SWB 03/2002

„Schuldig ist die Industrie“

Das LIPOBAY-Desaster

Von Hubert Ostendorf (u. a. nach einem ARD-Film vom 25.5.02)

„Es kam zu einem Muskelzer-
fall, der sich dramatisch ent-
wickelte, bis hin zu akutem Nierenversagen.“ So schildern Angehörige von Opfern des BAYER-Lipidsenkers LIPOBAY die oft tödlichen Nebenwir-
kungen. Später sei es noch zu Nierenversagen gekommen. Der Vater, der vorher sein Leben selbständig und erfolg-
reich gemeistert hat: ein Pflegefall. „Jetzt ist einfach alles kaputt“, klagt die Ehefrau.

BAYER hatte die Zulassung von LIPOBAY für den europä-
ischen Markt ganz bewusst nicht bei der staatlichen deutschen Prüfbehörde in Bonn beantragt. Er war dafür eigens nach London zur Medical Control Agency (MCA) gegangen, weil bekannter-

maßen dort von einem erleichterten Verfahren ausgegangen wird.
Im vereinten Europa sei so etwas ganz normal, betont der Konzern.
Der Standard sei in allen europäischen Behörden gleich.

Dazu der Pharmakologe Prof. Peter Schönhöfer: „Die britische Zulassungsbehörde ist privatisiert. Sie finanziert sich aus den Einnahmen der Antragssteller. Und deshalb ist sie freundlicher gegenüber Antragsstellern als eine staatliche Behörde.“

Sehr zum Nutzen der Pharmamultis: LIPOBAY entwickelte sich in der kurzen Zeit, in der das Mittel auf dem Markt war, geradezu zu einer Gewinnrakete. Allein im letzten halben Jahr vor der unfreiwillig- freiwilligen Rücknahme brachten die Pillen in den Apotheken sämtlicher Länder einen Gesamtumsatz von 522 Mio. Euro. LIPOBAY war BAYERs bestverkauftes Mittel. Der Apotheker Jörg-Michael Protzen: „LIPOBAY ist sehr viel verordnet worden und in der kurzen Zeit, in der es auf dem Markt war, war es das am meisten verordnete Medikament von BAYER.“ Und: LIPOBAY war ein weltweites Geschäft. Kein Wunder: In den USA haben rund 54 Mio. Menschen 30 Pfund und mehr Übergewicht. 13 Mio. leiden an Herzkrankheiten, in den Vereinigten Staaten Killer Nummer eins. Es gibt sogar ein nationales Cholesterin-Erziehungsprogramm. In Amerika sind Cholesterinsenker ein Superbusiness. Und in diesen gigantischen Markt wollte auch BAYER mit seinem LIPOBAY. Doch die Konkurrenz ist hart.

Im Juli 1997 gibt die amerikanische Genehmigungsbehörde (FDA) grünes Licht für BAYERs Cholesterinsenker. In den Zulassungsunter-
lagen aber steht die Warnung, BAYER solle das Medikament nicht stärker dosieren. Es heißt wörtlich: „Es besteht die Besorgnis, dass die Dosissteigerung beim Menschen bedrohliche Schädigungen auslöst.“ Die US-Behörde beruft sich auf Tierversuche, die BAYER selbst durch-
geführt hat. Die Protokolle dieser Laborquälereien an Hunden und Ratten hätten gezeigt, wie gefährlich eine höhere Dosis sein kann.
Bei den Tieren ist es zu schwerwiegenden Organveränderungen am Herzmuskel, aber auch an anderen Muskeln gekommen – eine lebensbedrohliche „Nebenwirkung“, die später auch beim Menschen beobachtet wurde. Fazit: BAYER hatte sehr früh eine Erkenntnis über die Schadenspotenziale des Mittels. Doch immer dann, wenn Tierversuche sich nicht zum Vorteil des Konzerns interpretieren lassen, werden sie einfach ignoriert. So geschehen bei den Studien zu dem Diuretikum EDRUL. Die Verabreichung an Tiere hatte ergeben, dass die harntreibende Substanz Nierenversagen auslösen kann. BAYER nahm dieses Ergebnis nicht zur Kenntnis und erwirkte die Zulassung mit der Folge, dass viele PatientInnen dialysepflichtig wurden. Schon EDRUL wurde „freiwillig“ vom Markt genommen.

Zur früh absehbaren Gefahr von LIPOBAY heißt es bei BAYER heute lapidar und kaltschnäuzig: „Die zitierte Passage (aus dem Protokoll der Tierversuche) ist aus dem Zusammenhang gerissen.“

Trotz massiver Bedenken und entgegen eigener Warnungen genehmigt die amerikanische Zulassungsbehörde im Sommer 2000 BAYERs Blockbuster unter dem US-Namen BAYCOL - mit der hohen Dosierung. Grundlage ist eine zweifelhafte PatientInnenstudie, an der auch vier amerikanische Wissenschaftler mitgewirkt haben. Quintessenz der wissenschaftlichen Auftragsarbeit: BAYCOL werde auch in der hohen Dosierung gut vertragen, die Nebenwirkungen seien vertretbar. Die FDA ist nach den Todesfällen durch BAYCOL massiv unter Druck geraten, weigert sich aber dennoch trotz vielfacher Medienanfragen, eine Erklärung abzugeben. Der Gesundheitsexperte Sidney Wolfe wirft der Behörde vor, „in den letzten fünf oder sechs Jahren schwere Fehler“ begangen zu haben. Wolfe wörtlich: „Viele gute Wissenschaftler der FDA haben entmutigt aufgegeben, weil ihre Warnungen nicht ernst genommen wurden. Doch der eigentliche Schuldige bleibt die Industrie.“

Der Pharmakologe Prof. Ulrich Schwabe behauptet schließlich, BAYER habe auch die Ergebnisse der eigenen PatientenInnenstudie mit 800 menschlichen Versuchskaninchen ignoriert. Bei knapp 10% von ihnen wurde die Muskulatur geschädigt – etwa zehn mal mehr als bei herkömmlichen Cholesterinsenkern. Schwabe erbost: „Daraus kann man erkennen, dass das Risiko von BAYCOL etwa zehn mal höher war.“
Und: „BAYER hätte das von vornherein wissen können.“

Nach dem Rückzug von BAYCOL wurde amtlich, was vorher schon hätte bekannt sein können: Die Zulassungsbehörde musste eingestehen, dass tödliche Muskelzerstörungen bei Einnahme von BAYCOL 10 bis 50 mal häufiger vorkommen als bei anderen ähnlich wirkenden Mitteln. Doch BAYER-Anwalt Philip S. Beck redet seinen Mandanten fadenscheinig aus dem Skandal heraus: „BAYER hatte doch in den Informationen für Ärzte und Patienten immer empfohlen, mit der niedrigen Dosierung anzufangen. ... Leider haben einige diese Empfehlung nicht befolgt.“ Eine zynische Aussage angesichts vielfacher Todesfälle, die zudem noch falsch ist. Denn die Patientin Georgia May Affolter, die sich genau an die Dosierungshinweise gehalten hatte, ist dennoch an den Folgen der Einnahme von BAYCOL gestorben. Dabei war sie vorher völlig gesund, stand mitten im Leben, fuhr mit dem Auto einkaufen, versorgte den Haushalt und ihren Sohn. Nachdem ihr Arzt die Dosierung von BAYCOL erhöht hatte ging alles sehr schnell. Frau Affolter konnte zunächst nicht mehr stehen, wurde dann bettlägerig und war schließlich gelähmt. Zum Schluss konnte sie nicht einmal mehr ihren Arm bewegen oder sprechen. In der Todesurkunde des Lutherischen Krankenhauses von Alleynoy steht: „Tod nach Muskelschwund durch Medikamente.“

Mittlerweile haben allein in den USA mehr als hundert Anwaltskanzleien den BAYER-Konzern im Visier. Sie vertreten an die 50.000 geschädigte Mandanten; fast 700 Klagen sind bereits eingereicht. Opferanwalt Charles S. Zimmermann: „Wir wollen BAYER nicht in die Pleite treiben. BAYER muss den Geschädigten aber eine vernünftige Summe zahlen.“ Kollege Kenneth B. Moll wird konkreter. Zwei bis fünf Millionen Dollar je Todesfall seien für den Anfang nicht zuviel. Moll wörtlich: „Was veranschlagen wir für eine 75-jährige Frau, die völlig gesund war und dann wegen BAYCOL starb? Wie viel für einen 55-jährigen Vater von fünf Kindern?“
 

Tod inklusive

BAYER, AIDS und andere Skandale

(ho). Tödliche Nebenwirkungen von BAYER-Medikamenten sind an der Tagesordnung. An den Folgen von ASPIRIN – in aller Welt prophylaktisch gegen Herzinfarkt und gegen Kopfweh wie Bonbons geschluckt – sterben mehr Menschen als an AIDS, bzw. das, was dafür ausgegeben wird. (Zur Kritik der gängigen AIDS-Theorie schicken wir Ihnen gerne auf Anfrage ein Manuskript unseres Mitglieds Dr. Stephan Lanka: 0211/333911.) Ausgerechnet das BAYER-Herzmittel ADALAT erhöht einer US-Studie zufolge das Risiko, an Herzversagen zu sterben. In dem Kassenschlager KOGENATE zur Behandlung der Bluterkrankheit wurde, als er noch nicht mit Hilfe der zweifelhaften Gentechnik sondern aus menschlichem Blut hergestellt wurde, HIV nachgewiesen. Wie mehrfach berichtet, waren auch hier die Risiken vorzeitig bekannt, BAYER drückte trotzdem noch vorhandene Chargen mit aller Gewalt in den Markt – Tausende starben eines schrecklichen Todes. „Medikamentenskandale wird es so lange geben, wie die Motivation zur Herstellung eines Mittels einzig der Profit ist“, so Axel Köhler-Schnura, Vorstandsmitglied der Coordination gegen BAYER-Gefahren.
Und: „Wir brauchen ein demokratisch kontrolliertes Gesundheitswesen, was eine Entmachtung der Konzerne impliziert.“