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STICHWORT BAYER 04/2007

Lipobay, Trasylol, Aspirin und Co.

Pharma-Marketing bei BAYER

Bis zu vierzig Prozent ihres Umsatzes geben Pharma-Multis für Werbung aus. Laufend drücken sie neue und teure Medikamente auf den Markt – obwohl die Überlegenheit dieser Präparate meist nicht erwiesen ist und nach der Markteinführung oft schwere Nebenwirkungen auftreten. Der BAYER-Konzern überschreitet dabei mit seinen Marketingaktionen regelmäßig die Grenzen des Erlaubten. Strafen für unlautere Werbung werden von vornherein mit einkalkuliert und aus der Portokasse beglichen.

von Philipp Mimkes

Der Markt für Medikamente ist hart umkämpft. In lukrativen Bereichen wie Schmerzmittel, Cholesterin-Senker oder Blutdruckmittel mischen fast alle großen Hersteller mit, meist mit ähnlichen Präparaten. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, stecken die Firmen daher bis zu 40% ihres Umsatzes in die Werbung - drei bis viermal so viel wie in die Entwicklung neuer Wirkstoffe. Die BAYER-Tochter HEALTH CARE veröffentlicht zwar keine Zahlen zu ihrem Marketing-Budget, bei einem Umsatz von 11,7 Milliarden € im vergangenen Jahr dürfte dieses jedoch zwischen drei und fünf Milliarden liegen. Die hohen Medikamentenpreise sind also keinesfalls mit den hohen Forschungskosten zu rechtfertigen, wie BAYER und Co stets behaupten.
Um das in der EU geltende Werbeverbot für verschreibungspflichtige Medikamente zu umgehen, haben sich die Hersteller zahlreiche Tricks einfallen lassen: Die Medien werden mit Informationsmaterial, vorgefertigten Beiträgen, Gewinnspielen und „Gesundheits-Aktionen“ buchstäblich überschwemmt, so dass ständig über neue Krankheitsbilder und deren Behandlungsmethoden berichtet wird. Durch Medikamenten-Spenden an Praxen und Krankenhäuser wird Ärzten und Patienten der Umstieg auf neue Präparate erleichtert. Üppige Spenden an Selbsthilfegruppen bewirken, dass die Betroffenen über „medizinische Neuerungen“ stets auf dem Laufenden sind und diese von ihren Ärzten einfordern.
Mehr als 14.000 PharmareferentInnen klappern derweil die Arztpraxen und Krankenhäuser ab - für viele niedergelassene Ärzte die einzige Form von „Weiterbildung“. Da auch Fortbildungsveranstaltungen fast ausnahmslos von Pharmafirmen mitorganisiert werden, liegt die Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten zum größten Teil bei den Medikamentenherstellern. Auch die medizinischen Fachgesellschaften werden von der Industrie gesponsort, Therapie-Standards werden häufig gemeinsam festgelegt.

Sündenfall Lipobay
Nicht Pharmakologen und Ärzte entscheiden denn auch über die Einführung neuer Pharmazeutika, sondern Marktforscher – unabhängig davon, ob die Präparate einen medizinischen Fortschritt gegenüber bereits zugelassenen Medikamenten darstellen oder nicht. So auch beim Cholesterin-Senker LIPOBAY, den der BAYER-Konzern 1997 einführte, obwohl bereits mehrere ähnlich wirkende Mittel auf dem Markt waren. Innerhalb kurzer Zeit wollte BAYER mit LIPOBAY mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr einnehmen.
Der markige Slogan, LIPOBAY könne „im Vergleich zu anderen Präparaten um das 25fache niedriger dosiert werden“, wurde direkt nach der Markt-Einführung vom Landgericht Köln untersagt. Im Jahr 2001 folgte dann für BAYER der GAU: wegen schwerster Nebenwirkungen musste der Konzern das von weltweit sechs Millionen Menschen eingenommene Präparat vom Markt nehmen. Mit einem Schlag verlor das Unternehmen sein umsatzstärkstes Präparat, der Aktienkurs rutschte um mehr als die Hälfte ab.
Dabei waren die Risiken lange bekannt gewesen: Bereits in der ersten Test-Phase hatte die LIPOBAY-Version mit der 0,8 Milligramm-Dosis zu Muskelzerfall und Nierenversagen geführt – etwa zehn mal häufiger als bei den Produkten der Konkurrenz. In Japan klagten Probanden über so starke Nebenwirkungen, dass der leitende Arzt die Studie einstellen wollte. Selbst ein BAYER-Mitarbeiter riet angesichts des stark erhöhten Risikos dazu, „den Marketing-Enthusiasmus zu dämpfen“.
Die Manager zeigten sich davon unbeeindruckt und brachten LIPOBAY in den USA unter dem Slogan „Wir gehen hart gegen Cholesterin vor“ mit der 0,8 Milligramm-Dosis heraus. Im Rest der Welt blieb es bei der ungefährlichereren Dosis von 0,3 oder 0,4 Milligramm pro Tablette. Die Vereinigte Staaten, wo rund 90 Millionen Menschen unter erhöhten Blutfettwerten leiden, sind für Cholesterin-Senker der lukrativste und darum am heißesten umkämpfte Markt. Die Fälle von tödlichem Nierenversagen durch LIPOBAY traten denn auch fast ausnahmslos in Nordamerika auf. Mindestens 100 PatientInnen bezahlten mit ihrem Leben, Vergleiche und Entschädigungszahlungen kosteten BAYER mehr als eine Milliarde Euro.

VIAGRA und LEVITRA
Immer mehr drängt BAYER auf den Markt der „Lifestyle-Medikamente“, zu deren lukrativsten Vertretern Potenzmittel zählen. 2003 brachte der Leverkusener Konzern das Präparat LEVITRA auf den Markt, das wie alle Potenzmittel schwere Nebenwirkungen haben kann – von Kopfschmerzen, Nasenschleimhautentzündungen und Verdauungsbeschwerden bis hin zu Hörschäden und erhöhtem Blutdruck.
Von Anfang an hatte LEVITRA es schwer, dem etablierten Konkurrenten VIAGRA Marktanteile abzunehmen. Der erhoffte jährliche Umsatz von einer Milliarde Euro wurde weit verfehlt, im vergangenen Jahr lagen die Verkaufszahlen bei lediglich 314 Mio €. BAYER begegnet den Absatzproblemen mit aggressiven und häufig illegalen Werbeaktionen: In Brasilien ließ BAYER während der Weltmeisterschaft Potenzpillen an Fußballfans verteilen – Warnungen vor Nebenwirkungen: Fehlanzeige. In den USA wurde eine TV-Werbung für LEVITRA wegen irreführender Angaben und fehlender Warnhinweise verboten. In England mussten Werbematerialien mit übertriebenen Versprechungen eingestampft werden. Und in Australien wurde BAYER gar von Medicines Australia, dem Verband der Pharmaindustrie, verpflichtet, eine Kampagne für Levitra zu stoppen.
Zudem streut BAYER beinahe täglich Ergebnisse ominöser Studien zu Fragen rund um Sex und Fortpflanzung („Holländer haben im Durchschnitt 5,7 Sexualpartner im Leben“, „Während für die Italiener Sex in einem öffentlichen Gebäude zu den geheimen Favoriten gehört, ist es für die deutschen Umfrageteilnehmer der Aufzug“). Die von den Medien gerne aufgegriffenen Meldungen enden meist mit dem Hinweis auf „medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten von Potenzproblemen“.
Einen Schritt weiter ging BAYER am Valentinstag, als die scheinheilige Kampagne „Alarm in deutschen Betten“ gestartet wurde, für die das Fotomodell Jerry Hall als „Botschafterin“ fungiert. Nach Aussage der Kampagne würden „90 Prozent aller Männer ein Potenzmittel nehmen, wenn ihre Partnerin sie darum bitten würde“. Die Kampagne verschweigt, dass für die meisten Problemfälle nicht-medikamentöse Behandlungsmethoden zu Verfügung stehen, Risiken werden mit keinem Satz angesprochen. Und mit dem Hinweis, dass sich 90 Prozent aller Männer einer Behandlung nicht entziehen würden, wenn ihre Frauen es nur wünschten, sollen sogar gesunde Personen als Zielgruppe erschlossen werden.

Vitamine und Diätmittel
Weitere „Lifestyle“-Produkte, mit denen BAYER besonders auf dem US-amerikanischen Markt präsent ist, sind Nahrungsergänzungsmittel. Unter dem Markennamen ONE-A-DAY hat der Konzern ein Sammelsurium von Pillen im Angebot, die Vitamine, Mineralien, Folsäure, Ginseng, Guarana, Kupfer, Eisen und sogar das Schwermetall Chrom enthalten. Die Präparate werden in unterschiedlichen Zusammensetzungen für Frauen, Männer, Senioren, Kinder, „Aktive“, Übergewichtige und für Personen mit erhöhtem Cholesterinspiegel angeboten.
Ernährungswissenschaftler bemängeln, dass bei ausgewogener Ernährung keine Nahrungsergänzungsmittel notwendig sind. Trotzdem wird die ONE-A-DAY-Produktserie mit Versprechungen wie „für ein gesundes Immunsystem“, „verarbeitet Nahrung zu Energie“, „für geistige Wachsamkeit“ oder „unterstützt die Gesundheit des Herzens“ beworben. Die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA verbot dem Konzern eine Reihe solcher Werbe-Aussagen, da diese wissenschaftlich nicht erwiesene Behauptungen aufstellten.
Im Frühjahr verhängte die US-Wettbewerbsbehörde Federal Trade Commission (FTC) gar eine Buße von 3,2 Mio Dollar wegen „irreführender Versprechungen“ - die höchste jemals von der Behörde verhängte Zivilstrafe. Als „unerhört“ bezeichnete eine Sprecherin der FTC einen Werbespot von BAYER für die Diätpille ONE-A-DAY-WEIGHTSMART, in dem eine Gymnastik-Gruppe die Übung „heben, drehen, beugen“ vorführt. Zu sehen sind zehn Frauen in Sportkleidung, die im Chor sprechen „einfach die Flasche heben, den Verschluss drehen und das Handgelenk beugen“, um dann eine Pille herauszunehmen. Der Spot enthalte die unbewiesene Behauptung, wonach das Präparat den Stoffwechsel anrege. Allein in den USA setzte BAYER im vergangenen Jahr 32 Millionen Dollar mit WEIGHTSMART um.
Auch für umstrittene Wunder-Diäten wie die Atkins-Diät brachte BAYER spezielle Ergänzungsmittel auf den Markt. Laut Atkins ist der Verzehr von Fleisch und fetthaltigen Nahrungsmitteln uneingeschränkt erlaubt, während die Aufnahme von Brot, Reis, Obst und Gemüse stark reduziert wird. Weil wegen der einseitigen Ernährung Vitamin- und Mineralstoffdefizite drohen, muss die Diät mit der Einnahme von speziellen Nährstoffpräparaten begleitet werden. Nach Kritik von Ernährungswissenschaftlern und einer Kampagne der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN nahm der Konzern das Präparat stillschweigend wieder vom Markt.

Weltmarkführer für die „Pille“
Durch die Übernahme von SCHERING ist BAYER zum weltweit größten Anbieter von Verhütungsmitteln und Hormonen geworden. Auch die ehemalige DDR-Dopingschmiede JENAPHARM, mittlerweile Marktführer für orale Kontrazeptiva in Deutschland, gehört nun zum Konzern.
Ähnlich wie im Bereich Potenzmittel initiiert BAYER zur Bewerbung von Verhütungsmitteln (Markenname YASMIN und YAZ) ständig neue Aktionen zu den Themen Familienplanung und Sexualität. So sponsort der Konzern Internetforen, finanziert internationale Kampagnen wie den „Weltverhütungstag“, gibt Umfragen in Auftrag und startet Initiativen wie Family Planning International. Zudem fördert BAYER Kongresse wie z.B. die Konferenz „Bevölkerung und nachhaltige Entwicklung“, die sich Anfang Oktober speziell mit dem Thema Familienplanung beschäftigte.
Die Gründe für dieses Engagement klingen auf der BAYER-homepage wie bei den Globalisierungsgegnern von ATTAC abgeschrieben („weltweit Armut bekämpfen, die Umwelt schützen, die Globalisierung gerechter gestalten“). Tatsächlich geht es wohl eher darum, Hormonpräparate weltweit als Standard-Verhütungsmittel zu etablieren - denn die Gewinne sind gigantisch: Die „Pille“ ist mit einem jährlichen Umsatz von fast 800 Mio € mittlerweile das zweitmeistverkaufte Pharmazeutikum von BAYER. Durch das Marketing-Feuerwerk sollen zudem die mitunter schweren Nebenwirkungen – Thrombosen, Embolien, Depressionen, Brust- und Gebärmutterhalskrebs - in den Hintergrund gedrängt werden. Millionen Frauen sind - meist unwissentlich - gefährdet, besonders solche, die rauchen oder die die Pille über Jahre hinweg nehmen.
Der Verkauf von Hormonen zur Behandlung sogenannter „Wechseljahres-Beschwerden“ hingegen ging in den vergangenen Jahren stark zurück. Studien hatten einen Anstieg schwerster Nebenwirkungen wie Schlaganfall und Herzinfarkt festgestellt. Die Hormone, die bei solchen Hormonersatztherapien verwendet werden, sind größtenteils jedoch dieselben, die auch in der „Pille“ stecken.

Hormone auch für Männer
Zwar stellte BAYER kürzlich die Forschung an der „Pille für den Mann“ ein. Dennoch geraten in jüngster Zeit immer mehr die Männer in das Visier der Hormon-Produzenten. Hunderte Artikel in aller Welt – von der Medical Tribune bis hin zur Singapore News - in denen Hormontherapien gepriesen werden, wurden von den Werbeabteilungen der Industrie im vergangenen Jahr lanciert. Mann erfährt darin, dass 30% aller Betroffenen unter einem angeblich zu niedrigen Testosteron-Spiegel leiden und dass auch Männer unter Wechseljahren leiden. Die Artikel kommen meist als „Gesundheitsberatung“ oder „Telefonsprechstunde“ daher.
Analog zum Prä-Menstruellen Syndrom erfanden BAYER und Co. sogar eine neue „Krankheit“, das Testosteron-Mangel-Syndrom. Als mögliche Indikationen für eine Behandlung werden Zunahme des Bauchfetts, verringerte Libido, Haarausfall oder eine Abnahme der Knochendichte genannt – alles Symptome, die noch vor fünf Jahren als normale Alterserscheinungen galten. Die BAYER-website www.get-back-on-track.com („wieder in die Spur kommen“) verspricht denn auch, dass „die Testosteron-Ersatztherapie die Lebensqualität und Gesundheit des Mannes entscheidend verbessern und langfristig erhalten“ kann und dass „das psychische und physische Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit erheblich gesteigert werden“. Und auch die homepage www.testosteron.de wird von der BAYER-Werbeabteilung betreut - die darauf zu findenden Aussagen stehen oft Wort für Wort in den Artikeln der Gesundheits-Blättchen Marke „Medizin heute“.
Dabei gibt es keinerlei Langzeit-Untersuchungen zu den Risiken einer Testosteron-Behandlung. „Studien, die die Gefahr wirklich zeigen, wird es nie geben. Sie müssten über zehn oder 20 Jahre laufen“, so Manfred Ventz, Endokrinologe an der Berliner Charité. Untersuchungen mit kürzerer Laufzeit erbrachten Hinweise darauf, dass Testosteronprodukte Prostatakrebs fördern und die Leber schaden können. Die Mehrzahl der Ärzte empfiehlt daher, nicht ohne ausreichenden medizinischen Grund in den Hormonhaushalt einzugreifen. „Es kann gut sein, dass niedrigere Testosteronkonzentrationen bei älteren Männern irgendeinen Sinn haben, den wir noch nicht kennen. Da wäre es doch blöd, wenn wir den gleichen Fehler machen würden wie vor Jahren bei der Hormontherapie für Frauen“, so der Würzburger Endokrinologe Bruno Allolio.
Dennoch verkündet Astrid Kranz, Sprecherin von BAYER HEALTHCARE. „Langfristig wollen wir diesen Bereich ausbauen“. Der Umsatz mit Testosteron-Präparaten liegt zwar erst im niedrigen zweistelligen Millionenbereich, die Tendenz ist aber stark steigend.

lukrative Schmerzmittel
Besondere Werbeanstrengungen unternimmt BAYER auch im Bereich freiverkäuflicher Schmerzmittel, die im Gegensatz zu verschreibungspflichtigen Medikamenten offen beworben werden dürfen. Großer Aufwand ist zum Beispiel für den Klassiker ASPIRIN notwendig, da Generika-Hersteller den selben Wirkstoff für einen Bruchteil des Preises anbieten. Trotz der Billig-Konkurrenz gelingt es dem Konzern, jährlich 450 Mio Euro mit ASPIRIN zu erlösen.
Ziel der ASPIRIN-Werbung ist es, das Präparat als Allheilmittel zu positionieren, das man lieber einmal zu viel als einmal zu wenig nimmt. In einer aktuellen Kampagne bezeichnet BAYER das Schmerzmittel beispielsweise als „Wundermittel“ und schaltete die website www.WonderDrug.com. Unter den Tisch gekehrt werden dabei die mitunter schweren, oftmals gar tödlichen Nebenwirkungen des Präparats. Das New England Journal of Medicine kritisiert das mangelnde Risikobewusstsein von Ärzten und Patienten und spricht von einer „geräuschlosen Epidemie“, da 75% aller Patienten, die regelmäßig ASPIRIN einnehmen, die Gefahren des Schmerzmittel-Gebrauchs nicht kennen. Für die meisten Anwendungen stünden zudem risikoärmere Behandlungsmethoden zur Verfügung.
Im Jahr 2000 beanstandete die amerikanische Behörde FTC eine Anzeigen-Serie für ASPIRIN, die den Eindruck erweckt hatte, dass gesunde Menschen durch eine regelmäßige Einnahme von ASPIRIN das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall senken können. Ein solcher Effekt ist jedoch nur bei Patienten mit Gefäßkrankheiten nachzuweisen. Zudem sollte ASPIRIN wegen möglicher Nebenwirkungen (insbesondere Magenblutungen) nur auf ärztlichen Rat hin regelmäßig eingenommen werden. BAYER musste eine Million US Dollar in eine Aufklärungs-Kampagne investieren, mit der auf die Risiken des Schmerzmittels hingewiesen wurde.
In Deutschland warb BAYER nicht nur für die Behandlung von Erkältungen mit ASPIRIN, sondern fälschlicherweise auch für deren Prophylaxe - so auf Plakatwänden und kostenlos verteilten Postkarten, auf denen sich ein junges Paar nackt im Schnee wälzt (s. Abbildung). Schlimmer noch ist die anhaltende Vermarktung von ASPIRIN JUNIOR in Lateinamerika. ASPIRIN kann bei Kindern mit Fiebererkrankungen das häufig tödlich verlaufende Reye-Syndrom auslösen, in Deutschland wurde ASPIRIN JUNIOR daher schon in den achtziger Jahren vom Markt genommen. In Lateinamerika hingegen werden Millionen Kinder gravierenden Gesundheitsrisiken ausgesetzt, denn dort ist ASPIRIN ein Umsatzrenner mit riesigem Werbeetat und Allheilmittel-Image. Von den gefährlichen Nebenwirkungen erfahren die VerbraucherInnen in der Regel nichts. Und das, obwohl es unbedenklichere Alternativen gibt.
Wegen des Verdachts verbotener Preisabsprachen für ASPIRIN befindet sich BAYER momentan im Visier des Bundeskartellamtes. Mitte Oktober durchsuchten Mitarbeiter der Behörde BAYER-Standorte in Köln und Leverkusen nach Dokumenten, aus denen hervorgeht, ob BAYER den Apotheken-Verkaufspreis von ASPIRIN künstlich hoch gehalten hat. BAYER hatte bundesweit mehr als 11.000 Apotheken Sonderrabatte eingeräumt, wenn diese das Präparat nicht unter dem von BAYER empfohlenen, hohen Preis verkaufen. Die Ermittlungen laufen noch, laut stern drohen Strafen in Millionenhöhe (s. Artikel „Verbindliche Preisempfehlungen“).

Fresswettbewerbe und Sozialsponsoring
Vor allem in den USA verkauft BAYER das Erkältungs- und Schmerzmittel ALKA SELTZER und setzt damit jährlich rund 100 Millionen Euro um. Im Sommer initiierte der Konzern das Gewinnspiel „Mit Alka-Seltzer nach Las Vegas“, bei dem Gruppenreisen für Männer in ein Casino in Las Vegas zu gewinnen sind. Augenzwinkernd heißt es in der Presse-Information des Konzerns, dass die meisten Männer bei einem gemeinsamen Ausflug zu viel essen und zuviel Alkohol trinken – die Folgen aber mit ALKA SELTZER behoben werden könnten. Das Präparat enthält u.a. den ASPIRIN-Wirkstoff Acetylsalicylsäure, der bei unsachgemäßem Gebrauch zu Magenblutungen und sogar Todesfällen führen kann.
Im vergangenen Jahr hatte Bayer zur Promotion des Schmerzmittels gar „Wett-Fressen“ unterstützt. Bei den amerikanischen Meisterschaften für „Competitive Eating“, bei denen schon mal 53 hot dogs oder fünfeinhalb Kilo Käsekuchen verdrückt werden, diente ALKA SELTZER als Titelsponsor. „ALKA SELTZER ist ein ständiger Begleiter für die Wettesser, wenn sie im Weltzirkus unterwegs sind. Für die Athleten wird ein Traum wahr, wenn sie an einem von ALKA SELTZER gesponserten Event teilnehmen können“, dichtete die Werbeabteilung des Konzerns. „Diese Wettbewerbe widersprechen allem, was wir über gesunde Ernährung wissen“, urteilt hingegen Bonnie Taub-Dix, Sprecherin der Amerikanischen Diätetischen Gesellschaft. Erst nach einem Protest der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) stoppte BAYER die zweifelhafte Kooperation.
Die CBG kritisiert auch das Marketing von BAYER für das Schmerzmittel ALEVE. Studien zeigen, dass die Einnahme von ALEVE (Wirkstoff Naproxen) das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, um 50 Prozent steigert. Die amerikanische Medikamenten-Aufsicht FDA beschwor daraufhin Schmerz-PatientInnen eindringlich, das Präparat nicht länger als zehn Tage einzunehmen und sich streng an die empfohlene Dosierung zu halten. Das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ zwang BAYER, im Beipackzettel auf die Nebenwirkung Herzinfarkt hinzuweisen.
Teil der aktuellen Kampagne für ALEVE ist das online-Spiel „Aleviator“, mit dem BAYER erklärtermaßen eine junge Zielgruppe erreichen will. Hinweise auf die Nebenwirkungen des Präparats erhalten die Spieler von „Aleviator“ nicht. Im Rahmen der Kampagne leistet der Konzern auch Spenden an den US-Umweltverband Conservation Fund. In einem Offenen Brief forderte die CBG den Verband auf, die Zusammenarbeit mit BAYER einzustellen. Die Kooperation erlaube es dem Konzern, sich ein „grünes Deckmäntelchen“ überzuziehen und dadurch Berichte über gefährliche Produkte und Schadstoff-Emissionen in den Hintergrund zu drängen. Auch die Risiken von ALEVE würden hierdurch kaschiert.

gute Geschäfte trotz AIDS-Infektionen
Eines der düstersten Kapitel der BAYER-Geschichte war die wissentliche Infizierung Tausender Bluter mit HIV. Die Firma CUTTER, Tochter-Unternehmen von BAYER, war Mitte der Achtziger Jahre Weltmarktführer für Gerinnungsmittel. Die Aids-Gefahr für Bluter war frühzeitig bekannt gewesen, aus Kostengründen wurden aber damals die bestehenden Inaktivierungsverfahren nicht eingesetzt. Noch nach dem Verbot unbehandelter Blutprodukte in den USA und Europa wurden übriggebliebene Chargen nach Lateinamerika und Asien exportiert. Tausende von Bluter mussten mit ihrem Leben bezahlen.
Auch heute gehört das Gerinnungsmittel KOGENATE zu den umsatzstärksten Präparaten von BAYER, im vergangenen Jahr lagen die Verkaufszahlen bei 780 Mio €. Um den schlechten Ruf aufzupolieren und um von seiner Rolle bei der Infizierung Tausender Bluter abzulenken, sucht der Konzern vor allem den Schulterschluss mit den Hämophilie-Verbänden in aller Welt. Mal spendet BAYER 250.000 Euro an die World Federation of Hemophilia, mal wird ein Hämophilie-Forschungspreis gestiftet, mal vergibt BAYER Stipendien an bluterkranke Jugendliche, ein andernmal werden 40.000 Dollar für Veranstaltungen zum Welt-Hämophilietag gespendet. Quasi alle Konferenzen zum Thema Bluterkrankheit, sowohl die von Wissenschaftlern als auch die von Betroffenen, werden von BAYER mitfinanziert.
Natürlich liegen die gesamten Aufwendungen nur im Promillbereich der Erlöse von KOGENATE. Trotzdem reichen die Spenden, um die Bluter-Verbände stillzustellen. „Bayer spielt eine wichtige Rolle, die Öffentlichkeit auf die weltweiten Probleme der Hämophilie-Patienten aufmerksam zu machen. Wir danken Bayer für die grosszügige, andauernde Unterstützung und Zusammenarbeit“, bedankt sich brav Mark W. Skinner, Präsident der World Federation of Hemophilia.

Schlussfolgerungen
Pharmakologen schätzen, dass rund fünf Prozent aller Aufnahmen in innere Abteilungen auf Nebenwirkungen von Pharmazeutika zurückgehen, bis zu 300.000 Fälle im Jahr. Nach Einschätzung des Bremer Gesundheitsforschers Gerd Glaeske werden jährlich 16.000 bis 25.000 Todesfälle durch Nebenwirkungen verursacht.
Ein Grund für diese Entwicklung ist das überzogene und häufig irreführende Marketing. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN fordert, Werbung für Pharmazeutika in Medien und im Internet zu verbieten, da Laien häufig nicht in der Lage sind, haltlose Versprechungen von Pharma-Produzenten zu durchschauen. Die Information über Medikamente gehört daher in die Hände von Ärzten und unabhängigen Prüfern.
Auch die BUKO Pharma-Kampagne fordert: „PatientInnen brauchen zuverlässige, vergleichende und unabhängige Gesundheitsinformationen, die alle Behandlungsoptionen - auch die der Nicht-Behandlung - einschließen. Die Pharmaindustrie kann jedoch aufgrund ihrer kommerziellen Interessen keine unabhängigen Informationen liefern.“ Eine Studie des Kölner Instituts für evidenzbasierte Medizin unterstützt diese Sichtweise. Demnach werben Pharmakonzerne selbst in ihren Produktinformationen für Ärzte häufig mit irreführenden oder falschen Informationen. In 94 Prozent der untersuchten Fälle wurden die Prospektangaben bemängelt, etwa weil Nebenwirkungen unterschlagen oder der Nutzen der Präparate übertrieben wurden. Im Fall des BAYER-Konzerns wurden insbesondere Angaben zum Potenzmittel LEVITRA beanstandet. Das Institut fordert „drastische Strafen“ für Pharmakonzerne, die in ihren Produktinformationen verfälschte oder verkürzte Angaben machten.
In die entgegengesetzte Richtung gehen allerdings die Bemühungen von Industrie und Teilen der Politik. Analog zu den Vereinigten Staaten möchten die Hersteller auch Werbung für rezeptpflichtige Arzneimittel erlauben. Bislang ist diese nur in medizinischen Fachzeitschriften erlaubt. Der europäische Verband der Pharmaindustrie EUROPEAN FEDERATION OF PHARMACEUTICAL INDUSTRIES, deren Präsident im übrigen der Vorstandsvorsitzende von BAYER SCHERING PHARMA, Arthur Higgins, ist, fordert unumwunden eine Aufhebung des entsprechenden Verbots. Angeblich um die Verbraucherinnen und Verbraucher „besser zu informieren“. Wohin die Reise gehen würde, zeigt jedoch das Beispiel USA: seit der Freigabe von Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel vor zehn Jahren verdreifachten sich Werbeausgaben der US-Pharmaindustrie, besonders im Fernsehen und im Internet.
Ein erster Versuch der Pharmaindustrie, das Werbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel zu kippen, war 2002 gescheitert. Der Ausgang der aktuellen Initiative ist zwar noch offen – klar ist aber, dass eine schärfere Regulierung von Pharma-Werbung zur Zeit genauso wenig auf der politischen Tagesordnung steht wie die öffentliche Unterstützung industrie-unabhängiger Informationsquellen. Die Deutungshoheit der Pharmaunternehmen über Krankheiten und deren Behandlung ist auf absehbare Zeit nicht in Gefahr.