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STICHWORT BAYER 03/2011

BAYERs Müllmitverbrennung

Abfallprodukt Strom

BAYER nennt es die thermische Verwertung von Abfällen - andere die schmutzigste Art der Energie-Erzeugung: die Müllmitverbrennung.

Strom muss für den Leverkusener Multi vor allem billig sein - die Risiken und Nebenwirkungen seiner Erzeugung sind ihm egal. Angesichts der Energiewende drohte der Konzern sogar schon, „seine Produktion in Länder mit niedrigeren Energiekosten zu verlagern“. Einstweilen schaut er sich allerdings noch vor der eigenen Haustüre nach preiswerteren Quellen um. Dabei ist er vor geraumer Zeit auf den Müll gestoßen. Momentan plant die 60-prozentige BAYER-Tochter CURRENTA, welche die Chemie-„parks“ betreibt, im Krefelder Industrie-Kraftwerk vermehrt Abfälle an Stelle von Steinkohle zu verfeuern. Das Unternehmen will den Anteil in den Kesseln aus Kostengründen auf 25 Prozent steigern und 16.000 Tonnen Müll als „Ersatzbrennstoff“ verwenden.

Im Jahr 2009 nutzte das Unternehmen bloß rund 10.000 Tonnen flüssige Kohlenwasserstoffe energetisch und 2003 noch nicht einmal 100 Tonnen. Im Pharma-Werk Bergkamen verbrannte der Konzern 2009 1760 Tonnen Lösemittel und andere Flüssigkeiten. Die gleichen Reste fanden auch den Weg in die Wuppertaler Abgas-Reinigungsanlage. An Standorten außerhalb Nordrhein-Westfalens dürfte BAYER ebenfalls auf den Energie-Träger „Müll“ setzen; Daten darüber veröffentlichen die zuständigen Umweltämter allerdings nicht. Dem neuesten Nachhaltigkeitsbericht zufolge bereitet der Multi 31 Prozent seiner 809.000 Tonnen Abfälle wieder auf, und der thermischen Verwertung kommt dabei neben der stofflichen eine immer größere Rolle zu. 0,8 Prozent des Gesamtbedarfs erzeugt der Global Player auf diese Weise.

Damit steht der Pharma-Riese nicht allein. Allein in Nordrhein-Westfalen verheizen derzeit rund 200 Zementwerke, Fertigungsstätten, Feuerungsanlagen, Biomasse-Betriebe und Kohlekraftwerke Reststoffe. Kapazitäten für 5,1 Millionen Tonnen stellen sie dafür insgesamt bereit und reichen damit fast schon an die 6,8 Millionen der Müllverbrennungsanlagen heran. Der große Aufschwung begann 2005; in diesem Jahr trat das Deponierungsverbot für unbehandelte Abfälle in Kraft. Das führte zu einem „Entsorgungsnotstand“, der einen Bauboom von Müllverbrennungsanlagen und Müllkraftwerken nach sich zog und die Mitverbrennung von Resten in Industrie-Anlagen förderte. Auf allen drei Feldern mischt der Global Player kräftig mit. Er plant derzeit in Brunsbüttel und Dormagen Müllkraftwerke (SWB 1/08) und will in Leverkusen zudem das Fassungsvermögen der dortigen Sondermüllverbrennungsanlage von 80.000 Tonnen auf 120.000 Tonnen erhöhen.

Wirtschaftsgut Müll
Mit dem Deponierungsverbot verlängerte sich die Wertschöpfungskette des Mülls. Er mutierte zur Ware einer vermeintlich nachhaltigen Ökonomie, die gute Geschäfte verspricht. Wahlweise hieß er jetzt „Ersatzbrennstoff“, „Sekundär-Rohstoff“ oder schlicht „Nebenprodukt“ und ging in die „thermische oder stoffliche Verwertung“. Die Industrie machte sich daran, die Entsorgung zu entsorgen - „Kreislaufwirtschaft“ lautete das Gebot der Stunde. Aber eine runde Sache wurde das Ganze nicht. So überfällig der Verzicht auf die Deponierung von unbehandelten Abfällen war, so fragwürdig erscheinen die entwickelten Alternativen. Die unzähligen neuen Müllschlucker ließen die Rückstände zur Mangelware werden, die einer besonderen Pflege bedurfte. Darum drang der mit einem BAYER-Vertreter bestückte „Dialog Wirtschaft und Umwelt NRW“, der zu Zeiten von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers über einigen Einfluss verfügte, vehement darauf, auf Müllvermeidungskonzepte zu verzichten. Und auf europäischer Ebene erreichte der Lobby-Einsatz der Konzerne die Promovierung des Mülls zu einem ganz normalen Wirtschaftsobjekt, das keiner Handelsbeschränkung unterliegt. Somit konnten die Unternehmen ihn auch in fernen Ländern akquirieren, um die heimischen Öfen auszulasten.

Darüber hinaus entsprechen die neuen „Verwertungsstellen“ nicht dem Stand der Technik. Die Mitverbrennung von Klärschlamm, Holz, Papier, Altöl und anderen Resten in Industrie-Betrieben erfolgt zu deutlich schlechteren Standards als in Müllverbrennungsanlagen (MVA). Die Öfen kommen nicht auf genügend hohe Temperaturen zur Neutralisierung der Gifte und verfügen über eine oberflächlichere Rauchgas-Reinigung. Darum stoßen Industrie-Kraftwerke wie das von BAYER in Krefeld mehr Dioxine, Furane, Schwermetalle und andere Schadstoffe aus. Das bestätigt eine vom Chemie-Multi selbst um 2005 herum in Auftrag gegebene Studie. „Eine Untersuchung des unabhängigen Instituts für Energie- und Umweltforschung hat gezeigt, dass die technisch aufwendigen Reinigungssysteme in SAVs (Sonderabfall-Verbrennungsanlagen, Anm. SWB) bis zu 500-mal mehr Quecksilber und bis zu 100-mal mehr Chlorkohlenwasserstoff aus dem Rauchgas filtern als industrielle Feuerungsanlagen“, heißt es in einer CURRENTA-Broschüre. Von einem Gramm Quecksilber lässt die hauseigene SAV ganze 0,001 Gramm übrig, vermeldet die BAYER-Tochter stolz, während bei normalen MUVs durchschnittlich 0,015 Gramm zurückbleiben, bei Kraftwerken 0,3 Gramm und bei Zementwerken sogar 0,4 Gramm.

Offensichtlich verfolgte das Unternehmen damals noch die Strategie, auf die Müllwende mit einer Qualitätsoffensive zu reagieren. Heute hingegen baut es die Müllmitverbrennung zur Energie-Erzeugung aus, die eine möglichst effiziente Abfall-Behandlung gar nicht mehr zum Ziel hat. Dreck schlägt nämlich mehr Funken: Je stärker Filter dem Rauchgas zu Leibe rücken, desto mehr schwindet sein energetischer Wirkungsgrad. Abfall-Verwertung und schonender Umgang mit der Natur sind sich also nicht unbedingt grün.

Widerstand wächst
„Die von CURRENTA großmundig propagierte Linie, mit der Erhöhung der Müllverbrennung werde die Energie-Erzeugung im Unternehmen umweltfreundlicher, entbehrt bei genauem Hinsehen jeder Grundlage“, kritisieren die Krefelder Grünen das Vorhaben des Multis am Standort, künftig noch mehr Abfälle in die Öfen zu werfen. Die nordrhein-westfälische Minderheitsregierung reagiert ebenfalls. Sie strebt eine Bundesratsinitiative an, um die Vorschriften für die Abfallmitverbrennung in der 17. Bundesimmissionsschutz-Verordnung zu verändern. Die letzte Novelle vom August 2003 hat zwar die Regelungen für Müll- und Müllmitverbrennungsanlagen angeglichen, aber zahlreiche Ausnahme-Tatbestände geschaffen und die Grenzwert-Einhaltung erst ab einem Abfall-Anteil von 25, 40 oder 60 Prozent (abhängig vom Anlagen-Typ) zur Pflicht gemacht. Darum hatte der „Sachverständigenrat für Umweltfragen“ die Überarbeitung in seinem „Umweltgutachten 2004“ auch kritisiert. „Faktisch bleibt damit die novellierte 17. BImSchV in den Anforderungen an die Mitverbrennung partiell weit hinter den Vorgaben für die reine Müllverbrennung zurück. Der Umweltrat empfiehlt daher, die vollständige Harmonisierung der Anforderungsniveaus von Industrie-Anlagen und Müllverbrennungsanlagen herbeizuführen“, heißt es in dem Dokument. Genau dieser Empfehlung wollen die NRW-KoalitionärInnen jetzt folgen. Ihr Vorstoß dürfte es allerdings schwer haben, denn CDU und FDP lehnen eine Änderung ab. „Die Bundesregierung sieht diesen Regelungsansatz als ausreichend an, um eine umweltverträgliche Mitverbrennung von Abfällen zu gewährleisten“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Und BAYER wird diese Meinung sicherlich teilen. Von Jan Pehrke

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