SWB 01/2003

NABU-Studie deckt Einflussnahmen auf

BAYER macht Pestizid-Politik

Eine unter Mitwirkung u.a. des Magazins Ökotest, des “Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz” und der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) erstellte Studie des NATURSCHUTZBUNDES DEUTSCHLAND (NABU) zeigt an aktuellen Beispielen, dass in Deutschland vielfach gegen gesetzliche Bestimmungen für den Umgang mit Pestiziden verstoßen wird. Die Studie mit dem Titel “Giftspritze außer Kontrolle” beleuchtet darüber hinaus, mit welchen ausgefeilten Mitteln BAYER & Co. Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen.

Von Uwe Friedrich

Noch immer gilt die schon vor vielen Jahren getroffene Feststellung der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass Pestizide jährlich den Tod von ca. 40.000 Menschen und zwei Millionen Fälle von Vergiftungen verursachen. Die schleichende alltägliche Vergiftung erfolgt vor allem durch Rückstände in Lebensmitteln. So ergaben Lebensmittel- Untersuchungen, dass in Europa durchschnittlich 39 % der Lebensmittel Pestizid-Rückstände enthalten; die Bundesrepublik überschritt diesen Wert mit 42,2 % sogar noch. Hierzulande bringen die LandwirtInnen jährlich 30.000 Tonnen an Fungiziden, Herbiziden und Insektiziden im Wert von rund einer Milliarde Euro auf ihren Äckern und Wiesen aus. Zwar werden neue Wirkstoffe immer “wirksamer”, die Bauern und Bäuerinnen verwenden aber vielfach weiterhin dieselben Mengen wie ehedem. Spuren davon finden sich in Oberflächen- und Grundwässern, aber auch im Obst, Gemüse und Getreide. So wies das PESTIZID- AKTIONS-NETZWERK (PAN) in den Nahrungsmittel-Proben 139 verschiedene, auch verbotene Wirkstoffe nach.

Viele LandwirtInnen greifen auch in Fällen zu Ackergiften, in denen andere Bekämpfungsmethoden einen vergleichbaren Erfolg erzielen würden. Denn angesichts ihrer immer schlechteren Erlös-Situation können sie sich weder Ernte-Verluste noch Personal für aufwändigere nicht-chemische Alternativen leisten. In ihrer prekären Lage sind sie besonders empfänglich für die Versprechungen der Chemischen Industrie. Vielfach missbrauchen BAYER & Co. sie auch als politisches “Druckmittel”, da sich die Existenz-Nöte von kleineren Betrieben im Streit um Zulassungen als beeindruckendes Argument instrumentali- sieren lassen. Dabei sollten sich gerade Bauern und Bäuerinnen für einen verminderten Einsatz von Spritzmitteln interessieren: Sie haben den ersten und intensivsten Kontakt mit den Giften. Eine lange Reihe von Untersuchungen belegt den ursächlichen Zusammenhang zwischen Pestizid-Einsatz und dem vermehrten Auftreten von Blutkrebs bzw. Lymphkrebs bei LandwirtInnen. Zudem erhärten sich Hinweise auf ein erhöhtes Parkinson-Risiko. Bislang werden jedoch weder Art und Menge der eingesetzten Agro-Chemikalien noch das Auftreten von Krankheitsfällen, die mit dem Einsatz von ihnen in Zusammenhang stehen können, systematisch erfasst. Wirksame Instrumente für eine kontrollierte Anwendung der einmal zugelassenen und registrierten chemischen Keulen – etwa ein Pestizid-Einsatzkataster – werden zwar diskutiert, die Umsetzung lässt jedoch auf sich warten. Genauso verhält es sich mit der Ziel-Vorgabe, die verwendeten Mengen um  30 % zu reduzieren, die sich in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung findet. Schlimmer noch: Die Praxis ist teilweise durch Umgehung und bewusste Verstöße gegen Gesetze und Normen geprägt.
 

Illegaler Internet-Handel

LandwirtInnen mit Internet-Anschluss müssen nicht mehr nachts verbotene “Pflanzenschutzmittel” über die Grenze schmuggeln. Mit etwas Geduld oder über Mundpropaganda können sie nahezu alle Wirkstoffe in den Internet-Angeboten von Händlern finden, online bestellen und sich diskret zuschicken lassen. Vorteil für die Anbieter: Das Verbleiben von Substanzen in ihrem Sortiment, die im jeweiligen Stammland verboten sind, begründen sie mit “internationaler Kundschaft” – dass sie auch ins Inland liefern, ist ihnen nur schwer nachzuweisen. Allerdings sind die Händler verpflichtet, auf den Zulassungsstatus in den verschiedenen Ländern hinzuweisen. Dies unterlassen sie meist und unterlaufen auch dadurch die gesetzlichen Bestimmungen. So hält der bekannte Großhandel BSL (Biesterfeld-Scheibler-Linssen) ein besonders umfangreiches Sortiment parat. Darunter finden sich die verbotenen Substanzen BRESTAN, E 605 und LEBAYCID. Pikant am Angebot von www.bsl-online.de ist vor allem, dass der prominente CDU-Politiker Helmut Linssen, Bruder des Geschäftsführers, in seiner vita festhält, er sei beim Ausbau des Familienunternehmens als Experte für Pflanzenernährung und Pflanzenschutz zuständig gewesen, “ein Wirtschaftsfachmann mit Verantwortungsgefühl für den Umweltschutz”. Die GEORG STRAHMANN GmbH & Co KG ist Mitglied des norddeutschen Großhandelszusammenschlusses AGRO und seit 1996 nach ISO 9002 (DIN-Norm für Qualitätsmanagement) zertifiziert. Und auch unter www.georg-strahmann.de wird man fündig: Hier warten u.a. Parathion konzentriert im Zehn-Liter-Gebinde oder Grammoxone auf Bestellungen.
 

Die Händler-Tricks

Fallen illegale Geschäfte nicht auf, z. B. wenn Wirtschaftsprüfer die Bücher kontrollieren? Nicht, wenn die Ware erst gar nicht in den Büchern erscheint. Die Lieferungen eines Händlers im Siegerland blieben jahrelang unentdeckt, weil die Geschäftsparnter Rechnungen und Papiere fälschten. Hierfür ersetzten sie die Handelsbezeichnung, die auf den Aufträgen noch genannt ist, durch den allgemeinen Ausdruck “Pflanzenschutzmittel” und tauschten die ursprüngliche Artikel-Nummer durch eine andere aus. Die Rechnungen deklarierten sie entsprechend um. So gingen verbotene Pestizide wie KASARAN, UNDEN ODER DECIS in großen Mengen unbemerkt von der staatlichen Aufsicht über den Tisch. Nach einer Anzeige ermittelt das Pflanzenschutzamt Münster seit 2001 gegen den bewussten Händler. Mit wenig Engagement: Die Überprüfungen des Unternehmers kündigte sie regelmäßig vorher an.
 

“Altes Land” in Täuscherhand

Der Gesetzgeber verbietet es, Pestizide in unmittelbarer Nähe von Gewässern auszubringen. Allerdings hat er Schlupflöcher geschaffen.
So gewährte er dem Obstbau im Sondergebiet “Altes Land” weit reichende Erleichterungen. Gegen die damit verbundenen Auflagen verstießen die LandwirtInnen jedoch wiederholt: Sie hielten selbst geringe Mindestabstände zu Gewässern nicht ein, benutzten keine verlustmindernden Geräte und brachten Agro-Chemikalien aus, die in Deutschland nicht zugelassen sind. Ein zukunftsfähiger Entwicklungsplan mit dem Ziel, den Mittel-Aufwand insgesamt zu reduzieren, fehlt bis heute. VertreterInnen der Intensiv-Landwirtschaft und LobbyistInnen von BAYER & Co. versuchen, das “Alte Land” zum Ausgangspunkt einer Offensive zu machen, um Umwelt-Auflagen aufzuweichen und den Spreewald in Brandenburg zum nächsten Sondergebiet erklären zu lassen.
 

Lobby-Allianzen: Das Beispiel LEBAYCID

Das Verbot des hoch giftigen BAYER-Insektizids LEBAYCID (Wirkstoff: Fenthion) war lange abzusehen. Anstatt sich rechtzeitig um Alternativen zu bemühen, versuchte die Agrar-Lobby über massiven politischen Druck, das Zulassungsende weiter hinauszuzögern. So empfahl der Vorsitzende der Bundesfachgruppe Obstbau der “Deutschen Landwirt- schaftsgesellschaft” (DLG), Gerhard Kneib, seinen Verbandskollegen LEBAYCID als “wirksames und nützlingsschonendes Mittel”. Kein Wunder: Die DLG pflegt bekanntlich – wie auch der “Deutsche Bauern- verband” – enge Beziehungen zu BAYER. Klar war dennoch: Die WHO stuft das Mittel aus der Gruppe der Organophosphate als “extrem gefährlich” ein, selbst die zurückhaltende deutsche Zulassungsbehörde, die “Biologische Bundesanstalt” (BBA), erkannte “gravierende Probleme im Anwender- und Umweltschutz”. Doch die Pro-Fenthion-Kampagne eint BAYER und die Kirschbauern und -Bäuerinnen mit Bundestags- abgeordneten und reicht bis in das Europaparlament – nur ein Beispiel, wie sehr sich die Pestizid-Hersteller auf ihre Kunden und deren Kontakte in die Politik verlassen können. Und dieselben Seilschaften stehen bereit, um beim nächsten Giftstoff wieder Druck zu machen.

Dabei kann sich der Bauernverband auf die Fachbehörden der Länder verlassen: Die ländereigenen Pflanzenschutzdienste sollen die korrekte Umsetzung des “Pflanzenschutz”-Gesetzes vor Ort gewährleisten.
Anstatt die Arbeit der LandwirtInnen aber neutral beratend zu kontrollieren, unterstützen sie meist deren Forderungen nach einem breiteren Sortiment an Ackergiften. So richtet Gerhard Kneib folgenden besonderen Dank an die MitarbeiterInnen des amtlichen “Pflanzenschutzes”: “An dieser Stelle möchte ich hervorheben, welche hervorragende Hilfe uns durch die ‘Landesanstalt für Pflanzenbau und Pflanzenschutz’ in Mainz zuteil wurde. Gerade bei den Themen Gewässerabstände und Lückenindikation haben wir von dort wertvolle Schützenhilfe erhalten.”
 

BAYER tarnt und täuscht

Die Lobby-Verflechtungen des BAYER-Konzerns würden ein Buch füllen. Bekanntlich stieg der Leverkusener Chemie-Multi 2001 durch die Übernahme der AVENTIS CROP SCIENCE zum weltweit zweitgrößten Unternehmen im Bereich Pestizide auf. Als gewichtiges Mitglied im “Industrieverband Agrar” (IVA) übt der Konzern starken Einfluss auf Politik, Forschung und Zulassungspraxis im Bereich der Pestizide aus. Der IVA ist erklärter Gegner der Agrar-Wende. Der Kampf gegen den Welthunger ist die rhetorische Allzweckwaffe des IVA, um Kritik an der Produkt-Kombination aus gentechnisch modifiziertem Saatgut und dazugehörigen “Pflanzenschutzmitteln” als unethisch zu diskreditieren. Auch die von Verbraucherschutzministerin Künast betriebene Neuordnung des Zulassungsverfahrens und der beteiligten Behörden traf auf den Widerstand des IVA. Hintergrund ist das Verbot von Wirkstoffen wie Dichlopropen, Dicofol, Endosulfan, Vinclozolin und etlicher anderer aufgrund der Umweltprüfung. Um die Stellung des Umweltbundesamtes (UBA) im Zulassungsverfahren für Pestizide zu schwächen, drängte der Lobby-Verband immer wieder darauf, das UBA von der Einvernehmens- zur Benehmensbehörde zurückzustufen, einer Einrichtung ohne Vetorecht.

Zur Einflussnahme auf die Politik im Sinne der Industrie entsendet der BAYER-Konzern Mitarbeiter wie Dr. Gabriele Timme aus dem Geschäftsbereich Pflanzenschutzmittel/Registrierstrategie. Sie taucht in allen Gremien auf, die sich mit Zulassung und Bewertung von Pestiziden befassen. So ist Dr. Timme das einzige Mitglied der Senatskommission zur Beurteilung von Stoffen in der Landwirtschaft bei der “Deutschen Forschungsgemeinschaft” (DFG), das nicht einer universitären Einrichtung angehört. Im EU-Report des “Pesticides Safety Directorate” über Erfordernisse der Daten-Lage zur Bestimmung von Rückstands- höchstmengen ist Frau Timmes Meinung ebenso berücksichtigt wie in den Richtlinien zur Vorhersage der Aufnahme von Agro-Chemikalien über die Nahrung des WHO-Programms für Lebensmittel-Sicherheit.

Natürlich pflegt der Konzern auch enge Kontakte zur Landwirtschaft.
So zählte zu den zwei Dutzend Ämtern des früheren DBV-Präsidenten und heutigen Ehrenpräsidenten Constantin Freiherr Heereman von Zuydtwyck u.a. ein langjähriger Sitz im BAYER-Aufsichtsrat.

Über den IVA-Dachverband auf europäischer Ebene, die “European Crop Protection Association” (ECPA), viel direkter jedoch noch über den Europäischen Industriekreis (“European Round Table of Industrialists”, ERT) - den mächtigsten Lobby-Verband in Brüssel- nimmt BAYER Einfluss auf die Gesetzgebung in der EU. Und auch in Übersee sind die Unternehmenschefs politisch aktiv: Die Mitbegründer des “Transatlantic Business Dialogue” unterstützten den Wahlkampf von George W. Bush mit 120.000 $ (siehe SWB 4/00).

Seit Mitte der Neunziger Jahre engagiert sich die Chemische Industrie vermehrt in Tarn-Organisationen, die die Anmutung von eigenen Umweltinitiativen haben und angeblich als ExpertInnen-Gremium den wissenschaftlichen Meinungsaustausch fördern wollen, sich jedoch als Speerspitze der Pestizid-Industrie deren Interessen-Vertretung verschrieben haben. Eine besonders subtile Form des Lobbyismus, die den institutionellen der Industrie-Verbände perfekt ergänzt und in ihrer Wirksamkeit zunehmend überflügelt. Die Förder-Gemeinschaft “Integrierter Pflanzenbau” ( FIP), die den dosierten, “vernünftigen” Einsatz von Chemie im Pflanzenanbau propagierte, ist ein Musterexemplar dieser Strategie. Seit Anfang 2000 sind die FIP sowie ihr “Institut für Landwirtschaft und Umwelt” (ILU) mit der “Aktionsgemeinschaft Deutsches Fleisch” unter einem Dach “als Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft” (FNL) tätig. Schon die Namensgebung zeigt, dass ein Großteil der Arbeit von Tarn-Organisationen dem Besetzen der Begriffe gilt. In den 90er Jahren hatten FIP und ILU daran gearbeitet, den negative Assoziationen weckenden Begriff “Pestizid” in der öffentlichen Debatte durch den Ausdruck “Pflanzenschutzmittel” zu ersetzen. Heutzutage, wo die Diskussion über Nachhaltigkeitsindika-
toren bei weitem noch nicht abgeschlossen ist, erhebt die FNL den Anspruch, “den Begriff der nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft mit Inhalten und Fakten zu füllen”, so Vorstandsmitglied Wulff. Dr. Jochen Wulff, Präsident des Industrieverbandes Agrar, leitete bei BAYER den Geschäftsbereich “Pflanzenschutzmittel” und wurde im Juli 2002 zum Vorstandsvorsitzenden der BAYER CROP SCIENCE ernannt. Bis 1998 war er Präsident des “Internationalen Pflanzenschutzverbandes” (GCPF). Er setzt auf einen weiteren Ausbau des Geschäfts mit Pestiziden. In der Geschäftsführung der FNL bringt der PR-Stratege Jürgen Fröhling seine Erfahrungen aus dem BAYER-Konzern ein, für den er Öffentlichkeits- arbeit und Marktforschung im Bereich “Agrochemikalien” betrieb.

Auch in Wissenschaft und Forschung ist der Konzern präsent: Manche MitarbeiterInnen der Gesundheitsämter können sich noch erinnern, wie BAYER ihre Methoden zum Nachweis von Pestiziden im Trinkwasser als “unzuverlässig” abkanzelte und forderte, Wasser-Analysen sollten künftig “nur von qualifizierten Laboratorien” durchgeführt werden. Dem Ziel, zu bestimmen, welche Arbeitsmethoden wissenschaftlichen Kriterien entsprechen, kam der Leverkusener Chemie-Multi 1999 näher, als er “die Anerkennungsbescheinigung für gute experimentelle Praxis” erhalten hatte. Dies bedeutete, dass die “Biologische Bundesanstalt” (BBA) bei der Zulassung von Pestiziden die Forschungsergebnisse aus BAYERs eigenen Feldversuchen als gleichwertig neben denen unabhängiger Institute berücksichtigen konnte. Für das Chemie- Unternehmen zahlt sich diese Art von “Deregulierung” in Form kürzerer Zulassungszeiten aus. Zur “Überlegenheit” der wissenschaftlichen Arbeit beim Pharma-Riesen sei nur darauf hingewiesen, dass er in der neunziger Jahren bis zuletzt darauf bestanden hatte, dass DIURON nicht ins Grundwasser gelangen könne - es ist das am häufigsten nachgewiesene Ackergift in den Proben der Umweltämter.
 

Die Studie “Giftspritze außer Kontrolle” von Andreas Schlumberger ist zu beziehen über den NATURSCHUTZBUND DEUTSCHLAND: NABU-Infoservice, 53223 Bonn ( www.nabu.de ).