SWB 04/98

Bundeskanzler Gerhard Schröder:

Der Genosse der Bosse

BAYER und die gesamte deutsche Industrie haben allen Grund, mit der neuen Bundesregierung zufrieden zu sein. Zwar mögen einige, in "grünen" Ohren nett klingende Formulierungen wie "Ökologie", "umweltgerecht" oder "nachhaltig" für Konzernherren noch gewöhnungsbedürftig sein. Doch bei genauerer Betrachtung des Koalitionsvertrages wird offenbar, daß Schröder, Fischer und Co sich mit dem Kapital in diesem Lande gut stellen wollen. Der Bundeskanzler hat in einem Fernsehinterview offen zugegeben, daß er "natürlich keine Reformen gegen die Wirtschaft" vornehmen werde. So ist denn auch die Kritik von BAYER-Chef Schneider und anderen Vorstandsvorsitzenden eher verhalten. Denn im Grunde ist Auto-Mann Schröder der rechte (!) Mann zur rechten Zeit. Die Kohl'sche Aussitz-Taktik hat dem Standort Deutschland zum Schluß eher geschadet als genützt. Und die von der neuen Regierung unter dem Stichwort "Bündnis für Arbeit" angestrebte weitere Flexibilisierung der Arbeit mit Zustimmung der Gewerkschaften dürfte genau nach dem Geschmack der großen Konzernlenker sein. Ebenso wie die in der Koalitionsvereinbarung zum Thema "ökologische Steuerreform" beschlossene Entlastung der Industrie. Die beabsichtigte Senkung der Lohnnebenkosten - sowie die Senkung von Spitzensteuer-
satz und Körperschaftssteuer - kommen nämlich ausschließlich den Arbeitgebern zugute, weil die Verteuerung der Energie für Großunter-
nehmen bis auf weiteres verschoben wird. Wörtlich heißt es: "Wegen der noch ausstehenden europäischen Harmonisierung der Energiebe-
steuerung wird ... die energieintensive Wirtschaft bei Heizöl, Gas und Strom nicht belastet."

Auch der Ausstieg aus der Atomindustrie wurde bis auf weiteres verschoben. "Gemeinsam mit der Energiewirtschaft sollen die Weichen gestellt werden für den Weg zu einem neuen, zukunftsfähigen Energiemix ohne Atomkraft", heißt es im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen. Und was, wenn sich RWE und SIEMENS querstellen? Der nächste Castor-Transport wird aller Wahrscheinlichkeit nach vom grünen "Umwelt"-Minister Trittin angeordnet werden.

Der ehemalige Fundi konnte auch den Vormarsch der Gentechnik nicht verhindern. "Die modernen Methoden der Bio- und Gentechnologie sind in der Grundlagenforschung und angewandten Forschung weltweit etabliert, ihr Einsatz in der Medizin, wo sie die Entwicklung und Produktion neuer Impfstoffe und Medikamente ermöglichen, findet wachsende Akzeptanz", meinen die Regierungspartner. Schließlich: "Biotechnologische Verfahren eröffnen auch neue Möglichkeiten und Chancen." Deshalb werde die neue Bundesregierung die "verantwortbaren Innovationspotentiale der Bio- und Gentechnologie systematisch weiterentwickeln". Selbst "Freilandversuche" sind kein Tabu mehr. Sie sollen lediglich "in einem Langzeit-Monitoring wissenschaftlich begleitet werden", eine Forderung, die jedes in diesem Bereich tätige Unternehmen unschwer erfüllen kann. BAYER, weltweit eine der führenden Genschmieden, will nach jahrelanger Abwanderung ins Ausland nun auch in Deutschland mit der hoch riskanten neuen Technologie produzieren.

Nicht einmal in der Verkehrspolitik - Herzstück grüner Parteiprogramme - werden bahnbrechende Umwälzungen stattfinden. Denn "eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands von zentraler Bedeutung", formulieren die neuen Regierungspartner ohne Umschweife. Tempolimit? Fehlanzeige! VW-Aufsichtsrat Schröder hat sogar den freien Flug für den freien Bürger durchgesetzt: "Der Luftverkehr ist zur Sicherung der Mobilität notwendig. Deutschland wird an der Entwicklung des Weltluftverkehrs weiterhin beteiligt bleiben."

Lediglich die neue Gesundheitspoltitik dürfte BAYER-Chef Schneider ein wenig Kopfzerbrechen bereiten. Denn Rot-Grün will noch einmal probieren, was BAYER & Co im Kampf gegen Ex-Minister Seehofer (CSU) bereits verhindert hatte: eine "Neuordnung des Arzneimittel-
marktes" mit Hilfe der "Positivliste" und Re-Importen. Doch ob eine grüne Gesundheitsministerin sich gegen die Allmacht der Pharmalobby durchsetzen will und kann, bleibt mehr als zweifelhaft.

Was also ist zu halten, vom verhaltenen Gejammer der Industrie über die neue Bundesregierung? Nichts, rein gar nichts. Schröder ist der Genosse der Bosse, sonst wäre er nicht Kanzler geworden, in diesem, unserem Lande.

Hubert Ostendorf

Die alten Forderungen der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN jetzt auch an die neue Bundesregierung:

* Ausstieg aus der Chlorchemie.
* Ausstieg aus der Atomenergie
* Verbot der Gentechnik
* Verbot von Tierversuchen
* Sichere Arbeitsplätze, sichere Produktion, sichere Produkte
* Gesetz zur gerechten Bezahlung von Arbeit - weltweit
* Gesetz zur Einrichtung von Entschädigungsfonds durch die Industrie für
   Industrieopfer
* Gesetz zur Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen durch die
   Industrie