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Beitrag veröffentlicht im “Tag: 1. Januar 2020

[Rechtshilfefonds] Unterstützt den CBG-Rechtshilfefonds!

CBG Redaktion

Coordination zieht vor Bundesverfassungsgericht

Jetzt unter Stichwort „Versammlungsrecht“ an den CBG-Rechtshilfefonds spenden!

2017 waren zur BAYER-Hauptversammlung in Köln große Proteste angesagt. Der Konzern hatte gerade MONSANTO übernommen, nicht nur die Landwirte standen auf den Barrikaden.

Der Konzern flüchtete. BAYER verlegte wenige Tage vor dem Termin die Hauptversammlung aus den Köln-Deutzer Messehallen in das „World Conference Center Bonn“ (WCCB) und baute dieses städtische Kongress-­Zentrum zu einer veritablen Festung aus. Gegen eine vor der Hauptversammlung angemeldete Demonstration wehrte sich BAYER und sorgte mit Polizei und Stadt Bonn dafür, dass dort, wo die Demonstration angemeldet war, ein riesiges BAYER-Zelt hinkam und das ganze Gelände großräumig abgesperrt wurde.

Die Demonstration der CBG sollte nach dem polizeilichen Bescheid jetzt weitab vom Geschehen etwa 300 Meter Luftlinie entfernt stattfinden.

Bei der Begründung für die Verlegung die Verweigerung der Demonstration am angemeldeten Ort beriefen sich Stadt und Polizei auf die Sicherheitskonzepte von BAYER.

Dieses Vorgehen ist ein Skandal!

Im Rechtsstreit mit der Polizei und der Versammlungsbehörde der Stadt Bonn zieht die CBG nun vor das Bundesverfassungsgericht.

Keine Privatisierung von Grundrechten wie Versammlungsfreiheit!

Die CBG zieht vor das höchste deutsche Gericht, weil es ihr um eine grundsätzliche Frage geht. Sollten sich Versammlungsbehörden bei ihren Entscheidungen über Maßnahmen, die das Versammmlungsrecht einschränken, auch in Zukunft auf von privaten Dritten angeführte, unkonkrete Sicherheitsbedenken stützen dürfen, wäre der Macht von Konzernen Tür und Tor geöffnet. Diese könnten dann den öffentlichen Raum nach freien Stücken in Beschlag nehmen und gegen Protest abriegeln.

Rechtsgutachten im Rahmen der Verfassungsbeschwerde

Im Rahmen des bereits mehr als drei Jahre laufenden Prozesses um die Versammlungsrecht-Einschränkung der Proteste im Rahmen der BAYER-Hauptversammlung 2017 hat die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) nun dem Bundesverfassungsgericht ein Rechtsgutachten zugehen lassen. Dieses Gutachten soll die Klärung der Rechtsfrage, ob die Versammlungsbehörde sich beim Ausgleich der Interessen zweier Privatrechtssubjekte ausschließlich auf ein von einem Privaten dargelegtes Sicherheitskonzept verlassen kann oder sie vielmehr im Rahmen ihrer Pflicht zur Amtsermittlung für die Gefahrenprognose eigenständige Ermittlungen vornehmen muss. Das Gutachten überreicht die CBG im Rahmen ihrer Verfassungsbeschwerde, welche sie im vergangenen November beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht hatte.

Hier findet Ihr unser Rechtsgutachten.

Zum Gutachten

haben wir eine Presse-Erklärung herausgegeben.

Lest außerdem hier unsere Presse-Erklärung zur Verfassungsbeschwerde und hier unsere Verfassungsbeschwerde.

CBG-Rechtshilfefonds unterstützen!

Den Kampf gegen die Privatisierung von Risiko-Einschätzungen und die damit verbundene Auslieferung des Versammlungsrechtes an Konzern-Interessen führt die CBG nicht nur im Eigeninteresse. Im Gegenteil wollen wir einen Präzendenzfall verhindern, der allen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die gegen Konzernherrschaft antreten, Freiheiten nimmt.

Dieser Kampf ist aufwendig und langwierig. Und er kostet sehr viel Geld. Alleine können wir ihn nicht führen. Wir sind auf Eure Unterstützung angewiesen.

Deshalb haben wir für diesen Prozess, und für unsere anderen gerichtlichen Kämpfe, den CBG-Rechtshilfefonds gegründet. Er soll sicher stellen, dass wir uns auch im Gerichtssaal gegen den Riesen wehren können, wenn das nötig ist.

Spendet bitte mit dem Stichwort „Versammlungsrecht“ an den Rechtshilfefonds der CBG.

Damit Konzerne nicht über Versammlungsfreiheit bestimmen können, brauchen wir Eure Spende.

CBG-Vorstand zum Verfahren

CBG-Vorstandsmitglied Axel Köhler-Schnura hat zu diesem Fall einen Artikel verfasst, der in der monatlichen Zeitung der Roten Hilfe erschienen ist.

Eure Unterschrift für Versammlungsfreiheit!

Uns helfen nicht nur Geldspenden. Zeigt mit Eurer Unterschrift, dass Ihr unsere juristische Kampagne unterstützt.

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[Ticker] Ticker 01/2020

CBG Redaktion

AKTION & KRITIK

Jahrestagung 2019

Aus gegebenem Anlass widmete die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) ihre diesjährige Jahrestagung, die am 5. Oktober in Düsseldorf stattfand, dem Klimawandel. „Konzerne, Klima, Katastrophen – am Beispiel des BAYER-Konzerns“ war die Veranstaltung überschrieben. Der Journalist Wolfgang Pomrehn führte mit einem Grundsatz-Referat in die Thematik ein. Mit einer Vielzahl von Fakten machte er den Ernst der Lage deutlich. Pomrehn entwarf ein apokalyptisches Bild der Zukunft, dessen Konturen sich heute schon allzu deutlich abzeichnen: lange Dürre-Perioden, Wetter-Extreme, das Ansteigen des Meeresspiegels und in der Folge Nahrungsmittel-Knappheit und Klima-Flüchtlinge. Trotzdem aber fehlt nach Einschätzung des Geo-Physikers der wirkliche Wille, eine Kehrtwende einzuläuten: Seit 2017 steigen die Kohlendioxid-Emissionen weltweit wieder. Wie hoch daran der Anteil der Industrie im Allgemeinen und der BAYERs im Besonderen ist, machte CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann deutlich. Von 3,63 Millionen auf 5,45 Millionen Tonnen erhöhte sich der Kohlendioxid-Ausstoß des Leverkusener Multis im Geschäftsjahr 2018, rechnete Stelzmann vor. Und nicht eben wenig hat die MONSANTO-Übernahme zu dieser verheerenden Klima-Bilanz beigetragen, denn neben allem anderen ist Glyphosat auch ein veritabler Klima-Killer. Vehement wehrt sich der Global Player deshalb gegen strengere Regelungen. Am Beispiel des Emissionshandels legte der Sozialwissenschaftler anschaulich dar, wie BAYER mit Androhungen von Standort-Verlegungen und anderen Mitteln eine wirksame Klima-Politik bekämpft. Zum Glück jedoch existieren Gegenkräfte. Anna Schönberg von der AKTION UNTERHOLZ berichtete von den Protesten gegen die Rodung des Hambacher Waldes, die von einem breiten Bündnis getragen wurden. Sogar Familien mit Kindern beteiligten sich an Akten des Zivilen Ungehorsams, so Schönberg. Die Klima-Streiks von FRIDAYS FOR FUTURE lösten nach den Erfahrungen von Luzie Stift, die der Kölner Dependance der SchülerInnen-Bewegung angehört, ähnliche Prozesse aus. Sie beschleunigten Stift zufolge die politische Bewusstseinsbildung immens: „Anhand dieser Klima-Frage erkennen ganz viele, dass sie antikapitalistisch werden müssen.“ Mit wem die AktivistInnen es dann genau zu tun bekommen, stellte Axel Köhler-Schnura vom Vorstand der CBG dar. Er wandte sich in seinem Vortrag nämlich der gegenwärtigen Kapital-Fraktion mitsamt den hinter ihr stehenden Superreichen zu. Vor diesem Hintergrund unternahm der Diplom-Kaufmann dann eine Standort-Bestimmung der Konzern-Kritik weit über den Fall „BAYER“ hinaus. Das sorgte für Rede-Bedarf. Auch sonst kam es zu lebhaften Diskussionen. Zum Thema „Klima und Kapitalismus“ verliefen diese auch kontrovers, denn die Spannbreite des Publikums reichte vom ehemaligen BAYER-Beschäftigten bis hin zum gestandenen Linksradikalen. Trotz dieses Konflikt-Potenzials raufte sich mensch aber stets wieder zusammen. Einen Schwerpunkt der Aussprache bildete das Problem „Klima und Klasse“ und die Möglichkeiten, den Spalt, der sich zwischen Klima-AktivistInnen und Teilen der Gewerkschaften aufgetan hat, zu überwinden. Ansätze dazu gab es auch, waren doch alle bereit, die Frage der Arbeitsplätze und der gerechte Lasten-Verteilung mit in die Klima-Debatte einfließen zu lassen. Die Gruppen von Anna Schönberg und Luzie Stift etwa hatten beide schon das Gespräch mit VertreterInnen der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE und anderen Gewerkschaften gesucht und sich über Trennendes und Verbindendes ausgetauscht. Allerdings ist da noch viel zu tun, lautete das Resümee. So nahmen die BesucherInnen der Jahrestagung dieses Mal einen Arbeitsauftrag mit auf den Heimweg.

Bhopal mahnt

  • 1

Vor 35 Jahren ereignete sich im indischen Bhopal die bisher größte Chemie-Katastrophe der Menschheitsgeschichte. Am 3. Dezember 1984 explodierte in einem Pestizid-Werk von UNION CARBIDE ein Tank mit Methylisocyanat (MIC) und setzte eine riesige Giftwolke frei. Allein in den ersten drei Tagen starben 8.000 AnwohnerInnen. Und noch immer leiden Millionen von Menschen an den Spätfolgen der Detonation. Die INTERNATIONAL CAMPAIGN FOR JUSTICE IN BHOPAL (ICJB) hatte aus diesen Gründen zu Solidaritätsaktionen aufgerufen. Unter anderem fanden in Berlin und Düsseldorf Mahnwachen statt. Für die ICJB-Aktivistin Rachna Dhingra ist das, was am 3.12.84 passiere, nicht nur eine Geschichte von Bhopal, „sondern eine von Unternehmen, die von Gier und Profiten getrieben sind und diese über das Leben von Menschen und die Umwelt stellen“. Also auch eine von BAYER – umso mehr als die Geschichte des Leverkusener Multis auch eine direkte Verbindung zu der von Bhopal aufweist. Damals hatten die Behörden der Stadt den Konzern nämlich um Unterstützung gebeten, da er umfassende Kenntnisse über die Wirkung von MIC auf den menschlichen Organismus besaß. Aber der Global Player weigerte sich, dieser Bitte nachzukommen. Der renommierte Toxikologe Dr. Max Daunderer, der als einer von wenigen ExpertInnen in Bhopal half, berichtete gar nach seiner Rückkehr, dass Beschäftigte von BAYER vor Ort Feldstudien betrieben, ohne sich an den Rettungsarbeiten zu beteiligen. Und im Jahr 2001 übernahm die Aktien-Gesellschaft zudem das US-amerikanische Bhopal-Schwesterwerk vom „UNION CARBIDE“-Neubesitzer DOW CHEMICAL. Wie weit die Familien-Ähnlichkeit reichte, zeigte sich dann am 28. August 2008, als ein Vorratsbehälter in die Luft ging. Zwei Beschäftigte bezahlten das mit ihrem Leben. Von „Schockwellen wie bei einem Erdbeben“ sprachen AugenzeugInnen. Darum hat die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) das traurige Jubiläum zum Anlass genommen, einen Offenen Brief an BAYER zu schreiben und darin Fragen zu Störfällen, der Anlagensicherheit und zu den von den Zuleitungen ausgehenden Risiken zu stellen.

Bhopal mahnt

  • 2

Die UN hat den 35. Jahrestag der Katastrophe von Bhopal zum Anlass genommen, für die chemische Industrie verbindliche, sanktionsbewehrte Regeln zur Einhaltung der Menschenrechte zu fordern. „Bhopal: Die chemische Industrie muss die Menschenrechte respektieren“, ist die entsprechende Pressemitteilung aus dem Büro des „Hohen Kommissars für Menschenrechte“ (OHCHR) überschrieben. „Weiterhin ereignen sich vermeidbare Katastrophen, weil die chemische Industrie sich weigert, die Verantwortung für die Menschenrechte ernstzunehmen (...) Von tödlichen Explosionen von Fabriken und Lagerstätten bis zu der skandalösen Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit durch die Verseuchung von Wasser, Boden und Luft mit Giftstoffen – die Chemie-Industrie muss mehr zur Einhaltung der Menschenrechte tun“, so der UN-Sonderberichterstatter Baskut Tuncak.

Preis für Felicitas Rohrer

Im Juli 2009 erlitt die damals 25-jährige Felicitas Rohrer durch BAYERs Verhütungsmittel YASMINELLE eine beidseitige Lungen-Embolie mit akutem Atem- und Herzstillstand. Nur durch eine Notoperation gelang es den ÄrztInnen, ihr Leben zu retten. Bereits kurz danach nahm Rohrer den Kampf gegen den Leverkusener Multi auf. Auf der Hauptversammlung des Konzerns konfrontierte sie den Vorstand direkt mit den Auswirkungen ihrer einzig auf Profit-Maximierung ausgerichteten Geschäftspolitik. Scharf griff die Pharma-Geschädigte das Management an. Sie warf ihm vor, eine Pille, von der ein höheres Risiko für Embolien ausgeht als von den älteren Kontrazeptiva der 2. Generation, aggressiv als Lifestyle-Präparate vermarktet und damit den Tod junger Frauen in Kauf genommen zu haben. Zudem strengte Felicitas Rohrer eine Klage gegen den Pharma-Riesen an und rief die Organisaton „Risiko Pille – Initiative Thrombose-Geschädigter“ ins Leben. Am 23. November 2019 erhielt sie für ihr Engagement den Siegfried-Pater-Preis, der nach dem 2015 gestorbenen Publizisten und „Dritte Welt“-Aktivisten Siegfried Pater benannt ist. Die Laudatio hielt aus gegebenem Anlass Jan Pehrke von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG).

Keine Straßenumbennung in Dormagen

Am 29. 9. 2011 jährte sich der Geburtstag des langjährigen BAYER-Generaldirektors Carl Duisberg zum 150. Mal. Um die medialen Ständchen für den Mann zu konterkarieren, der im 1. Weltkrieg verantwortlich für den Einsatz von Giftgas sowie die Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen war und später einen maßgeblichen Anteil an der Gründung des Mörderkonzerns IG FARBEN hatte, rief die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) eine Kampagne ins Leben. Sie mahnte anlässlich des Jahrestags die Umbenennung von Straßen, Schulen und anderen Einrichtungen an, die Duisbergs Namen tragen. Viele AktivistInnen ließen sich davon anregen und trugen die Forderung in die zuständigen Kommunal-Vertretungen. In Dortmund und Lüdenscheid hatte das Erfolg (siehe auch SWB 1/15). In Dormagen lagen sogar zwei Anträge zu der Causa „Duisberg“ vor. Einen hatten „Die Linke“ und Piraten-Partei gemeinsam eingereicht, ein anderer kam von Bündnis 90/Die Grünen. Die Stadt ließ daraufhin vom ehemaligen Stadt-Archivar Heinz Pankalla und anderen ExpertInnen ein Gutachten erstellen. Dessen Befund war ziemlich eindeutig: „Duisberg engagierte sich (...) massiv für die Erfindung und Produktion von Giftgas im Ersten Weltkrieg (...) Die Quellen belegen zudem, dass Duisberg mit dem Gift-Einsatz kaum moralische Bedenken verband.“ Bei der anschließenden AnwohnerInnen-Befragung sollten diese geschichtliche Fakten als Entscheidungshilfe dienen. Das taten sie jedoch nicht: Von 62 Haushalten lehnten 56 die Umbenennung ab. Auch gegen das Anbringen einer Tafel mit historischen Erläuterungen sprach sich eine deutliche Mehrheit aus. Trotzdem aber wollen die LokalpolitikerInnen zumindest mit einem kleinen Schild auf die Missetaten des ehemaligen Konzern-Lenkers hinweisen. Klartext wird darauf allerdings wohl nicht gesprochen: Die schwarz-rote Ratsmehrheit lehnte die Titulierung Duisbergs als „Kriegsverbrecher“ ab.

CBG auf der Ruhrtriennale

Seit dem Jahr 2002 findet im Ruhrgebiet jeden Sommer das Kunst-Festival „Ruhrtriennale“ statt. Dieses Mal war die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) mit von der Partie. Die Künstlerin Barbara Ehnes lud die Coordination ein, Teil ihres Kunst-Projektes werden. In ihrer mehrteiligen Video-Installation Αλληλεγγύη zum Thema „Solidarität“, bestehend aus zahlreichen Interviews, repräsentierte die CBG den Aspekt des Widerstands gegen die großen Unternehmen. Und so gab CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann Einblick in die Geschichte der Coordination. Zudem analysierte er BAYERs MONSANTO-Übernahme und skizzierte Perspektiven der Konzern-Kritik. Über fünf Wochen lang waren diese Statements dann zusammen mit anderen Beiträgen in der ganzen Bochumer Innenstadt auf Video-Monitoren zu sehen.

Aktion gegen Pflanzen-Patente

Der BAYER-Konzern hält nicht nur Patente auf gen-manipulierte Pflanzen, sondern auch auf solche aus konventioneller Zucht. So beansprucht er etwa geistiges Eigentum auf Tomaten, Gurken, Melonen, Salate sowie auf Gewächse mit bestimmten Eigenschaften wie etwa Stress-Resistenz. Nachdem das Europäische Patentamt (EPA) den Produzenten einer Tomate mit einem reduzierten Wasser-Gehalt sowie eines angeblich gegen Krebs wirkenden Brokkolis Schutzrechte zuerkannt hatte, befasste sich das Europäische Parlament mit der Sache. In einer Entschließung sprachen sich die Abgeordneten gegen Patente auf nicht gen-veränderte Pflanzen und Tiere aus. Darum muss sich jetzt die Große Beschwerdekammer der EPA mit der Sache befassen und ein Grundsatz-Urteil fällen. Zu diesem Verfahren hat ein breites Bündnis aus verschiedenen Organisationen – darunter auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) – und Einzelpersonen Stellungnahmen eingereicht, welche die Kammer bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen muss. 25.000 Statements konnte KEINE PATENTE AUF SAATGUT! übergeben. „Es darf keine Patent-Monopole auf die herkömmliche Züchtung von Pflanzen und Tieren geben. Sonst droht der Ausverkauf unserer Lebensgrundlagen an BAYER & MONSANTO, DOWDUPONT und SYNGENTA“, erklärten die Initiativen.

CBG schreibt Brief

Im Oktober 2019 hat die Zeitschrift Forum Nachhaltig Wirtschaften unkommentiert eine Pressemeldung BAYERs abgedruckt, in welcher der Konzern sich als Vorkämpfer eines nachhaltigen Ernährungssystems darstellt. Das ÖKO & FAIR UMWELTZENTRUM kritisierte das in einer Zuschrift an den Verlag vehement und informierte auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG). Diese reagierte ebenfalls mit einem Brief. „Wir von der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN finden es empörend, dem Unternehmen BAYER als dem größten Agro-Konzern der Welt einfach so eine Plattform zu bieten, um sich als Vorreiter in Sachen „Nachhaltigkeit“ präsentieren zu können. Dabei hätte ein Blick in den letzten Geschäftsbericht des Multis genügt, um zu sehen, wie weit es bei BAYER mit der Nachhaltigkeit her ist“, hieß es in dem Schreiben mit Verweis auf den immensen CO2-Ausstoß des Global Players und andere Umweltsünden des Unternehmens.

ERSTE & DRITTE WELT

Absatzmarkt Indien

Ende Oktober 2019 fanden in New Delhi die deutsch-indischen Regierungskonsultationen statt. Die Bundesregierung verfolgte dabei vorrangig das Ziel, die wirtschaftliche Zusammenarbeit auszubauen. „Nicht nur die jüngsten Herausforderungen auf den amerikanischen und chinesischen Märkten sollten Anreiz dazu geben, sich noch eindeutiger als bisher strategisch im indischen Markt zu positionieren“, heißt es in einer Erklärung des Deutschen Bundestages. Vage mahnt die Petition, dabei auch die „Herausforderungen der globalen Nachhaltigkeits- und Klimapolitik“ stärker zu beachten. So fordert das Parlament die Bundesregierung dazu auf, „deutsche, in Indien tätige Unternehmen zu unterstützen, die Arbeits- und Menschenrechte gemäß des Nationalen Aktionsplans ‚Wirtschaft und Menschenrechte’ der Bundesregierung, der OECD-Richtlinien und vergleichbarer Regelwerke einzuhalten und zu Vorbildern verantwortlicher Unternehmensführung auszubauen.“ Nach Ansicht der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) braucht es für dieses Bestreben weniger „Unterstützung“ als vielmehr politischen Druck. Die bundesdeutschen Konzerne nehmen bei ihren Indien-Geschäften nämlich die Verletzung sozialer und ökologischer Standards bewusst in Kauf. So duldet der BAYER-Konzern etwa die verheerenden Zustände bei den ersten Gliedern seiner Lieferketten im Pharma-Bereich. Dank „Standort-Vorteilen“ wie niedrigen Löhne und laxen Umwelt-Auflagen können die betreffenden Firmen ohne Rücksicht auf Verluste produzieren, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In ihrer Presseerklärung zu den Regierungskonsultationen forderte die Coordination deshalb, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Und der CBG-Kooperationspartner Anil Dayakar von der Initiative GAMANA, die vor Ort bereits einige Verbesserungen erreicht hat, appellierte an die großen Industrie-Länder, ihren Teil zur Lösung der Probleme beizutragen. „Wir haben die ersten Schritte gemacht. Jetzt wenden wir uns an den Westen. Wir erwarten, dass er sein System ändert. Er hat eine Verantwortung für das, was hier geschieht“, so Dayakar.

Stummer Gast in Genf

Auf internationaler Ebene gibt es einige Bemühungen, die großen Konzerne zur Einhaltung der Menschenrechte entlang ihrer gesamten globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten zu drängen. Deutschland zieht da allerdings nicht so recht mit. So weigern sich Merkel & Co. seit Jahren, das Zusatz-Protokoll des UN-Sozialpakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu unterzeichnen. Dieses sieht bei Verstößen gegen das Abkommen nämlich konkrete Beschwerde- und Untersuchungsverfahren vor. Und so etwas möchte die Bundesregierung dem BAYER-Konzern, dessen indische Pharma-Zulieferer ohne Rücksicht auf Verluste für Mensch, Tier und Umwelt produzieren (s. o.), und den anderen bundesdeutschen Unternehmen lieber ersparen. Darum blieben die VertreterInnen der Großen Koalition auch bei der 5. Verhandlungsrunde zum sogenannten UN-Treaty, die vom 14. bis zum 18. Oktober 2019 in Genf stattfand, stumm. Die Europäische Union tat sich ebenfalls nicht weiter hervor. Da sie kein Verhandlungsmandat habe, müsse sie sich mit einer Positionierung zu den rechtsverbindlichen Instrumenten des Vertrages „zurückhalten“, gibt der Freitag eine Passage aus dem entsprechenden Kommuniqué wieder. Immerhin aber stimmte die EU anders als noch 2018 den Vorschlägen der Treaty-Leitung zum weiteren Procedere zu.

KAPITAL & ARBEIT

1,5 Prozent mehr Entgelt

Bei der diesjährigen Tarif-Runde leitete wiederum der BAYER-Manager Georg Müller für den „Bundesarbeitgeber-Verband Chemie“ (BAVC) die Verhandlungen mit der IG BERGBAU, CHEMIE, ENERGIE (IG BCE). Er einigte sich mit der Gewerkschaft auf eine Entgelt-Erhöhung von 1,5 Prozent. Diese tritt jedoch erst ab Sommer 2020 in Kraft; ein Jahr darauf gibt es dann noch einmal 1,3 Prozent mehr. Im ersten Halbjahr 2020 bleibt es dagegen bei Einmal-Zahlungen in Höhe von vier bis sechs Prozent eines Monatsentgelts. Das hat „aus Arbeitgeber-Sicht den Charme, dass sie die Löhne nicht dauerhaft verteuern“, schreibt die Rheinische Post. Die IG BCE hatte ursprünglich eine „spürbare“, deutlich über der Inflation liegende Steigerung der Bezüge gefordert. Sie hält sich jedoch zugute, dafür einige andere Verbesserungen erreicht zu haben. So richten BAYER & Co. nun Zukunftskonten für die Beschäftigten ein und überweisen 9,2 Prozent des Monatslohns darauf. Ob die Chemie-WerkerInnen sich diesen Betrag auszahlen lassen oder in Freizeit umwandeln, entscheiden diese selbst. Allerdings haben sich die Unternehmen ein Vetorecht vorbehalten. Darüber hinaus schließt die Chemie-Industrie für jeden Belegschaftsangehörigen eine Pflege-Zusatzversicherung ab und übernimmt den monatlichen Beitrag von 34 Euro.

IT-Abteilung streicht Jobs

Im Jahr 2011 hatte der BAYER-Konzern Teile seiner IT-Abteilung ausgegliedert und damit die Arbeitsplätze von 260 Belegschaftsangehörigen und 290 LeiharbeiterInnen vernichtet. 2012 holte er einige Bereiche wieder zurück. Aber auf Neu-Einstellungen verzichtete der Leverkusener Multi bei diesem „Insourcing“. Durch natürliche Fluktuation wollte er bis Ende 2015 sogar noch einmal mit rund 230 Stellen weniger auskommen. Und Ende 2019 gab es wieder einen Kurswechsel. IT-Chef Daniel Hartert kündigte ein Outsourcing an, dem 950 Jobs im Unternehmen zum Opfer fallen. Pflichtschuldig vergoß er dabei ein paar Krokodilstränen: „Es ist kein einfacher Schritt, sich von so vielen Mitarbeitern zu trennen.“

POLITIK & EINFLUSS

Lieferengpässe: Merkel & Co. tun was

Die vielen Lieferengpässe bei Arzneien (siehe DRUGS & PILLS) schrecken die Öffentlichkeit zunehmend auf. Der 1994 von BAYER gegründete „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) will das Problem jedoch nicht wahrhaben. Die Versorgung klappe so gut, „dass es hohe Aufmerksamkeit erfährt, wenn doch einmal ein bestimmtes Präparat nicht verfügbar ist“, meint der Lobby-Club. Die Große Koalition konnte jedoch nicht länger ganz untätig bleiben. Allerdings schraubte sie die Erwartungen gleich herunter. „Lieferengpässe von Arzneimitteln haben sehr unterschiedliche Ursachen und sind daher nicht allein durch gesetzliche Maßnahmen auszuschließen“, erklärte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP. So änderten CDU und SPD mit dem „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittel-Versorgung“ nur einen Passus zu den Rabatt-Verträgen der Krankenkassen. Dieser macht DAK & Co. nun die Vorgabe, bei ihren Pharmazeutika-Ausschreibungen nicht länger nur nach dem billigsten Anbieter zu schauen. Sie müssen bei der Auswahl nun auch auf die „Gewährleistung einer unterbrechungsfreien und bedarfsgerechten Liefer-Fähigkeit“ achten. Und kurz vor Weihnachten 2019 brachte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zudem noch ein Paragraphen-Werk auf den Weg, welches das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ und das „Paul-Ehrlich-Institut“ in die Lage versetzt, strengere Meldepflichten und mehrwöchige Lager-Haltungen von Medikamenten anzuordnen. Überdies will Spahn sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, Pillen-Produktionen nach Europa zurückzuholen. Das dürfte jedoch nicht allzu viel nutzen, da auch hierzulande – wie etwa bei BAYER in Leverkusen (siehe DRUGS & PILLS) – oder in Italien Probleme in den Fabriken auftreten, die Lieferengpässe nach sich ziehen. Die SPD drang auf weitergehende Maßnahmen und wollte beispielsweise die Konzerne für Lieferengpässe haftbar machen, aber die Partei vermochte es nicht, sich gegen ihren Koalitionspartner durchzusetzen.

Kommt das Lieferketten-Gesetz?

Die Lieferketten BAYERS im Pharma-Bereich erstrecken sich über den gesamten Globus. So bezieht der Leverkusener Multi Arznei-Grundstoffe aus Indien und China, wo hunderte Firmen zu Schnäppchen-Preisen für den Weltmarkt fertigen, was verheerende Folgen für Mensch, Tier und Umwelt hat. In anderen Branchen kommt es im Zuge der Globalisierung zu ähnlichen Phänomenen. Darum erkannten die Vereinten Nationen bereits im Jahr 2011 Handlungsbedarf und hielten ihre Mitgliedsländer dazu an, Maßnahmen zu ergreifen. Die Bundesregierung sah dabei erst einmal davon ab, übermäßigen Druck auf die Konzerne auszuüben. „Sozial- und Umweltstandards in nachhaltigen Wertschöpfungsketten können am besten durch eine intelligente Verknüpfung freiwilliger und verbindlicher Ansätze gestärkt werden (‚smart mix’)“, meint die Große Koalition. Zu diesem Behufe hob sie den Nationalen Aktionsplan (NAP) aus der Taufe. In dessen Rahmen erfragten CDU und SPD bei den Firmen, ob - und wenn ja – in welcher Form sie entlang ihrer weltumspannenden Lieferketten die Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten. Von den Antworten wollten Merkel & Co. dann ihr weiteres Vorgehen abhängig machen. Der Befund fiel ernüchternd aus. Erst einmal schickten überhaupt nur 464 von 3.000 angeschriebenen Unternehmen den Fragebogen zurück, und von diesen erfüllte zudem nur jedes fünfte die sozialen und ökologischen Standards. „Das Ergebnis zeigt eindeutig: Freiwilligkeit führt nicht zum Ziel“, resümierte Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) und konstatierte: „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen“. Falls die nächste Umfrage kein besseres Ergebnis erbringe, beabsichtige er gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil einen solchen zu schaffen, drohte der Politiker an. Entsprechend empört reagierten die WirtschaftsvertreterInnen. „Mit so einem Gesetz stehe ich ja schon mit beiden Beinen im Gefängnis. Dieser Unfug ist so groß, dass er nicht kommen wird“, erklärte etwa Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer.

Treffen mit Putin

Anfang Dezember 2019 traf sich der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ (OAOEV) in Sotchi mit Wladimir Putin. Auch BAYER-Chef Werner Baumann nahm an der Zusammenkunft, welche die Boulevard-Zeitung Bild ein „Treffen der Schande“ nannte, teil. Baumann & Co. sprachen sich vor Ort für die Gas-Leitung „Nord Stream 2“ sowie für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland aus, „denn die Milliarden, die dadurch verloren gehen, könnten in die Wiederherstellung der Wirtschaft und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents investiert werden“.

PROPAGANDA & MEDIEN

Lobbying gegen Lieferketten-Gesetz

Der Nationale Aktionsplan (NAP) zur Einhaltung der Menschenrechte entlang der Lieferketten nebst im Raume stehender gesetzlicher Maßnahmen (siehe POLITIK & EINFLUSS) macht BAYER & Co. zunehmend nervös. Dementsprechend hoch ist ihr Lobby-Einsatz, wie Recherchen der Initiative INKOTA ergaben. Von Anfang März bis Ende Juli 2019 trafen sich EmissärInnen von Unternehmen oder Unternehmensverbänden insgesamt elf Mal mit VertreterInnen des Bundeswirtschaftsministeriums. Weitere Zusammenkünfte gab es im Auswärtigen Amt und im Kanzleramt. Der Hauptgeschäftsführer der „Bundesvereingung der deutschen Arbeitgeber-Verbände“ (BDA), der ehemalige Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter, schrieb in der Sache zudem einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU). „Die Frage, ob die Bundesregierung ein für die Wirtschaft derart schädliches Gesetz (...) einführt, darf nicht von einem untauglichen und das wirkliche Engagement der Unternehmen verzerrenden Monitoring abhängen (...) Vielmehr sollte die Bundesregierung weiterhin dem Freiwilligkeitsgrundsatz folgen, hieß es in dem Schreiben. Und BDA-Präsident Ingo Kramer redete Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller (CSU) nach einer persönlichen Begegnung, bei der die beiden über einen Entwurf zum Lieferketten-Gesetz redeten, ins Gewissen. „Ich hatte in diesem Gespräch den festen Eindruck gewonnen, dass sie sich dieses Papier nicht zu Eigen machen wollten. Ich hatte Sie auch so verstanden, dass Sie bereit wären, sich öffentlich von diesem Text zu distanzieren (...) Ich halte es für erforderlich, dass Sie ihre Position klarstellen“, so Kramer.

BAYER wollte Presse-Verband kaufen

Nach Recherchen der britischen Tageszeitung The Guardian wollte der BAYER-Konzern sich durch massive finanzielle Zuwendungen Einfluss auf die US-amerikanische „Foreign Press Association (FPA)“ erkaufen. Der Leverkusener Multi beabsichtigte dem Guardian zufolge, die Non-Profit-Organisation, die hauptsächlich AuslandskorrespondentInnen, andere JournalistInnen und PR-Fachleute zu ihren Mitgliedern zählt, zu nutzen, um das nicht zuletzt durch den MONSANTO-Deal angeschlagene Image des Konzerns aufzupolieren. Zwei ManagerInnen der US-amerikanischen BAYER-Dependance hatten mit dem FPA-Geschäftsführer Thanos Dimadis eine Absprache getroffen, wonach der Agro-Riese nach Zahlung eines bestimmten Betrags einen Sitz im Beirat der FPA erhalten sollte. Im Preis enthalten war auch die Möglichkeit des Agenda-Settings für die Foren, welche die FPA für ihre Mitglieder anbietet. Das gemeinsame Ausrichten einer Konferenz zum Thema „Fake News“ stand ebenfalls zur Debatte. Darüber hinaus plante Dimadis „Hintergrund-Briefings“ mit nationalen und internationalen JournalistInnen zu „Themen, die in BAYERs Kommunikationsprioritäten und strategische Ziele passen“, wie er in einer Mail an den Leverkusener Multi schrieb. Damit nicht genug, ließ Dimadis der Aktien-Gesellschaft im September 2018 noch eine Liste mit über 300 AuslandskorrespondentInnen zur freien Auswahl zukommen: Der Konzern konnte sich aus der Aufstellung diejenigen Personen aussuchen, die er „an sich binden“ wollte. Allerdings hatte Thanos Dimadis wichtige EntscheidungsträgerInnen seiner eigenen Organisation nicht in den BAYER-Deal eingeweiht. Deshalb kam das Projekt mit Dimadis’ Wechsel von der „Foreign Press Association“ zur „Association of Foreign Correspondents in the United States“ zum Erliegen. Als andere FPA-Verantwortliche dann auf den nicht vollständig gelöschten Mail-Verkehr mit der bundesdeutschen Firma stießen, reagierten sie empört. BAYER habe versucht, die FPA zu kaufen, konstatierte Vize-Präsident Ian Williams. Präsident David Michaels sprach im Hinblick auf die zwischen Dimadis und dem Global Player getroffenen Vereinbarungen sogar von einer „Verschwörung“, welche die Integrität der Organisation und des Journalismus an sich bedrohe.

BAYER macht Schule

„Wie DAX-Unternehmen Schule machen“ lautet der Titel einer Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS). Der Autor Tim Engartner zeigt in seiner Arbeit auf, wie massiv die Konzerne mittlerweile die Lehrpläne bestimmen. Nicht weniger als 800.000 – natürlich kostenlose – Lehrmaterialien haben sie bereits erstellt. Und diese müssen noch nicht einmal die bei normalen Schulbüchern üblichen pädagogischen Eignungstests durchlaufen, ehe sie in den Klassenzimmern landen. Natürlich ganz vorne mit dabei: BAYER. Der Untersuchung zufolge „nutzt das Unternehmen alle Formen von Schulmarketing-Aktivitäten“. Unterrichtsmaterialien, Wettbewerbe, Betriebsführungen sowie mobile und stationäre Schullabore zählt Engartner unter anderem auf. Auch die Wimmelbücher, mit denen der Leverkusener Multi schon die Kleinsten in Kindergärten heimsuchte, nennt der Wissenschaftler. „Die Vermutung, dass nicht nur die regional bedeutsame Chemie-Industrie illustriert werden soll, sondern die im bunten Treiben des Wimmelbuches platzierten Logos zugleich ein positives Unternehmensbild evozieren sollen, liegt nahe“, hält er fest und erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Kampagne der COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) gegen die frühpädagogischen Anwandlungen des Konzerns. Angesichts des alarmierenden Befundes von „Wie DAX-Unternehmen Schule machen“ schreibt OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand im Vorwort: „Stiftung und Autor sind überzeugt, dass dringend gehandelt werden muss, um z. B. den Verlust demokratischer Legitimation schulischer Bildungsinhalte durch Privatisierungstendenzen zu stoppen.“

TIERE & VERSUCHE

Labor fälschte Studien

Der Tierversuchskonzern LABORATORY OF PHARMACOLOGY AND TOXICOLOGY (LPT), der auch BAYER zu seinen Kunden zählt, steht in der Kritik. So hat LPT nach Undercover-Recherchen von TierschützerInnen massiv gegen die ohnehin nicht eben strikten Grenzen des Erlaubten verstoßen. Katzen erhielten bis zu 13 Mal am Tag Stiche in die Beine, Hunde mussten in blutverschmierten Gehegen dahinvegetieren und Affen in viel zu kleinen Käfigen ihren Tod abwarten. Damit nicht genug, führte die Firma auch nicht genehmigte Versuche an Kaninchen durch und manipulierte Studien. Eine Ex-Beschäftigte räumte das in einem Fernseh-Interview freimütig ein. „Ich habe Dokumente gefälscht. Wenn da Ergebnisse nicht den Erwartungen entsprachen, bin ich angehalten worden, das zu verbessern“, bekannte sie. Eine andere Frau berichtet noch von anderen Methoden. Bei einer Kurzzeit-Studie mit einem Medikament starben Ratten bei der höchsten Dosierung elendig, was der Auftraggeber jedoch nicht erfahren sollte. „Um jetzt dem Kunden eine entsprechende Nachricht nicht mitteilen zu müssen, wurde die höchste Dosierung durch eine deutlich niedrigere ersetzt. Die Tiere wurden ausgetauscht und so ein positiveres Ergebnis erzielt“, so die ehemalige LPT-Angestellte. Das demonstriert einmal mehr, wie wenig aussagekräftig die Tests „am Tier-Modell“ sind. Nach dem Bekanntwerden der unhaltbaren Zustände bei LPT kam es immer wieder zu Demonstra-tionen und Protest-Veranstaltungen, was Konsequenzen hatte. Der Standort Mienenbüttel schloss nach den letzten von den Behörden genehmigten Versuchen an Hunden. Ob das Unternehmen noch weitere Niederlassungen dichtmachen muss, steht bis dato nicht fest.

DRUGS & PILLS

In Treue fest zu IBEROGAST

Auch Medikamente auf pflanzlicher Basis wie BAYERs Magenmittel IBEROGAST, das 2013 mit dem Kauf von STEIGERWALD in die Produkt-Palette des Pharma-Riesen gelangte, können es in sich haben. So schädigt der IBEROGAST-Inhaltsstoff Schöllkraut die Leber. Arzneien mit einer hohen Schöllkraut-Konzentration hat das „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“ (BfArM) deshalb schon aus dem Verkehr gezogen. Vom Leverkusener Multi verlangte es, diese Nebenwirkung auf dem Beipackzettel zu vermerken und insbesondere Schwangere vor der Einnahme des Präparats zu warnen. Der Konzern lehnte es aber ab, der Anordnung nachzukommen, und zog vor Gericht. Diese Hinhalte-Taktik kostete einen Menschen das Leben. Eine Frau starb an Leberversagen. Da duldete das BfArM dann keinen Aufschub mehr. Es drohte dem Pillen-Riesen mit einem „Sofort-Vollzug“ der Beipackzettel-Änderung. Und da erst fügte sich der Global Player zähneknirschend. Mittlerweile ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft in der Sache sogar wegen fahrlässiger Tötung (siehe SWB 4/19). BAYER aber steht weiter in Treue fest zu dem Mittel. So wartete der Konzern Anfang Dezember 2019 mit einer Pressemeldung auf, wonach „eine internationale Experten-Runde in einer aktuellen Publikation“ IBEROGAST „ein optimales Nutzen/Risiko-Profil bei Reizmagen und Reizdarm“ bescheinigt habe. Bei der „Publikation“ handelte es sich jedoch nicht um eine Studie, wie Unbedarfte annehmen müssen, sondern um die Zusammenfassung der Ergebnisse eines von BAYER gesponserten Workshops mit von BAYER gesponserten MedizinerInnen. Deren Befund, es gäbe „keine Anhaltspunkte für eine relevante Toxizität der Inhaltsstoffe“, wundert deshalb nicht weiter.

NIMOTOP-Lieferengpass

In der Bundesrepublik kommt es seit geraumer Zeit verstärkt zu Liefer-Engpässen bei Arzneimitteln. Auf der aktuellen Fehl-Liste des „Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizin-Produkte“ (BfArM) findet sich nun schon zum wiederholten Mal das BAYER-Mittel NIMOTOP. Als Grund dafür, dass das die Gehirn-Durchblutung fördernde Produkt wieder einmal nicht erhältlich ist, nennt der Leverkusener Multi „Produktionsprobleme“. Auch auf das Krebs-Präparat XOFIGO, das Herz/Kreislauf-Pharmazeutikum ADALAT, das Malaria-Medikament RESOCHIN, den Blutdruck-Senker BAYOTENSIN, das Kontrastmittel ULTRAVIST, das unter anderem bei der Akut-Behandlung von Herzinfarkten zum Einsatz kommende ASPIRIN i. v. 500 mg sowie auf die Johanniskraut-Arznei LAIF zur Behandlung milder Depressionen warteten die Apotheken in der Vergangenheit schon vergeblich. Aktuell verzeichnet das BfArM rund 270 Lieferengpässe. Diese entstehen hauptsächlich, weil die Pharma-Riesen die Fabrikation gnadenlos rationalisiert haben. So versuchen sie etwa verstärkt, „just in time“ zu produzieren und auf diese Weise Lager-Kapazitäten abzubauen. Überdies gliedern die Unternehmen die Wirkstoff-Herstellung zunehmend in Länder der „Dritten Welt“ aus. Darum gibt es immer weniger Fertigungsstätten, und wenn es in einer einmal hakt, können andere Standorte nicht mehr einspringen. Aber auch bei BAYER selber treten „Produktionsprobleme“ auf. So musste der Konzern nach einer Intervention der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA seine Leverkusener Arznei-Anlagen wegen vieler Missstände im Jahr 2018 generalüberholen, was „Versorgungsunterbrechungen“ nach sich zog (siehe auch SWB 2/18).

Vom Lieferengpass zum Lieferstopp

Lieferengpässe für BAYERs Malaria-Arznei RESOCHIN mit dem Wirkstoff Chloroquin-Phosphat hatte es in der Vergangenheit schon gegeben (s. o.). Jetzt aber sind die Kanäle ganz dicht, wie Apotheke adhoc berichtet. „Grund dafür ist, dass die Herstellung des Arznei-Stoffs Chloroquin-Phosphat nicht mehr in der erforderlichen Qualität erfolgen kann. Die weltweite Suche nach einem alternativen Hersteller verlief laut Konzern erfolglos, sodass die Produktion zum Stoppen kam“, so das Web-Portal. Die Mängel dürften in Indien aufgetreten sein. Das Land hat sich nämlich gemeinsam mit China und Italien zum Hauptproduzenten von pharmazeutischen Substanzen entwickelt und das Joint Venture, das der Leverkusener Multi dort mit dem heimischen Produzenten ZYDUS gegründet hat, führt Chloroquin-Phosphat auf seiner Produkt-Liste. Entweder also traten in den Werken von BAYER ZYDUS PHARMA Probleme auf oder aber bei den Lieferanten der Basis-Stoffe für das Mittel.

AGRO & CHEMIE

Glyphosat-Verkäufe gehen zurück

In Deutschland geht der Glyphosat-Absatz zurück. Er sank 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 26,5 Prozent auf 3.450 Tonnen. Die Höchstmarke hatte der Verkauf im Jahr 2008 mit 7.610 Tonnen erreicht.

UNFÄLLE & KATASTROPHEN

Feuer in Bitterfeld

Am 15.11.2019 kam es am BAYER-Standort Bitterfeld zu einem Brand. Bei Dacharbeiten auf einem Hochregal-Lager hatten sich Dachplatten entzündet. Auf mehrere Kilometer Entfernung waren die Rauchschwaden zu sehen. Trotzdem wiegelte der Leverkusener Multi sofort ab und erklärte, es bestehe keine Gefahr für Anwohnerinnen und Anwohner.

Brand in Dormagen

Am 19.11.2019 brach in der Tankreinigungsstation des Dormagener Chemie-„Parks“ ein Brand aus. Bei der Säuberung eines Behältnisses fing ein Lösemittel Feuer. Fünf Beschäftigte mussten zur Untersuchung ins Krankenhaus, aber der Verdacht auf Rauchgas-Vergiftung bestätigte sich nicht. Nach Angaben der Betreiber-Gesellschaft CURRENTA kam es auch zu keiner erhöhten Schadstoff-Konzentration in der Luft. An der CURRENTA hält BAYER 60 Prozent der Geschäftsanteile. Im Sommer verkaufte der Konzern diese jedoch an einen Finanzinvestor. Allerdings müssen die Kartell-Behörden dem Deal noch zustimmen.

IMPERIUM & WELTMARKT

BAYER auf der CIIE in Shanghai

Der BAYER-Konzern nahm im November 2019 an der chinesischen Import-Messe CIIE teil. Er präsentierte in Shanghai unter anderem Pharmazeutika, nicht rezeptpflichtige Arzneien und Pestizide. In einem zu dem Event veröffentlichten Statement bezeichnete der Leverkusener Multi die CIIE als eine wegweisende Maßnahme der chinesischen Regierung, um ihre Politik der Öffnung zu stärken.

RECHT & UNBILLIG

Verbotener Pestizid-Einsatz

Die Inseln des US-Bundesstaates Hawaii haben sich zu einem riesigen Freiluft-Labor für die Agro-Riesen entwickelt. Auch die nunmehrige BAYER-Tochter MONSANTO unterhält dort eine Forschungsanlage. Im Jahr 2014 testete sie dort das wegen seiner extremen Giftigkeit verbotene Pestizid Penncap-M. Dabei setzte das Unternehmen auch die Gesundheit der Beschäftigten aufs Spiel. Sie mussten nämlich schon eine Woche nach dem Sprüh-Einsatz auf den Feldern nachsehen, wie die Agro-Chemikalie gewirkt hat, obwohl die Vorschriften dafür die Frist von einem Monat setzen. Darum verurteilte ein Gericht in Honolulu den Leverkusener Multi nun zu einer Strafe in Höhe von zehn Millionen Dollar. „Das rechtswidrige Verhalten in diesem Fall stellt eine Bedrohung für die Umwelt, die umliegenden Gemeinden und die MONSANTO-Arbeiter dar“, so der Richter Nick Hanna. Wie bei den anderen erst nach der Übernahme bekannt gewordenen MONSANTO-Sünden blieb dem Leverkusener Multi auch dieses Mal nichts anderes übrig, als sich reumütig zu zeigen. „Der Vorfall tut uns sehr leid“, bekannte der Konzern und stellte klar, sein Neuerwerb habe damals „weder entsprechend den eigenen Standards noch gemäß der geltenden Gesetze gehandelt“. Ein kleines Aber musste jedoch wie immer dabei sein. Es lägen keine gemeldeten Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt als Folge der illegalen Praxis vor, so der Global Player.

Klage wg. EEG-Tricks

Die in der Strom-Rechnung enthaltene EEG-Umlage gilt der Förderung alternativer Energien. Allerdings tragen nicht alle gleichermaßen zu der Subventionierung von Wind & Co. bei. Der Gesetzgeber hat BAYER und andere Chemie-Firmen wegen ihres hohen Energie-Bedarfs und entsprechend hoher Kosten weitgehend von der Abgabe befreit. Zudem zahlen die Konzerne für die Elektrizität, die sie in ihren eigenen Kraftwerken selbst erzeugen, nichts in den EEG-Topf ein. Das sogenannte Eigenstrom-Privileg entbindet sie davon. Aber den Multis reichte das noch nicht. Sie wollten sich auch bei dem zugekauften Strom vor den EEG-Zahlungen drücken, die sich pro Gigawatt-Stunde auf rund 64.000 Euro belaufen. Dafür bedienten sich die Gesellschaften des „Scheibenpacht-Modells“, das sich schlaue BeraterInnen ausgedacht hatten. Diese entwickelten Verträge, die BAYER, RWE, DAIMLER und andere Global Player von schnöden Strom-Kunden zu Pächtern von Kraftwerk-Anteilen machten – und damit zu Nutznießern des Eigenstrom-Privilegs. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, so der Spiegel, der den Skandal aufdeckte. Darum haben Netzbetreiber wie AMPRION die Unternehmen nun verklagt. Der Leverkusener Multi aber ist sich keiner Schuld bewusst und beteuert, sich immer an geltendes Recht gehalten zu haben

[Risiko Pille Film] YASMIN – der Film

CBG Redaktion

BAYER-Kritik im Hauptabend-Programm

YASMIN – der Film

Jetzt brachten es BAYERs hochgefährliche Verhütungsmittel der vierten Generation wie YASMIN, YASMINELLE und YAZ sogar bis zur Filmreife. „Was wir wussten – Risiko Pille“ hieß das prominent besetzte Werk, das die ARD im Oktober 2019 zur besten Sendezeit ausstrahlte. Es stieß dementsprechend auf große Resonanz und entfachte die Diskussion um die Präparate neu.

Von Jan Pehrke

Ein Pharma-Multi will das Verhütungsmittel „Bellacara“ auf den Markt bringen und es profitträchtig als Lifestyle-Produkt vermarkten. Dafür heuert er junge Influencerinnen an, die das Präparat der jungen Zielgruppe „als Schönheitspille mit dem Schlank-Effekt“ verkaufen. Während die Planung der Produkteinführungskampagne schon auf Hochtouren läuft, erscheint eine Studie, die dem Wirkstoff des Medikaments größere Risiken als die sonst bei Kontrazeptiva handelsüblichen attestiert. Die Hauptfigur Dr. Carsten Gellhaus ringt mit sich, aber letztlich geht doch alles seinen kapitalistischen Gang. Der Pillen-Riese macht einfach weiter im Programm und überlässt das Übrige „uns wohlgesonnenen Wissenschaftlern“. Diese Geschichte erzählt der Film „Was wir wussten – Risiko Pille“. Es ist die Geschichte BAYERs bzw. des 2006 vom Leverkusener Multi erworbenen Unternehmens SCHERING und der Kontrazeptiva YASMIN, YASMINELLE und YAZ. „Der BAYER-Konzern hat in den letzten Jahren mit diesen Produkten mehr Umsatz gemacht als mit ASPIRIN“, sagt Drehbuch-Autor Volker A. Zahn und verdeutlicht so, dass Ähnlichkeiten von „Sonne Pharma“ mit real existierenden Firmen weder zufällig noch unbeabsichtigt sind.

Zahn und seine Frau Eva haben für ihre Arbeit akribisch recherchiert. Selbst ausgedacht wirkenden Szenen wie diejenige, in welcher Gellhaus seiner Tochter aus vorbeugendem Gesundheitsschutz die „Sonne“-Kontrazeptiva entreißt, beruhen auf Tatsachen. Die Zahns haben sich jedoch nicht nur unter BAYER-Beschäftigten umgetan, sondern zur Vorbereitung auch Kontakt zu der Selbsthilfegruppe RISIKO PILLE aufgenommen. Und am Schluss haben deren Mitglieder sogar einen kleinen Auftritt. Als eine „Bellacara“-Geschädigte auf der Hauptversammlung des „Sonne“-Konzerns eine flammende Rede hält, stehen die Aktivistinnen in einer Phalanx daneben, ganz so wie im wirklichen Leben auf den AktionärInnen-Treffen von BAYER. Da gilt es nämlich immer dem Vorstand zu signalisieren: Es geht hier nicht um einen Einzelfall, die ganze Sache hat System.

Im Abspann folgten dann Fakten zu den Risiken und Nebenwirkungen der Pillen mit dem Wirkstoff Drospirenon. Und dann ging es bruchlos weiter im Programm mit einem Plusminus-Beitrag zu den Verhütungsmitteln, der gleich am Anfang Ross und Reiter nennt: BAYER und die Produkte der YASMIN-Reihe. Julia Frenking nahm eines dieser Kontrazeptiva ein, die der Leverkusener Multi als Lifestyle-Präparate mit „Smile Effect“, „Feel-Good-Faktor“ und „Figur-Bonus“ anpreist, und hätte das fast mit dem Leben bezahlt, wie sie vor der Kamera berichtet. Sie erlitt eine beidseitige Lungen-Embolie mit Herzstillstand und kämpft noch heute mit den Folgen. Die Frauenärztin hatte ihr zu einem drospirenon-haltigen Mittel geraten, ohne sie vor dem erhöhten Thrombose-Risiko zu warnen. Während sich unter YASMIN bei 9 bis 12 von 10.000 Frauen pro Jahr ein Blutgerinnsel bildet, kommt es bei Arzneien mit den Wirkstoffen Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat nur bei 5 bis 7 von 10.000 Frauen dazu. In den USA zogen die Betroffenen schon in Massen vor Gericht und errangen auch Erfolge. 2,1 Milliarden Dollar Schadensersatz musste der Pharma-Multi dort bereits zahlen. Hierzulande agiert die Justiz jedoch konzern-freundlicher. Die Klage von Felicitas Rohrer etwa, die schon oft auf den BAYER-Hauptversammlungen Reden zu YASMIN & Co. hielt, wiesen die RichterInnen ab. Aber die Mitgründerin von RISIKO PILLE lässt sich nicht entmutigen und ficht das Urteil an, wie sie den Plusminus-JournalistInnen versicherte.

Dieser veritable Themenabend rief eine riesige Resonanz hervor. Die Kommentar-Sparte, welche die ARD auf der Website zu „Was wir wussten – Risiko Pille“ eingerichtet hatte, quoll fast über. „Danke für diesen Film!!! Ich glaube an seine aufklärende Überzeugungskraft“, postete eine Frau, während eine andere festhielt: „Auch ich habe gestern den Film gesehen und mich darüber geärgert, dass es diese Pillen immer noch auf dem Markt gibt.“ „Der Film hat gut die Skrupellosigkeit der Pharma-Industrie gezeigt. Es geht nur ums Geld, die Frauen sind nur Mittel zum Zweck“, befand eine weitere Zuschauerin. Ein Arzt konstatierte derweil: „Direkt am Folgetag war der Beratungsaufwand immens“, und ein Kollege hatte sogar Informationen über Interna aus der Frühzeit der Drospirenon-Pillen. Wegen der lebensgefährlichen Nebenwirkungen „haben die Wissenschaftler von SCHERING seinerzeit von der Verwendung als Kontrazeptiva abgeraten. Durchgesetzt habt sich in der Firma aber der Vertrieb mithilfe der Finanzabteilung“, schrieb er. Einem Kommentatoren reichte es indes, unter dem knappen Vermerk „Betrifft: BAYER AG“ sparten-übergreifend die ganzen gesundheitsschädlichen Produkte des Leverkusener Multis aufzulisten: Antibaby-Pillen, Gerinnungshemmer, Fluorchinolone, IBEROGAST, um dann zu befinden: „Dieser Konzern hat so viele Tote und Geschädigte auf dem Gewissen, dass man ihn mit Kriegsverbrechern auf eine Stufe stellen kann.“ Auch der „Berufsverband der Frauenärzte“ reagierte und suchte den Austausch mit der „RISIKO PILLE“-Initiative.

Das alles konnte BAYER nicht unberührt lassen. Schließlich machte der Konzern mit den Erzeugnissen aus der YASMIN-Familie allein im Jahr 2018 einen Umsatz von 639 Millionen Euro. Also bekannte das Unternehmen sich weiterhin zu den Präparaten. „Die sorgfältige Bewertung aller wissenschaftlichen Daten durch die Gesundheitsbehörden bestätigt das positive Nutzen-Risiko-Profil von kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK) bei bestimmungsgemäßer Einnahme. Diese Einschätzung wird auch von unabhängigen Experten geteilt“, tat er kund. Die bei der Europäischen Arzneimittel-Behörde EMA bis Ende November 2019 eingegangenen 37.000 Meldungen über Nebenwirkungen der Drospirenon-Pillen interessierten da nicht weiter. Und auch zu dem von Felicitas Rohrer angestrengten Prozess äußerte der Pharma-Riese sich: „BAYER hält die geltend gemachten Ansprüche für unbegründet (...) Gleichwohl möchten wir ausdrücklich betonen, dass wir großes Mitgefühl mit dem Schicksal von Frau Rohrer und mit Patienten haben, die unsere Produkte anwenden und von ernsten gesundheitlichen Beschwerden berichten – unabhängig von deren Ursachen.“

Eine weitere juristische Niederlage in Sachen „Kontrazeptiva“ musste der Leverkusener Multi unlängst aber doch einstecken. Ein Gericht in Kentucky schloss einen seit 2013 anhängigen Fall ab und verurteilte den Global Player zu einer Zahlung von 17 Millionen Dollar, da er in seinen Marketing-Anstrengungen über die von YAZ ausgehende Thrombose-Gefahr nicht richtig informiert hatte. Dies dürfte ihn aber kaum davon abhalten, Business as usual zu betreiben. Auch die Aufsichtsbehörden regen sich bisher nicht. Sie machen keinerlei Anstalten, YASMIN & Co. zu stoppen, obwohl es sicherere Alternativen gibt. „Wir sehen uns nicht in der Lage, medizinische Ratschläge zu erteilen oder eine Medikation mit einer anderen zu vergleichen“, erklärt z. B. die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA. Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN wird aber in Kooperation mit den Geschädigten weiterhin alles tun, um ein Verbot der Risiko-Pillen zu erreichen.

[Orphan Drugs] BAYERs geliebte Pillen-Waisen

CBG Redaktion

BAYERs geliebte Pillen-Waisen

Goldgrube „Orphan Drugs“

Seit einiger Zeit stürzen sich BAYER & Co. auf die Entwicklung von Medikamenten für seltene Krankheiten. Solche „Orphan Drugs“ brauchen nämlich nicht den ganzen langwierigen Zulassungsprozess zu durchlaufen. Und noch andere Vergünstigungen winken. Mit der Wirksamkeit der Pillen-Waisen steht es allerdings nicht zum Besten.

Prof. Dr. Gerd Glaeske (Pharmakologe)

Immer noch gibt es viele seltene Krankheiten, für die kaum wirksame Behandlungsoptionen bestehen – Schätzungen sprechen von 6.000 bis 8.000. Gemäß der Definition leiden an einer seltenen Erkrankung (auch Orphan/Rare Disease) maximal fünf Menschen pro 10.000 EinwohnerIn, in der EU also etwa 30 bis 40 Millionen Menschen. Seltene Krankheiten sind zu rund 80 Prozent genetisch bedingt, das bekannteste Beispiel ist die Mukoviszidose.

Um Betroffene besser zu versorgen, wird seit dem Jahr 2000 EU-weit die Forschung pharmazeutischer Unternehmen in diesem Bereich durch regulatorische und ökonomische Anreize gefördert. Eine solche Förderung gibt es auch in den USA, in Australien oder in Japan. Zu den Vorteilen gehören unter anderem ein zehnjähriges Exklusivrecht für die Vermarktung und beschleunigte Zulassungsverfahren für neue Medikamente. Zudem werden Gebühren bei den Zulassungsbehörden erlassen (in Deutschland beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“), die in den vergangenen fünf Jahren in der EU insgesamt zwischen 9,4 und 13,7 Millionen Euro pro Jahr lagen.

Solche Anreize sollten den „Nachteil“ der eher „übersichtlichen“ Forschungsrenditen wettmachen – schließlich benötigt ja nur eine begrenzte Anzahl von Menschen solche Orphan Drugs, in Deutschland maximal 40.000. Dieser vermeintliche Nachteil hat sich inzwischen allerdings zu einem Vorteil für viele Unternehmen entwickelt, weil auch besonders hohe Preise erzielt werden können: Die Akzeptanz der Gesundheitssysteme für Orphan Drugs ist hoch, weil sie seltene Erkrankungen erstmals behandelbar machen. Es gilt nahezu als „unfein“, in diesem Bereich über Preise zu diskutieren, da es doch um eine Behandlungsoption für PatientInnen geht, vor allem auch für Kinder, die ihrer Krankheit – nicht ausreichend behandelt – bisher ausgeliefert waren.

Der Orphan-Drug-Markt hat sich zu einem lukrativen Segment entwickelt, das Wachstumsraten von rund 7 bis 8 Prozent jährlich verspricht und schon einen Anteil von rund 15  Prozent am weltweiten Arzneimittel-Umsatz erreicht hat. Inzwischen werden Orphan Drugs auch für bestimmte kleine Gruppen von PatientInnen mit onkologischen Erkrankungen entwickelt. Auch hier können pharmazeutische Unternehmen hohe Gewinne erzielen. Laut dem von BAYER gegründeten „Verband der forschenden Arzneimittel-Hersteller“ (VFA) waren im Februar 2018 in der EU 99 Medikamente mit aktivem Orphan-Drug-Status zugelassen. Mehr als die Hälfte betreffen Krankheiten, an denen sogar EU-weit weniger als ein Mensch von 5.000 leidet. Der BAYER-Konzern etwa erhielt die begehrte Zuschreibung für die Lungenhochdruck-Präparate ADEMPAS und VENTAVIS sowie die Krebs-Mittel NEXAVAR, STIVARGA und VITRAKVI.was ist mit dem Nutzen für die PatientInnen? Zwischen 2011 und 2017 durchliefen insgesamt 64 Orphan Drugs das AMNOG-Verfahren, das solche Arznei-Effekte prüft. Dabei wurde bei 33 der Pillen-Waisen zur Behandlung onkologischer und hämatologischer Erkrankungen (Blutkrankheiten, Anm. SWB) kein quantifizierbarer Zusatznutzen gefunden – die Forschung ist wohl doch nicht so erfolgreich, wie es gerne dargestellt wird und wie es die hohen Preise für manche Mittel signalisieren. (Unter anderem fiel BAYERs Leberkrebs-Präparat STIVARGA bei der Prüfung durch. Daraufhin nahm der Leverkusener Multi es in Deutschland vom Markt, weil er wegen des schlechten Zeugnisses Preis-Einbußen hätte hinnehmen müssen, Anm. SWB)

In den USA ist kürzlich ZOLGENSMA, eine Gentherapie der Firma NOVARTIS, auf Basis einer Studie an 15 Kindern zugelassen worden. Damit können Kinder unter zwei Jahren mit Typ 1 der Spinalen Muskelatrophie (ein durch Schädigungen von Rückenmarksnerven verursachter Muskelschwund, Anm. SWB) behandelt werden – betroffen ist eins von 10.000 Kindern. Die Kosten: 2,1 Millionen US-Dollar. Für Deutschland kann man mit etwa 90 bis 100 behandlungsbedürftigen Kindern rechnen, die unbehandelt entweder früh sterben oder ihr Leben lang unter erheblichen Einschränkungen leiden. Dennoch: Wie der Preis zustande kommt, wie hoch die Forschungskosten wirklich waren, welche öffentlichen Institutionen an der Forschung auf Basis von Steuern oder Spenden beteiligt waren, bleibt völlig unklar.

Die Gesundheitssysteme werden weltweit mit immer höheren Arzneimittel-Preisen konfrontiert werden – der Nutzen für die PatientInnen wird in vielen Fällen zweifelhaft bleiben. Wir brauchen dringend gesundheitsökonomische Evaluationen, damit Orphan Drugs nicht zum finanziellen Super-GAU unseres Gesundheitssystems werden.

Erstveröffentlichung in Dr. med. Mabuse, Zeitschrift für alle Gesundheitsberufe, Nr. 241 (September/Oktober 2019), S. 47, www.mabuse-verlag.de

[BAYERs Dauerkrise] Mehr Klagen und Skandale, weniger Jobs

CBG Redaktion

BAYERs Dauerkrise

BAYER kommt einfach nicht aus dem Krisen-Modus heraus. Die Anzahl der Glyphosat-Klagen steigt weiter von Quartal zu Quartal – umgekehrt proportional zu derjenigen der Arbeitsplätze. Und wie viele PR-Anstrengungen der Konzern auch unternimmt: Immer wieder verhagelt ihm ein neuer MONSANTO-Skandal das „Reputationsmanagement“.

Von Jan Pehrke

„BAYER blickt auf ein erfolgreiches drittes Quartal zurück“, vermeldete der Vorstandsvorsitzende Werner Baumann am 30. Oktober 2019 mit Verweis auf die Umsatz-Zahlen. Und damit nicht genug, auch die „strategische Entwicklung macht große Fortschritte“. „Schlanker, agiler und fokussierter“ geht es Baumann zufolge jetzt beim Leverkusener Multi zu, nicht nur dank der Veräußerung der CURRENTA-Anteile, dem Verkauf von „Animal Health“ und der Trennung von anderen Geschäftsteilen. Auch diverse „Effizienz- und Strukturmaßnahmen“ sowie die Vernichtung von 12.000 Arbeitsplätzen (O-Ton BAYER: „sozialverträgliche Stellen-Anpassungen“) ha--ben ihm zufolge dazu beigetragen.

Die Rest-Belegschaft gedenkt der Konzern-Lenker derweil mit der „Vereinbarung zur Zukunftssicherung 2025“ versöhnlich zu stimmen, die für die Beschäftigten an den deutschen Standorten betriebsbedingte Kündigungen bis zum Jahr 2025 ausschließt. Alle kommen jedoch nicht in den Genuss dieser mit dem Gesamtbetriebsrat getroffenen Übereinkunft, sondern bloß rund 20.000 der 32.000 hierzulande tätigen BAYER-WerkerInnen. Vornehmlich die KollegInnen der kleineren, zumeist als GmbHs operierenden Dependancen müssen in die Röhre schauen.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) hat diese Ungleichbehandlung schon mehrfach kritisiert und im Jahr 2016 sogar auf die Tagesordnung der Hauptversammlung des Konzerns gesetzt. „Praktische Gründe“ führte das Unternehmen damals als Entschuldigung für die doppelten Standards an: Einige Niederlassungen hätten schlicht nicht die kritische Größe, um genug Alternativen jenseits von Entlassungen bieten zu können, wenn das Unternehmen sich mal wieder zu Rationalisierungsprogrammen veranlasst sehe.

Auf die Causa „Glyphosat“ kam Baumann erst gegen Ende der Quartalspressekonferenz zu sprechen. Er musste nämlich eine traurige Mitteilung machen und einen erneuten Anstieg der Klagen von Geschädigten verkünden. 42.700 liegen den Gerichten mittlerweile vor. „Die Zahl der Klagen sagt allerdings nichts über deren Begründetheit aus“, versuchte der Ober-BAYER abzuwiegeln. Dabei ließ der Vorstandschef keinen Zweifel daran, dass er die Schadensersatz-Forderungen allesamt für unbegründet hält: „In Übereinstimmung mit allen führenden Regulierungsbehörden weltweit sind wir nach wie vor von der Sicherheit glyphosat-basierter Produkte überzeugt.“

Zu dem Mediationsverfahren unter Vorsitz des Richters Kenneth Feinberg äußerte Werner Baumann sich nur vage. Der Konzern beteilige sich konstruktiv und lösungsorientiert an den Gesprächen, werde den Vorschlägen des Juristen aber nur zustimmen, wenn diese finanziell tragbar wären und das Ganze wirklich zu einem Abschluss brächten, führte er aus. Um die Verhandlungen nicht zu stören, haben die Gerichte im Herbst 2019 extra zwei ursprünglich für den Januar angesetzte Prozess-Termine verschoben. Ein Ergebnis ist jedoch noch nicht in Sicht. „Die Mediation geht langsam, aber stetig weiter“, erklärte Feinberg Mitte November 2019 zum Stand der Dinge, während die Finanz-AnalystInnen weiter wild über die Kosten eines Vergleichs spekulieren und Zahlen von 2,5 bis 20 Milliarden Dollar in den Raum werfen.

Die Bekanntgabe der nunmehr 42.700 Klagen am 30. Oktober ließ die BAYER-Aktie wieder empfindlich fallen. Aber es kam noch dicker. Mexiko verbot die Einfuhr von Glyphosat-Grundstoffen, während Thailand und Vietnam den Gebrauch des umstrittenen Pestizids gleich ganz untersagten. In Frankreich verkündete derweil der Bürgermeister der Gemeinde Langouët, Daniel Cueff, einen Bann, der juristisch allerdings keinen Bestand hatte. Nach dem Urteil jedoch solidarisierten sich rund 40 KollegInnen mit Cueff und erklärten ihrerseits das Aus für das Herbizid. Und im Dezember 2019 reagierte dann Paris und untersagte ab 2021 den Gebrauch von bis zu 40 glyphosat-haltigen Produkten.

Aber BAYER hatte auch HelferInnen in der Not. So intervenierte die US-Administration bei der thailändischen Regierung und zwang das Land, in Sachen „Glyphosat“ zurückzurudern. Hierzulande blieb es bisher bei verbaler Unterstützung. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet leistete dem Multi Beistand. Dass über das Schicksal eines NRW-Konzerns in US-Gerichtssälen mitentschieden würde, erfülle ihn mit Sorge, sagte der CDUler laut Rheinischer Post.

Der Direktor der „Europäischen Agentur für Lebensmittel-Sicherheit“ (EFSA), Bernhard Url, sendete derweil positive Signale zu Glyphosat. Er bezeichnete die Debatte um das Produkt als emotional aufgeladen und machte für die Nebenwirkungen nur die unsachgemäße Nutzung, nicht aber die Chemikalie selbst verantwortlich.

Seine Einlassungen zu der von BAYER & Co. just beantragten Zulassungsverlängerung über das Jahr 2023 hinaus stimmen ebenfalls bedenklich. So plädierte Url dafür, im Rahmen des Verfahrens auch die möglichen Folgen eines Glyphosat-Stopps für das Einkommen der LandwirtInnen, die Lebensmittel-Preise und die Nahrungsmittel-Sicherheit mit zu berücksichtigen.

Das „Bundesamt für Verbraucherschutz“ (BVL) meinte es ebenfalls gut mit dem Konzern. Das BVL schaffte es ist, den wieder fällig gewordenen Glyphosat-Zulassungsantrag fristgerecht zu prüfen. Deshalb trat eine automatische Verlängerung von zwölf Monaten in Kraft, welche die im September 2019 von der Bundesregierung ab dem Jahr 2020 beschlossenen Anwendungsbeschränkungen aushebelte.

Und länger dürfte es auch noch mit einem Glyphosat-Ersatz dauern. Der Leverkusener Multi hatte angekündigt, verstärkt nach Alternativen zu dem Mittel Ausschau zu halten, das die Faz als „BAYERs Diesel“ bezeichnete. Der Forschungschef von BAYER CROPSCIENCE, Bob Reiter, machte da jedoch nur wenig Hoffnung. „Wir und unsere Konkurrenten haben seit den 1970er Jahren, als Glyphosat eingeführt wurde, investiert. Aber wir sind immer noch nicht auf ein Molekül gestoßen, das die gleichen Fähigkeiten hat wie Glyphosat.“ Zwölf bis fünfzehn Jahre dauere es, ein solches bis zur Marktreife zu bringen, vertröstete Reiter: „Es ist eine sehr lange Zeit.“

PR-Maßnahmen

Angesichts der vielen Prozesse und des dahindümpelnden Aktien-Kurses war Reputationsmanagement gefragt. Nachdem der Leverkusener Multi mit dem ehemaligen Grünen-Politiker Matthias Berninger einen Greenwashing-Beauftragten installiert hatte, gesellte sich ihm Anfang Oktober 2019 mit Ertharin Cousin eine Bluewashing-Beauftragte (Bluewashing = Image-Pflege mit Hilfe der Vereinten Nationen, Anm. SWB) hinzu. Offiziell übernahm die ehemalige Direktorin des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen im Aufsichtsrat allerdings die Funktion der Agrar-Expertin. In Folge des MONSANTO-Debakels hatten diverse Investment-Gesellschaften dem Gremium nämlich mangelnde Fachkenntnis auf dem Gebiet „Landwirtschaft“ vorgeworfen. „Mit ihrer außergewöhnlichen Erfahrung im Ernährungsbereich sowie in der US-Regierung und bei den Vereinten Nationen rundet sie das Kompetenz-Profil des Aufsichtsrats in idealer Weise ab“, ließ sich der Aufsichtsratsvorsitzende Werner Wenning deshalb zu der Personalie „Ertharin Cousin“ vernehmen.

Außerdem brachte der Konzern die Kampagne „

  • voranbringen“ an den Start. Sie nimmt BAYER-Beschäftigte „als authentische Botschafter für die Dachmarke BAYER“ in die Pflicht und schiebt ihnen Äußerungen wie „Meine Arbeit für BAYER hat mir viel Kritik eingebracht. Aber noch mehr Leben gerettet“ in den Mund. Sogar als Klima-Kümmerer inszeniert sich der Leverkusener Multi auf den Annoncen. „Meine Nichte und ich engagieren uns beide für den Klimaschutz. Sie geht demonstrieren und ich zu BAYER“, verkündet eine Bärbel von den Werbe-Plakaten. „Nach dem Empfinden vieler unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommt die Vielfalt und Faszination von BAYER in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland derzeit kaum zur Geltung. Das wollen wir ändern“, sagte Öffentlichkeitsarbeiter Michael Preuss zum Sinn und Zweck der Übung.

Die CBG sah die Beschäftigten hingegen in Geiselhaft genommen. „Dabei sind sie, die Angehörigen der Belegschaft, diejenigen, die den Preis für die MONSANTO-Übernahme zahlen müssen. Sie müssen zahlen mit der Vernichtung Tausender Arbeitsplätze und mit zunehmender Verdichtung und Hetze in der Produktion“, hielt die Coordination fest. Auch andere durchschauten das Manöver rasch. „So viel Zynismus muss man sich auch erst mal zutrauen“ und „Schämt ihr euch den gar nicht?“ lauteten die Kommentare in den sozialen Medien.

Und bereits einige wenige Wochen nach dem Beginn der „

  • voranbringen“-Kampagne musste das Unternehmen wieder zurück in den MONSANTO-Sumpf blicken. Die Initiative LOBBYCONTROL hatte aufgedeckt, dass die nunmehrige BAYER-Tochter verdeckt Glyphosat-Entlastungsstudien des Gießener „Instituts für Agri-Business“ finanzierte (siehe SWB-Dossier). „BAYER verspricht ständig Transparenz im Fall „Glyphosat“, aber verfolgt die Sünden der MONSANTO-Vergangenheit nicht mit eigenen Mitteln nach, sondern gibt immer nun das zu, was sich auf keinen Fall mehr leugnen lässt. Deshalb versinkt der Konzern immer wieder im MONSANTO-Sumpf, wenn es gerade so aussieht, als ginge es nun endlich wieder bergauf“, kommentierte die Zeitschrift Capital.

Der Agro-Riese ließ jedoch nicht locker und betrieb unverdrossen weiter „Reputationsmanagement“. Am 10. Dezember legte Matthias Berninger mit der „Nachhaltigkeitsstrategie“ sein GesellInnen-Stück vor. Aber der „Tatort-Reiniger“ (Wirt-schafts-woche) präsentierte nur einen Flickenteppich aus vagen Ankündigungen, als Entwicklungshilfe getarnten Absatz-Strategien, Business as usual und teilweise hochproblematischen Elementen. Das Klima-Paket besteht aus vollmundigen Versprechungen, ohne konkrete Maßnahmen zu nennen. Die Kleinbauern und -bäuerinnen, die das Unternehmen nachhaltig beglücken will, erweisen sich indes als ziemlich groß gewachsen. Sie haben Ackerflächen von bis zu zehn Hektar. Die wirklich armen Subsistenz-Landwirte erfasst das Programm indes nicht. Und Menschen in „unterversorgten Regionen“ mit ASPIRIN, IBEROGAST und anderen nicht rezeptpflichtigen Arzneien zu fluten, wie der Konzern es vorhat, folgt nur dem Business-Plan, sich „low-income markets“ zu erschließen. Gleiches gilt für die überdies alles andere als neue Praxis von BAYER, mit freundlicher Unterstützung der „Bill & Melinda Gates Foundation“ und anderen Institutionen Bevölkerungspolitik in den Ländern des Südens zu betreiben und dort – in den Industrie-Staaten zuweilen gar nicht angebotene und alles andere als ungefährliche – Kontrazeptiva unter die Frauen zu bringen.

Dementsprechend mau fiel die Reaktion der Öffentlichkeit aus. Wieder gelang der Befreiungsschlag nicht. MONSANTO im Allgemeinen und Glyphosat im Besonderen lasten nach wie vor schwer auf dem Konzern. Und das dürfte auch im Jahr 2020 so bleiben.

[CO2 Ausstoß] BAYER heizt den Erdball auf

CBG Redaktion

CO2-Ausstoß: 5,45 Millionen Tonnen

BAYER heizt den Erdball auf

Es war ein heißer Herbst, im wörtlichen und deshalb auch im übertragenden Sinn: Die sich immer deutlicher abzeichnenden Folgen der Erderwärmung und die Weigerung von Politik & Wirtschaft, diese zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu handeln, trieben überall auf der Welt die Menschen in Scharen auf die Straße. Und natürlich auch die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN, denn der BAYER-Konzern ist ein Klima-Sünder vor dem Herrn.

Von Jan Pehrke

Die neuesten Zahlen schreckten wieder einmal auf: Abermals stiegen die globalen Treibhausgas-Emissionen. Von 53,5 auf 55,3 Gigatonnen legten sie zu. Dementsprechend wartete auch der Klimabericht der Bundesregierung mit alarmierenden Befunden auf. So erhöhte sich die Luft-Temperatur in Deutschland von 1881 bis 2018 um 1,5 Grad. Und in den besonders warmen Jahren sorgte dies sogar schon für unzählige Sterbefälle. 2003 fielen dem Report zufolge hierzulande 7.500 Menschen der Hitze zum Opfer. Überdies sinken durch den Klimawandel die Grundwasserspiegel, was in einigen Gemeinden bereits die Trinkwasser-Versorgung gefährdet. Parallel dazu dörren die Flüsse und Seen in den Sommern zunehmend aus und heizen sich auf – mit massiven Folgen für die aquatischen Lebewesen. Auch die Landwirtschaft leidet unter der Häufung der Trockenheitsperioden. Für 2018 beziffert der Klimamonitoring-Bericht die Schäden auf 700 Millionen Euro.

Zu all dem hat der BAYER-Konzern sein Scherflein beigetragen. Im Geschäftsjahr 2018 nahmen die Kohlendioxid-Emissionen des Unternehmens um 50 Prozent zu. Von 3,63 Millionen auf 5,45 Millionen Tonnen schwoll der CO2-Ausstoß an. Mit der Energie-Effizienz ging es ebenfalls bergab. Verbrauchte der Leverkusener Multi im Jahr 2016 208,62 Kilowatt-Stunden pro 1.000 Euro Umsatz und 2017 204,93, so waren es 2018 schon 278 Kilowatt-Stunden. Überdies schafft der Agro-Riese es nicht, von der Kohle runterzukommen. Beim eigen-erzeugten Strom – den zugekauften schlüsselt er traditionell nicht näher auf – betrug ihr Anteil am Energie-Mix 24,1 Prozent; mit 59,5 Prozent nimmt Erdgas hier die Spitzen-Position ein. Den größten Zuwachs verzeichneten die Flüssigbrennstoffe. Sie rückten mit 7,9 Prozent an die dritte Stelle vor. Statt 230 kamen nun 3.491 Terrajoule zum Einsatz.

Klima-Killer Glyphosat

Als Grund für die Steigerung der Kohlendioxid-Werte führt das Unternehmen den MONSANTO-Deal an. „Mit der Übernahme von MONSANTO hat BAYER neben Standorten für die Saatgut-Produktion auch eine Rohstoff-Gewinnung für die Herstellung von Pflanzenschutzmittel-Vorprodukten übernommen, mit der eine energie-intensive Aufbereitung und Weiterverarbeitung verbunden sind“, heißt es im Geschäftsbericht. Auf der Hauptversammlung wollte die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) dann genauer wissen, um was für eine Rohstoff-Gewinnung es sich dabei handelt. „Eine Anlage zur Gewinnung von Phosphor in Soda Springs im Bundesstaat Idaho“, bekam sie zur Antwort. Phosphor – das ist ein Vorprodukt von Glyphosat. Das Herbizid löst also nicht nur Krankheiten wie Krebs aus und trägt Mitverantwortung für das Artensterben, es ist zu allem Übel auch noch ein veritabler Klima-Killer. Seine Herstellung verschlingt so enorm viel Energie, weil das Phosphor in einem Sediment-Gestein steckt. Und dieses Phosphorit, das der Global Player – mit schlimmen Folgen für die Umwelt – im Tagebau aus Minen in der Nähe von Soda Springs fördert, gibt das Phosphor nicht so einfach her. Auf eine Betriebstemperatur von 1500° muss der Ofen kommen, damit das Phosphorit das Phosphor preisgibt, und das verschlingt Energie.

Folgerichtig hat die CBG ihre Presseerklärung zum von FRIDAYS FOR FUTURE für den 20. September ausgerufenen Klima-Streik mit „Klima-Killer Glyphosat“ überschrieben. Die Coordination schloss sich an dem Freitag den Protesten in Düsseldorf an, und auf der Abschluss-Kundgebung vor dem nordrhein-westfälischen Landtag legte Geschäftsführer Marius Stelzmann noch einmal dar, was in der Diskussion um das Klima-Paket, das die Bundesregierung an diesem Tag verabschiedete, sträflich vernachlässigt blieb: Wie groß der Anteil von BAYER und anderen großen Firmen an der Klima-Krise ist.

Dementsprechend kamen die Multis auch ungeschoren davon. Nach Ansicht von CDU und SPD greift bei der Groß-Industrie nämlich schon der europäische Emissionshandel (EU-ETS). Den haben die Parteien sich sogar zum Vorbild für ihre Klima-Politik genommen, obwohl das Instrument bisher nicht dazu geeignet war, den Leverkusener Multi zu einer spürbaren Verringerung seines CO2-Fußabdrucks zu veranlassen. Für die Felder „Wohnen“ und „Verkehr“ will die Große Koalition ein solches Modell zunächst auf nationaler Ebene einführen, um beide Bereiche dann später einmal in das europäische System zu integrieren. Erwartungsgemäß zeigten sich die Davongekommenen zufrieden mit den Beschlüssen. „Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) begrüßt, dass Sektoren, die schon dem EU-Emissionshandel unterliegen, vom neuen nationalen Emissionshandel ausgenommen werden und keine zusätzliche Belastung erfahren sollen“, erklärte die Lobby-Organisation. Allerdings hat sie Vorbehalte gegen die später vorgesehene Einbeziehung von „Wohnen“ und „Verkehr“ in das EU-Handelssystem. Das droht nämlich zu einer Verteuerung der Zertifikate für BAYER & Co. zu führen. „Ein gemeinsames System hält der VCI für nicht zielführend, weil die Vermeidungskosten der Sektoren zu unterschiedlich ausfallen“, lies der Verband verlautbaren.

Den nächsten Klima-Streik, der am 29. November 2019 im Vorfeld der Madrider Weltklima-Konferenz stattfand, nutzte die Coordination zu einem Lokaltermin. Sie demonstrierte am BAYER-Stammsitz Leverkusen. Und welchen kapitalen Klima-Killer die BürgerInnen mit dem Multi vor der Haustür haben, machte CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann in seiner Kundgebungsrede deutlich. Darum entschloss die Coordination sich im Anschluss an den Protestzug auch, den Konzern direkt mit der Kritik zu konfrontieren. Sie zog zur Unternehmenszentrale und übergab einen Offenen Brief. „Wir sind heute im Rahmen des weltweiten Klima-Streiks zusammen mit der „FRIDAYS FOR FUTURE“-Bewegung auf die Straße gegangen, um auf den immensen Anteil BAYERs an der Klima-Katastrophe hinzuweisen“, hieß es darin unter anderem. Der Brief schloss mit konkreten Forderungen (siehe Kasten). Unter anderem verlangte die CBG einen sofortigen Stopp der Braunkohle-Verstromung sowie das Ende der Glyphosat-Produktion in Soda Springs. Der Agro-Riese zeigte sich auf den Besuch vorbereitet und überreichte ebenfalls ein Schreiben. „Klimaschutz hat für BAYER hohe Priorität“, bekundete die Aktien-Gesellschaft darin. Sie behauptete, „in den vergangenen Jahren schon vieles erreicht“ zu haben und verwies dazu auf die verbesserte Energie-Effizienz sowie auf eine Senkung des Ausstoßes von Treibhaus-Gasen (THG) bis 2015. Was danach geschah, verschwieg der Leverkusener Multi wohlweislich. Dafür kündigte er Großes für die Zukunft an: „Am 10. Dezember stellt BAYER seine neue Nachhaltigkeitsstrategie und damit auch neue, noch ambitioniertere Ziele zur THG-Reduzierung vor.“

Die neue Strategie

Das unter der Ägide des Leiters der Abteilung „Public Affairs & Sustainability“, dem ehemaligen Grünen-Politiker Matthias Berninger, entstandene Papier (siehe auch S. 14ff.) enthält dann in der Tat auch einiges zu dem Thema. „BAYER strebt an, bis 2030 ein klima-neutrales Unternehmen zu werden. Dafür wird BAYER Maßnahmen für Energie-Effizienz umsetzen, zu 100 Prozent auf Strom aus erneuerbaren Energien umsteigen und die verbliebenen Emissionen so kompensieren, dass CO2 im Boden gespeichert und Biodiversität gefördert wird“, ist da zu lesen. Einiges davon hört sich wirklich ganz gut an – allein, es fehlt der Glaube, zumal der Konzern nichts darüber verlauten lässt, wie er das alles zu erreichen gedenkt. Bei den Erneuerbaren etwa müsste er binnen zehn Jahren von Null auf 100 kommen, ist beim Leverkusener Multi momentan doch nur ein „niedriger einstelliger Prozent-Satz“ des Stroms made by Wind & Co. Auch die Rede vom „kompensieren“ macht skeptisch, denn da kommt das Glyphosat ins Spiel. Der Konzern versucht das Mittel ungeachtet seines übergroßen CO2-Fußabdrucks bei der Herstellung als Klima-Retter zu verkaufen, weil es den LandwirtInnen das Kohlendioxid freisetzende Pflügen erspare. Allerdings streiten die Agrar-ForscherInnen noch darüber, ob eine solche landwirtschaftliche Praxis wirklich das im Boden gebundene Kohlendioxid wieder entfesselt, und BAYERs Gewährsmann in dieser Frage, Professor P. Michael Schmitz, musste gerade seinen wissenschaftlichen Offenbarungseid leisten. Schmitz hat sich die Arbeit an solchen Sätzen wie „Mit einer angepassten Glyphosat-Strategie in der Fruchtfolge können ohne Ertragsreduzierung die Maschinen- und Arbeitskosten sowie der CO2-Ausstoß gesenkt werden“, nämlich von MONSANTO bezahlen lassen (siehe SWB-Dossier).

Also bleibt von BAYERs Nachhaltigkeitsstrategie in Sachen „Klima“ außer vagen Ankündigungen und dubiosen Kompensationsgeschäften nicht viel übrig. Der Leverkusener Multi kann sich deshalb von dem, was Greta Thunberg auf der Madrider Weltklima-Konferenz sagte, gut und gerne mitgemeint fühlen. „Ich glaube immer noch, dass die größte Gefahr nicht Tatenlosigkeit ist. Die wirkliche Gefahr ist, wenn Politiker und Unternehmenslenker so tun, als ob etwas passiert, wo in Wirklichkeit nichts passiert bis auf clevere Rechenkünste und PR“, hielt die 16-Jährige ihrer Rede fest.

Den Agro-Riesen holte die Realität dann auch schon bald wieder ein. Am selben Tag, an dem der Konzern sich als grüner Engel im Allgemeinen und Klima-Kümmerer im Besonderen inszenierte, gingen Meldungen über die Klage von Netzbetreibern gegen den Leverkusener Multi und andere Firmen wegen Betruges im Zusammenhang mit der „Erneuerbare Energien“-Umlage über den Ticker. Und das trübte das Bild sogleich wieder ein. So musste die Rheinische Post ihren LeserInnen nach der Berichterstattung über die Nachhaltigkeitspläne mitteilen: „Zugleich aber steht BAYER wegen eines möglichen grünen Etiketten-Schwindels am Pranger.“ Der Global Player hatte über ein kompliziertes Vertragskonstrukt versucht, sich von einem schnöden Strom-Kunden zu einem Pächter von Kraftwerk-Anteilen aufzuschwingen, um so seine EEG-Umlage senken zu können. „Einzelne Unternehmen sparten auf diese Weise Hunderte Millionen Euro“, konstatierte der Spiegel.

Und als die Bundesregierung Mitte Dezember 2019 Korrekturen am Klima-Paket vornahm und den CO2-Preis von zehn Euro auf 25 Euro hochsetzte, sprang in gewohnter Manier die Lobby-Maschinerie an. Dieses Mal saß sogar ein alter BAYER-Mann an den Hebeln. Der beim Leverkusener Multi lange für „Environment & Sustainability“ zuständige Wolfgang Große Entrup fungierte nämlich inzwischen als VCI-Geschäftsführer und schaltete angesichts des neuen Kohlendioxid-Preisschildes sofort auf Alarm. „Die Warnlampe blinkt rot“ verkündete er und forderte, schon am EU-Emissionshandel teilnehmende Konzerne von der Regelung auszunehmen. „Enttäuschend ist auch die Reaktion einiger Wirtschaftsverbände. Die Chemie, die doch sonst gerne Klimaschutz und Wettbewerb predigt, ruft gleich nach einer Art Pendler-Pauschale für ihre Branche“, befand die Rheinische Post. Also nichts Neues unter der Leverkusener Sonne.

[Menschenversuche] BAYERs Menschenversuche

CBG Redaktion

Arznei-Tests an Heimkindern

BAYERs Menschenversuche

In den 1950er und 1960er Jahren haben BAYER, MERCK & Co. Psychopharmaka und andere Medikamente an Heimkindern testen lassen, ohne dass Einverständnis-Erklärungen zu den Erprobungen vorlagen. An den Folgen leiden die ehemaligen Versuchskaninchen teilweise bis heute. Trotzdem zeigt sich der Leverkusener Multi weder zu einer Entschuldigung noch zu Entschädigungszahlungen bereit.

Von Jan Pehrke

„Da hat dich einer festgehalten, wenn er kräftig genug war, wurde die Nase zugehalten, Mund auf, und weg ist das Zeug“, so plastisch erinnert sich der heute 52-jährige Franz Wagle noch an das Prozedere bei den Arznei-Tests bzw. -Gaben in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landeskrankenhauses Schleswig-Hesterberg. Ab den 1950er Jahren bis weit in die 1960er Jahre hinein erprobten BAYER und andere Pharma-Firmen dort ihre neuen Medikamente, bevorzugt Neuroleptika, und bestückten die Einrichtungen nach der erfolgten Zulassung postwendend mit mega-großen „Anstaltspackungen“. Pharmazeutika wie MEGAPHEN (Wirkstoff: Chlorpromazin) oder AOLEPT (Periciazin) kamen dort unter anderem zum Einsatz, aber auch Antidepressiva wie AGEDAL (Noxiptilin) oder Schlafmittel wie LUMINAL (Phenobarbital). Rund 1.000 Kindern applizierten die MedizinerInnen die Präparate. Darüber hinaus erhielten noch einmal ca. 2.500 ProbandInnen aus der benachbarten Erwachsenen-Psychiatrie Schleswig-Stadtfeld die Mittel.

Die Arznei-Konzerne ließen ihre Medikamente darüber hinaus auch noch in anderen Häusern testen. BAYER begann damit nicht erst in den 1950er Jahren. Schon in der Weimarer Republik ließ der Leverkusener Multi seine Pharmazeutika an Kindern erproben. Aber erst die NationalsozialistInnen ermöglichten ihm die Möglichkeit, seinem Forscher-Drang ohne Rücksicht auf Verluste nachzugehen. Die Konzentrationslager galten dem Unternehmen dabei als Reservoir für seine Versuchskaninchen. In Auschwitz hatte es unter anderem den berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele in seinen Diensten.

Nach dem Krieg ging es dann bruchlos weiter mit den Pillen-Prüfungen. Die Aktien-Gesellschaft nutzte dafür unter anderem die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg, die Rheinische Landesklinik Bonn, die Landeskinderheilstätte Mammolshöhe, die Universitätskliniken Erlangen-Nürnberg, Mainz, Marburg, Münster und Tübingen, die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, die Landesklinik Landeck, die Kinder- und Jugendpsychiatrie Wunsdorf sowie in Berlin die Landesklinik Wittenau, die Nervenklinik „Waldhaus“ sowie die Psychiatrische und Neurologische Klinik der Freien Universität.Und für das seit 2006 zu BAYER gehörende Unternehmen SCHERING führten damals beispielsweise die Behinderten-Einrichtung der Diakonie Kork und die Göttinger Universitätsklinik Tests durch. Zusätzlich zu den Arzneien, welche die MedizinerInnen den schleswiger ProbandInnen wider Willen verabreichten, fanden noch Versuche mit dem Neuroleptikum CIATYL, Polio-Impfstoffen, Tuberkulose-Präparaten sowie mit dem den Geschlechtstrieb dämmenden Mittel ANDROCUR statt.

Vor allem die Neuroleptika hatten es dabei in sich. „Du weißt ja gar nicht, was es ist. Du weißt nur, dass Du irgendwann dann nicht mehr Herr deiner Sinne bist“, erzählt Wagle in einem NDR-Interview: „Du warst immer benaschelt und betäubt.“ Sein Leidensgenosse Günter Wulf beschreibt ähnliche Erfahrungen nach der Verabreichung der Substanzen: „Ich konnte nur noch lallen.“ Nach Erprobungen von MEGAPHEN in einer Kombination mit anderen Medikamenten waren zu dieser Zeit in der Forschungsliteratur sogar schon Todesfälle aktenkundig. Viola Balz berichtet darüber in ihrem Buch „Zwischen Wirkung und Erfahrung – eine Geschichte der Psychopharmaka“. Aber auch solo sorgt das Neuroleptikum mit dem Wirkstoff Chlorpromazin für unerwünschte Arznei-Effekte en masse. Unter anderem zählen Kreislauf-Zusammenbrüche, epileptische und Ohnmachts-Anfälle, Atemnot, Gelbsucht, Hirnstrom-Veränderungen sowie Muskelverkrampfungen und parkinson-ähnliche Gesundheitsstörungen zu den Risiken und Nebenwirkungen.

Die schweizer Psychiater Cécile und Klaus Ernst von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die im Jahr 1954 einen Selbstversuch mit MEGAPHEN unternahmen, heben vor allem die völlige Apathie hervor, in die das Medikament sie versetzte. Die Pharmazeutin Sylvia Wagner, die das Thema „Medikamenten-Versuche an Heimkindern“ mit den Recherchen für ihre gerade erschienene Dissertation in die Öffentlichkeit gebracht hatte, zitiert in ihrer Arbeit den Aufsatz von Klaus Ernst über die Erfahrung des Ehepaars. „Ich war in einer verdrossenen, unbeweglich-trockenen Stimmung, die Erlebnisfähigkeit war auf die banalsten Geschehnisse, die Interessensphäre auf einen winzigen Kreis kleiner Bequemlichkeiten zusammengeschrumpft“, schreibt der Mediziner. Seine Frau bemerkt an sich eine „Verletzung der Integrität des Körpers“ und eine völlige Unlust, mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten und soziale Beziehungen zu unterhalten. Später schlug die Wirkung des Präparats dann teilweise ins Gegenteil um: Es machte rastlos und löste einen kaum zu stillenden Bewegungsdrang aus.

Soziale Medikation

Von all dem ist in dem 1958 erschienenen Aufsatz des Arztes Rolf Jacobs über seine Versuche mit Heimkindern im Schleswiger Landeskrankenhaus nicht die Rede. „Schlimmstenfalls ganz flüchtige Nebenwirkungen“ konnte der Herr Medizinalrat nach der Gabe von BAYERs MEGAPHEN, dem PROMONTA-Produkt PACATAL und dem CIBA-Pharmazeutikum SERPASIL beobachten. Zu solchen Effekten zählte er vermehrten Speichelfluss, Zittern, Bewegungsstörungen, verlangsamten Herzschlag, Gefäßerweiterungen, Schweißausbrüche und Schwindel. „Bei uns haben sich jedenfalls MEGAPHEN- bzw. PACATAL-Kuren bestens bewährt“, resümiert Jacobs und schließt: „Aufrichtig möchte ich den BAYER-Werken und den CIBA-Werken für die großzügige Überlassung von Versuchsmengen danken.“

„Zur Pharmako-Therapie von Erregungszuständen und Verhaltensstörungen überhaupt bei oligophrenen, anstaltsgebundenen Kindern und Jugendlichen“ setzte der Psychiater die Mittel ein. Den Begriff „Oligophrenie“ definierte er dabei als ein „Minus an Seele“; für ihn bedeutete das Wort jedoch etwas anderes. „Wir gebrauchen es eigentlich mehr für Menschen, die ein Zuwenig im Bereich ihrer Intelligenz aufzeigen. Allerdings sind erfahrungsgemäß auch immer die übrigen psychischen Gebiete mitbetroffen“, so der Mediziner. Im Verlauf des Textes wird er dann deutlicher und bezeichnet seine Versuchskaninchen einfach als „Schwachsinnige“, die allerdings in allen möglichen Verpuppungen auftreten können. Der Arzt präsentiert mit Verweis auf Kurt Schneider eine völlig abstruse Typologie, die von faulen Genießern, sturen Eigensinnigen, kopflos Widerstrebenden und verstockten Duckmäusern über heimtückische Schlaue, selbstsichere Besserwisser und chronisch Beleidigte bis hin zu treuherzig Aufdringlichen, prahlerischen Großsprechern und aggressiven Losschimpfern reicht.

Und im Umgang mit den „faulen Genießern“ und ihren SpießgesellInnen haben MEGAPHEN & Co. „nicht nur ihm, sondern auch dem pflegenden Personal die Arbeit wesentlich erleichtert“, vermerkt Jacobs. Ein verräterischer Satz. Er offenbart, wem die Behandlung mit den Präparaten eigentlich gilt. „Nicht der einzelne Mensch war Adressat der Arzneimittel-Wirkung, sondern das soziale System der Einrichtung“, schreibt Sylvia Wagner und nennt diese Praxis „soziale Medikation“. Jacobs selbst spricht von „einer möglichst reibungslosen Eingliederung“ schwieriger jüngerer PatientInnen in die Anstaltsgemeinschaft. An der versuchten sich auch die PychiaterInnen des Essener Franz-Sales-Hauses mit Hilfe der Neuroleptika. Mit Erfolg – wie ein MERCK-Vertreter nach einem Besuch der Einrichtung verzeichnet. „Mit MEGAPHEN und/oder RESERPIN (...) erzielt man in den meisten Fällen gute Ruhigstellung“, gibt er in seinem Bericht die Einschätzung des leitenden Arztes wieder. Das vom Darmstädter Pillen-Riesen produzierte DECENTAN bekam ebenfalls ein gutes Zeugnis: „Die Schwestern fordern laufend die 4 mg-Dragees nach, da sie somit endlich Ruhe auf den Stationen haben, und die Kinder auch tadellos schulfähig gehalten werden.“
Aber Jacobs testete das MEGAPHEN Wagner zufolge auch noch für andere Zwecke. „Über einen MEGAPHEN-Versuch, gedacht als Beitrag zum Thema: Behandlung des nervösen Schulkindes in unseren Tagen“ verfasste er einen Fachaufsatz.

Verzweifelte Notrufe aus den Reihen der Lehrerschaft“ hatten ihn und seinen Co-Autoren Herbert Kiesow angeblich dazu bewogen, „schwachsinnige (überwiegend debile) den Disharmonitätstypen zugehörige anstaltsgebundene Sonderschul-Kinder beiderlei Geschlechts“ mit dem BAYER-Präparat zu traktieren. Der Effekt ließ dann nicht lange auf sich warten. Die Versuchskaninchen wurden „pädagogisch wesentlich lenkbarer“. Zudem herrschte bald eine „wohltuende Ruhe auf den Abteilungen“. Die Wirkung hielt jedoch nicht lange genug an. Deshalb probierten die beiden Psy-chiater MEGAPHEN zusätzlich noch in Kombination mit Schlafmitteln und anderen Medikamenten aus. Hier sahen sie aber noch weiteren Forschungsbedarf. Dieses wäre „eine dankenswerte Aufgabe für die Arzneimittel-Industrie und die entsprechenden Fachkrankenhäuser“, meinten Jacobs und Kiesow. Bis dahin empfahlen die MedizinerInnen der LehrerInnenschaft MEGAPHEN als ein „ihr erziehliches (sic!) Bemühen wirksam unterstützendes Medikament“. „MEGAPHEN wirkt bei allen Kindern sofort in gleicher Weise sedativ. Durch die weitgehende Beruhigung wird die Schularbeit wesentlich erleichtert“, lautete ihr Resümee. Auch über BAYERs AOLEPT verbreitete sich Rolf Jacobs in Fachzeitschriften. Er testete es bei solchen von ihm als schwachsinnig bezeichneten Kindern und Jugendlichen, die „akute bzw. bedenklich anhaltende, mit dem Gemeinschaftsleben nicht zu vereinbarende, soziale Anpassungsschwierigkeiten“ hatten wie etwa „auflehnende Disziplinlosigkeit, Aggressivität und völlige Hemmungslosigkeit“. Und siehe da: Bei 103 von 141 ProbandInnen schlug das Mittel laut Jacobs an – ein „gutes, ein wirklich ermutigendes Resultat“. Muskelkrämpfe, Keislaufkollapse und andere Nebenwirkungen galt es dabei zu vernachlässigen. Und einen lebensgefährlichen Epilepsie-Anfall mochte er „nicht dem Präparat zur Last“ legen.

Die Test-Spirale

Solche Veröffentlichungen besaßen für die Firmen eine enorme Wichtigkeit. Da es eine gesetzlich geregelte Arzneimittel-Genehmigung noch nicht gab, kamen die positiven Urteile der MedizinerInnen quasi einer Lizenz zur Vermarktung gleich. Ein geregeltes Verfahren zur Prüfung von Medikamenten mit wissenschaftlich belastbaren Effektivitätsnachweisen und einer Analyse der Risiken und Nebenwirkungen machte die Bundesrepublik erst im Jahr 1978 zur Pflicht, obwohl Fachleute bereits 1962 „die Flut zum Teil ganz unzureichender Beobachtungspublikationen“ kritisierten. Zu allem Übel legten die Pillen-Riesen bei diesen manchmal auch noch selbst mit Hand an. So gaben einige ÄrztInnen an, ihre Texte gemeinsam mit „dem Ressort Medizin der BAYER AG Wuppertal“ verfasst zu haben. Und MERCK schrieb ebenfalls kräftig mit.

Unmittelbar nach dem Erscheinen der Berichte warf der Leverkusener Multi die Propaganda-Maschine an. Den MEGAPHEN-Artikel des Psychiaters Hans-Hermann Meyer von 1953 über Erprobungen an Erwachsenen der Heidelberger Universitätsklinik kopierte der Konzern 3.000 Mal und verschickte ihn dann an ÄrztInnen. Und drei Jahre später erhielten diese wieder Post in Sachen „MEGAPHEN“. „Ein idealer, stummer Assistent in der Kinderpraxis kann Ihnen unser MEGAPHEN sein. Gerade nervöse, reizbare und streitsüchtige Kinder können schon durch Gaben von nur 0,5 mg/kg Körpergewicht so weitgehend beruhigt werden, dass die ärztliche Betreuung für beide Teile kein Problem mehr ist“, mit diesen Worten diente der Pharma-Riese den MedizinerInnen die Arznei an.

Auch nach Jacobs’ „erfolgreicher“ AOLEPT-Erprobung reagierte der Konzern postwendend und kreierte eine Annonce. „AOLEPT erleichtert das Zusammenleben“ war die Anzeige überschrieben. Die Abbildung zeigte dann einen Knaben, der nicht mehr die erste Geige spielen will, sondern sich stattdessen vorbildhaft in ein musikalisches Quartett einfügt – dank AOLEPT. Das Medikament unterdrückt laut BAYERs Werbetext nämlich „destruktive und asoziale Tendenzen“ und fördert bei jungen Erwachsenen, die wahlweise „querulantorisch, reizbar, jähzornig, aggressiv, erregt, impulsiv, gesperrt, kontaktgestört, unproduktiv, hypochondrisch, klagsam, ängstlich“ sind, die „Anpassungsfähigkeit an Familie und Gemeinschaft“. Sogar kleine Filme über die verschiedenen Anwendungsbereiche von MEGAPHEN & Co. produzierte das Unternehmen.

„Von der Erprobung zum Markt und zurück“ – so beschreibt Viola Balz die Geschäftspolitik bei der Vermarktung der Neuroleptika. Nicht selten entpuppten sich die Klinik-ÄrztInnen dabei selbst als PharmazeutInnen: Kombinationspräparate z. B. hätte es ohne „sachdienlichen Hinweise“ wie die von Jacobs und Kiesow kaum gegeben. Den Grundstein für eine solche vertrauensvolle Zusammenarbeit hatte der Leverkusener Multi Balz zufolge schon vor dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut. Über einen ganzen Stamm von Medikamenten-TesterInnen konnte er auf diese Weise stets verfügen.

Offenbar floss dabei auch Geld. „Wie aus den Unterlagen im Archiv der Firma MERCK hervorgeht, scheint eine Vergütung der Ärzte für Prüfungen damals üblich gewesen zu sein“, konstatiert Sylvia Wagner. Sie stieß auf ein Dokument, das eine Honorierung für ENCEPHABOL-Tests ausweist. Ursprünglich beabsichtigte das Darmstädter Unternehmen, die beiden Autoren jeweils mit 1.000 DM zu bedenken, der federführende Verfasser schlug dann allerdings noch 500 DM mehr heraus.
Der Düsseldorfer Medizin-Historiker Heiner Fangerau zitiert derweil den Fall des Leiters der Nervenklinik Landeck, der beim Land Rheinland-Pfalz als Träger der Einrichtung Rechenschaft über die von den Medikamenten-Herstellern finanzierten Untersuchungen ablegen musste. Ergebnis der Anhörung: Das Land Rheinland-Pfalz wollte das Haus „nicht zu einer Versuchsanstalt für die pharmazeutische Industrie“ verkommen sehen und stoppte die Praxis. Und am Landeskrankenhaus Wunstorf erhielten die TesterInnen dem NDR zufolge ebenfalls Zuwendungen von der Pharma-Industrie. Definitive Aussagen darüber, ob BAYER & Co. immer mit Schecks für die Erprobungen winkten, mochten Fangerau und Wagner dem Stichwort BAYER gegenüber allerdings nicht machen, dafür sei die Quellenlage zu dürftig.
Manchmal traten die PsychiaterInnen sogar selbst an die Pillen-Unternehmen heran und baten um frische Kreationen aus den Laboren.

Dabei hatten sie nicht vorrangig eine Entlastung ihres Medikamenten-Budgets im Sinn. Vielmehr hofften sie, durch die neuen Pharmazeutika Fortschritte in ihrem Fach ausweisen zu können. MEGAPHEN war nämlich das erste Neuroleptikum überhaupt, und einige ForscherInnen sahen durch den Stoff eine „Revolution in der Psychiatrie“ eingeläutet. Nicht wenige hofften sogar, in der Substanz eine Alternative zu den körperlichen Behandlungsformen wie Gehirn-Operationen und Elektroschocks gefunden zu haben.

Die MEGAPHEN-Geschichte

Bis MEGAPHEN seinen Weg in die Heime und Kinder- und Jugendpsychiatrien zu Franz Wagle und seinen LeidensgenossInnen fand, hatte es schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Sie begann mit dem 1876 entwickelten Farbstoff Methylenblau. Der Mediziner Paul Ehrlich gebrauchte ihn unter anderem zur Behandlung von Malaria. Eine Nutzung als Pestizid sowie als Tier-Arznei folgten. 1899 setzte der italienische Arzt Pietro Bodoni den Methylenblau-Abkömmling Phenothiazin dann erstmals in der Psychiatrie ein. Obwohl er in einem Aufsatz Erfolge bei der Therapie von psychotischen PatientInnen vermeldete, fand die Substanz in diesem Bereich zunächst keine Anschluss-Verwendung. Stattdessen konzentrierten sich die WissenschaftlerInnen darauf, die Phenothiazine als Mittel gegen Allergien und den anaphylaktischen Schock zu erproben. Dabei zeigte sich eine Nebenwirkung, die später in den Psychiatrien zur Hauptwirkung mutieren sollte: der sedierende Effekt. Diesen wollte sich Henri Laborit zunutze machen. Da das Phenothiazin zudem die Körpertemperatur absenkte und die Stoffwechsel-Funktionen herunterdimmte, testete er den Einsatz bei Operationen zur Verstärkung der Narkose. Daran knüpfte wiederum RHÔNE-POULENC an. Das Pharma-Unternehmen braute den Wirkstoff Chlorpromazin zusammen und schickte ihn Laborit zurück. Der kreierte daraus in Kombination mit anderen Substanzen ein Präparat zur Einleitung eines „künstlichen Winterschlafs“ und empfahl die Prüfung von Anwendungsgebieten in der Psychiatrie. Und die erfolgte dann in den nächsten Jahren nicht zu knapp, während parallel dazu Indikationen wie „Schwangerschaftsübelkeit“, „Brechreiz“, „See-Krankheit“, „Schluckauf“ und „Geburtsschmerz“ die Verschreibungszone erweiterten. Wegen dieses breiten Wirk-Profils wurde das Chlorpromazin in den USA dann auch unter dem Namen LARGOCTIL vermarktet.

Vor allem der Spiegel rührte immer wieder die Werbetrommel für das „Wundermittel“. Das „Pulver 4560“ wirke wie „ein Vorhang gegen den Schmerz“, hielt das Magazin 1955 fest und schilderte den Fall eines 73-jährigen krebskranken Engländers. „Ich fühle mich wohl“, antwortete dieser dem Arzt auf die Frage nach seinem Befinden. Und als der Mediziner nachbohrte und wissen wollte, ob er denn keine Schmerzen mehr habe, antwortete der Mann: „Doch, aber das kümmert mich nicht.“ In einem anderen Artikel schrieb der Spiegel dem Pharmazeutikum das Potenzial zu, die damals vor allem in den USA bei Menschen mit schweren Seelenleiden häufig als Mittel der Wahl erscheinenden Hirn-OPs ersetzen zu können, da es jetzt die „Pille fürs Gehirn“ gebe. Einige Geisteskrankheiten vergingen dank MEGAPHEN sogar buchstäblich wie im Schlaf. Das Pulver 4560 – „raffiniert mit Beruhigungsmitteln und anderen Nervenblockern kombiniert“ – senkte die Körper-Temperatur der PatientInnen, indem es das Wärme-Zentrum im Zwischenhirn ausschaltete und versetzte sie über Tage in einen leichten Schlummer. Und oh Wunder: „Nach dieser Dämmerschlaf-Kur schienen viele Patienten geheilt zu sein, die Symptome der Geisteskrankheit waren verschwunden.“

Die Begeisterung hielt jedoch nicht lange vor. Bereits Anfang der 1960er Jahre gerieten die unerwünschten Arznei-Effekte der Neuroleptika immer stärker in den Blickpunkt. „Begleitwirkungen und Misserfolge der psychiatrischen Pharmako-Therapie“ lautete 1964 der Titel eines Symposions der Universität Mainz. Viola Balz zufolge mochten einige ForscherInnen dort schon gar „nicht mehr von Nebenwirkungen sprechen, sondern erst der Medikamenten-Einsatz habe ‚überreizte Menschen’ in klinisch behandlungsbedürftige Fälle verwandelt“. Im Jahr 1967 schließlich schaltete sich die „Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“ (AkdÄ) ein. Sie mahnte die MedizinerInnen dringlich, sich die allzu oft fatalen Folgen der Mittel stärker ins Bewusstsein zu rufen. Überdies kritisierte die AkdÄ die häufige Verwendung von MEGAPHEN & Co. auch außerhalb psychiatrischer Einrichtungen. Und der Psychiater Heinrich Kranz monierte vor allem die Verschreibung der Präparate schon bei leichten Angst- und Unruhezuständen. Da werde „mit Kanonen auf Spatzen geschossen und oft genug vorbeigeschossen, so Kranz.

Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre vollzog dann auch der Spiegel eine Kehrtwendung. „Pillen in der Psychiatrie – Der sanfte Mord“ kündete es am 17. März 1980 vom Titelblatt. Das Nachrichten-Magazin ließ psychisch Kranke zu Wort kommen, die beschrieben, was die in früheren Artikeln so bejubelten „Pillen fürs Gehirn“ dortselbst so alles anrichteten. „In ein Trümmerfeld“ haben die Mittel das Denkorgan verwandelt, es in ein „Nichts“ gerissen und den „Geist zerfetzt“, beklagt sich eine Patientin. Andere fühlten sich wie „gelähmt“ und vermeinten, sich bloß noch „wie unter Wasser“ fortbewegen zu können. „Was die Drogen im menschlichen Gehirn anrichten, lässt sich bislang eher an den fatalen Nebenwirkungen ablesen, weniger an dem gewünschten wahndämpfenden Effekt“, konstatierte die Zeitschrift. Sogar von Todesfällen berichtete sie. Das durch MEGAPHEN & Co. in Aussicht gestellte Ende der Elektro-schock-Behandlungen trat indes nicht ein. Auch leerten sich die Psychiatrien nicht wie erwartet. Vielmehr stellte sich oftmals ein Drehtür-Effekt ein. „Waren waren die ersten Neuroleptika – Abkömmlinge des Wirkstoffes Chlorpromazin – Anfang der fünfziger Jahre gerade euphorisch begrüßt worden (...)“, so der Spiegel aus naheliegenden Gründen lieber das Passiv wählend, „begann in der Folgezeit die anfängliche Begeisterung der Psychiater dahinzuschwinden. Obwohl die Neuroleptika-Produktion – in der Bundesrepublik rund 7,4 Millionen Packungen jährlich – unaufhaltsam wuchs, geriet das Pharma-Wunder nach und nach in den Verdacht, eine Täuschung zu sein.“

Für MEGAPHEN läutete das 1976 verabschiedete und 1978 in Kraft getretene Arzneimittel-Gesetz das Ende ein. Das Paragrafen-Werk forderte nämlich endlich Wirksamkeit und Verträglichkeit auf der Basis einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Klinischen Prüfung ein. Und diesen Nachweis konnte oder wollte BAYER nicht erbringen. Kurz vor Toresschluss – der Leverkusener Multi schöpfte die gewährte Übergangsfrist von zwölf Jahren für Alt-Medikamente noch fast voll aus – verschwand das Medikament 1988 schließlich vom Markt.
Für Franz Wagle, Günter Wulf und all die anderen kam das viel zu spät. Sie leiden größtenteils noch heute an den Nachwirkungen der Tests und der Dauer-Medikation in den Einrichtungen. Wagle sucht die Zeit in Schleswig vor allem im Schlaf heim. „Dann hast Du so einen Traum, dann liegst Du da: Wenn der Arzt von hinten kommt, dir die Spritze in den Rücken knattert oder wenn Du festgehalten wirst, irgendwas einschmeißen musst. Dann bist Du immer schweißgebadet, bist Du kerzengerade im Bett“, erzählt er in dem NDR-Interview. Aber das ist längst nicht alles. Franz Wagle ist bereits seit neun Jahren Frührentner. Chronische Schmerzen, vor allem in der Hüfte und im Rücken, plagen ihn. Folgen einer frühen Traumatisierung, wie sein Arzt meint.

Günter Wulf hat dieser Abschnitt seiner Biografie ebenfalls für immer geprägt. „Das gestohlene Leben“ überschrieb er einen Artikel, der auf seine Jahre im Lübecker Kinderheim Vorwerk und im Landeskrankenhaus Schleswig zurückblickt. „Manchmal denke ich darüber nach, was aus mir hätte werden können, wenn ich als Kind günstigere Bedingungen zum Aufwachsen gehabt hätte. Wenn ich z. B. eine freundliche Adoptiv-Familie gefunden hätte, wie es meiner Mutter versprochen wurde, als man mich ihr wegnahm“, schreibt er.

Sie war alleinerziehend, wie auch die Mutter von Franz Wagle, und oftmals reichte dies den Behörden schon als Motiv, galten solche Frauen doch als „sittlich und moralisch nicht gefestigt“ und als ungeeignet, ihren Kindern Halt geben zu können. „Verwahrlosung“ drohte und gemahnte zum Einschreiten. Es ging aber noch niedrigschwelliger: Schon Bockigkeit, Unehrlichkeit, Unordnung, Genussleben, Schule schwänzen oder Vagabondage galten den Behörden als Symptome der Verwahrlosung und zog Einweisungen nach sich.

Und mit dem Eintritt in die Institution begann dann in der Regel ein langer, von Gewalterfahrungen geprägter Leidensweg. Die medizinische Gewalt, die Franz Wagle und seine LeidensgenossInnen erlitten, stellt dabei neben der körperlichen und psychischen Gewalt nur eine Spielart dar.

Ethisch unzulässig

Über die Bewertung der Arznei-Erprobungen herrscht heute weitgehend Einigkeit. „Das ist ethisch problematische Forschung. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: ‚Das ist ethisch unzulässige Forschung’“, sagt die Kieler Medizin-Ethikerin Alena Buyx. Selbst damaligen Standards habe das Vorgehen der ÄrztInnen nicht entsprochen, konstatiert die Wissenschaftlerin. Sowohl der Nürnberger Kodex von 1947 als auch die Deklaration von Helsinki aus dem Jahre 1964 hielten die MedizinerInnen nämlich an, Medikamenten-Tests nur durchzuführen, wenn die ProbandInnen bzw. deren Erziehungsberechtigte einwilligten. Und Erklärungen dieser Art lagen weder im Landeskrankenhaus Schleswig noch in den anderen Einrichtungen vor.

Regelungen zu den Pillen-Prüfungen greifen bereits bis ins Jahr 1900 zurück. Nach Syphilis-Versuchen, zu denen der Breslauer Dermatologe Albert Neisser 1892 zum Teil auch Kinder herangezogen hatte, erfolgte in Preußen eine „Anweisung an die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten“, ohne Einwilligung der Betroffenen oder deren Eltern keine „medizinische Eingriffe zu anderen als diagnostischen, Heil- und Immunisierungszwecken“ vorzunehmen.
In der Weimarer Republik machten die Erprobungen und vorschnellen Pharmazeutika-Einführungen jedoch weiter Schlagzeilen. So testete der Mediziner Hermann Vollmer vom Berliner „Kaiserin Auguste Viktoria“-Haus das von BAYER und MERCK gemeinsam entwickelte Vitamin-D-Präparat VIGANTOL „an einem Material von etwa 100 Ratten und 20 Kindern“, wobei er Mensch und Tier unter „ungünstigen Diät- und Lichtbedingungen“ hielt, um eine anderweitige Zufuhr des Vitamins auszuschließen. Nach dem Lübecker Impf-Unglück von 1930, bei dem 77 Kinder durch ein verunreinigtes Serum starben, entschloss sich die Politik dann endgültig zu neuen Maßnahmen. Das Reichsministerium des Inneren erließ „Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen“. „Das Prinzip der informierten Einwilligung wurde ebenso festgeschrieben wie methodische Mindeststandards“, hält Dr. Niklas Lenhard-Schramm in seiner für den nordrhein-westfälischen Landtag erstellten Studie zu den Medikamenten-Tests fest.

Dabei handelte es sich aber jeweils nur um Anweisungen und Gebote ohne bindende Rechtskraft. Wie es um ihre Geltung bestellt war, zeigte sich exemplarisch 1947 bei dem Verfahren gegen den Mediziner Werner Catel, das vor einem ärztlichen Ehrengericht stattfand. Der Kinderarzt musste sich vor dem Gremium verantworten, weil bei seinen Tests mit BAYERs Tuberkulose-Arznei TB 698 in der Heilanstalt Mammolshöhe vier Kinder starben. Der Mann einer Kollegin Catels hatte die Ärztekammer unter Verweis auf den gerade beendeten Nürnberger Ärzte-Prozess gegen Hitlers willige MedizinerInnen und den mit dem Urteil verkündeten „Nürnberger Kodex“ angerufen. „Die Öffentlichkeit wurde durch den Nürnberger Ärzte-Prozess darüber aufgeklärt, dass gefahrbringende Versuche am Menschen, soweit sich diese nicht ganz umgehen lassen, nur mit ausdrücklicher Einwilligung der auf die eventuellen Gefahren aufmerksam gemachten Patienten ( bei Kindern deren Eltern bzw. der Vormund) durchgeführt werden dürfen“, hieß es in dem Begleitschreiben. Aber Catel, im „Dritten Reich“ einer der HauptakteurInnen der Kinder-„Euthanasie“, entging trotzdem einer Strafe. Ein befreundeter Professor, der bereits beim Nürnberger Ärzte-Prozess alles in seiner Macht stehende zur Rettung der brauen Weißkittel unternommen hatte, stellte ihm einen Persilschein in Form eines Entlastungsgutachtens aus.

Bis eine wirklich bindende Rechtsvorschrift solche Manöver nicht mehr erlaubte, sollte noch viel Zeit vergehen. Erst 1976 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein entsprechendes Gesetz, das auch Vorschriften zu Klinischen Prüfungen von Arzneien enthielt. Das exkulpiert Rolf Jacobs vom Landeskrankenhaus Schleswig und die anderen MedizinerInnen jedoch keinesfalls: Sie haben eindeutig gegen ihre Standespflichten verstoßen. Und nicht nur das. So heißt es im Abschlussbericht des „Runden Tisches Heimerziehung“: „Wenn es im Rahmen der Heimerziehung zu generellen und kollektiven Behandlungen bzw. Sedierungen gekommen ist, die weniger den Kindern und Jugendlichen als der Disziplin im Heimalltag oder gar der Erforschung von Medikamenten zuträglich waren, ist dies als Missbrauch zu beurteilen und erfüllt ggf. den Tatbestand der (schweren) Körperverletzung – auch nach damaligen Maßstäben.“

Für das Land Schleswig-Holstein als Träger der Einrichtung in Schleswig hat sich Sozialminister Heiner Garg (FDP) bereits bei den unfreiwilligen ProbandInnen von BAYER & Co. entschuldigt. Medizinethiker Fangerau fordert eine entsprechende Geste auch von den Pillen-Riesen und den MedizinerInnen ein. „Die beteiligten Pharma-Firmen und Ärzte sind moralisch verpflichtet, sich zu entschuldigen und sogar eine Entschädigungsleistung zu übernehmen“, so der Wissenschaftler. Bei einem öffentlichen Fachgespräch der Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“, das die Abgeordnete Sylvia Gabelmann Ende 2018 im Bundestagsgebäude initiiert hatte, schloss sich dem auch Heide Dettinger vom „Verband ehemaliger Heimkinder“ an.

Die COORDINATION GEGEN BAYER-GEFAHREN (CBG) nahm ebenfalls an der Veranstaltung teil und traf dort auf Franz Wagle und seinen Leidensgenossen Eckhard Kowalke. Die Coordination verabredete mit beiden eine Zusammenarbeit, und im Frühjahr 2019 ergab sich die erste Gelegenheit dazu: Die CBG reichte gemeinsam mit den zwei Ex-Heimkindern einen Gegenantrag zur Hauptversammlung des Leverkusener Multis ein. Dieser appellierte an die AktionärInnen, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern, weil die ManagerInnen-Riege sich nicht mit seinen Versuchskaninchen von einst ins Benehmen setzen wollte. „Ich habe alle Pharma-Firmen, die Versuche angeordnet haben, angeschrieben – nur BAYER hat nicht geantwortet“, hielt Wagle fest. Und Kowalke formulierte in der Presseerklärung zum Gegenantrag gleich ein konkretes Anliegen: „Wir verlangen vom BAYER-Konzern, dass er uns Entschädigungen zahlt. Das Unternehmen hat Millionen-Profite gemacht mit den Medikamenten, die es ohne unsere Zustimmung an uns getestet hat. BAYER muss seiner moralischen Verantwortung uns gegenüber gerecht werden.“
Auf dem AktionärInnen-Treffen selbst konfrontierten Franz Wagle und Eckhard Kowalke das Management des Pharma-Riesen direkt mit ihrer Leidensgeschichte. Gleiches tat auch Günter Wulf. Darüber hinaus ergriffen zu der Causa noch der Medizin-Historiker Dr. Klaus Schepker, der seit längerer Zeit zu dem Thema forscht, und Sylvia Gabelmann das Wort. Damit nicht genug, setzte CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann die Test-Reihen ebenfalls auf die Tagesordnung. Aber BAYER-Chef Werner Baumann wollte von all dem nichts wissen. „Wie bereits erwähnt, haben wir im Rahmen unserer internen Recherchen keine Dokumente gefunden, die auf eine Durchführung von Studien in Kinderheimen hinweisen. Die Aufarbeitung der Vorgänge werden wir so weit wie möglich unsererseits natürlich unterstützen“, antwortete er Stelzmann.

Wie diese Unterstützung im Einzelnen aussieht, musste der Journalist Charly Kowalczyk erfahren. Er recherchierte zu Versuchen mit triebhemmenden Mitteln im Behindertenheim Kork. Ein ehemaliger Pfleger meinte sich sogar noch daran erinnern zu können, welche Bezeichnung das Medikament trug: SH-08714. Also fragte Kowalczyk beim Leverkusener Multi nach. Er wurde aber zunächst enttäuscht: „Nach umfangreicher interner Recherche in den Archiven der SCHERING AG hat sich ergeben, dass es mit derzeitigem Wissensstand keine Substanz oder Formulierung einer Substanz mit der Nummer SH-08714 gibt.“ So weit – so gut. Die betreffende SH-Nummer gab es wirklich nicht, dafür jedoch die Substanz. Das „Document Management“ hatte sie aufgespürt. „Das dürfte die Angelegenheit klären und beenden“, vermeldete es, machte jedoch noch darauf aufmerksam, dass bei der SH-Nummer die Reihenfolge der Ziffern nicht ganz stimmte. Kowalczyk war offensichtlich ein Zahlendreher unterlaufen. Die PR-Abteilung wollte allerdings nicht so einfach „klären und beenden“, sie war nämlich ebenfalls auf etwas gestoßen. „Wir haben in der Zwischenzeit auch recherchiert und den Journalisten gefunden, hier seine Website, die auf kritische investigative Berichterstattung hindeutet“, schrieb sie der Dokumentationsabteilung zurück. Also Alarmstufe Rot! Da dekretierte die für die Öffentlichkeitsarbeit der Sparte „Forschung & Entwicklung“ zuständige Dame kurzerhand: „Die angefragte Substanz gibt es nicht, und in Absprache mit Herrn (...) (Name der Redaktion bekannt, Anm. SWB) sollten wir die Antwort zum jetzigen Zeitpunkt darauf beschränken.“ Auch anderen JournalistInnen gegenüber zeigt sich der Konzern nur wenig auskunftsfreudig. Und zu Entschädigungszahlungen erklärte sich der Leverkusener Multi bisher so wenig wie irgendein anderes Unternehmen aus der Branche bereit. Weder dem „Fonds Heimerziehung“ noch der „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ flossen Mittel aus der Industrie zu. Dabei hatte es zunächst ganz gut ausgesehen. Ende 2017 nämlich signalisierte der damalige stellvertretende Hauptgeschäftsführer des „Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller“ (BAH), Hermann Kortland, Handlungsbereitschaft. „Da gehe ich mal ins Wort: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Unternehmen in so klaren Fällen, wo es auch nachgewiesen ist und wo sie es auch zugeben, einer Entschädigung nicht zustimmen“, versicherte er. Aber daraus wurde nichts. Kortland hatte sich offensichtlich zu weit vorgewagt. Er hat seinen Posten zwar immer noch inne, musste aber inzwischen nicht nur die Ressorts „Politik“ und Öffentlichkeitsarbeit“ aufgeben, sondern auch die Leitung des Hauptstadt-Büros des BAH.

Entsprechend erbost über die ausbleibenden Reaktionen von Seiten der Pillen-Produzenten zeigt sich Heiner Garg. Konkret warf er BAYER eine „unverschämte Abwehrhaltung“ vor. Auch in einer Radio-Sendung machte er seiner Wut Luft: „Was ich inzwischen unglaublich finde, und was mich auch, obwohl ich ein sehr ruhiger Mensch bin, zur Weißglut treibt, ist die Haltung der pharmazeutischen Industrie.“ Der Forderung der ehemaligen Heiminsassen „Die Politik muss uns und die Vertreter der Firmen an einen Tisch bringen“, versucht der Sozialminister so gut es geht nachzukommen. Der FDP-Politiker hat sich sogar persönlich mit einem Brief an den Global Player gewandt. Bisher jedoch zeigen seine Bemühungen noch keine Ergebnisse.
Und die wird es auch nur geben, wenn BAYER genug Druck verspürt. Darum bemüht sich die Kampagne, welche die CBG im Verbund mit den Betroffenen durchführt, auch kontinuierlich darum, diesen aufzubauen – um den Konzern schlussendlich doch zum Handeln zu bewegen.

[Pestizidexport] BAYERs giftige Ausfuhr

CBG Redaktion

Gefährliche Pestizide für die „Dritte Welt“

BAYERs giftige Ausfuhr

Das Pestizid Aktions-Netzwerk beschäftigte sich in einer Studie mit den Exporten deutscher Pestizid-Hersteller und kam zu einem beunruhigenden Ergebnis: Unter den 233 in Ausland gelieferten Agro-Chemikalien befinden sich 62 hochgefährliche, hierzulande teilweise gar nicht mehr zugelassene Substanzen. BAYER-Produkte dürfen auf der Liste natürlich nicht fehlen.

Von Uwe Friedrich

Wer dieser Tage nicht völlig auf Medien verzichtet, hat sich BAYERs neuer Imagekampage

  • voranbringen kaum entziehen können. Denn die Videoclips und Radiospots sind umfassend präsent. Der Konzern will mit diesem PR-Kraftakt sein durch die Monsanto-Übernahme und den Glyphosat-Skandal reichlich demoliertes Image aufpolieren. Laut BAYER soll die Kampagne „einen Einblick in das, was BAYER ausmacht, geben: ein Unternehmen, in dessen Zentrum seit über 150 Jahren langfristiges Denken und beharrliches Forschen steht“. Dazu wurden von der Münchener Serviceplan Group, nach eigener Aussage Marktführer für integrierte Kommunikation, Statements von BAYER-Beschäftigten produziert, die neben Engagement vor allem Glaubwürdigkeit vermitteln sollen. Neben den Videobotschaften kommen Twitter-Tweets, YouTube-Interviews und ein maßgeschneidertes, webbasiertes Magazin zum Einsatz. Die Öffentlichkeit soll erfahren, wie BAYER Fortschritt & Innovation #voranbringt – im Klimaschutz, bei der „Lebensmittelrettung“, der Herzgesundheit und beim „Pflanzenschutz“, d. h. beim Pestizideinsatz in der industriellen Landwirtschaft. Die Kommunikation zum letztgenannten Thema macht jedoch nur eines deutlich: Die glatten Botschaften von technischer Innovation sind meist durch allzu bekannte Glaubenssätze geprägt – wie dem, dass chemischer Pflanzenschutz die Welternährung sichert.


Umweltverbände wie der BUND und das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN) haben dieses Konzept in der Vergangenheit vielfach kritisiert – wie auch Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG). Verweise auf Beispiele von hochgefährlichen BAYER-Pestiziden, die vor allem in den Ländern des Südens unsachgemäß und vielfach ohne dortige Zulassung zum Einsatz kamen, durften dabei nie fehlen. „Doppelte Standards im Pestizidhandel“ hieß und heißt nach wie vor das Stichwort, das die CBG und ihre KooperationspartnerInnen immer wieder auf die Tagesordnung der BAYER-Hauptversammlungen setzen.

Im September 2019 veröffentlichte PAN Germany nun eine Studie zu diesem Thema: „Giftige Exporte. Ausfuhr hochgefährlicher Pestizide aus Deutschland in die Welt“. Die Untersuchung listet wirkstoff-bezogene Fakten auf und brandmarkt, dass ein Viertel der exportierten Agrar-Chemikalien als hochgefährlich gilt – darunter viele BAYER-Pestizide. Nach jüngsten offiziellen Daten wurden in 2017 insgesamt 233 unterschiedliche Pestizid-Wirkstoffe, zusammen 59.616 Tonnen Wirkstoffe, aus Deutschland in zahlreiche Länder der Welt exportiert. Darunter sind sogar solche Pestizide, die in Europa längst verboten sind, weil sie von den Behörden als zu gesundheitsschädlich eingestuft wurden.

Zu den exportierten Pestiziden zählt unter anderem das BAYER-Insektengift Beta-Cyfluthrin (Produktnamen: MODESTO und ELADO), das akut so giftig ist, dass die WHO es in die zweithöchste Gefahrenklasse (WHO Ib) aufgenommen hat. Auch auf der Liste: Das Insektizid Thiacloprid. Es gehört zur Gruppe der Neonikotinoide, ist reproduktionstoxisch und nach Einschätzung der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA „wahrscheinlich krebserregend“. Besonders problematisch sind Einsatz und Export von Thiacloprid auch, weil der Leverkusener Multi den Wirkstoff vielfach in Mischpräparaten anbietet. Das Mittel Proteus (in Deutschland nicht zugelassen) enthält zum Beispiel Deltamethrin und Thiacloprid – damit ist das Produkt nicht nur potenziell karzinogen und reproduktionstoxisch, sondern auch neurotoxisch. Aber auch wenn Thiacloprid als einziger Wirkstoff in einem Produkt enthalten ist, kann keine Entwarnung gegeben werden. Da es die Ausschlusskriterien der EU erfüllt, hätte es schon vor einigen Jahren verboten werden müssen. Aber das Aus für das Gebiet der Europäischen Union erfolgte erst im Herbst 2019. Den Rest der Welt darf es jedoch ebenso noch heimsuchen wie zahlreiche weitere hochgefährliche BAYER-Pestizide. Die PAN-Studie zählt zahlreiche weitere dieser Substanzen auf, die zum Teil in Deutschland oder der EU nicht bzw. nicht mehr zugelassen sind.

PAN und die Coordination gegen BAYER-Gefahren verlangen deshalb ein weltweites Verbot hochgefährlicher Pestizide. Es würde Zehntausende von Todesfällen pro Jahr verhindern. Daher sei es dringend an der Zeit, so PAN Germany, endlich die Forderungen nach einem schrittweisen Verbot hochgefährlicher Pestizide und deren Ersatz durch nicht-chemische und agrarökologische Maßnahmen durchzusetzen – zum Wohl aller Menschen in Süd und Nord, insbesondere der BäuerInnen und nachfolgender Generationen.

Die Studie „Giftige Exporte. Ausfuhr hochgefährlicher Pestizide aus Deutschland in die Welt“ steht kostenfrei als Download auf der Website von PAN Germany zur Verfügung oder kann über info@pan-germany.org als Druckversion bestellt werden.