deutsch
english
francais
espanol
italiano
Spenden
Photo
Erlebnisbericht
Der Alternativgipfel war gut besucht
Unsere ständigen Begleiter
Immer wieder kommt es zu friedlichen Blockaden
Jede Menge los auf der Großdemo
Auch wir sind auf der Großdemo sichtbar
Spontane Tanzdemo
Abschlusskonzert mit Slime

Im Vorfeld des G20-Gipfels gab es jede Menge Kritik daran, einen solchen Gipfel in einer Großstadt zu veranstalten. Scholz, als erster Bürgermeister Hamburgs hatte noch im Juni dagegen gesagt: „Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“.
Aber wie war es wirklich in Hamburg? Was konnte man vor Ort erleben und waren es wirklich nur die Krawalle, die den Protest auszeichneten?
Neben den vielen aktiven Mitgliedern der Coordination gegen BAYER-Gefahren, waren wir auch mit zwei Personen von der Düsseldorfer Geschäftsstelle vor Ort. Was wir dort erlebt haben, wollen wir hier berichten. Natürlich ist auch unser Bericht subjektiv, aber er deckt sich mit vielen Erlebnissen anderer Gruppen und Personen.

Mittwoch/Donnerstag

Die Anfahrt

Wir hatten uns entschieden, mit dem Sonderzug zu fahren. Ein solches Projekt ermöglicht es vielen Menschen, zu günstigen Preisen an den Protesten teilzunehmen und wir fanden, dass dies unterstützt werden muss.
Unsere Abfahrt fand in Köln-Deutz statt. Als wir hörten, dass der Zug vier Stunden Verspätung hat, weil er durch Kontrollen massiv behindert wurde, ahnten wir zum ersten Mal Schlimmes. Tatsächlich kam der Zug dann mit einer Verspätung von etwas über zwei Stunden in Köln an. Die Stimmung war gut und man merkte, dass die Menschen ein Zeichen gegen die G20 setzen wollten. Und wie es so ist in einem Sonderzug von politisch Aktiven, es fanden viele Gespräche statt, auch wenn dem ein oder anderem mehr nach schlafen war, schließlich war es 3 Uhr Nachts.

Am Donnerstag kamen wir früh morgens in Hamburg an. Wir stiegen aus und wollten vom Gleis nach oben gehen, weil wir uns noch Tickets für den Hamburger ÖPNV brauchten. Doch an den Treppen standen schon Polizeiketten, die den Menschen den Zugang zum oberen Teil des Bahnhofs verwehrten. Wir hatten Glück. Die Polizei sortierte die Menschen nach bestimmten Stereotypen und wir passten wohl nicht in ihr Bild von „Linksextremen“. Wir konnten uns frei bewegen, die anderen wurden auf der Treppe festgehalten und später geschlossen aus dem HBF eskortiert. Mal eben was Kaltes zu trinken kaufen oder etwas essen war für diese Menschen, nach mehreren Stunden Zugfahrt, nicht möglich. Für uns war es eine Form der Freiheitsberaubung. Denn ein ersichtlicher Grund für dieses Verhalten lag nicht vor.

Am Bahnhof selbst waren wir umgeben von Einsatzkräften der Polizei. An jeder Ecke standen Polizeikräfte und Absperrungen. Schon jetzt kam uns Hamburg vor wie eine Festung.

Der Alternativgipfel

Wir machten uns aus diesem Grund direkt auf den Weg zum Alternativgipfel im Kulturzentrum Kampnagel. Hier erwartete uns das genaue Gegenprogramm zum Hauptbahnhof. Als wir ankamen war alles friedlich, die Sonne schien und wir schlenderten zum ersten Workshop, der etwas entfernt vom Kulturzentrum stattfand. Nirgendwo sahen wir Polizei. Vielleicht war es so extrem am Hauptbahnhof, weil es ein wichtiger Verkehrspunkt für Hamburg ist; dachten wir.
Beim Alternativgipfel nahmen wir an verschiedenen Workshops teil. Diese waren gut besucht und die Menschen beteiligten sich aktiv an den Debatten. Es war ein interessanter Austausch über anstehende Probleme. Im Kulturzentrum Kampnagel war ein Bild des Friedens vorzufinden. Verschiedene Generationen saßen im Freien und diskutierten oder genossen die Sonne. Im Kulturzentrum gab es eine Reihe von informativen Infoständen der verschiedensten Gruppen und Organisationen. In den großen Räumen fanden Podiumsdiskussionen statt.

Es fand ein reger Austausch statt. Friedlich, produktiv und informativ. Hier kamen wir unabhängig voneinander zum Gedanken, dass es vielleicht doch nicht so wild ist in Hamburg, wie es vorher propagiert wurde.

Fahrt zur Unterkunft und die „Welcome to Hell“-Demo

Wenn wir eines ganz gewiss nicht waren, dann Krawalltouristen. Deshalb waren wir froh, dass alles so friedlich wirkte. Unsere gute Stimmung änderte sich bald. Auf dem Weg zu unserer Unterkunft mitten auf der Reeperbahn sahen wir immer mehr Polizei. An jeder U-Bahnstation standen Polizisten, schwer gepanzert und bewaffnet. Auch wenn wir nicht ins Stereotype-Bild der Polizei passten, wurden wir genau beobachtet, wenn wir an Polizeikontrollen vorbeiliefen. Auf der Straße selbst sahen wir dann jede Menge Einsatzwagen, die entweder rumstanden oder mit Blaulicht umherfuhren. Wir sahen Hubschrauber über uns fliegen. Das gute Gefühl, welches wir auf dem Alternativgipfel hatten, war sehr schnell verflogen.
Wir beschlossen, erst einmal auf unser Zimmer zu gehen, um in den Nachrichten aktuelle Informationen zu erhalten. Die Bilder dort waren wenig beruhigend. Längere Zeit diskutierten wir, ob wir überhaupt zur „Welcome to Hell“-Demo gehen. Wir entschlossen uns dazu, dass wir uns an der Seite aufhalten und uns nicht in Gefahr bringen werden. Als wir am Fischmarkt ankamen waren wir einerseits begeistert, wie viele Menschen dort waren. Der gesamte Innenplatz war voll und die Stimmung war wirklich gut. Es gab Musik, kritische Redebeiträge und nicht eine Spur von Gewalt oder Provokation von Seiten der DemonstrantInnen. Andererseits waren wir beunruhigt, weil der Platz schon jetzt von der Polizei umstellt war. Und wir meinen keine Streifenpolizisten. Schwer gepanzerte Robocops mit Helmen, Schlagstock und Schusswaffe. Wir sahen Einsatzkräfte mit großen Pfefferspray-Kanistern. Wasserwerfer und Räumpanzer standen auch schon gut sichtbar um uns herum.

Zu diesem Zeitpunkt dachten wir, dass es aufgrund der großen Menge an verschiedensten Menschen es friedlich bleiben würde. Ein Irrtum. Die Polizei wurde immer martialischer in ihrem Auftritt und wir entfernten uns immer mehr von der Demo. Freunde von uns schafften es nicht, sich in Sicherheit zu bringen. Sie erzählten uns später, dass die Polizei von allen Seiten auf die Teilnehmer zu gerannt waren und die Menschen geschubst, getreten und geschlagen haben. Unsere Freunde konnten sich mit Mühe und Not zur Seite retten. Oberhalb von ihnen spritze der Wasserwerfer so hart in die Menge, dass einige Personen heftige Verletzungen erlitten.

Dieser brutale Übergriff wurde damit berechtigt, dass einige Teilnehmer sich vermummt hatten. Wir können diese Behauptung nicht bestätigen, da erstens viele ihre Vermummung nach der Aufforderung entfernten und zweitens kann eine Vermummung niemals Anlass für eine solche Gewalt sein. Von Seiten der TeilnehmerInnen gab es vor den Übergriffen der Polizei keine Gewalt, es gab keine bedrohliche Provokation.

Ich habe 2008 einen Überfall von Faschisten auf eine Demonstration miterlebt. Hier, wo wirklich Gewalt ausgeübt wurde, wurde nicht ansatzweise eine solche Polizeigewalt zelebriert, wie an diesem Tag in Hamburg für ein viel kleineres Vergehen.

Die Konsequenz dieser Situation war, dass Hamburg nun wirklich abgeriegelt wurde. Überall war Polizei. Und die BeamtInnen machten keinen Unterschied mehr zwischen offensichtlichen Autonomen und anderen Menschen. Wenn man gerade falsch stand, wurde man weggeschubst und beschimpft. Wir waren zu diesem Zeitpunkt seit fast 40 Stunden auf den Beinen und so entschieden wir uns, dass unsere Unterkunft der sicherste Ort sei. Sicher war er, aber schlafen war nicht möglich. Die ganze Nacht schwebten Hubschrauber über uns und Polizeisirenen waren zu hören. Wir recherchierten im Internet was genau passiert war. Viele Journalisten sprachen davon, dass die Provokation von der Polizei ausging. Wir sahen dies sehr ähnlich.

Freitag

Der nächste Tag

Ohne wirklich geschlafen zu haben, standen wir am Freitagmorgen wieder ganz früh auf. Unser erstes Ziel sollten die Landungsbrücken sein, doch von dort kamen schon weniger gute Nachrichten. Der Wasserwerfer sollte schon im Einsatz sein. Aus diesem Grund gingen wir Richtung Messe. Uns wurde zum ersten Mal klar, dass Hamburg verdammt viele kleine Gassen hat. Wir liefen endlos und irgendwann kamen wir an eine Absperrung, die Polizisten waren jedoch mit einer größeren Gruppe beschäftigt und so schlüpften wir einfach durch und waren mitten in der blauen Zone bzw. direkt an der Absperrung zur roten Zone. Doch unsere Begeisterung war nur kurz. Hinter dem Absperrgitter standen nicht nur jede Menge behelmte Polizisten (Darauf waren wir mittlerweile eingestellt), sondern auch Einsatzkräfte in Tarnuniform mit Maschinengewehren. Als diese Einsatzkräfte uns sahen, verschwanden sie hinter einem Bus und die Minen der anderen Polizisten wurden deutlich finsterer. Der Erste kam in unsere Richtung. Wir liefen zügig weiter und versuchten so schnell wie möglich zu verschwinden. Irgendwie kamen wir ohne Kontrolle aus der Situation.

Nur wenige Meter weiter standen wir wieder an einer Absperrung. Diesmal stand uns ein Wasserwerfer gegenüber. Eine einzelne Frau kletterte auf einem Polizeifahrzeug. Wir sahen wie sie von dem Gefährt per Wasserwerfer heruntergespült wurde. Dann schoss das Wasser auch in unsere Richtung, von oben kam ein zweiter Wasserwerfer und jede Menge Polizisten die sofort schubsten und zuschlugen. Auch hier war die Gewalt der Polizei völlig unverhältnismäßig. Alle waren friedlich und die einzelne Frau konnte unmöglich eine solche Bedrohung für schwer bewaffnete Polizisten sein, dass diese nur noch den Einsatz eines Wasserwerfers als mögliche Hilfe ansehen konnten.
Wir zogen uns zurück und tranken erst einmal einen Kaffee. Dort trafen wir auf eine kleine Gruppe von Journalisten, die offensichtlich ebenfalls schockiert und überfordert waren mit der Situation.

Nur einige Zeit später waren wir an einer anderen Absperrung, hier standen vier Wasserwerfer nebeneinander. Als eine größere Gruppe näher kam, wurden Warnungen von der Polizei durchgesagt. Doch gleichzeitig mit diesen Warnungen spritzte einer der Wasserwerfer eine Gruppe von Menschen an, die völlig unbeteiligt am Rand stand. Für uns wirkten diese völlig überrascht und geschockt. Sie machten eher den Eindruck als seien sie Touristen. Nachdem auch eine Drohung gegen die Straße, in der wir standen, ausgesprochen wurde, zogen wir uns vorsichtig zurück. Auch hier wurde ein Wasserwerfer eingesetzt, ohne dass es irgendeine Provokation gegeben hätte und zwar gegen jeden, der sich auch nur in der Nähe der Absperrung befand.

Wir versuchten nun irgendwie in einen sicheren Bereich zu kommen, um einmal Luft zu holen. Aber Diesen schien es nicht zu geben. Überall war Polizei und jede Gruppe, die in der Nähe auftauchte, wurde kontrolliert und drangsaliert. Besonders Gruppen, die offensichtlich dem Protest angehörten, wurden sofort an die Seite oder in Hauseingänge gedrängt, ohne dass sie irgendetwas getan hätten. Die Versammlungsfreiheit war in Hamburg abgeschafft worden.
Wir versuchten eine Abkürzung durch einen Park, doch plötzlich sahen wir, wie Polizisten eine große Menschenmenge durch den Park hetzten. Pfefferspray zog durch die Luft und Polizisten traten auf am Boden liegende Menschen ein. Wir rannten so schnell wir konnten aus dem Park und brachten uns in Sicherheit.
Eigentlich wollten wir an diesem Abend zu einer inhaltlichen Veranstaltung, denn dafür waren wir nach Hamburg gekommen, um mit anderen Menschen über Alternativen zum kapitalistischen System zu debattieren. Aber wir hatten keine Chance, das Gebiet zu verlassen. Um uns herum war Krieg. Straßen waren nun abgesperrt und wer sich auch nur näherte riskierte seine Gesundheit. Die Bahnverbindungen waren blockiert. Unsere Handys hatten keinen Empfang mehr. Diese Situation war bedrohlich und hat alles übertroffen, was ich bis dahin erlebt habe.
Dann mitten in der Nacht hörten wir einen riesigen Knall. An Böller hatten wir uns schon gewöhnt, aber dieser Knall war lauter, viel lauter. Später erfuhren wir, dass die Polizei Gasgranaten eingesetzt haben soll. In dieser Nacht haben wir auch kein Auge zugemacht.

Samstag

Die Großdemo

Nun endgültig übermüdet fuhren wir am nächsten Tag zum Treffpunkt der Demonstration gegen den G20-Gipfel. Das Bild war dasselbe wie jeden Tag zuvor. Überall Polizei. Schwer gepanzert, schwer bewaffnet.
Als wir die Menge an Menschen sahen, waren wir begeistert. So viele unterschiedliche Gruppen waren gekommen, um ein deutliches Zeichen gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu setzen. Zwar wurde der Beginn der Demonstration von der Polizei verzögert, dennoch setzte sie sich vorerst ohne Störung in Bewegung. Es war eine große Demonstration und eine bunte.
Wir waren einfach nur froh, dass alles friedlich war. Doch dann hörte ich ziemlich direkt hinter mir Geschrei. Hinter mir rannten Polizisten in die Demonstration und zogen mehrere Menschen in eine Seitenstraße. Andere Polizisten riegelten die Straße ab, so dass wir den Menschen nicht helfen konnten. Das einzige, was wir dachten, war: warum? Alles war friedlich, nichts aber auch gar nichts hat einen solchen Angriff gerechtfertigt und es ist der besonnen Reaktion der Demo-TeilnehmerInnen zu verdanken, dass diese Situation nicht wieder eskalierte. Die Polizei hatte jedoch genau dies zum Ziel.

Auf dem Kundgebungsort angekommen, war es ein riesiges Fest der Vielfalt. Es gab Infostände der Gruppen, Konzerte, Redebeiträge und vieles mehr. Es gab sogar etwas zu lachen, als die Polizei einen Demowagen sehr mühevoll eine Wiese hochschob und dieser dann Musik anschmiss, woraufhin eine spontane Tanzdemo entstand.

Als wir gerade zur nächsten Bühne unterwegs waren, hörten wir jedoch wieder Geschrei und sahen Menschen davonrennen. Was war passiert? Ein Wasserwerfer hatte eine Salve mitten in die Menge abgestrahlt, ohne Grund. Es war offensichtlich, dass die Polizei eine Eskalation wollte, aber die TeilnehmerInnen gaben ihnen diese Genugtuung nicht. Es blieb friedlich, und endlich rückte unser Anliegen in den Vordergrund und nicht die Gewalt.

Die Abreise

Die Demo war vorbei und wir wollten nur noch nach Hause. Doch auch die Abreise wurde zur Nervenprobe. Wir hatten uns schon gedacht, dass die Polizei unseren Zug nicht einfach abfahren lassen würde und so waren wir frühzeitig auf unserem Gleis. Es war zwar viel Polizei vor Ort, aber das war ja nicht unnormal in dieser Zeit. Plötzlich kamen aber mehrere Einsatzhundertschaften und riegelten den Zugang zum Bahnsteig ab. Uns forderten sie auf sich nach hinten auf den Bahnsteig zu begeben. Es kamen auch noch andere Züge auf dem Gleis an und so glaubten sie wohl, wir würden mit diesen Zügen fahren wollen. Als unser Zug kam, gingen wir zügig hinein. Dann hörten wir mehrere Gruppen kommen, sie wurden Abgefangen und Erkennungsdienstlich behandelt. Alle wurden abgefilmt, egal ob es konkrete Hinweise gab oder nicht. Es dauerte ewig. Immer wieder gingen Polizisten am Zug entlang und filmten die Menschen die im Zug saßen.
Dann kam die Nachricht, dass die Polizei den Zug zwingen wollte um 0.15 Uhr abzufahren. Jedoch waren die meisten noch nicht durch die Kontrolle. Am Ende konnten alle einsteigen und mitfahren.

Während der Zugfahrt wurden wir von einem Hubschrauber verfolgt und an den Bahnhöfen warteten schon weitere Polizisten auf uns.

Fazit

Wir haben immer wieder gehört, die Polizeistrategie wäre nicht aufgegangen und die Polizei wäre kopflos gewesen. Das können wir nicht bestätigen. Man hatte immer wieder das Gefühl, dass die Polizei sehr gezielt die Eskalation herbeigeführt hat. Man wollte den Bürgerkrieg und man hat ihn bekommen. Wozu dies dient, dürfen wir bestimmt in den nächsten Gesetzgebungsverfahren beobachten.

Es war eine erschreckende Stimmung und diese wurde von der Polizei erzeugt. Sie hat geschafft, dass unsere politischen Inhalte hinter der Gewalt verschwunden sind, nur dank einer riesigen Demonstration konnten wir ein Gegengewicht bilden.
Wir auf jeden Fall sind nach Hamburg gefahren, um uns auszutauschen und um mit anderen Menschen zu diskutieren. Die Gewalt wurde uns aufgezwungen von einer Staatsmacht, die den Aufstand proben wollte.