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STICHWORT BAYER 02/03 2010

Nanotubes-Produktion in Leverkusen

Genehmigung ohne Risikoprüfung

Die BAYER MATERIAL SCIENCE AG eröffnete im Januar in Leverkusen eine der weltweit größten Produktionsstätten für Nanoteilchen. Die Anlage wurde als „Versuchsbetrieb“ eingestuft und deshalb von einem regulären Zulassungsverfahren befreit. Die Risiken der neuartigen Stoffe sind weitgehend unbekannt. Umweltverbände stellen die Genehmigung in Frage.

von Philipp Mimkes

„Die Zukunft ist Nano“, heißt es in einer bunten BAYER-Werbebroschüre, „Baytubes bieten nahezu unendliche Möglichkeiten“. Durch Nanotubes ließen sich die magnetischen, elektrischen und mechanischen Eigenschaften vieler Werkstoffe weitgehend verändern. Entsprechend euphorisch ist Joachim Wolff vom Vorstand der BAYER MATERIAL SCIENCE AG: „Aktuelle Prognosen sagen für Carbon Nanotubes ein jährliches Wachstum von 25 Prozent und innerhalb von zehn Jahren ein Marktvolumen von zwei Milliarden US-Dollar voraus“. Die BAYER-Tochter MATERIAL SCIENCE hatte Ende Januar in Leverkusen den weltgrößten Produktionsbetrieb für Nanotubes eröffnet. Zwei kleinere Anlagen betreibt BAYER seit 2006 im badischen Laufenburg.
Carbon Nanotubes (CNT) sind winzige Röhrchen aus Kohlenstoff, deren Durchmesser meist nur wenige Nanometer beträgt. Ein Nanometer ist gerade mal ein Millionstel Millimeter. Die Länge der Röhrchen beträgt bis zu einigen Mikrometern, also Tausendstel Millimetern. CNT werden von BAYER unter dem Handelsnamen Baytubes verkauft und schon heute in elektronischen Bauteilen eingesetzt. Weitere Anwendungen sind in Lacken, beim Bau von Rotorblättern sowie in Sportartikeln wie Skier oder Hockeyschläger geplant.
Trotz einer jährlichen Produktionsleistung von 200 Tonnen wurde die Leverkusener Fabrik von der zuständigen Behörde, der Bezirksregierung Köln, als „Technikum“, also als Probeanlage, eingestuft. Der Betrieb wurde daher von einem öffentlichen Genehmigungsverfahren nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes befreit.
Die fehlende Genehmigung war erst durch eine Anfrage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) bekannt geworden. Die CBG hatte von den Behörden wissen wollen, welche Nano-Emissionen von dem laufenden Betrieb zu erwarten sind, wie hoch die Belastung der Atemluft innerhalb der Anlage ist, welche Mengen Nanotubes bei einem Störfall austreten könnten und welche toxikologischen Daten vorliegen.
Keine der Fragen konnte jedoch beantwortet werden. Die Risiken von CNT waren bei der Entscheidung der Behörden nicht berücksichtigt worden. Da die Nanotubes-Produktion weder der Immissionsschutz- noch der Störfall-Verordnung unterliegt, galt bei der Genehmigung das einfache Baurecht. Inspiziert wurde die Anlage somit nur vom Leverkusener Bauamt.

Genehmigung rechtswidrig
Professor Dr. Martin Führ, der an der Hochschule Darmstadt Umweltrecht lehrt, kritisiert das Verfahren: „Nach den vorliegenden Informationen ist die erteilte Baugenehmigung wegen Verstoßes gegen das Bundesimmissionsschutzgesetz rechtswidrig. Jeder Anwohner kann dagegen Widerspruch einlegen und damit den Betrieb der Anlage zum Stillstand bringen. BAYER hat sich hier in eine sehr prekäre Situation hinein manövriert. Hier hilft nur, umgehend die Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes einzuhalten.“
Auf eine weitere Nachfrage der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN gab die Überwachungsbehörde an, dass die Anlage als Versuchsbetrieb eingestuft wurde und deshalb kein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt werden musste. Eine „wirtschaftliche Vermarktung der in der Technikumsanlage hergestellten Nanoröhren“ finde nicht statt. In den Publikationen des Unternehmens klingt das jedoch ganz anders: „Bislang hielten sich die Produktionsmengen der Nanoröhrchen in Grenzen. Durch die Inbetriebnahme der weltgrößten Pilotanlage für Baytubes mit einer Kapazität von 200 Jahrestonnen kommt Bayer Material Science der großen Nachfrage einen erheblichen Schritt entgegen“, heißt es zum Beispiel im „Bayer Report“. Eine Kontrolle, ob die produzierten CNT auch wirklich vernichtet werden, erfolgt nicht.

Toxikologisch bedenklich
Die Gefährlichkeit der Winzlinge, die rund 50.000-mal dünner sind als ein Haar, ist bislang weitgehend unbekannt. Tierversuche zeigen, dass bestimmte CNT die Entstehung von Krebs ähnlich wie Asbestfasern begünstigen können (1). Ken Donaldson von der Universität Edinburgh, der die bislang umfangreichste Studie zu Nanotubes durchgeführt hat, empfiehlt daher, auf bestimmte Formen des Materials zu verzichten und weitere Untersuchungen durchzuführen. Das Medizinerteam von Donaldson hatte gezeigt, dass längere Kohlenstoff-Röhrchen ähnlich wirken wie lange Asbestfasern: Im Bauchraum von Mäusen kam es zu Entzündungen, die zu krankhaften Wucherungen des Gewebes führten. Im Fall von Asbest begünstigen solche Wucherungen die Bildung von Krebszellen.
Problematisch ist auch die Ansammlung der Partikel in der Lunge. So starben in Inhalations-Versuchen 15 Prozent aller Ratten, wenn sie fünf Milligramm Nanotubes je Kilogramm Körpergewicht eingeatmet hatten. Auf den Menschen hochgerechnet wäre das nicht einmal ein Gramm der Substanz.
Schon im Jahr 2003 hatte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung dem Deutschen Bundestag einen 450-Seiten starken Bericht zu Nanotechnologie vorgelegt und vor gesundheitlichen Risiken gewarnt. „Künstliche Nanostrukturen können durch Emissionen der Nanoindustrie oder durch Entstehung von Nanopartikeln beim alltäglichen Gebrauch in die Umwelt gelangen,“ konstatierten sie, potenzielle Langzeitfolgen seien nicht auszuschließen.

Umweltverbände protestieren
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) NRW, die Coordination gegen BAYER-Gefahren und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) kritisierten die Inbetriebnahme der Leverkusener Produktionsanlage in einer gemeinsamen Stellungnahme. Uwe Friedrich von der Coordination gegen BAYER-Gefahren: „Die Produktion von potentiell gefährlichen Stoffen darf nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit genehmigt werden. Eine Anlage mit einer Produktionsmenge von 200 Tonnen eines Nano-Materials überschreitet zudem deutlich den im Bundesimmissionsschutzgesetz genannten Technikums-Maßstab.“
Claudia Baitinger vom BUND NRW ergänzt: „Bei allem Respekt: ein Bauamt ist nicht in der Lage, die Risiken von neuartigen Stoffen zu prüfen. Wir fordern ein Genehmigungsverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit sowie eine toxikologische Bewertung der in Leverkusen produzierten Nanotubes!“. Baitinger wandte sich in der BAYER-Hauptversammlung am 30. April auch direkt an den Vorstand: „Wenn sich die verantwortlichen BAYER-Manager ihrer Sache so sicher sind, dass wirklich keine Risiken von dieser Anlage ausgehen werden: Warum stellen Sie sich nicht einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren mit öffentlicher Auslegung der Antragsunterlagen und einem öffentlichen Erörterungstermin?“

Regelungslücke
Nanopartikel im allgemeinen und Nanotubes im speziellen fallen bislang in eine Regelungslücke. Trotz der Hinweise auf Gesundheitsgefahren wurden CNTs nicht in die Liste der risikoreichen Stoffe aufgenommen, deren Herstellung der Störfallverordnung und damit einer intensiveren Überwachung unterliegt.
Auch auf europäischer Ebene unterbleibt bislang eine spezielle Überprüfung von Nanoteilchen. Die europäische Chemie-Behörde European Chemicals Agency in Helsinki teilte auf Anfrage mit, dass Nanotubes unter „Graphit“ oder „Ruß“ geführt würden. Beide Stoffe bestehen zwar ebenfalls aus Kohlenstoff, haben aber nicht die speziellen Eigenschaften der tausendfach kleineren CNT.
Noch einmal Claudia Baitinger vom BUND: „Bislang gibt es bei Freisetzungen von Nanomaterialien im Wasser-, Bodenschutz- und Abfallrecht noch keinerlei Regelungen. Wir halten deshalb den Umgang mit diesen Stoffen über den Labormaßstab hinaus für unverantwortlich, solange der Gesetzgeber mit drittschützenden Maßnahmen hinterherhinkt.“
Langfristig plant BAYER sogar die Produktion von 3.000 Tonnen Nanotubes jährlich. Erst eine solche riesige Anlage soll nach Willen der Bezirksregierung in einem öffentlichen Verfahren genehmigt werden. Nach Auffassung der Umweltverbände muss vorher jedoch die toxikologische Unbedenklichkeit der produzierten Stoffe bewiesen werden.

(1) Die Coordination gegen BAYER-Gefahren befürwortet keine Tierversuche und fordert die Einführung tierversuchsfreier Verfahren zur Risikoanalyse neuer Stoffe, z.B. Studien mit Zell- und Gewebekulturen (In-Vitro-Verfahren)