SWB 04/00

Schafe als Arznei-Fabriken

Von Jan Pehrke

"Doing drugs the milky way" - das verheißt den Managern der Firma Bayer Gewinne in Millionen- Höhe. Der Leverkusener Chemie-Multi schloss erneut einen Kooperationsvertrag mit der schottischen Firma PPL, den Schöpfern des Klonschafes Dolly und des transgenen Schafes Tracy. Auf den "Bio-Reaktor" Tracy, der in seinem genmanipulierten Euter das Pharma-Protein Alpha-1-Antitrypsin (AAT) produziert, hat es der Konzern hauptsächlich abgesehen - tierrechtliche, ethische und medizinische Einwände gegen das so genannte Gene Pharming müssen zurückstehen.

Dabei ist die Gewinnung des Pharma-Proteins AAT zur Behandlung von Lungenkrankheiten aus Schafsmilch - statt wie bisher aus menschlichem Blutplasma - ein schmutziges Geschäft.

Über 100 Tiere "verbrauchten" die Genforscher von PPL, bis es gelang, ein Eiweiß produzierendes menschliches Gen in den Euter eines Schafes zu schleusen, von wo aus der Arznei-Rohstoff abgemolken werden kann. Das bedeutet: Über 100 Schafe mussten sich einer Hormon-Behandlung unterziehen, einen chirurgischen Eingriff zur Ei-Entnahme überstehen und einen Embryo-Transfer über sich ergehen lassen. Als ebenso aufwändig und zeitraubend erwiesen sich die Versuche, das lukrative Merkmal weiterzuvererben.

Es müsste doch gelingen, den Prototyp Tracy mittels Gentechnik in Serie zu produzieren, sagte sich daher der schottische Genforscher Ian Wilmut und machte sich ans Werk. Er entwickelte ein entsprechendes Verfahren und verkaufte es dem Roslin Institute, das die Kooperation mit PPL suchte. Am 27. Februar 1997 wurde der Alptraum dann Wirklichkeit. PPL präsentierte der Öffentlichkeit mit dem Schaf Dolly das erste klonierte Lebewesen der Welt.

Aber auch die "konventionelle" transgene Technik machte im schottischen Edinburgh Fortschritte. Im Jahr 2000 trat das von Tracy & Co. produzierte Pharma-Protein in eine fortgeschrittene Stufe der klinischen Testphase ein, und die Frankenstein GmbH kaufte vorsorglich schon einmal Weidegrund für eine aus 2.000 "Bio-Reaktoren" bestehende Arzneimittelfabrik im Schafspelz. Das brachte die Firma Bayer ins Spiel: Die Aussicht, in vier Jahren der erste Pillen-Produzent zu sein, der ein Gene-Pharming-Mittel im Sortiment hat, ließ der Multi sich 25 Millionen Dollar kosten. Zusätzliche 15 Millionen sicherte er PPL bei weiteren Fortschritten zu. Eine Investition, die sich zu lohnen verspricht, denn Fachleute prognostizieren AAT ein Umsatz-Potenzial von jährlich 100 Mio. Dollar.

Wie die Produkteinführungs- kampagne aussehen wird, ist jetzt schon klar. Der Konzern wird seine Pharma-GAUs der Vergangenheit als Argument für den Einstieg in die Risiko-Technologie der Zukunft nutzen und behaupten, dass Pharma-Produkte aus Schafsmilch nicht wie die aus menschlichem Blutplasma mit Krankheitserregern infiziert sein können und deshalb eine sichere Alternative darstellen. Tatsächlich hatten Blutprodukte von Bayer, die mit dem HIV-Virus verseucht waren, Tausende von Blutern das Leben gekostet.

Tatsächlich auch hat der Konzern 1997 in den USA Chargen seines aus Blutplasma gewonnenen AAT-Präparates Prolastin zurückgerufen, weil in einigen Präparaten der Erreger der Creutzfeldt-Jacob-Krankheit nachgewiesen wurde. Aber es war weder das Blut noch das Herstellungsverfahren, was die Gesundheit der PatientInnen gefährdete. Es war die Profitgier des Konzerns. Sie trieb ihn nämlich dazu, aus Kostengründen darauf zu verzichten, das Blutplasma Virus-Testverfahren bzw. feineren Filterungsprozessen zu unterziehen.

So wenig die aus Blutplasma hergestellten Pharma-Proteine ein Gesundheitsrisiko darstellen müssen, so wenig gewährleisten aus Schafsmilch gewonnene eine absolute Arzneimittel-Sicherheit. Nicht mehr AIDS- oder Hepatitis C-Erreger stellen nunmehr die Gefahr dar, sondern beispielsweise die Viren der bei Schafen häufig auftretenden Traberkrankheit. Eine zusätzliche Gefährdung geht von den ca. 60 Schafsproteinen aus, die die Milch enthält. Gelangt nur eines davon in den menschlichen Organismus - und selbst umfangreiche Filterungs- und Reinigungsprozeduren bieten keine Gewähr dagegen - , kann es zu einer das Immunsystem überfordernden Abwehrreaktion kommen. Darüber hinaus entspricht das Gentech-AAT dem menschlichen Eiweiß nicht komplett. Die Genforscher spritzen nämlich bis zu 1.000 Gene in einen Embryo, weshalb diese sich unregelmäßig und in unterschiedlicher Konzentration im Erbgut verteilen. Als Folge davon ist die Beschaffenheit des von ihnen produzierten AATs Schwankungen unterworfen, was ihre pharmazeutische Berechenbarkeit erschwert. Die "unerklärlichen Nebenwirkungen", die den Pharma-Riesen Upjohn Anfang der 90er Jahre bewogen, die klinischen Tests mit dem Blutfarbstoff Hämoglobin, erzeugt von transgenen Rindern, abzubrechen, sind also alles andere als "unerklärlich".

Wie es den Tieren ergeht, die zu Pharma-Fabriken oder Test-Objekten auf vier Beinen instrumentaliert werden, interessiert die Arzneimittel-Industrie nicht, solange sie ihrer Fremdbestimmung in zufrieden stellender Weise nachkommen. Im Wuppertaler Pharmaforschungszentrum von Bayer ist Leiden der einzige Daseinsgrund der transgenen Mäuse. Die Wissenschaftler haben sie mit einem Gen zur Erhöhung des Blutfettspiegels krank gemacht, um Cholesterin-Senker an ihnen auszuprobieren. Tracy und ihre Nachkommen haben andere Strapazen zu überstehen. Viele erleiden Früh- oder Totgeburten, untrügliches Zeichen dafür, dass der Fremdkörper "Humaneiweiß" den Stoffwechsel der Tiere durcheinander bringt. Den Wissenschaftlern gelingt es nämlich nicht immer, das Protein-Gen punktgenau in den Euter zu verfrachten, was durch die Koppelung an ein Schafsprotein, das die Milch-Produktion steuert, gewährleistet sein sollte. Deshalb dringt es auch in andere Organe vor und produziert dort fleißig und planlos AAT, worauf wiederum die körpereigenen Eiweiße reagieren. Im Euter selbst bringt das menschliche Erbgut bei einigen Tiere die biologische Uhr aus dem Takt. Der Rhythmus der Milchproduktion ändert sich, weil die Proteine Einfluss auf die Milchdrüsen nehmen. Zudem bewirken sie manchmal ein Aufflocken der Milch. Dieses lässt die Zitzen verstopfen und macht ein Melken unmöglich. Welche langfristigen Folgen die Genmanipulation für die Tiere hat, ist noch gar nicht absehbar.

Absehbar hingegen ist, dass das Gene Pharming weder pharmazeutische noch die Arzneimittel-Sicherheit betreffende Vorteile besitzt. Die Gentechnologie bestätigt also wieder einmal ihren Ruf, eine reine Rationalisierungstechnologie zu sein. Bayer & Co. erschaffen Kreaturen nach ihrem Geschäftsplan und beanspruchen auf diese armen Zwitterwesen als "eigene Erfindungen" auch noch ein patentrechtlich geschütztes Eigentumsrecht.