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Polychlorierte Biphenyle

Presse Info vom 21. Januar 2014
Coordination gegen BAYER-Gefahren

PCB-Kontamination von öffentlichen Gebäuden

„Bundesregierung verweigert Antworten“

Die Bundesregierung hat in dieser Woche die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei zu Gesundheitsschäden durch Polychlorierte Biphenyle (PCB) veröffentlicht. Zentrale Fragen zur PCB-Kontamination öffentlicher Gebäude blieben dabei unbeantwortet. Auch die Verantwortung der Hersteller – in erster Linie der Firmen MONSANTO und BAYER – wurde in der vom Bundesumweltministerium verfassten Stellungnahme ausgeklammert.

Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) verurteilt die Kumpanei der Regierung mit den Verursachern des PCB-Desasters. Philipp Mimkes vom Vorstand der CBG: „Die Bundesregierung behauptet allen Ernstes, dass aus den letzten zehn Jahren keine Gesundheitsschäden durch PCB bekannt wären. Hier würde ein Blick in die Zeitung genügen: allein in Dortmund wurden Hunderte Arbeiter der Firma Envio mit PCB vergiftet.“ Dass die Regierung zudem keinerlei Angaben zur Belastung öffentlicher Gebäude sowie zu den daraus resultierenden Gesundheitsrisiken macht, bezeichnet Mimkes als „Armutszeugnis“.

Dagmar von Lojewski-Paschke vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) ergänzt: „Die Ruinierung der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sowie die „Nichtzuständigkeit“ und das Versagen der zuständigen Behörden und Aufsichtsämter bis hinauf in die obersten Bundesämter ist ein Verbrechen gegen die nächste und weitere Generationen. Dies geschieht allein im Interesse des wirtschaftlichen Wachstums und der ausufernden Profitgier der Industrie.“

Weltweit wurden von 1930 bis 1990 rund 1,3 Millionen Tonnen PCB produziert. Die Chemikalien kamen u.a. in Elektrogeräten, Fugendichtungen, Lacken und Bodenbelägen zum Einsatz. Die Entsorgung dauert Jahrzehnte und kostet Milliarden. Die Hersteller MONSANTO und BAYER wälzen die Kosten auf die Allgemeinheit ab.

Der nordrhein-westfälische Landesverband des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Coordination gegen BAYER-Gefahren, die Naturfreunde und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) forderten in einer Stellungnahme, die Produzenten an den horrenden Entsorgungskosten zu beteiligen.

ausführliche Informationen auf unserer Kampagnenseite

Die Bewertung der Antworten im Detail:

Zu Frage 1: Wie schätzt die Bundesregierung das Problem der PCB-Belastung in öffentlichen Gebäuden und die daraus resultierende gesundheitliche Beeinträchtigung der sich dort aufhaltenden Menschen ein?

Antwort der Bundesregierung: „Die Beantwortung setzt eine systematische Untersuchung der PCB-Belastung in den in Rede stehenden Gebäuden voraus. Solche Untersuchungen wurden von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) bislang nicht durchgeführt. Dies würde vielmehr konkrete Hinweise auf PCB-Belastungen voraussetzen, die der BImA nicht vorliegen. Verdachtsuntersuchungen ohne greifbare Hinweise auf PCB-Belastungen führt die BImA nicht durch. Für Kindergärten, Schulen, Universitäten und Landesbehörden ist die Bundesregierung nicht zuständig.“

Kommentar: Auch wenn keine systematische Untersuchung aller öffentlichen Gebäude vorliegt, muss die Regierung eine Position zu gesundheitlichen Schäden durch PCB haben.
Zudem ist die Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes maßgeblich an der Grenzwertsetzung beteiligt. Die Antwort der Bundesregierung, wonach der Bund für Kindergärten, Schulen, Universitäten und Landesbehörden nicht zuständig ist, ist daher auch formal falsch.

Zu Frage 3: Welche Untersuchungen hat die Bundesregierung zur PCB-Belastung bundeseigener Liegenschaften veranlasst, und welche Ergebnisse haben diese Untersuchungen ergeben?

Die Bundesregierung schreibt, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) bisher keine systematischen Untersuchungen auf PCB durchgeführt hat.
Anders als behauptet, wurde jedoch z.B. bei der Grundsanierung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe ein Schadstoffkataster erstellt (auch für PCB), da aufgrund des Baujahrs (1969) und der Bauart eine PCB-Belastung mehr als wahrscheinlich war.
Würde die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) tatsächlich keine Verdachtsuntersuchungen durchführen oder durchführen lassen, so würde sie bei Arbeiten an PCB-haltiger Gebäudesubstanz die Technischen Regeln für Gefahrstoffe TRGS 524 „Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten in Kontaminierten Bereichen“ missachten.

Fragen 5 und 6
Auch diese Antwort ist nicht akzeptabel. Es gibt laufend PCB-Sanierungen. Es ist nicht glaubwürdig, dass davon in den letzten zehn Jahren KEIN bundeseigenes Gebäude betroffen war.

Zu Frage 8: Plant die Bundesregierung eine Untersuchungspflicht für öffentliche Gebäude einzuführen, durch die die PCB-Belastung der Bausubstanz überprüft wird?

Antwort der Bundesregierung: „Im Rahmen ihrer Vorbildfunktion für umweltschonendes und ressourceneffizientes Bauen hat die Bundesregierung allerdings im Juli 2013 mit der verbindlichen Einführung des Leitfadens Nachhaltiges Bauen auch Komplettmodernisierungen von Bundesgebäuden in die Bewertungsmethodik des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen (BNB) einbezogen. Das BNB fordert hier u. a. eine systematische Erfassung von Schadstoffen. Anhand gutachterlicher Stellungnahmen zu möglichen Gebäudeschadstoffen ist ein Schadstoffkataster zu erstellen. Bei Verdacht auf PCB-Belastungen ist dies zu dokumentieren und es sind ggf. Messungen zu veranlassen.“

Kommentar: Wenn der „Leitfaden Nachhaltiges Bauen“ für Komplettsanierungen eine systematische Schad¬stofferfassung verlangt, so sollte die Bundesregierung das nicht als „Vorbildfunktion“ verkaufen, denn die Technische Regel für Gefahrstoffe TRGS 524 verlangt bei Sanierungsmaßnah¬men eine Gefahrstofferkundung (siehe auch Kommentar zur Beantwortung von Frage 3).

Zu Frage 11: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Empfehlung der WHO, die tägliche Aufnahme von dioxinähnlichen Substanzen wie koplanaren PCB auf 1 bis 4 Pikogramm pro Tag und kg Körpergewicht zu begrenzen?

Antwort der Bundesregierung: „Die Ad-hoc-Arbeitsgruppe Innenraumrichtwerte (Ad-hoc AG IRK) der Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes und die Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden haben 2007 einen Richtwert für dioxinähnliche PCB in Höhe von 5 pg WHO-TEQ/m3 in der Innenraumluft abgeleitet und eine gesundheitliche Bewertung dioxinähnlicher PCB in der Innenraumluft veröffentlicht.“

Kommentar: Was die Bundesregierung nicht erwähnt ist, dass die Ableitung dieses Richtwertes nicht auf einem TDI von 1-4 pg TEQ pro Tag und kg Körpergewicht beruht, sondern auf einem von der JECFA (Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives) für empfindliche Personen abgeleiteten LOAEL (Lowest Observed Adverse Effect Level) von 6 pg TEQ pro Tag und kg Körpergewicht. Das bedeutet, bei Ausschöpfung des Richtwertes von 5 pg TEQ/m3 ist bei empfindlichen Personen bereits mit Gesundheitsschäden zu rechnen. Der Richtwert kann schon während kleinerer Handwerksarbeiten weit überschritten werden. Auch aus diesem Grund wäre eine Untersuchungspflicht geboten.

Zu Frage 13: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Entscheidung der WHO, PCB in die Liste krebserzeugender Stoffe der Kategorie 1 einzustufen?

Die Antwort geht an der Frage vollständig vorbei. Es geht nicht um die seltenen Ausnahmetatbestände, sondern um das Krebsrisiko. Dies könnte z.B. durch verschärfte Grenzwerte oder (s.o.) durch systematische Untersuchungen gesenkt werden. Für krebserzeugende Stoffe gilt zudem ein Minimierungsgebot.
Die Bundesregierung schreibt: „Die Bundesregierung setzt sich auch weiter auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene dafür ein, dass für noch vorhandene Anwendungsgebiete Ausnahmetatbestände möglichst ausgesetzt werden und für einen fachgerechten Umgang mit PCB in Abfällen, Altlasten und Bausubstanzen gesorgt wird“.

Kommentar: Die Bundesregierung behauptet hier, sie setze sich auf nationaler Ebene für einen fachgerechten Umgang mit PCB in Bausubstanzen ein. Dies steht in Widerspruch zur Antwort auf die Fragen 1-4, wo sie erklärt, im bundeseigenen Gebäudebestand würden keine Untersuchungen auf PCB durchgeführt und für andere Gebäude sei sie nicht zuständig.

Zu Frage 14: Werden in Deutschland Erhebungen zu Vergiftungen und Todesfällen, die mit PCB in Zusammenhang stehen, dokumentiert? Wenn ja, über wie viele PCB-Vergiftungen und Todesfälle in den letzten zehn Jahren hat die Bundesregierung Kenntnis?

Antwort der Bundesregierung: „Ja. In den letzten zehn Jahren sind keine PCB-Vergiftungsfälle und Todesfälle gemeldet worden. Seit 1. August 1990 besteht eine Meldepflicht für Vergiftungen für behandelnde Ärzte im Rahmen des Chemikaliengesetzes (§16e ChemG). Die Meldungen werden im Bundesinstitut für Risikobewertung gesammelt und ausgewertet.“

Kommentar: Das ist eine skandalöse Aussage. Es gibt eine große Zahl von Vergiftungen und Erkrankungen, auch wenn diese nicht über Meldungen im Rahmen des Chemikaliengesetzes erfasst werden. So begann im Jahr 2012 der Prozess gegen die PCB-Entsorgungsfirma Envio, die seit 2004 durch unvorschriftsmäßigen Umgang mit PCB-haltigen Transformatoren und Kondensatoren das Betriebsgelände und die Umgebung mit PCB verseucht hatte. Hunderte Arbeiter wurden vergiftet. Die Geschäftsleitung wurde wegen Körperverletzung in 51 Fällen angeklagt. 2012 wurde die Erkrankung eines Arbeiters als Berufskrankheit anerkannt. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Untersuchungsprogramms das über Jahre laufen wird, sollen an 310 Arbeitern Untersuchungen zur gesundheitlichen Wirkung von PCB durchgeführt werden. Selbst Professoren der Arbeitsmedizin mit Fachwissen zu PCB sind heute nicht in der Lage, eine PCB-Vergiftung zu diagnostizieren. Nicht einmal bei den geschädigten Envio-Arbeitern, die durch Fachärzte aus verschiedenen Fachgebieten untersucht wurden, erfolgte offensichtlich eine Meldung an das Bundesinstitut für Risikobewertung.

Zu Frage 15: Wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass bei der Sanierung von PCB-kontaminierten Gebäuden das im Umweltrecht verankerte Verursacherprinzip angewandt wird und somit auch die Hersteller von PCB mit zur Finanzierung herangezogen werden können?

Antwort der Bundesregierung: „Wenn zum Zeitpunkt der Herstellung PCB-haltiger Produkte gegen geltendes Recht verstoßen wurde, ist das Verursacherprinzip anzuwenden. Der Eigentümer hat dafür Sorge zu tragen, dass eine Gefährdung von Mensch und Umwelt ausgeschlossen ist. Als Zustandsverantwortlicher hat der jeweilige Eigentümer PCB-haltige Baustellenabfälle wie etwa PCB-haltige Dichtungsmassen vor dem Abbruch zu trennen und einer separaten Entsorgung zuzuführen.“

Kommentar: Das Muster dieser Antwort ist seit Jahrzehnten bekannt. Es geht nicht allein darum, ob zum Zeitpunkt des Verkaufs gegen geltendes Recht verstoßen wurde. Die Hersteller haben ihre Erkenntnisse über die Risiken jahrzehntelang verschwiegen, zudem wurde großer politischer Druck ausgeübt. Auch deswegen wurden die gesetzlichen Verbote erst mit jahrzehntelanger Verspätung verhängt.
Zum zweiten Satz: Wie will die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) dafür Sorge tragen, dass eine Gefährdung von Mensch und Umwelt durch PCB-haltige Baumaterialien ausgeschlossen ist, wenn sie Untersuchungen in ihren eigenen Gebäuden nach eigenen Angaben (Antwort auf Frage 1-4) nicht durchführt?