z. (TAZ-Bericht), KLAUS JANSEN