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STICHWORT BAYER 02/2014

BAYER spricht Tacheles

Profite vor PatientInnen

„Wir haben dieses Produkt nicht für den indischen Markt entwickelt (...) Wir haben es für westliche Patienten entwickelt, die es sich auch leisten können“ – mit dieser Äußerung über das Krebs-Medikament NEXAVAR hat BAYER-Chef Marijn Dekkers einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Einmal mehr belegt sie, wie wenig es den Pharma-Riesen um das PatientInnen-Wohl und wie sehr es ihnen um die durch Patente abgesicherten Monopol-Gewinne geht, weshalb besonders den Ärmsten der Armen keine adäquaten Pharmazeutika zur Verfügung stehen.

Von Philipp Frisch (Koordinator der Medikamentenkampagne von ÄRZTE OHNE GRENZEN in Deutschland)

Das heutige System, mit dem Gesundheitsforschung gefördert werden soll, funktioniert nicht. Zwei Geschichten, die sich in den letzten Monaten an vollkommen verschiedenen Orten abgespielt haben, zeigen diesen Umstand mehr als deutlich.
Die erste Geschichte spielt im weit entfernten Kapstadt und handelt von einer jungen Südafrikanerin, die ihr Gehör verloren hat: Phumeza. Sie ist nicht durch einen Unfall taub geworden, sondern durch ein Medikament, das ihr ihre Ärztin in Khayelitsha, einem armen Vorort von Kapstadt, gegeben hat. Phumeza litt an der so genannten extrem resistenten Tuberkulose. Wie der Name schon andeutet, handelt es sich dabei um eine Form dieser Krankheit, bei der die auslösenden Bakterien immun gegen die wirksamsten Medikamente geworden sind. Als Folge sind die MedizinerInnen gezwungen, auf weniger wirksame Medikamente auszuweichen, die bis zu zwei Jahre lang eingenommen werden müssen und zu allem Überfluss eine ganze Reihe unbeschreiblich heftig Nebenwirkungen haben. Eines dieser Medikamente ist dafür verantwortlich, dass Phumeza jetzt taub ist.
Die zweite Geschichte hat sich im Dezember in London zugetragen und schlägt jetzt hohe mediale Wellen. Auf einer Branchenkonferenz hat der Vorstandsvorsitzende des Leverkusener Pharmariesen BAYER, Marijn Dekkers, nach dem hohen Preis für Krebs-Arznei NEXAVAR gefragt, folgendes gesagt: „Wir haben dieses Produkt nicht für den indischen Markt entwickelt (...) Wir haben es für westliche Patienten entwickelt, die es sich auch leisten können.“ Dieses Zitat hat, nachdem es später von einigen Onlinemedien aufgegriffen wurde, einen Sturm der Entrüstung in sozialen Medien wie Twitter und Facebook entfacht. Sogar der deutsche Botschafter in Indien sah sich gezwungen, sich von diesen Aussagen zu distanzieren.
Auch wenn beide Geschichten auf den ersten Blick nichts miteinander gemein haben, lassen sie sich doch auf eine ebenso einfache wie brutale Wahrheit reduzieren: ein Großteil der Pharmaindustrie arbeitet nicht für PatientInnen und deren Genesung, sondern für die eigenen AktionärInnen und deren Dividende. Es gibt keine wirksameren und sichereren Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose, weil diese Infektionskrankheit überwiegend Menschen betrifft, die keine hohe Kaufkraft haben. Für Pharmaunternehmen aber, und das zeigt Dekkers‘ Äußerung in überraschender Klarheit, sind diese Menschen als KonsumentInnen einfach nicht interessant.
Den Kern dieses fehlerhaften Systems bilden die Patente. Das Patentsystem, von dem auch die deutsche Industrie nicht müde wird zu behaupten, es sei die Vorbedingung für medizinische Innovation, versagt in der Realität auf ganzer Linie. Zum einen forschen private Konzerne nicht an den Krankheiten, die – weltweit gesehen – das meiste Leid verursachen, sondern an denen, die den größten Monopolgewinn versprechen. Dazu zählen Herz/Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, aber auch kosmetische Produkte oder „Lifestyle-Medikamente“ wie potenzsteigernde Mittel. Patente setzen hier einen falschen Anreiz.
Zum anderen sorgen die Marktmonopole, die die Unternehmen durch Patente gewinnen, dafür, dass sich Millionen von Menschen die lebensnotwendigen Medikamente nicht leisten können. Wie viel ist eine Innovation wert, wenn sie nicht die Menschen erreicht, die sie zum Überleben brauchen?
Dabei geht es auch anders. Längst gibt es Beispiele dafür wie über Produktentwicklungspartnerschaften oder in öffentlichen Forschungseinrichtungen effizient und effektiv medizinische Forschung stattfindet. Zu Kosten, die nur einen Bruchteil der Summe ausmachen, die die Privatwirtschaft als angebliche Entwicklungskosten angibt. Auf internationaler Ebene, zum Beispiel der Weltgesundheitsorganisation, wird längst über innovative Anreiz-Mechanismen gesprochen, die ganz ohne Patentmonopole auskommen und sich tatsächlich auf die globalen Gesundheitsbedürfnisse konzentrieren können. Passiert ist aber bislang nicht viel. Nicht zuletzt die Lobbymacht der Pharmaindustrie und die Interessen der reichen Industrieländer, in denen diese sitzen, haben mutigere Schritte bislang verhindert.
Die Erkenntnis, dass wir mit dem Patentsystem auf dem Holzweg sind, wird sich trotzdem früher oder später durchsetzen, und Zitate wie das von Dekkers werden der Vergangenheit angehören. Im Interesse von PatientInnen wie Phumeza bleibt zu hoffen, dass das eher früher als später passiert.