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Pharmalobby

Hannoveraner Allgemeine Zeitung, 28. Juli 2003

Süße Pillen für die Pharmaindustrie

Die Reformkommission lässt die Pharmaindustrie nicht ungeschoren - aber die Einbußen der Arzneimittelhersteller sind bescheiden

Ein paar Kisten Champagner oder Sekt dürften die vergangene Woche nicht unangetastet überstanden haben. Schließlich hatten die Lobbyisten der Pharmaindustrie ein Meisterstück zu feiern. Laut Konsenspapier zur Gesundheitsreform findet auch künftig keine Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln statt. Die so genannte Positivliste, die die Zahl der erstattungsfähigen Medikamente halbieren sollte, fällt weg. Beides hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) durchsetzen wollen. Doch sie musste CDU/CSU-Verhandlungsführer Horst Seehofer nachgeben.

Dabei hatte Seehofer selbst vor zehn Jahren - als Gesundheitsminister - versucht, eine Positivliste für Arzneimittel aufzustellen. Auf Druck der Pharmaindustrie stoppte er sein Vorhaben - mit gar demütiger Geste: Seinen Staatssekretär Baldur Wagner schickte Seehofer damals zur Geburtstagsfeier des Verbandspräsidenten der Pharmaindustrie, Hans-Rüdiger Vogel. Als Geschenk überreichte Wagner die zerschredderte Positivliste.

Rund vier Milliarden Euro hätte die jetzt verworfene Liste wohl an Einsparungen gebracht. Nun leisten die Pharmafirmen einen Sparbeitrag von einer Milliarde Euro - dank einer Erhöhung der Herstellerrabatte (den Krankenkassen zu gewährende Zwangsabschläge) von sechs auf 16 Prozent im kommenden Jahr. Danach soll eine neue Festbetragsregelung kommen, die dann auch für patentgeschützte Medikamente gelten soll. Im vorigen Jahr überwiesen die Kassen der Pharmaindustrie 23,4 Milliarden Euro für Arzneimittel. Bluten müssen die Arzneimittelhersteller also nicht.

Dennoch gab es Proteste. "Reform-Kompromiss erreicht selbst gestecktes Ziel nicht" stand über einer Pressemitteilung, die nach dem Bekanntwerden des Eckpunktepapiers aus den Faxgeräten lief. Darin gab der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) bekannt, dass die Arzneimittelhersteller keineswegs ungeschoren davon gekommen seien und dass ein Sparbeitrag von einer Milliarde Euro nicht klein geredet werden dürfe.

Zumal, erklärt BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp, die Erhöhung der Herstellerrabatte die Existenz vieler mittelständischer Unternehmen "vernichte". In dieses Horn blies auch Cornelia Yzer sogleich. Die Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) nennt das Reformpapier einen "innovationsfeindlichen Schachzug mit folgenschwerem Schaden für den Pharmastandort Deutschland". 10 000 Arbeitsplätze seien in Gefahr.

(...) Der Darmstädter Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck gab indes erst vergangene Woche einen unerwartet großen Gewinnzuwachs bekannt - dank überraschender Erfolge in der Pharmasparte. Der operative Gewinn des Konzerns stieg von April bis Juni im Vergleich zum zweiten Quartal des Vorjahrs um 35 Prozent auf 191 Millionen Euro. Der Umsatz des drittgrößten börsennotierten Arzneimittelherstellers in Deutschland schrumpfte in dieser Zeit leicht auf 1,8 Milliarden Euro. Unterm Strich verdiente Merck binnen drei Monaten 81,1 Millionen Euro, wie im Zwischenbericht zu lesen war. Merck-Chef Bernhard Scheuble, der auch Vorsitzender des VFA ist, hat ausgerechnet, dass die geplante Gesundheitsreform für den Umsatz von Merck "maximal eine zweistellige Millionenzahl am ganz unteren Ende" bedeute. (...)

Zum Aus für Positivliste und Kosten-Nutzen-Analysen für Medikamente sagt die pharmakritische Vereinigung "Coordination gegen Bayer- Gefahren" (CBG): "Es ist beschämend zu sehen, dass die Gesundheit der Bevölkerung einen niedrigeren Stellenwert besitzt als die Profitinteressen der Pharmaindustrie." Der "Kniefall vor den Pharmakonzernen", wie die CBG den Konsens zur Gesundheitsreform nennt, taugt als Lehrstück für Lobbyisten.

VON INKA BUROW