SWB 03/2002

NUVIVA kommt auf den US-Markt

BAYERs neue Sex-Droge

Von Jan Pehrke

Für den Herbst 2002 erwartet der BAYER-Konzern die Zulassung seines Potenzstörungsmittels NUVIVA in den USA. Vom Erfolg dieses Lifestyle- Präparates hängt nach dem LIPOBAY-Desaster die Zukunft der gesamten Pharma-Sparte ab. Deshalb bewirbt der Leverkusener Chemie-Multi das Produkt derart aggressiv, dass die US-Gesundheits-
behörde FDA bereits eine Verwarnung aussprach. Risiken und Nebenwirkungen verharmlost das Unternehmen dabei natürlich.

Wo der bevorzugte Kundenstamm von BAYERs Potenzpräparat NUVIVA zu finden sein wird, zeigte sich schon während des Genehmi-
gungsverfahrens: in Swinger-Clubs, Fitness-Studios und Diskotheken. Dort nämlich verkauften Händler das Potenzmittel, das Leiharbeiter aus dem Leverkusener Labor entwendet hatten, für 10 bis 50 Euro das Stück. ”Die Pille hat schon vor ihrer Markt-Einführung bewiesen, dass sie eine echte Party-Droge ist”, kommentierte der Kölner Stadtanzeiger.

Als einen Party-Service betreibende Dealer wollen sich die BAYER-
Manager nicht verstanden wissen, andererseits tun sie alles, um den potenziellen Abnehmer-Kreis für NUVIVA möglichst groß zu halten. Sie zitieren Schätzungen, nach denen jeder zweite Mann über 40 Jahre an Erektionsstörungen leidet. Wer nicht zu jeder Zeit, an jedem Ort, unter allen Umständen ”kann”, der gilt ihnen als behandlungsbedürftig. Diesem ”erweiterten Krankheitsbegriff” verdanken die Lifestyle-Medikamente ihre Milliarden-Erträge. VIAGRA ist die erfolgreichste ”Arznei” in der Geschichte der Pharmazie. Im Jahr 2000 machte Hersteller PFIZER damit einen Umsatz von 1,3 Mrd. Dollar. NUVIVA soll mit 1 Mrd. Euro Umsatz auch BAYERs neuer Top-Seller werden und sogar ASPIRIN (640 Mio. Euro) überflügeln. Nach ExpertInnen-Meinung werden die erhofften Profite dabei nicht zu Lasten VIAGRAs gehen; sie rechnen mit einem durch die millionenschweren Produkteinführungskampagnen für NUVIVA und ELI LILLYs Potenz-Pille CIALIS nochmals erweiterten Krankheitsbegriff und einer insgesamt steigenden Zahl von Verordnungen. Über den Preis beabsichtigt der Leverkusener Chemie- Multi schon einmal nicht in Konkurrenz zum PFIZER-Produkt zu treten. NUVIVA wird in etwa genauso viel kosten und damit ebenfalls 13-mal so teuer wie reines Gold sein.

Bedauerlicherweise dürfte die Pille so manchem Mann auch Gold wert sein. Sie passt perfekt in eine Zeit, in welcher der eigene Körper nicht mehr Schicksal ist, sondern eine permanentem Perfektionsdrang unterworfene, teure Dauer-Baustelle. Wo schon Teenies für ihre Brust-Operation sparen und die Zukunftsvisionen der Gentechnik den perfekten Körper schon ”ab Werk” versprechen, da lässt Mann sich auch ein bisschen mehr Manneskraft gerne etwas kosten.

Die US-Autorin Erica Jong bezeichnet VIAGRA als das ”perfekte amerikanische Medikament”, weil es Männer glauben macht, perfekter Sex hänge von einem perfekt funktionierendem Geschlechtsorgan ab, das ein erfülltes Liebesleben unabhängig vom Alter verheißt. Eigentlich unabhängig von allem: von Alter, Krankheit, psychischen Problemen, dem Befinden der Partnerin und etwaigem Beziehungsstress. Nicht mehr ein äußerer Reiz löst nämlich die Reaktion aus - oder eben auch nicht -, sondern die Chemie. Die stimmt auch dann, wenn sonst nichts stimmt, und ihre Wirkung hält zudem noch über das menschliche Maß der sexuellen Interaktion hinaus an. ”Sogar nach dem Orgasmus blieb die Erektion bestehen”, schwärmte ein 25-Jähriger Bodybuilder in der Bild-Zeitung. Erotik wird berechenbar, beliebig einsetzbar und verliert somit ihre Macht, schrieb Annette Pfeiffer in der Stuttgarter Zeitung:
”Die Liebe macht mit den Menschen nicht mehr, was sie will. Umgekehrt soll es werden: der Mensch macht mit der Liebe, was er will.”

Grenzenlose Verfügungsgewalt und Machismo auf Rezept - in Frage zu stellen braucht sich die angeknackste Männer-Seele damit nicht mehr. Auch bei psychisch bedingter ”erektiler Dysfunktion” hilft VIAGRA, behauptet PFIZER. BAYER leugnet dagegen das Zusammenspiel von Körper und Seele bei Problemen im Bett weitgehend. ”Durch verbesserte Diagnose-Methoden lassen sich heute bei fast 70 Prozent der betroffenen Männer organische Ursachen nachweisen”, heißt es in der Konzern-Postille "direkt". Psycho-Therapien will man ja schließlich auch nicht verkaufen.

Doch die Potenz-Pillen geben nicht nur Anlass zur Liebeskultur-Kritik. Von ihnen gehen erhebliche Gesundheitsrisiken aus - bis hin zum Tod. Organische bedingte erektile Dysfunktion ist nämlich oftmals nur das Symptom von Diabetes oder Herz/Kreislauf-Erkrankungen, weshalb Potenzstörungsmittel einnehmende Patienten zu einer Risiko-Gruppe gehören. Der NUVIVA-Wirkstoff Vardenafil gehört wie der VIAGRA- Wirkstoff Sildenafil zur Arznei-Gruppe der PDE-5-Inhibitoren, der Phosphodiesterase-5-Hemmer. Das Enzym Phosphodiesterase zersetzt im Körper das gefäßerweiternde Guanosinmonophosphat. Wird es daran gehindert, dehnen sich die Gefäße anhaltender aus. Nicht nur im Penis kann mehr Blut durch sie hindurchfließen, und der Blutdruck senkt sich.

NUVIVA & Co. hemmen aber auch die Aktivität anderer PDE-Gruppen, z. B. die des PDE-6, das in der Netzhaut für die korrekte Lichtüber-
tragung sorgt. Deshalb wird so manchem VIAGRA-Schlucker blau vor Augen. Mit NUVIVA passiert das nicht oder weit seltener, auch andere Nebenwirkungen treten weniger oft auf, behaupten die BAYER- ForscherInnen. Das neue Potenz-Präparat geht angeblich selektiver vor und kommt aus diesem Grund mit einer geringeren Wirkstoff-Menge aus. Immerhin reicht sie noch, um bei 17,5 Prozent der Probanden Kopfschmerzen auszulösen, bei 11 Prozent plötzliche Hitze-Wallungen, bei drei Prozent ein Anschwellen der Nasenschleimhäute und bei einem Prozent Verdauungsstörungen. Konzern-Sprecherin Christiane Sehnert ergänzt die Liste noch um Muskelschmerzen, Sodbrennen und Hautrötungen. Unabhängige Untersuchungen hätten aller Erfahrungen nach sicherlich noch gravierendere Gegen-Anzeigen festgestellt.

Auch Kombinationswirkungen mit anderen Arzneien treten auf. Nehmen Test-Personen NUVIVA gemeinsam mit Nitroglyzerin-haltigen Herzmitteln ein, so potenziert sich der blutdrucksenkende Effekt beider Präparate in Besorgnis erregendem Maße. Der systolische Wert sinkt um bis zu 42 mm Hg (durchschnittlich um 20,9 mm Hg), der diastolische um bis zu 33 mm Hg (durchschnittlich um 17,9 mm Hg). Der Puls erhöht sich um bis zu 27 Schläge die Minute (durchschnittlich um 15,6). Aus diesem Grund darf weder NUVIVA noch VIAGRA gemeinsam mit den entsprechenden Herz-Medikamenten verabreicht werden. VIAGRA- Hersteller PFIZER hat sogar alle Not-ÄrztInnen der USA in einem Brief aufgefordert, bei ihren Rettungseinsätzen vor der Gabe von Nitroglyzerin- Stoffen zu prüfen, ob der Betroffene VIAGRA nimmt. Das wird im Einzelfall nicht leicht sein und behindert zudem die Arbeit der Mediziner, bei der es oftmals auf Sekunden ankommt.

Manchmal wissen die Potenzpillen-Nutzer selber nicht, wie gefährdet sie eigentlich sind. So erging es einem 71-Jährigen Bremer Rentner.
Er hatte wegen seiner Potenz-Störungen einen Arzt aufgesucht. Dieser hat ihm nach einer vorsorglichen Herz-Untersuchung VIAGRA verschrie-
ben. Wenig später starb der Mann. Mediziner stellten fest, dass seine Arterien verkalkt waren, VIAGRA seinen Kreislauf aus diesem Grund überstrapazierte und einen Herz-Stillstand auslöste. Nur weil der Rentner in einem öffentlichen Gebäude starb und der Gesetzgeber in solchen Fällen eine Obduktion vorschreibt, entdeckten die Ärzte VIAGRA als Todesursache. Nach Schätzungen des Bremer Pharmakologen Peter Schönhöfer liegt die Todesrate deshalb um den Faktor 25-100 höher als offiziell bekannt. Allein schon die amtlichen Statistiken zählten bis Juli 1999 564 VIAGRA-Tote. Anfangs dokumentierte die US-Gesundheits-
behörde FDA sie noch auf ihrer Homepage. Bei einem Stand von 240 hat sie dies jedoch ohne Kommentar eingestellt. Schon in den Zulassungsunterlagen finden sich Angaben über 20 Sterbefälle in der 4.000 Probanden umfassenden Gruppe gegenüber zwei in der Placebo-Gruppe, Schönhöfer zufolge allerdings sorgsam unter einem Daten-Wust versteckt. Amtlich ist das Risiko auf 49 Tote pro eine Million Verschreibungen taxiert.

Wie es mit dem Gefährdungspotenzial von NUVIVA aussieht, darüber können die klinischen Tests keine Aussagen treffen, weil sie nicht eine Million, sondern nur 580 Teilnehmer hatten. Aus dem selben Grund war schon die lebensgefährliche Wirkung von BAYERs Cholesterin-Senker LIPOBAY unentdeckt geblieben.

Den Pharma-Riesen schert das alles wenig. Schon vor der erwarteten NUVIVA-Zulassung rührte er auf Urologen-Kongressen kräftig die Werbe-Trommel und überschritt dabei die Grenzen des Erlaubten. Die FDA untersagte BAYER, weiterhin zu behaupten ”Vardenafil war sicher und wurde gut vertragen (...)” und ”Die Prüfer stellten eine effektive Wirkung bei hoher Selektivität und einem guten Nebenwirkungsprofil fest”. ”Ein innovatives Medikament, das sich noch im Zulassungs-
verfahren befindet, darf nicht als sicher und effektiv beworben werden”, schrieb die Behörde in einem ”Warning Letter” an den Leverkusener Chemie-Multi und forderte ihn auf, entsprechende PR-Aktivitäten einzustellen.